Commedia und Einladungsband (eBook)
736 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-401701-3 (ISBN)
Dante Alighieri wurde zwischen dem 14. Mai und dem 13. Juni 1265 in Florenz geboren. 1283 beginnt er sein Schaffen mit Gedichten, gefolgt von literarischen, politischen und philosophischen Werken in Versen und in Prosa, in italienischer und in lateinischer Sprache. Ab 1300 hatte er wichtige politische Ämter in Florenz inne, von wo er 1302 verbannt wurde. Von 1302 bis 1321 hielt er sich an verschiedenen Höfen in Ober- und Mittelitalien (Verona, Ravenna) auf und war mit diplomatischen Aufgaben betreut. In diesem Zeitraum, ca. 1304-1321, hat Dante die Commedia verfasst. Er starb am 13. oder 14. September 1321 in Ravenna und gilt als wichtiger Erneuerer und Theoretiker früher Lyrik und als einer der bedeutendsten Autoren der italienischen und der Weltliteratur überhaupt.
Dante Alighieri wurde zwischen dem 14. Mai und dem 13. Juni 1265 in Florenz geboren. 1283 beginnt er sein Schaffen mit Gedichten, gefolgt von literarischen, politischen und philosophischen Werken in Versen und in Prosa, in italienischer und in lateinischer Sprache. Ab 1300 hatte er wichtige politische Ämter in Florenz inne, von wo er 1302 verbannt wurde. Von 1302 bis 1321 hielt er sich an verschiedenen Höfen in Ober- und Mittelitalien (Verona, Ravenna) auf und war mit diplomatischen Aufgaben betreut. In diesem Zeitraum, ca. 1304-1321, hat Dante die Commedia verfasst. Er starb am 13. oder 14. September 1321 in Ravenna und gilt als wichtiger Erneuerer und Theoretiker früher Lyrik und als einer der bedeutendsten Autoren der italienischen und der Weltliteratur überhaupt. Kurt Flasch, 1930 in Mainz geboren, gilt als einer der besten Kenner mittelalterlicher Philosophie und als der »urbanste philosophische Schriftsteller Deutschlands« (Gustav Seibt, Süddeutsche Zeitung). In seinen zahlreichen Büchern erschließt er kenntnisreich und streitbar uns so fern scheinende Autoren wie Meister Eckhart, Augustinus – immer neugierig auf die nie zur Ruhe kommenden Antworten auf ihre Texte. Zuletzt erschien seine große Monographie ›Meister Eckhart – Philosophie des Christentums‹. Für sein Schaffen wurde Kurt Flasch vielfach ausgezeichnet, darunter 2000 mit dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa, 2009 mit dem Hannah-Arendt-Preis, 2010 mit dem Lessing-Preis für Kritik sowie mit dem Essay-Preis Tractatus.
II. Letzte Ausfahrt
1. Florenz als Weltmacht
Vielleicht führt kein Text besser ein in Dantes Dichtung als sein Gesang von Odysseus, den er Ulisse nennt. Nach Francescas tödlich ausgehendem Ehebruch geht es nun um die letzte Ausfahrt des Odysseus. Er kommt dabei ums Leben. Heute sehen viele Menschen, auch Dantisten – anders als Dante –, den körperlichen Untergang als schwere Strafe an und bewerten daher die letzte Ausfahrt des Ulisse falsch. Darauf komme ich zurück und beginne nun mit einer schlichten Textübersicht des canto 26. Das klingt vielleicht pedantisch, aber der Leser braucht diesen Überblick für die folgenden Debatten. Denn dieser Abschnitt der Commedia ist nicht nur kompakt, anschaulich und dramatisch, sondern seine Auslegung ist auch vielfach umstritten.
Der canto setzt ein mit der höhnischen Verurteilung von Florenz. Sie gehört nicht zu seinem Hauptthema; sie schließt das Vorhergehende ab. Dante spielt höhnend an auf die Inschrift am Palazzo del Popolo, also dem Bargello, in der Florenz sich rühmt, jetzt so stark zu sein wie das antike Rom:
Florenz als Weltmacht durchdringt mit seinen Handelsbeziehungen und Gulden alles. Dante hatte im vorhergehenden canto Diebe aus Florenz getroffen und läßt sich die Gelegenheit nicht entgehen, Florenz zu kritisieren. Politik drängt sich in der Commedia überall ein. Aber Hauptthema ist Odysseus, der Stratege vor Troja, der Welterkundungsenthusiast. Er steht vor uns, als wäre er Zeitgenosse des florentinischen Expansionismus über Land und Meer. Der Leser steht jetzt im achten Höllenkreis, also sehr weit unten. Er hat Menschen gesehen mit zerspaltenem Kopf und heraushängendem Gedärme. Er hat Bestrafungsszenen hinter sich, deren Derbheit Goethes Widerwillen erregt hat (26, 1–12).
2. Zwei Kriegsverbrecher
Der weitere Abstieg ist schwierig. Dante, der Wanderer, sieht von oben Menschen als wandelnde Feuersäulen. Das schmerzt ihn. Der Schmerz erneuert sich dem Autor beim Schreiben (13–18). Er weiß noch nicht, wen er treffen wird. Er blickt nach unten in den Graben mit den Sündern und sieht Männer in Feuermänteln. Er leidet wie beim Anblick der umhergewirbelten Seelen zu Beginn von canto 5 und fordert sich auf, seinen Geist zu zügeln, mehr als er es gewöhnlich tut. Damit er nicht davonläuft, ohne vom Rechten (virtù) geführt zu sein (19–24).
Dante erklärt seine Selbstzügelung nicht näher: Hat er früher seinen Geist nicht der virtù untergeordnet? Kritisiert er frühere Exzesse seiner Neugier? Verwirft er sein Mitleid mit den zu Recht Bestraften? Der Verfasser des Inferno ist jetzt selbst ein Mann der Höfe, eine Art politischer Berater. Warnt er sich vor moralfreien politischen Kalkulationen? Spielt er an auf das, was kommt: Hat Odysseus seine Begabung des Wortemachens und kluger Einfälle nicht der virtù untergeordnet?
Die Sünder in Feuermänteln sind zahlreich und bewegen sich rasch wie Glühwürmchen an einem Sommerabend in der Toscana. Dante malt die Metapher liebevoll-umständlich aus; er gibt der sich bald steigernden dramatischen Erzählung einen ruhigen Anfang. Er verbindet die tiefste Hölle mit Alltagserfahrungen der Landschaft und des bäuerlichen Lebens. Nach den grauenhaften Turbulenzen vorausgegangener Szenen, nach Schlangengewühl und kafkaesken Verwandlungen schafft er für diesen Gesang – und nur für diesen, es geht danach sofort wild weiter – die Ausnahme-Atmosphäre besinnlichen Zuhörens für die Odysseus-Erzählung. Die ländliche Szene steht in angenehmem Kontrast zu Gestank, Geschrei und Gezerr der vorhergehenden Höllenkreise.
Dante sieht schnell vorbeihuschende Feuergestalten. Sie erinnern ihn an die Feuerwolken, die Elisa bei der Himmelfahrt des Propheten Elias sah. Elisa, dessen Schüler, wurde dabei von einer Kinderschar wegen seiner Kahlköpfigkeit verspottet. Er rief zur Rache Bären herbei, die 42 Kinder zerrissen. Schon wieder geht es rauh zu. Die Gewalttat zerstört die soeben skizzierte Idylle. Vergil erklärt die wandelnden Feuersäulen: In jeder steckt ein Sünder. Odysseus steckt zusammen mit Diomedes im selben Feuermantel. Sie werden bestraft für das, was sie gemeinsam verbrochen haben. Dantes Vergil nennt drei Strafgründe:
Erstens: Odysseus hat den Betrug mit dem hölzernen Pferd ersonnen, der den Staat zerstört hat, aus dem nach langen providentiellen Umwegen das Römische Imperium hervorgegangen ist, wie die Aeneis erzählt.
Zweitens: Er hat mit einer Finte Achill in den Tod getrieben und dessen schwangere Frau unglücklich gemacht.
Drittens: Er hat den Frevel begangen, als Bettler verkleidet im Tempel von Troja das Palladium, das Götterbild der Pallas Athene, zu stehlen.
Vergil nennt drei und nur drei Anklagepunkte. Odysseus ist Kriegsverbrecher; er ist nicht unschuldig. Minos hat ihn nicht zu Unrecht so tief nach unten gewirbelt. Aber bei den Schuldgründen kommt die letzte Ausfahrt nicht vor. Alle Punkte beziehen sich auf Troja. Er wird bestraft als ränkereicher Politiker und trickreicher Stratege. Diomedes war bei der Ausfahrt über die Säulen des Herakles hinaus nicht dabei, steckt aber mit ihm in einem einzigen Feuermantel. Dante zeigt außerordentliches Interesse an beiden Griechen, bevor diese sprechen. Er möchte mit ihnen reden. Sein Interesse wird nicht erklärt. Seine Hinneigung zu den beiden ist heftig wie die zu dem Liebespaar im Francesca-Gesang, hier gegen canto 5 auffällig gesteigert.
Vergil lobt sein Interesse, warnt ihn, die beiden direkt anzusprechen: Es sind Griechen. Die galten bei hochfahrenden Florentinern als hochfahrend. Vergil will selbst mit ihnen reden. Nach Autoren-Art setzt Vergil voraus, die altgriechischen Helden hätten in der Hölle seine lateinische Neuerscheinung gelesen.
Vergil fragt, wo sie verloren zu Tode kamen: dove … perduto a morir gissi. Verloren, perduto, heißt hier: nachdem sie den Weg verloren haben. Sie haben die Orientierung verloren und sind im Atlantik zugrunde gegangen (79–84).
Dante zeigt sich unbekümmert um die Mehrdeutigkeit von verloren, perduto, denn dieses Wort heißt sowohl ›zur Höllenstrafe verurteilt‹ wie ›den Weg verloren habend‹. Boccaccio nutzt im Decameron 7, 10 den Doppelsinn von verloren, perduto als komischen Effekt.
Der Höllenbesucher fragt: Wo und wie seid ihr zu Tode gekommen? Dieses Detail hat für die Plazierung der beiden Griechen in der tiefen Hölle keine Bedeutung. Es provoziert erzählerische Details, verläßt poetisch das System von Schuld und Strafe.
Kein Leser, denke ich, verwechselt irdisches Unglück mit ewiger Verdammnis. Die Strafe für Francesca war nicht ihre Ermordung, sondern ist das ewige Herumgewirbeltwerden durch leidenschaftlich-wilde Stürme. Odysseus büßt im Feuermantel im achten Graben, nicht mit seinem Seeunfall im südlichen Atlantik.
Es folgt die Erzählung des Odysseus von Ausfahrt und Untergang (90–142). Unser Gesang zeigt eine deutliche Zweiteilung: Zuerst kommt der Bericht des Autors, wie von außen, dann folgen Dialog und Erzählung durch den Protagonisten. Der Wanderer Dante will ein sprechendes Detail hören: Bei Francesca fragte er wie ein Reporter, nicht wie ein Moralphilosoph, woran sie ihre Liebe erkannten; hier, wo sie zu Tode kamen. Beides sind Nebenumstände; beides gibt Anlaß zu Erzählungen, die den ganzen zweiten Teil der canti 5 und 26 einnehmen, auf die diese canti zulaufen. Wenn schon einmal ein Jenseitsreisender zurückkommt, interessieren sich die Leute in Florenz wie in Verona für die Todesstunde berühmter Personen.
Odysseus nennt zunächst drei Gründe, die ihn hätten bewegen können, nicht auszufahren (94–97):
-
die Süßigkeit (dolcezza) seines kleinen Sohns,
-
die Verpflichtung gegenüber dem alten Vater, die pietas,
-
die Liebe zu Penelope.
Er hat über diese Gründe nachgedacht; er ist nicht forsch-bedenkenlos auf Abenteuerreise gegangen. Er will auf seine alten Tage etwas Menschenwürdiges tun. Er reiste nicht von Ithaka ab. Er trennte sich von Kirke, nicht von Penelope. Dann nennt er den Grund, der ihn bewogen hat wegzufahren: Er wollte Erfahrung gewinnen von der Welt (98–99, Übersetzung S. 109),
divenir del mondo esperto
e delli vizi umani e del valore.
Odysseus fiebert nach Erfahrung (esperienza), nicht primär von Naturdingen, sondern von Menschen, von Lastern und Tugenden. Nur versteht man dann schlecht, warum er in die Welt ohne Menschen aufbricht. Tugend und Laster können dort nur seine eigenen sein und die seiner Leute. Aber es geht Dante-Ulisse immer auch um Geographie und Kosmologie, also um Erkenntnis. Daß es ihm um Erfahrungswissen, nicht um Gotteserkenntnis geht, ist unter Aristoteles-Lesern kein Grund zur Geringschätzung.
Odysseus gibt die kleine Rede an die Gefährten wieder (112–120). Er nennt sie Brüder. Er erklärt ihnen:
Wissenwollen ist unsere Natur. Das ist wichtiger als die Mahnung des Herkules: Non plus ultra zu fahren. Den Herakles erwähnt er gar nicht, Herkules war ein Zwischenwesen zwischen Gott und Heroe; er hat große Taten vollführt, gute...
Erscheint lt. Verlag | 23.11.2011 |
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Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Lyrik / Dramatik |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Dante Alighieri • Essay • Göttliche Komödie • Hölle • Inferno • Paradies • Purgatorio • Renaissance • Vergil |
ISBN-10 | 3-10-401701-8 / 3104017018 |
ISBN-13 | 978-3-10-401701-3 / 9783104017013 |
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