Der Schrei des Garuda (eBook)

Roman

(Autor)

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2011 | 1. Auflage
464 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-41274-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Schrei des Garuda -  Ulli Olvedi
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Claudia und Dawa sind zwei grundverschiedene Frauen - doch beide können nicht anders, als sich in Tibet auf die abenteuerliche Suche nach der wahren Freiheit zu begeben. Dawa tat dies vor vielen Jahrhunderten - und in unserer modernen Zeit folgt Claudia ihren Spuren ... Virtuos spielt Ulli Olvedi nach ihren Bestsellern Wie in einem Traum und Die Stimme des Zwielichts mit den verschiedenen Ebenen von Traum und Realität. Ein spiritueller Entwicklungsroman, wie ihn sonst niemand zu schreiben vermag!

Ulli Olvedi gilt als profunde Kennerin des tibetischen Buddhismus und der tibetischen Kultur. Sie verbrachte immer wieder längere Zeit im Himalaya, lebte zurückgezogen in Klöstern und hat daraus die Inspiration für ihre sehr erfolgreichen Romane geschöpft. Mit ihren Romanen, wie u.a. Wie in einem Traum oder Zanskar und ein Leben mehr, stand sie regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Olvedi gründete die Hochschule für traditionelle tibetische Medizin, das Shelkar Tibetan Medical Institute in Kathmandu, und ist Fachbereichsleiterin für Spiritualität an der Akademie Aidenried am Ammersee bei München.

Ulli Olvedi gilt als profunde Kennerin des tibetischen Buddhismus und der tibetischen Kultur. Sie verbrachte immer wieder längere Zeit im Himalaya, lebte zurückgezogen in Klöstern und hat daraus die Inspiration für ihre sehr erfolgreichen Romane geschöpft. Mit ihren Romanen, wie u.a. Wie in einem Traum oder Zanskar und ein Leben mehr, stand sie regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Olvedi gründete die Hochschule für traditionelle tibetische Medizin, das Shelkar Tibetan Medical Institute in Kathmandu, und ist Fachbereichsleiterin für Spiritualität an der Akademie Aidenried am Ammersee bei München.

Dawa


Die Sonne beginnt bereits ein wenig zu wärmen, doch im Schatten der niedrigen Bäume ist es noch eiskalt. Dawa hat schon ein gutes Stück Weg zur kleinen Gompa auf dem Berg zurückgelegt. Nur Dölma hat sie ins Vertrauen gezogen, als sie am Tag zuvor heimlich ein Säckchen Tsampa, Ziegeltee, einen Beutel voll getrockneter Erbsen und einige Streifen Trockenfleisch zusammentrug und in ein Bündel packte, um Lama Pema eine angemessene Gabe mitzubringen. Noch bevor das Haus zu geschäftiger Unruhe erwacht ist, hat sie sich durch das kleine Tor davongemacht, nur von ihrem Lieblingshund Dorje begleitet. Erst später, wenn ihre Abwesenheit auffällt, wird Dölma preisgeben, wohin die Tochter des Hauses gegangen ist. Denn die Eltern hätten sie nicht allein gehen lassen, obwohl sich keine Räuberbanden in der Gegend herumtreiben; dafür hat der Fürst gesorgt. Die Räuber fürchten den Fürsten mehr als böse Geister und Dämonen, sagen die Leute.

Ein kleiner Wald drückt sich an die weit geschwungenen Hänge, über die der kaum sichtbare Pfad aus dem Tal hinauf in die Berge führt. Nicht die kleinste Wolke stört den unendlichen Raum des Himmels. Dawa seufzt. Ohne Zweifel, der Himmel ist blau, die Bäume sind grün, doch in Dawas Geist sind sie grau, denn in Dawas Geist gibt es heute keine Farbe. Sie kann sich erinnern, dass es ein Blau voller Freude und ein satt lebendiges Grün gegeben hat, vielleicht auch wieder geben wird, doch jetzt durchdringt Farblosigkeit alles, was ist.

Augenblicke mit den Cousinen auf dem Dach fallen ihr ein. Wird sie jemals wieder so lachen können wie mit den Mädchen an den Webrahmen und den Dienern, die in der sanften Nachmittagssonne Sättel flicken und die schweren Chubas zusammensticheln? Niemand sagt ihr, wie das Leben im Dzong sein wird, und sie kann nicht fragen, denn es ist ja unschicklich, dass ein junges Mädchen weiß, wen es heiraten wird. Selbst wenn alle wissen, dass sie es weiß, gehört es sich, den Schein zu wahren. Alle reden um Dawas Leben herum, freundlich – unnatürlich freundlich. Als sei sie eine Fremde im Haus. Das leise Würgen im Hals will gar nicht mehr aufhören.

Die Sonne steht halb am Himmel, als sie den felsigen Steilhang erreicht, an dem die kleine, ockerfarbene Gompa klebt wie das Nest eines riesigen Vogels, nicht mehr als eine Erweiterung der dahinter liegenden engen Höhle. Dort oben wohnt Lama Pema in einer Kammer neben dem winzigen Tempelraum, zündet täglich die Butterlampen auf dem Schrein an und lässt die seltenen Besucher ein, die ihm Lebensmittel bringen und ihre Niederwerfungen vor der kleinen Statue der Senge Döngma, der löwenköpfigen Dakini, machen wollen.

Eine Yogini, eine große Verwirklichte, habe vor langer Zeit in dieser Höhle gelebt und meditiert, heißt es, und eines Tages erschien die rote Senge Döngma und sie kam immer wieder und mancher Besucher konnte sie sehen. Als die Yogini starb, hinterließ sie nur Haare und Nägel und Zähne.

Viele Male, seitdem sie in ihrem zehnten Lebensjahr zum ersten Mal dabei war, ist Dawa mit ihrem Vater und seinen Freunden an Vollmondtagen zu Lama Pema hinaufgestiegen.

»Sie kommt mit«, erklärte damals der Vater seinen Freunden, »sie ist gescheiter als alle eure Jungs zusammen.« Die Männer lachten und drückten ihr zwei große Teeziegel in die Hand, damit auch sie Verdienste erwerben konnte, indem sie einen Teil der Versorgung des heiligen Mannes zur kleinen Gompa hinauftrug. Dann setzten sie sich um Lama Pema herum und mit höflicher Atemlosigkeit stellten sie ihm Fragen über das Leben und den Tod, wie man Sorgen loswerden könne, was man tun solle, wenn die Wunde am Fuß eines guten Yaks nicht heilte, oder wie man sich nachts gegen böse Geister schützen könne. Dawa pflegte nur wenig von Lama Pema zu erzählen, wenn ihre Freundin Nangsa und die Töchter der Nachbarn etwas über ihre Ausflüge in die Einsiedelei hören wollten. Ach, er hat sich über den Tee gefreut, der arme Alte, sagte sie, oder: Der Weg ist ganz schön weit, vielleicht bleibe ich nächstes Mal daheim. Nie hat sie verraten, wie sehr sie stets darauf wartete, dass ihr Vater am Abend erklärte: Stell deine guten Stiefel bereit, morgen gehen wir früh los. Keines der Mädchen sollte auf den Gedanken kommen, auch mitgehen zu wollen. Lama Pema und sein dunkler, geheimnisvoller Tempel waren Dawas heimliche Freude. Sie würden es bald nicht mehr sein.

Auf den schmalen, in den Fels gehauenen Stufen, die zu dem einsamen Heiligtum hinaufführen, tastet Dawa sich vorsichtig nach oben. Sie hat diese Stufen noch nie leiden können. Nur die vordere Hälfte ihres Fußes hat darauf Platz, und wäre da nicht das dicke Seil, an dem man sich festhalten kann, wäre sie wohl nie hinaufgestiegen. Der Hund hält sich hinter ihr, als wache er über ihre Schritte.

Lama Pema singt. Noch nie zuvor hat sie Lama Pema singen hören. Sie hält inne, überwältigt von der plötzlichen Flut von Farbe, die allen Dingen wieder Leben gibt. Die tiefe, zärtliche Stimme füllt den blauen Himmel, so sanft und mächtig, dass man zugleich lächeln und weinen muss und überall ganz weich wird, im Herzen und in den Knien. Als wäre Lama Pema sehr, sehr glücklich und sehr, sehr traurig; doch wie kann man glücklich und traurig zugleich sein? Dawa wischt die Träne ab, die über ihre Wange rinnt, und lacht ein bisschen. Ist dies doch gerade ihr eigenes Gefühl, so seltsam glücklich und traurig, weil Lama Pemas Stimme und der Himmel und die Berge so schmerzhaft schön sind.

Als sie den breiten Felssims am Ende der Treppe erreicht, nähert sie sich dem Lama gebückt und mit zum Gruß gefalteten Händen. Der alte Mann sitzt auf einer dünnen Matte in der Sonne und tätschelt mit der Handfläche den Boden, sie möge sich zu ihm setzen. Mit sanfter Aufmerksamkeit wendet er ein Blatt des Textes in seinem Schoß und singt weiter. Dawa lässt sich in respektvoller Entfernung nieder, den Blick nur leicht gesenkt, so dass sie ihn am Rand ihres Blickfelds gut sehen kann. Und sie sieht ihn, als begegne sie ihm zum ersten Mal.

Nie zuvor hat sie sich gefragt, wie alt er wohl sei, wie lang er schon als Hüter des Heiligtums hier leben möge. Lama Pema ist einfach da, ist immer schon da gewesen, solange sie sich erinnern kann, alterslos in seinem bräunlich grauen Gewand, das die ursprüngliche Farbe kaum mehr ahnen lässt. Einmal haben die Männer ihm ein dickes wollenes Tuch mitgebracht, tiefrot, wie es die Mönche tragen. Lama Pema lächelte und rollte es auf dem Schoß zusammen, und beim nächsten Besuch sahen sie, dass er es der zierlichen Statue in der Höhle umgehängt hatte, so dass nur noch ihr wildes, lachendes Löwengesicht zu sehen war.

Die Filzmütze auf Lama Pemas großem Kopf, oben spitz zulaufend und an beiden Seiten mit je einem langen Stofflappen versehen, ist ausgebleicht wie ein alter Knochen. Nie hat Dawa ihn ohne seine Mütze zu Gesicht bekommen. Ob er sie nachts ablegt? Und die Knötchen, die er in seinen dünnen, glatten, grau durchzogenen Bart geknüpft hat – löst er sie jemals?

Der Hund hat sich neben sie gelegt, er winselt ein wenig im Schlaf und zuckt mit den Beinen. Lama Pema beendet seinen Gesang, häufelt die Blätter seines Buchs zusammen, packt sie zwischen die hölzernen, geschnitzten Deckel und wickelt sorgfältig das ausgeblichene Tuch in seinem Schoß darum. Dawa zieht das Bündel mit den Geschenken aus ihrem weiten Mantel und hält es dem Lama schicklich mit beiden Händen hin.

»Du kommst ganz allein?«, fragt Lama Pema. Nun sollte sie sich nach seinem Befinden erkundigen und berichten, wie es ihrem Vater und ihrer Mutter geht, so verlangt es die Höflichkeit; doch sie kann ihre schmerzliche Nachricht nicht aufhalten, die Worte fallen wie Steine aus ihr heraus, zusammen mit dem Schluchzen und den Tränen.

»Ich muss den Fürsten heiraten. Sie sagen, es muss sein. Aber er ist alt und ich fürchte mich vor ihm. Ich will zu Hause bleiben, Lama-la. Ich will zu Hause bleiben.«

Lama Pemas freundlicher Blick liegt lang auf ihr. Sie fällt in diesen Blick hinein, bis sie ganz darin aufgehoben ist.

»Es war einmal ein Bauer«, sagt der Lama schließlich, »der hatte einen einzigen Sohn. Sie waren arme Leute und ihr einziger Besitz war ein Pferd. Eines Tages lief das Pferd weg. Da kamen die Nachbarn herbei und bedauerten den Bauern und sagten: Ach, du Armer, nun hast du nicht mal mehr ein Pferd, was für ein Unglück. Doch der Bauer wiegte nur den Kopf und sagte: Ist es ein Unglück? Man weiß es nicht, man weiß es nicht.

Kurze Zeit später kam das Pferd zurück und mit ihm eine ganze Reihe von Wildpferden. Da kamen die Nachbarn herbei und beglückwünschten den Bauern und sagten: Ach, du Glückspilz, nun hast du eine ganze Pferdeherde, was für ein Glück. Doch der Bauer wiegte nur den Kopf und sagte: Ist es ein Glück? Man weiß es nicht, man weiß es nicht.

Dann begann der Sohn des Bauern die Wildpferde zuzureiten. Ein Pferd warf ihn ab und er brach sich den Arm. Da kamen die Nachbarn herbei und bedauerten den Bauern und sagten: Ach du Armer, nun hast du nicht mal mehr deinen einzigen Sohn als Hilfe, was für ein Unglück. Doch der Bauer wiegte nur den Kopf und sagte: Ist es ein Unglück? Man weiß es nicht, man weiß es nicht. Da brach ein Krieg aus und alle jungen Männer mussten in den Krieg ziehen, nur der Sohn des Bauern nicht, denn mit seinem gebrochenen Arm taugte er nicht für den Krieg. Weißt du, was die Nachbarn sagten? Und weißt du, was der Bauer sagte?«

»Man weiß es nicht, man weiß es nicht«, antwortet Dawa erheitert.

In erzählendem Singsang fährt Lama Pema fort: »Es war einmal ein junges Mädchen, das sollte einen Fürsten heiraten …«

»Ich hab es schon verstanden.« Dawa schüttelt ein wenig verwirrt...

Erscheint lt. Verlag 26.7.2011
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Buddhismus • Dawa • Entwicklungsroman • Frauenroman • Freiheit • Garuda • Miriam • Roman • Sinnsuche • Spiritualität • Spiritueller Roman • Tibet • Tibetischer Buddhismus • Weihnachten • Weihnachtgeschenk Partner • weihnachtsgeschenk beste freundin • weihnachtsgeschenk frauen • Weihnachtsgeschenk Freundin • Weihnachtsgeschenk Mama • Weihnachtsgeschenk Männer • Weihnachtsgeschenk Mutter • weihnachtsgeschenk oma • Weihnachtsgeschenk Opa • Weihnachtsgeschenk Papa • Weihnachtsgeschenk Tante • weihnachtsgeschenk vater
ISBN-10 3-426-41274-8 / 3426412748
ISBN-13 978-3-426-41274-9 / 9783426412749
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