Wie in einem Traum (eBook)

Roman

(Autor)

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2011 | 1. Auflage
320 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-41052-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wie in einem Traum -  Ulli Olvedi
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Warum müssen wir leiden - und wie erlangen wir dauerhaftes Glück? Die junge Maili verlässt ihr Dorf in den Bergen Nepals, um in einem Kloster nach Antworten auf die großen Fragen des Lebens zu suchen. Zwei Menschen begleiten sie auf ihrem Weg: ihre weise Lehrerin und ein junger Mönch, der eine unbekannte Sehnsucht in ihr weckt.

Ulli Olvedi gilt als profunde Kennerin des tibetischen Buddhismus und der tibetischen Kultur. Sie verbrachte immer wieder längere Zeit im Himalaya, lebte zurückgezogen in Klöstern und hat daraus die Inspiration für ihre sehr erfolgreichen Romane geschöpft. Mit ihren Romanen, wie u.a. Wie in einem Traum oder Zanskar und ein Leben mehr, stand sie regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Olvedi gründete die Hochschule für traditionelle tibetische Medizin, das Shelkar Tibetan Medical Institute in Kathmandu, und ist Fachbereichsleiterin für Spiritualität an der Akademie Aidenried am Ammersee bei München.

Ulli Olvedi gilt als profunde Kennerin des tibetischen Buddhismus und der tibetischen Kultur. Sie verbrachte immer wieder längere Zeit im Himalaya, lebte zurückgezogen in Klöstern und hat daraus die Inspiration für ihre sehr erfolgreichen Romane geschöpft. Mit ihren Romanen, wie u.a. Wie in einem Traum oder Zanskar und ein Leben mehr, stand sie regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Olvedi gründete die Hochschule für traditionelle tibetische Medizin, das Shelkar Tibetan Medical Institute in Kathmandu, und ist Fachbereichsleiterin für Spiritualität an der Akademie Aidenried am Ammersee bei München.

2


Maili folgte dem Onkel den Weg bergab. Ihr Bündel war leicht; es enthielt nur eine Chuba zum Wechseln, einen Fellmantel für den Winter und ein Säckchen mit verschiedenen Heilkräutern. Das Musikgerät hatte sie ihrer Freundin Dawa geschenkt, deren Mann »Batterien« besorgen konnte. Einen großen Teil ihres Türkis- und Korallenschmucks hatte sie der Tante überlassen. Das Elternhaus hatte sie für einen guten Preis an den Dorfvorsteher verkauft. Es war ein beruhigendes Gefühl, im Kloster nicht mit leeren Händen um Aufnahme bitten zu müssen.

Als sie an jener Stelle des Weges vorbeikam, von der aus Tsering sie zur Felswand gezogen hatte, stieg ein Nachhall der Wut und Hilflosigkeit in ihr auf, die sie an jenem Tag empfunden hatte, und das Gefühl der Befriedigung über ihre Entscheidung vertiefte sich. Schluss mit alledem, dachte sie heiter. Ich gehe nach Kathmandu.

Der Klang dieses Namens war voller Magie. Es war der Klang der Welt, der Klang der Freiheit. Maili kannte niemanden, der schon einmal in der großen Stadt gewesen war, wo die Leute Nepali sprachen, sich anders kleideten und die Straßen voller Autos waren, so voll, dass man fast keine Luft mehr zum Atmen bekam, wie jemand aus einem Nachbardorf erzählt hatte. Dort konnte man in ein Haus gehen, das sie Kino nannten, und auf einer magischen Wand die unterschiedlichsten Traumgeschichten anschauen, so oft man wollte. Ob Nonnen wohl in ein Kino gingen? fragte sich Maili.

Dreimal mussten sie unterwegs übernachten, bis sie die kleine Provinzstadt erreichten, die von allen nur »die Stadt« genannt wurde. Wer dorthin ging, hatte unterwegs seine festen Stationen in den Dörfern, bei Verwandten zumeist oder bei Freunden der Familie. Der Weg führte über eine Hängebrücke, die Maili bei ihren Stadtbesuchen mit den Eltern fürchten gelernt hatte. Mit jeder Schwankung legte sich der schmale Bretterboden schief, und zwischen den Seilen sah man in der Tiefe der Schlucht den Fluss, der sich zwischen mächtigem Geröll hindurchwand. Mit dem Monsunregen würde er anschwellen und donnernd durch die Schlucht schießen, so dass man sein eigenes Wort nicht mehr verstand. Aber ein vernünftiger Mensch blieb in der Monsunzeit zu Hause.

Am vierten Tag erreichten sie mittags die kleine Stadt. Sie hatte eine richtige breite Straße mit einer Busstation, und unzählige Händler breiteten auf den Gehsteigen ihre Waren aus, teils auf Tischen, teils auf Tüchern am Boden. Es gab wunderbare Dinge: bunte Kämme, kleine Spiegel, Pullover in allen Farben, Chubas, Schuhe, bunte Taschen, rote Schalen und Eimer aus einem Stoff, den sie »Plastik« nannten, und vieles mehr. Der Onkel zog Maili erbarmungslos an diesen Schätzen vorbei und drängte zum Schulhaus. Dort fanden sie den Schullehrer, der aus ihrer Gegend stammte und entfernt mit ihnen verwandt war. Er war ein noch recht junger Mann in moderner Kleidung, und er beherrschte natürlich die Landessprache Nepali, denn in dieser Sprache unterrichtete er.

»Maili will ins Kloster nach Kathmandu und Nonne werden«, sagte der Onkel. »Schreibe bitte für uns einen Brief an den Rinpoche.«

Der Lehrer sah Maili interessiert an. »Wollten sie dich verheiraten?«, fragte er.

»Das ist nicht der Grund«, erklärte Maili. »Ich will lernen, was der Buddha gelehrt hat.«

»Der Rinpoche kennt unsere Familie«, lenkte der Onkel ab. »Schreib ihm das. Es gibt da eine alte Verbindung.«

Der Lehrer schrieb den verlangten Brief.

»Der Bus kommt am Abend in Kathmandu an«, sagte er zu Maili. »Du kannst aber erst am nächsten Tag ins Kloster auf den Berg gehen. Ich habe eine Tante, die mit ihrer Familie in Kathmandu lebt. Sie spricht unsere Sprache, und du könntest dort übernachten. Wenn du möchtest, schreibe ich dir ihre Adresse auf.«

Maili bedankte sich erfreut. Der Gedanke an die große Stadt machte ihr Angst, und deshalb hatte sie bisher versucht, ihn zu vermeiden.

»Ich habe hier den Weg vom Busbahnhof aus aufgezeichnet«, sagte der Lehrer und gab ihr den Zettel. »Zeig das dem Busfahrer, er wird dir weiterhelfen. Und grüße immer höflich mit ›Namasté‹, dann hast du keine Probleme.«

Der Onkel wollte dem Lehrer Geld geben, doch dieser winkte ab. »Ich könnte eine Schreibstube aufmachen«, sagte er lachend. »Aber vorerst schreibe ich solche Briefe noch umsonst.«

Der Onkel sah ihn verwirrt an. Er hielt die Scheine in der Hand und empfand es offenbar als peinlich, sie wieder einstecken zu müssen.

»Nimm dein Geld und kauf der Kleinen leichte Schuhe«, sagte der Lehrer und schaute auf Mailis Filzschuhe. »In Kathmandu ist es heiß um diese Zeit. Und es regnet endlos im Sommer.«

Bei einem der Händler auf der Straße kaufte der Onkel hübsche rote Stoffschuhe mit weißen Kappen an den Spitzen und weißen Schnüren zum Binden, die Maili überaus gut gefielen.

»Klettern kannst du damit nicht«, lachte der Onkel. »Aber bald wirst du ja nicht mehr viel herumlaufen.«

Sie übernachteten wie immer, wenn sie in der Stadt waren, im Gästehaus, in dem die Bänke tags zum Sitzen und nachts zum Schlafen dienten. Am Abend kam ein hoher Lama an, und seine drei Mönche rannten geschäftig hin und her und stellten Wandschirme um seine Ecke herum auf.

Maili war so aufgeregt, dass sie nicht schlafen konnte. In der Ecke hinter dem Wandschirm brannten Butterlämpchen, und sie hörte Stimmen, die gedämpft den ihr so vertrauten Text der Tara-Meditation zu rezitieren begannen. Sie erhob sich von ihrer Bank, ging leise zur Ecke des Lamas und ließ sich neben einem der Wandschirme nieder. Vorsichtig stimmte sie in die Rezitation ein, und als sie feststellte, dass ihre Stimme und die der Mönche hübsch zusammenklangen, wagte sie ein bisschen mehr Lautstärke.

Der Wandschirm bewegte sich, und das Gesicht eines der Mönche erschien. Er winkte Maili heran.

»Der Rinpoche will, dass du zu uns kommst«, sagte er leise.

Benommen vor Freude schlüpfte Maili in die umstellte Ecke. Die Mönche hatten auf einem Tisch einen kleinen Schrein aufgebaut, die Bänke zur Seite geschoben und sich auf dem Boden niedergelassen. Der Lama saß als Einziger auf einer Matte. Er nickte Maili zu. Ohne ihre Rezitation zu unterbrechen, rückten die Mönche ein wenig zusammen. Maili setzte sich auf den freien Platz und rezitierte mit. Sie war von dem angenehmen Gefühl erfüllt, irgendwie wichtig zu sein und einen besonderen Platz einzunehmen. Es war gewiss ein Glück verheißendes Zeichen, die Reise in ihr neues Leben als Nonne auf diese Weise zu beginnen.

Am nächsten Morgen brachte der Onkel Maili zum Bus und kaufte ihr eine Fahrkarte. Er fragte die Fahrgäste, die in den Bus drängten, ob jemand von ihnen seinen Dialekt spreche, und ein Mann mit einem Schnurrbart brummte bejahend.

»Gib auf meine Nichte acht«, bat der Onkel und schob Maili zu ihm hin.

»Setz dich neben ihn«, sagte der Onkel dann und legte seine Hand auf ihre Schulter. »Pass gut auf dich auf. Wir werden dich bestimmt einmal besuchen.«

Maili dachte, dass das unwahrscheinlich sei, aber sie nickte, als würde sie es glauben. Sie folgte dem Mann in den Bus, und schnell wurde der Onkel von den vielen Leuten, die einsteigen wollten, vom Eingang weggeschoben. Maili hatte bald ein Paket und ein Kleinkind auf dem Schoß und das Hinterteil einer Ziege an den Knien, so dass sie sich nicht mehr rühren konnte. Die Landschaft, die am Fenster vorbeizog, als sie Serpentine um Serpentine den Berg hinab- und dann wieder einen Berg hinauf- und wieder hinunterfuhren, war so beeindruckend, dass ihr die Unbequemlichkeit ihrer Lage kaum zu Bewusstsein kam. Glücklicherweise wurde das Kleinkind entfernt, bevor es ihre Chuba nass machen konnte, und die Ziege legte sich schließlich hin. Mit dem Paket als einziger Last war es auszuhalten.

Irgendwann hielt der Bus auf offener Strecke plötzlich an. Maili hatte gedöst und wurde von lautem Kommandogeschrei geweckt.

»Was ist los?«, fragte sie ihren Nachbarn. Dessen ausladender, mit grauen Fäden durchzogener Schnauzbart zitterte.

»Grenzsoldaten«, flüsterte er, als spreche er den Namen eines Dämons aus, den man nicht nennen sollte. »Sie suchen sicher nach tibetischen Flüchtlingen.«

Maili bekam eine Gänsehaut. Im Dorf sagten sie immer, es gebe zwei Dinge, die man fürchten müsse: die Höllenwelt und die Grenzsoldaten. Doch Maili hatte noch nie einen Grenzsoldaten gesehen. Sie wusste nicht einmal, ob die Soldaten von diesseits oder von jenseits der Grenze gemeint waren. Sie war nie auf den Gedanken gekommen, danach zu fragen. Es war einfach ein Spruch, den man gedankenlos dahersagte.

Die Soldaten, deren Sprache Maili nicht verstand, trieben alle Insassen aus dem Bus. Jeder musste sein Bündel, seine Tasche, seinen Korb ausräumen. Alles wurde durchsucht. Ein junger Mann, seine Frau und ein kleines Kind wurden grob zur Seite gestoßen. Das Kind fiel hin und schrie. Ein Soldat trat mit dem Fuß nach ihm. Die Mutter zerrte es am Arm zu sich. Das Kind schrie noch lauter.

Maili schrie auch. »Hört auf! Das ist doch ein kleines Kind!«

Ihr Sitznachbar, dem sie nach draußen gefolgt und in dessen schützenden Schatten sie sich gestellt hatte, zog fest an ihrem Ärmel. »Nicht!«, flüsterte er nachdrücklich. »Halte um Himmels willen den Mund! Die sind gefährlich.«

Der Mann, die Frau und das Kind wurden von zwei Soldaten mit Stößen der Gewehrkolben weggetrieben. Ihr weniges Hab und Gut lag verstreut auf dem Boden. Ein Soldat bückte sich, fischte etwas zwischen den Kleidern heraus, hob es triumphierend hoch und steckte es ein.

Maili ahnte, dass etwas zutiefst Beängstigendes, etwas ganz Furchtbares vor sich ging. Sie hatten also tibetische Flüchtlinge gefunden. Doch diese Soldaten waren keine...

Erscheint lt. Verlag 26.7.2011
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Buddhismus • Nonnen-Kloster • Selbstfindung • Sinnsuche • Spiritualität • Spirituelle Lebenshilfe • Spiritueller Roman
ISBN-10 3-426-41052-4 / 3426410524
ISBN-13 978-3-426-41052-3 / 9783426410523
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