Ich kann nicht anders, Mama (eBook)

Eine Mutter kämpft um ihre magersüchtigen Töchter
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2011 | 1. Auflage
256 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-40633-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ich kann nicht anders, Mama -  Caroline Wendt
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Als ihre Töchter an Magersucht erkranken, beginnt auch für Caroline Wendt ein langer Leidensweg: Hilflos steht sie der Krankheit gegenüber und muss sich obendrein gegen Vorwürfe der Ärzte wehren, daran schuld zu sein. So wie ihr geht es vielen betroffenen Eltern. Sie finden in diesem wichtigen Buch Trost, Rat und Unterstützung. Mit einem Beitrag von Professor Dr. Manfred Fichter, einem der führenden deutschen Ernährungstherapeuten.

Caroline Wendt hat ihre Zwillingstöchter auf dem Weg aus der Magersucht begleitet. Ihre Erfahrungen mit der Krankheit und den Vorwürfen gegen sie als Mutter haben sie veranlasst, dieses Buch zu schreiben, um anderen Eltern Mut zu machen.

Caroline Wendt hat ihre Zwillingstöchter auf dem Weg aus der Magersucht begleitet. Ihre Erfahrungen mit der Krankheit und den Vorwürfen gegen sie als Mutter haben sie veranlasst, dieses Buch zu schreiben, um anderen Eltern Mut zu machen.

Erste Anzeichen und Alarmsignale


»Eine Frau kann nicht dünn genug sein.«

Ich weiß noch genau, wie ich bei meiner Freundin Marion in der Küche saß und erzählte, dass meine Tochter Marie abgenommen hätte. Sie esse keine Süßigkeiten mehr, ich fände toll, dass sie diese Disziplin aufbringe. Ich hätte das als junges Mädchen nie hingekriegt! Das Wort abnehmen, meinte Marion gleich etwas streng, dürfe in einer Familie mit pubertierenden Mädchen überhaupt nicht vorkommen. Ob mir denn nicht klar sei, wie irrsinnig gefährlich das sei. Unsinn, dachte ich, die Marie isst doch sehr ordentlich zu Mittag, schließlich sitzen wir jeden Tag zusammen am Tisch, da würde ich schon mitbekommen, wenn irgendwas fehlte. – Das war, glaube ich, noch vor Weihnachten.

 

Was ich richtig schön fand in dieser Zeit: Anna und Marie begannen sich fürs Kochen und Backen zu interessieren. Mir war schon klar, dass ihre plötzliche Häuslichkeit damit zusammenhing, dass sie beide noch nicht ihre Peergroup gefunden hatten. Dafür standen sie bei mir in der Küche und fragten mir Löcher in den Bauch. Wie viel Salz kommt ins Nudelwasser? Muss man die Büchsentomaten abgießen, oder kommt die Flüssigkeit mit in die Sauce? Wie lange sollen die Zwiebeln schmoren? Klasse, dachte ich, jetzt nutzen sie diese Lücke und lernen gleich mal anständig kochen. Ihr Interesse an Kochbüchern war allerdings auffällig. Ständig blätterten sie sich durch die schönsten Rezepte und riefen: LECKER. Das müssen wir dringend mal machen, Mama. Gegessen wurde aber immer weniger. Ich kann gar nicht sagen, wie viel Nahrungsmittel bei uns in dieser Anfangsphase weggeworfen wurden. Ich musste mein Einkaufsverhalten radikal umstellen.

 

Beim Skifahren über die Faschingstage fiel es dann allen erstmals deutlich auf, wie wenig Marie »plötzlich« aß. Abends nur noch eineinhalb Brote, und das nach einem anstrengenden Tag am Berg. Sie führte immer die »irre fette Brotzeit auf der Hütte« ins Feld. Nach dem Abendessen, wenn wir spielten oder fernsahen, wurde nichts mehr geknabbert. Uns verging dann auch schnell die Lust am Naschen, und die Abende waren nicht ganz so lustig wie sonst. Zumal für Anna, ihre Zwillingsschwester, die eigentlich ganz gern noch ein wenig zugelangt hätte. Allein Annas Freundin, die wir mitgenommen hatten, vertiefte sich in Berge von Chips und Keksen und genoss das Leben offensichtlich mehr als unsere beiden Mädchen. Haben wir da schon mit Marie gesprochen? Wahrscheinlich nicht. Eine Schlankheitsdiät war in unserer Familie bisher nicht vorgekommen. Wir lieben gutes Essen, und keiner war je dick. Andererseits: Machten nicht alle jungen Mädchen irgendwann einmal eine Diät? Wir sollten vielleicht einfach akzeptieren, dass sie es einmal versuchte. Auch wenn dieses plötzliche »Aufs-Essen-Achten« bei Marie schon irritierte. (Ihre Mutter, also ich, hatte keine einzige Diät im Leben durchgehalten, das ließ doch hoffen, nicht wahr?)

 

Nach dem Skiurlaub ging das Diätleben zu Hause weiter. Keine Süßigkeiten am Abend, keine Butter mehr aufs Brot, die Salatsauce blieb unaufgetunkt im Teller zurück. Marie nahm deutlich ab, und mein Mann und ich verstanden unser Kind nicht mehr. Weil wir keine Waage haben, wog sie sich bei gemeinsamen Freunden. 49 Kilo. Sie hatte in wenigen Wochen fünf Kilo abgenommen. Wir schluckten, aber sie war stolz auf ihre neue Linie. »Jetzt muss es aber gut sein, Marie«, riefen wir abwechselnd aus. Natürlich sei es jetzt gut, beruhigte sie uns, sie sei zufrieden mit sich und diesem Gewicht, habe sich im letzten Sommer dick und unglücklich gefühlt und wolle jetzt so bleiben. Zu dem Zeitpunkt hatten beide Zwillinge ihre Tage nicht mehr, wie ich erst später erfuhr. Denn auch Anna hatte zwei Kilo verloren. Ist das Abnehmen denn so ansteckend wie ein Schnupfen, fragte ich mich manchmal in dieser Zeit.

 

Später erfuhr ich aus der Fachliteratur (Mütter lesen alles zum Thema Magersucht), dass eine Übertragung durch Ansteckung tatsächlich in der Wissenschaft diskutiert wurde – doch nicht durch irgendwelche rätselhafte Bakterien! Jeder mit offenen Augen kann sehen, dass die »Ansteckung« mentaler Art ist. In dieser Beziehung findet sie tatsächlich täglich auf dem Schulhof statt. Dünnsein ist schön. Nur Dünne haben Erfolg im Leben und in der Liebe. Essen wird da automatisch zum Gesprächsthema. Ja, wir hatten manchmal den Eindruck, unsere Mädchen hatten kaum noch ein anderes Thema als das Essen. Wenn die beiden abends mit Freundinnen telefonierten, wurden minutenlang die Lebensmittel aufgezählt, die man im Laufe des Tages zu sich genommen hatte. Meist verbunden mit einem »Oh Gott! Ich werde fett!« – woraufhin die Freundin am anderen Ende der Strippe sekundierte, was sie alles gegessen hätte, viel mehr, weshalb sie noch dicker werden würde. Mein Mann meinte einmal im Scherz: »Wie wäre es, wenn ihr euch erzählen würdet, was ihr alles nicht gegessen habt heute?« – War das noch harmlos? Bei uns vielleicht nicht. Bei anderen sicherlich schon. Schließlich werden die wenigsten Mädchen magersüchtig. Als essgestört kann nach Studien jedes dritte bezeichnet werden, und jedes zweite fühlt sich diffus »zu dick« – auch wenn der BMI (der Body Mass Index) vollkommen in Ordnung ist. Schlankheitsfimmel und Schönheitswahn sind nicht die Ursachen für Magersucht, aber der Äußerlichkeitskult in unserer Gesellschaft bestellt ihr sozusagen ein fruchtbares Feld.

 

Die Neckereien des Vaters und die Telefontiraden der Töchter verebbten allerdings in der Zeit zwischen Fasching und Ostern. Wie auch die gute Laune. Es ist erschreckend, wie schnell das Familienleben kippt, wenn ein Kind die Nahrung verweigert. Bei uns waren plötzlich alle – bis auf den 5-jährigen Jakob, der sowieso nicht mehr verstand, in welcher Welt er eigentlich lebte – aufs Essen fixiert. Anna kontrollierte Marie. Ich schaute auf beide. Mein Mann fragte abends nach der Lage. Die war angespannt. Ich schlief wenig.

 

Ostern war der große Fixpunkt: Dann würde Marie nämlich endlich wieder normal essen. Dann wäre ihre Fastenzeit endgültig vorbei. Das hatte sie ihrem Vater hoch und heilig versprochen. Ostern würde unser Familienleben wieder ins Lot kommen. Alle würden um den Tisch herumsitzen und lachen und reden und essen. Alles wäre wieder wie früher. – Wobei die fröhlichen Tafelrunden en famille schon vorbei gewesen waren, bevor das Diätleben begann, das muss ich ehrlich zugeben. Die Familienmahlzeiten sind, seit unser Jüngster drei ist und glaubt, zu allem etwas sagen zu müssen, alles andere als entspannend. Es ist schwierig, mit drei Kindern, von denen einer fast ein Jahrzehnt jünger ist, friedlich am Tisch zu sitzen. Die Großen wollen erzählen, die Eltern in Ruhe essen. Der Kleine turnt. Die Eltern ermahnen oder versuchen, die Ruhe durch Ignorieren des Gezappels wiederherzustellen. Klappt aber leider nicht, weil sich die Großen lautstark einschalten: Ihr erzieht den Kleinen nicht (oder falsch). Das führte manchmal dazu, dass vier Leute auf den Kleinen einredeten, und also: zu nichts. Womit ich nur sagen möchte: Seit der Geburt von Jakob hatten sich in der Familie die Gewichte verschoben. Dieser Satz gilt aber ebenso für die Mädchen, deren Pubertät das Familienleben auch gehörig durcheinandergewirbelt hat.

 

Das Verrückte in der Zeit mit der Magersucht ist: Du machst etwas mit der Tochter aus – etwa dass die Diät bis höchstens Ostern dauern darf – und lässt dann doch nicht locker innerlich. Ich habe wahrscheinlich geahnt, dass sie das Versprechen nicht würde halten können. Heute weiß ich: Das Abrücken von der Magersucht ist kein reiner Willensakt, dafür muss mehr geschehen. – Wann wurde mir klar, dass Marie ernsthaft erkrankt ist? Als sich der Abwärtstrend im Gewicht nicht aufhalten ließ? Als ich vom Ausbleiben der Regel erfuhr? Oder als ich begriff, dass tiefere Konflikte den Ausbruch der Krankheit begünstigt hatten?

 

Damals habe ich mich oft gefragt – und ich frage es mich noch heute –, ob ich vielleicht überreagiert und zu sehr meinen Befürchtungen nachgegeben habe. Andererseits: Es gibt ein intuitives Wissen um manche Dinge des Lebens – und das hatte ich in diesem Fall. Ich wusste, dass Marie in Gefahr ist, so wie ich wenig später auch wusste, dass Anna gefährdet ist. Natürlich sind Wissen und das Handeln aus dem Wissen heraus zwei Paar Schuhe. Sicherlich hätte ich mit weniger Geschrei und mehr Gefasstheit und innerer Ruhe mehr erreicht. Mit Bestimmtheit hätte mir und auch meinem Mann professionelle Unterstützung geholfen. (Die Familientherapie war für uns Eltern eine zusätzliche Belastung, die meiste Literatur zum Thema leider auch, doch dazu später mehr.) Dennoch bleibt die Frage: Warum war ich so rasch in höchster Alarmbereitschaft? Weil ich mein Kind so gut kannte oder weil ich die Essstörung so gut kannte? Beides davon ist wahr, wobei sich der zweite Teil erst langsam, in der Auseinandersetzung mit meiner Ursprungsfamilie, herausstellen sollte.

 

Trotz all dieser Überlegungen steht für mich fest: Die Besorgnis der Mutter ist ein sicheres Indiz für die Störung. Wenn Mütter sich plötzlich ernsthaft Sorgen um ihr Kind machen, ist Gefahr in Verzug. Mediziner und Psychologen werden die Verlässlichkeit der Mutter-Diagnose vielleicht kritisch sehen, aber sie ernst zu nehmen kann nicht schaden. Zumal die Tochter selbst zu diesem Zeitpunkt vielleicht noch gar nichts von einer Störung weiß bzw. wissen will. Daher tun aufmerksame Mütter gut daran,...

Erscheint lt. Verlag 25.2.2011
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Familie / Erziehung
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Psychologie
Schlagworte Abnehmen • Autobiografien Frauen • Biografien Frauen • Diät • Eltern Kind Beziehung • Eltern Teenager • Erfahrungen und Schicksale • Erfahrungen und wahre Geschichten • Erfahrungsberichte • Essstörung • Essverhalten • Gewichtsverlust • Heilung • Kampf • Kinder richtig verstehen • Krankheit • Magersucht • Magersucht Biografie • Magersucht Erfahrungsberichte • Medizin • Mutter • Psychische Erkrankung • Psychologie • Pubertät • pubertät mädchen ratgeber • Ratgeber Eltern • Ratgeber für Eltern • Ratgeber für Mütter • Ratgeber Mütter • Sachbuch • Schicksalsbericht • Teenager verstehen • Therapie • Tochter • wahre geschichten bücher • Zwillinge • Zwillingsschwester • Zwillingstöchter
ISBN-10 3-426-40633-0 / 3426406330
ISBN-13 978-3-426-40633-5 / 9783426406335
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