'I am not convinced' (eBook)
384 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30018-5 (ISBN)
Joschka Fischer, geboren 1948 in Gerabronn. Von 1994 bis 2006 Mitglied des Bundestages, von 1998 bis 2005 Außenminister der Bundesrepublik Deutschland. 2006/07 Gastprofessor an der Universität Princeton, USA. Joschka Fischer lebt in Berlin. Im Verlag Kiepenheuer & Witsch sind bisher erschienen: »Risiko Deutschland« (1994), »Für einen neuen Gesellschaftsvertrag« (1998), »Die Rückkehr der Geschichte. USA, Europa und die Welt nach dem 11. September« (2005), »Die rot-grünen Jahre. Deutsche Außenpolitik - vom Kosovo bis zum 11. September« (2009), »I am not convinced« (2011), »Scheitert Europa?« (2014), »Der Abstieg des Westens« (2018), »Willkommen im 21. Jahrhundert« (2020).
Joschka Fischer, geboren 1948 in Gerabronn. Von 1994 bis 2006 Mitglied des Bundestages, von 1998 bis 2005 Außenminister der Bundesrepublik Deutschland. 2006/07 Gastprofessor an der Universität Princeton, USA. Joschka Fischer lebt in Berlin. Im Verlag Kiepenheuer & Witsch sind bisher erschienen: »Risiko Deutschland« (1994), »Für einen neuen Gesellschaftsvertrag« (1998), »Die Rückkehr der Geschichte. USA, Europa und die Welt nach dem 11. September« (2005), »Die rot-grünen Jahre. Deutsche Außenpolitik – vom Kosovo bis zum 11. September« (2009), »I am not convinced« (2011), »Scheitert Europa?« (2014), »Der Abstieg des Westens« (2018), »Willkommen im 21. Jahrhundert« (2020).
Irak und die Hybris einer Weltmacht
In der Silvesternacht 2001 wurde tatsächlich Geschichte gemacht: Die gute alte D-Mark, das Symbol des Wiederaufstiegs des demokratischen Deutschland (West) nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und der Barbarei der braunen Diktatur, die Währung, die nur wenige Wochen jünger war als ich selbst, wurde als alltägliches Zahlungsmittel endgültig verabschiedet. An ihre Stelle trat um Mitternacht die europäische Gemeinschaftswährung Euro, eingeführt von 12 der 15 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Europa wuchs in dieser Nacht wirklich zusammen. Es war unglaublich!
Noch vor ihrer Osterweiterung machte die EU mit der Wirtschafts- und Währungsunion einen qualitativ neuen Schritt in Richtung europäische Integration, denn zum ersten Mal wurde durch den Vertrag von Maastricht eine der drei Kernsouveränitäten des modernen Staates – innere Sicherheit, äußere Sicherheit und Währungssouveränität – von der Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten vergemeinschaftet. Gerade in Deutschland, aber nicht nur hier, war die Einführung der Gemeinschaftswährung heftig umstritten gewesen, denn der Abschied von der D-Mark fiel sehr vielen Deutschen verständlicherweise schwer. Aber am Ende setzte sich in Bundestag und Bundesrat eine parteiübergreifende und die Trennlinie von Regierungsmehrheit und Opposition überschreitende große Mehrheit der Befürworter des Euro durch.
Es war vor allem dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl zu verdanken, dass die Ablösung der D-Mark durch den Euro Wirklichkeit wurde, denn »der Dicke«, wie er fraktionsübergreifend im Bundestag genannt wurde, hielt gegen alle Widerstände, vor allem in seiner eigenen Partei und in der CSU, eisern Kurs. Gemeinsam mit der deutschen Einheit begründete die Einführung des Euro daher zu Recht den bleibenden Ruhm Helmut Kohls als einer der ganz großen Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, denn beides waren wahrhaft historische Leistungen.
Ich konnte es in dieser Silvesternacht, wie viele andere auch, kaum abwarten, bis ich das neue Geld in den Händen hielt, und stapfte gegen 1.00 Uhr allein durch den leise rieselnden Schnee zum nächsten Bankautomaten, um meine ersten Euroscheine abzuheben. Ich reihte mich dort in eine Schlange von Wartenden ein, und nach wenigen Minuten war es so weit, ich hielt das neue Geld und damit gewissermaßen Europa in den Händen. »So einfach (und mit den Händen zu greifen) kann Geschichte also bisweilen sein«, sagte ich mir auf dem Nachhauseweg durch die verschneite Mitte Berlins. Das Jahr 2002 hatte zwar gut begonnen, aber zugleich ging ich auch davon aus, dass es im weiteren Fortgang des Jahres wohl knüppeldick für uns kommen dürfte. Der Krieg gegen den Terror, Afghanistan, wahrscheinlich Irak und schließlich, im kommenden Herbst, die Bundestagwahlen – nein, dies versprach kein entspanntes Jahr für mich zu werden.
Vor allem brodelte die Gerüchteküche über den Irak weiter vor sich hin, auch wenn es keine neuen Fakten gab. Die Diskussion über den Irak war jedoch dazu angetan, die Koalition gegen den Terror – zumindest in Europa – zu unterminieren, wenn seitens der Bush-Regierung nicht echte Beweise oder wenigstens ein wirklich hart begründeter Verdacht vorgelegt werden konnten. Nur wenn Saddam Hussein, gegen alle bisherigen Erkenntnisse und politischen Schlussfolgerungen, tatsächlich auf irgendeine Art in die Anschläge vom 11. September verwickelt gewesen war, würde sich ein Angriff auf den Irak in der Sache rechtfertigen lassen. Aber für eine solche Annahme gab es damals (und auch später) nicht die geringsten Hinweise. Was sollte daher dieses Geraune über einen Krieg gegen den Irak in den Medien und in den Kulissen der Hauptstädte diesseits und jenseits des Atlantiks? Andererseits aber wurde solchen Spekulationen in Washington nicht zweifelsfrei entgegengetreten. Allein dieses Faktum reichte schon aus, um die Diskussion am Leben zu halten.
Die politische Stimmung in der breiten Öffentlichkeit in Europa und Deutschland war vom ersten Augenblick an gegen eine solch mutwillige und in der Sache nicht begründete Ausweitung des Kampfs gegen den islamistischen Terrorismus auf den Irak. Osama bin Laden und seine Helfershelfer galt es zu ergreifen oder auszuschalten – und nicht irgendwelche Kriege vom Zaun zu brechen. So zumindest artikulierte sich die Mehrheitsmeinung nicht nur bei uns, sondern überall auf dem alten Kontinent, auch in Großbritannien. Der politische Instinkt der demokratischen Öffentlichkeit funktionierte in der Sache Irak hervorragend und gewiss sehr viel besser als bei vielen europäischen Regierungen.
Am Samstag, den 17. November 2001, flog ich wieder nach Washington, und zwei Tage später traf ich dort erneut die Sicherheitsberaterin von Präsident Bush in ihrem Büro im »West Wing« (Westflügel) des Weißen Hauses. Die wichtigsten Themen waren die kommende Afghanistan-Konferenz in Deutschland und die aktuelle Lage in Nahost, die sich immer weiter zuspitzte. Die Haltung von Condi Rice dazu war allerdings eher deprimierend, denn ihre Erläuterungen machten mir illusionslos klar, dass die USA über die Entsendung des US-Sondergesandten für den Nahen Osten, Anthony Zinni – ein ehemaliger General der US-Marines und überaus kluger Kopf –, hinaus nicht im Geringsten daran dachten, sich ernsthaft in diesem Konflikt zu engagieren, oder gar an einer erneuten Nahost-Initiative arbeiteten.
Zinni sollte dann innerhalb weniger Monate jenes Schicksal erleiden, das nach ihm auch alle weiteren Sondergesandten der USA oder auch des Nahost-Quartetts (USA, EU, Russland, VN) für den israelisch-palästinensischen Konflikt während der acht Jahre von George W. Bush teilen sollten, nämlich nach ihrer Ernennung keinerlei ernsthafte Unterstützung seitens des Präsidenten zu bekommen. Dieses Faktum sprach sich bei den Konfliktparteien in Windeseile herum, und so versanken die Sondergesandten schnell im Treibsand des Konflikts, bis sie schließlich angesichts ihrer Hilflosigkeit und der mangelnden Unterstützung durch das Weiße Haus enttäuscht und frustriert aufgaben. Sie waren tatsächlich alle lediglich zur Beruhigung der internationalen Öffentlichkeit ernannt worden. Ihr Scheitern war die Folge einer Politik der US-Regierung im Nahen Osten, die konsequent auf eine Strategie der »Intervention durch Nichtintervention« setzte, d.h. Bush wollte die Dinge im Nahostkonflikt bewusst treiben lassen, weil er offensichtlich davon ausging, dass die Verhältnisse für die Palästinenser erst wesentlich schlechter werden müssten, bevor sie zu einem Kompromiss mit Israel (und Israel mit den Palästinensern) bereit sein würden. Bush sprach zwar von der Zwei-Staaten-Lösung, faktisch aber ließ er willentlich zu, dass der Zug im israelisch-palästinensischen Konflikt in die exakte Gegenrichtung fuhr.
George W. Bush sollte in den gesamten acht Jahren seiner Amtszeit – darin der Nahostpolitik seines Vaters diametral entgegengesetzt – kein Interesse an einer ernsthaften amerikanischen Friedensinitiative entwickeln. Dies galt auch und gerade für die Konferenz von Annapolis, die mit großem Aplomb im vorletzten Jahr seiner Amtszeit einberufen und auch abgehalten wurde und deren erklärtes Ziel eine Einigung zwischen Israelis und Palästinensern auf den Rahmen für eine Zwei-Staaten-Lösung binnen eines Jahres war. Abgesehen davon, dass die Akteure in Israel und in den Palästinensergebieten zum damaligen Zeitpunkt viel zu schwach waren, um schmerzhafte Kompromisse eingehen zu können, demonstrierte die gesamte Vorgehensweise aber mehr Wunschdenken als eine realistische Initiative. Außenministerin Rice bemühte sich in den folgenden Monaten zwar intensiv um ein positives Ergebnis, allein es fehlte auch ihr an der bedingungslosen Unterstützung des Präsidenten. Die Annapolis-Konferenz wurde vom Präsidenten ganz offensichtlich als »ihr Projekt« gesehen, das von ihm nur lauwarm unterstützt wurde.
In diesem, im Übrigen von Beginn an absehbaren Ergebnis liegt, so traurig es tatsächlich ist, eine gewisse Ironie, weil Rice von den Folgen jener falschen Nahostpolitik ihres Präsidenten, die sie als seine Sicherheitsberaterin vier Jahre lang mit vertreten (und gegenüber Powell, Zinni und anderen in der amerikanischen Regierung durchgesetzt) hatte, am Ende als Außenministerin selbst wieder eingeholt wurde. Dementsprechend endete auch diese letzte der nahöstlichen »Initiativen« der Regierung des George W. Bush, die man zutreffender als »Scheininitiativen« bezeichnen sollte, im Nichts, wie bereits alle ihre Vorläufer.
Bei meinem Besuch in Washington im November 2001 sprach ich Condoleezza Rice auf die umlaufenden Gerüchte über einen möglichen Krieg gegen den Irak an und bat sie um ihre Sicht der Dinge. Die Antwort fiel in Inhalt und vor allem im Ton alles andere als beruhigend aus, und nur allzu oft gilt gerade in der Diplomatie das alte Sprichwort, dass der Ton die Musik macht. Nach der Auffassung von Condoleezza Rice habe es nicht des 11. September bedurft, um die Gefährlichkeit Saddam Husseins für alle Welt klarzumachen. Zweimal habe er versucht, sich Nuklearwaffen zu verschaffen, und seit drei Jahren verweigere er den Inspektoren der VN den Zugang zum Irak. All diese Fakten wären Anlass zur Sorge genug.
Ich fragte daraufhin direkt nach, ob ihre Worte denn hießen, dass die USA die Auseinandersetzung mit Saddam Hussein als Teil des internationalen Kampfes gegen den...
Erscheint lt. Verlag | 17.2.2011 |
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Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Amerika • Deutschland-Politik • Erinnerung • Europa • Hintergrund • Irak-Krieg • Joschka Fischer • Regierung • USA • Zeitgeschichte |
ISBN-10 | 3-462-30018-0 / 3462300180 |
ISBN-13 | 978-3-462-30018-5 / 9783462300185 |
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Größe: 1,8 MB
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