Schafkopf (eBook)
384 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-40420-1 (ISBN)
Andreas Föhr, Jahrgang 1958, gelernter Jurist, arbeitete einige Jahre bei der Rundfunkaufsicht und als Anwalt. Seit 1991 verfasst er zusammen mit Thomas Letocha erfolgreich Drehbücher für das Fernsehen, u. a. für SOKO 5113, Ein Fall für zwei und Der Bulle von Tölz. Seine preisgekrönten Kriminalromane um das Ermittlerduo Wallner & Kreuthner stehen regelmäßig monatelang unter den Top 10 der Bestsellerlisten. Zuletzt war 'Herzschuss' Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste. Andreas Föhr lebt zusammen mit seiner Frau und einem Kater in einem alten Bauernhaus in der Nähe von Wasserburg. Wenn er nicht gerade schreibt, geht er am liebsten zum Wandern und Skifahren in die Berge, kocht Lasagne oder genießt das Leben in Italien und dem Burgund.
Andreas Föhr, Jahrgang 1958, gelernter Jurist, arbeitete einige Jahre bei der Rundfunkaufsicht und als Anwalt. Seit 1991 verfasst er zusammen mit Thomas Letocha erfolgreich Drehbücher für das Fernsehen, u. a. für SOKO 5113, Ein Fall für zwei und Der Bulle von Tölz. Seine preisgekrönten Kriminalromane um das Ermittlerduo Wallner & Kreuthner stehen regelmäßig monatelang unter den Top 10 der Bestsellerlisten. Zuletzt war "Herzschuss" Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste. Andreas Föhr lebt zusammen mit seiner Frau und einem Kater in einem alten Bauernhaus in der Nähe von Wasserburg. Wenn er nicht gerade schreibt, geht er am liebsten zum Wandern und Skifahren in die Berge, kocht Lasagne oder genießt das Leben in Italien und dem Burgund.
1. Kapitel
Der Wirt der Aueralm, in gleicher Person auch Senner der Alm, blickte auf zum Morgenhimmel, der sich im Osten rosa färbte an diesem 4. Oktober des Jahres 2009. Abgesehen davon war der Himmel sehr blau und dunkel und ohne eine Wolke und kündigte einen dieser Tage an, wie es sie erst gab, seit sie die Ozonschicht kaputtgemacht hatten: mit so beißend klarem Licht und harten Farben, dass es einem vorkam, als habe jemand einen Filter vor die Landschaft gestellt, der alles Milde und Weiche aufzehrte und Schwarztöne zum Leben erweckte, wie die teuersten Plasmabildschirme sie nicht hervorbrachten. Im Norden hörte der blaue Himmel etwa auf der Höhe von Holzkirchen auf. Wie mit dem Lineal gezogen lauerte dort eine Wolkenwand darauf, nach Süden vorzustoßen. Weiter war der Föhn nicht gekommen, von dem der Senner hoffte, dass er stark genug sein und nicht im Verlauf des Tages zusammenbrechen und sich hinter die Grenze nach Tirol zurückziehen würde. Das hielten sie im Wetterbericht für möglich. Der Senner-Wirt sandte noch einen Blick in Richtung Hirschberghaus und Tegernseer Hütte. Auch dort würden sie jetzt Vorbereitungen treffen, um für den Ansturm gerüstet zu sein. Man würde Getränke einkühlen, Zapfanlagen prüfen, Vorräte zählen, Speisekarten schreiben und zum Herrgott beten, er möge die Bedienung bei Gesundheit erhalten – zumindest bis der Sonntag vorbei war.
Auf der anderen Seite des Sees, tief im morgendlichen Dämmer, joggte Polizeiobermeister Leonhard Kreuthner mit zähen Sprüngen den Weg zur Galaun hinauf. Der Weg knirschte unter den neuen Laufschuhen, kalte Herbstluft mit dem Aroma von Waldboden und harzigem Holz strömte in schnellen Zügen durch die Lungen, Schweiß netzte die Lippen und rann über die Augenbrauen. Oberschenkel und Waden waren geschwollen und hart, obwohl Kreuthner erst seit sieben Minuten unterwegs war. Der erste Anstieg gleich nach dem Parkplatz war der schlimmste Teil der Strecke. Hier musste man durchhalten. Ein Stechen in der Lunge und das kaltschweißige Gefühl auf der Stirn ließen Kreuthner das Tempo drosseln, wenngleich der Spielraum hierfür gering war. Noch ein wenig langsamer, und er würde auf der Stelle traben.
Kreuthner hatte sich hinreißen lassen, mit dem Sennleitner eine Wette abzumachen, derzufolge er, Kreuthner, innerhalb eines Jahres das Europäische Polizeileistungsabzeichen in Bronze machen musste, andernfalls hatte er nicht nur ein teures Entenessen in der Weißachalm auszurichten, er würde künftig auch bei der gesamten Polizei des Landkreises als Waschlappen dastehen. Der Abend, an dem man die Wette abgeschlossen hatte, war Kreuthner nur in Bruchstücken erinnerlich. Besonders der Teil nach dreiundzwanzig Uhr fehlte. Nicht hingegen fehlte es an Zeugen, deren Gedächtnis weitaus besser war, was möglicherweise damit zu tun hatte, dass alle an dem Abend Anwesenden auch beim Entenessen dabei sein sollten.
Er keuchte und verstand nicht, warum jede Bewegung schmerzte. Am Alkohol konnte es nicht liegen, denn Kreuthner hatte der leidigen Sauferei abgeschworen. Sechs Halbe am Abend und keinen Tropfen mehr! Da war er eisern. Vielleicht dauerte es einfach seine Zeit, bis sich die wohltätige Wirkung der Enthaltsamkeit dem Körper offenbarte. Nach dreizehn Minuten war Kreuthner am Limit. Doch jetzt wurde der Weg weniger steil, mit dem Versprechen, weiter abzuflachen. Dreizehn Minuten – so lange brauchten die Schnellsten vom Tegernseer Ruderclub, um ganz hinauf auf die Galaun zu rennen. Junge Burschen. Natürlich. Aber Kreuthner war auch erst siebenunddreißig und hatte nicht einmal die Hälfte des Weges hinter sich.
Als er nach achtundzwanzig Minuten am Wirtshaus ankam und sich eingestehen musste, dass er die Strecke mit einem zügigen Fußmarsch in ähnlicher Zeit zurückgelegt hätte, überkam Kreuthner Panik. Für das Abzeichen musste er dreitausend Meter im Gelände in weniger als fünfzehn Minuten laufen. Freilich, das Gelände würde flacher sein. Aber fünf Minuten für den Kilometer waren schon auf der Tartanbahn ein straffes Tempo und Kreuthner Lichtjahre davon entfernt. Er blickte zu dem kapellengekrönten Felsen auf, der sich hinter dem Wirtshaus hundertvierzig Meter in den Morgenhimmel erhob, und fasste den Entschluss, sich das Letzte abzuverlangen und noch auf den Riederstein hinaufzurennen. Rechts ging es auf einem Kreuzweg zur Kapelle.
Das erste Mal in seinem Leben vermochte er den Leidenspfad Jesu Christi mit Inbrunst nachzuempfinden. Die Tafeln am Wegesrand gemahnten ihn an die eigene Passion, und nur die Aussicht auf ein Weißbier hielt ihn am Laufen. An der sechsten Station reichte die Veronika Jesu das Schweißtuch; Kreuthner wischte sich mit dem Sweatshirtärmel das Gesicht trocken. Als der Heiland an der neunten Station zum dritten Male strauchelte, brachte eine hölzerne Stufe auch Kreuthner, dessen Oberschenkel taub geworden waren, fast zu Fall. An der zwölften Station starb Jesus am Kreuz, und Kreuthner fasste Hoffnung. Nicht weil die Erlösung der sündigen Menschheit ihn erbaute, sondern weil er irrtümlich annahm, der Kreuzweg habe zwölf Stationen, und sich bereits am Ziel wähnte. Tatsächlich hatte er noch zwei Stationen bis zur Grablegung vor sich und fuhr damit noch gut. Denn in neuerer Zeit waren Kreuzwege mit fünfzehn Stationen in Mode geraten, wo sie noch die Auferstehung zeigen. Als Kreuthner, inzwischen nur mehr Fuß vor Fuß setzend, denn der Bergpfad war zur steilen Holztreppe geworden, nach vorn blickte und sah, dass sein Weg noch nicht zu Ende war, wurde ihm elend ums Herz und auch im Magen. Aber er schleppte sich weiter, heftete seinen Blick nur noch auf die im Waldboden eingelassenen Holzbohlen. Eine nach der anderen glitt vorbei, gelegentlich vom Schweiß besprenkelt, der von Kreuthners Nasenspitze tropfte. Mit einem Mal wurde es heller, und er wagte wieder aufzusehen. Er war am Ziel.
Vor ihm die kleine Gipfelkapelle des Riedersteins, neben der aus nicht sogleich ersichtlichen Gründen ein Zehn-Liter-Fass Bier stand. Um die Kapelle herum ein eisernes Geländer, dahinter, tief unten, der Tegernsee. Kreuthners schweißbrennende Augen konnten auf der anderen Seite des Sees das Hirschberghaus und die Aueralm erkennen. Die Hölle würde da los sein heute. Wie die Hunnen würden die Münchner einfallen und alles zusammensaufen, was man mühsam auf den Berg geschafft hatte. Das brachte Kreuthner darauf, dass ihn unten im Berggasthaus Galaun ein Weißbier erwartete.
Die Aussicht auf das Weißbier erschien überraschenderweise gar nicht so verlockend. Ganz flau war ihm im Magen. Er musste sich auf das Geländer stützen. Aus dem Augenwinkel sah er einen Mann mit roter Baseballkappe und gelbem T-Shirt, auf das eine Art Batman aufgedruckt war, an der Kapelle stehen. Das musste der Besitzer des Bierfasses sein. Der Bursche war groß, blond und muskulös, und als er Kreuthner das Gesicht zuwandte, sah der, dass es Stanislaus Kummeder war, ein grober Bursche, der selbst nach Kreuthners Maßstäben unmäßig soff und Schlägereien nur aus dem Weg ging, wenn er wirklich keine Zeit hatte. Kreuthner schickte Kummeder ein erschöpftes Kopfnicken. Der andere nickte zurück.
»Hast den Zimbeck überholt?«
Kreuthner schüttelte den Kopf und pumpte Luft in seine Lungen. Der andere wandte sich ab und schaute übers Geländer zum Wirtshaus hinab. Dann drehte er sich noch einmal dem Polizisten zu und sah ihn plötzlich feindselig an.
»Falcking – schon mal gehört?«, fragte Kummeder unvermittelt.
Ja. Hatte Kreuthner. War aber schon eine Weile her. »Der Anwalt?«
»Genau. Der weiß, was mit der Kathi passiert ist. Den müssts ihr euch mal vorknöpfen.«
»Müss ma des jetzt besprechen?«, stöhnte Kreuthner.
»Der weiß was! Und gnade euch Gott, wenn sich rausstellt, dass ihr das vermasselt habts.«
Kreuthner nickte gelangweilt und dachte an sein Frühstück mit Weißbier und Weißwürsten und süßem Senf, fingerdick auf die fette Wurst gestrichen. Da ihm zur gleichen Zeit die nasse Stirn kalt wurde, Punkte vor seinen Augen tanzten und sich im unteren Teil des Halses ein würgendes Gefühl einstellte, musste sich Kreuthner über das Geländer beugen, und den Bruchteil einer Sekunde später schoss ihm halbverdautes Müesli mit getrockneten Waldfrüchten durch den Rachen und klatschte auf die Felsen des Riedersteins. Kreuthner spuckte aus und wischte sich die Nase, durch die ebenfalls ein kleiner Teil des Mageninhalts seinen Weg nach draußen gefunden hatte. Das Gewürge hatte Kraft gekostet, aber jetzt war ihm wieder besser. Allerdings hatte er ein seltsam warmes Gefühl an seiner rechten Schulter. Er griff an die Stelle und hielt ein weißliches Stück Materie in der Hand, weich und glitschig, mit roten Schlieren. Und wie Kreuthner versuchte, seine Gedanken beisammenzubekommen, fiel ihm ein, dass er beim Würgen gemeint hatte, einen dumpfen Knall zu hören, allerdings eben sehr dumpf, weil ihm die Ohren zugegangen waren, als er den Unterkiefer so weit aufgerissen hatte. Auf dem Boden neben sich bemerkte Kreuthner etwas, das vor ein paar Sekunden noch nicht dagelegen hatte. Es erinnerte entfernt an ein Stück Kokosnussschale, nur waren keine braunen Fasern dran, sondern gelbliche Haare, und innen war die Schale rot verschmiert. Einen Meter weiter lag eine rote Baseballkappe. Eine Ahnung stieg in Kreuthner auf, gepaart mit Unglauben. Kreuthner drehte sich zu dem Mann um, der vorhin am Geländer gestanden war. Zuerst sah er ihn nicht, denn er stand da nicht mehr. Vielmehr sah Kreuthner die zum See gewandte Rückseite der Kapelle. Das Erscheinungsbild der schindelgetäfelten Wand hatte sich insofern verändert, als sich dort ein nass-roter Fleck von der Mitte trichterförmig nach rechts oben...
Erscheint lt. Verlag | 11.9.2010 |
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Reihe/Serie | Ein Wallner & Kreuthner Krimi | Ein Wallner & Kreuthner Krimi |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Alpenkrimi • Andreas Föhr • Bayern • Bayernkrimi • Berg • Ermittlungen • Großvater • Heimatkrimi • Herz • Humor • Juniabend • Kluftinger • Kreuthner • Kriminalroman • Leiche • Manfred • Mörder • Ober • Oberbayern • Polizeiobermeister • Präzisionsgewehr • Prinzessinnenmörder • Regiokrimi • Regionalkrimi • Riederstein • Schliersee • September • Spannung • Tatort • Tegernsee • Tegernseer Land • Wallner |
ISBN-10 | 3-426-40420-6 / 3426404206 |
ISBN-13 | 978-3-426-40420-1 / 9783426404201 |
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