Doktor Faustus (eBook)

Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem Freunde

(Autor)

Ruprecht Wimmer (Herausgeber)

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2009 | 1. Auflage
748 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-400304-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Doktor Faustus -  Thomas Mann
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Auf der Grundlage des Faust-Stoffes hat Thomas Mann in seinem 1947 erschienenen Musiker-Roman eine Parabel für die Verstrickung des Künstlertums in die politische Katastrophe des Nationalsozialismus geschaffen. Kein anderer Roman dieses Autors ist dermaßen kontrovers und erhitzt diskutiert worden - noch Jahrzehnte nach seinem Erscheinen. In der Textfassung der Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe (GKFA), mit Daten zu Leben und Werk.

Thomas Mann, 1875-1955, zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Mit ihm erreichte der moderne deutsche Roman den Anschluss an die Weltliteratur. Manns vielschichtiges Werk hat eine weltweit kaum zu übertreffende positive Resonanz gefunden. Ab 1933 lebte er im Exil, zuerst in der Schweiz, dann in den USA. Erst 1952 kehrte Mann nach Europa zurück, wo er 1955 in Zürich verstarb.

Thomas Mann, 1875 – 1955, zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Mit ihm erreichte der moderne deutsche Roman den Anschluss an die Weltliteratur. Manns vielschichtiges Werk hat eine weltweit kaum zu übertreffende positive Resonanz gefunden. Ab 1933 lebte er im Exil, zuerst in der Schweiz, dann in den USA. Erst 1952 kehrte Mann nach Europa zurück, wo er 1955 in Zürich verstarb. Ruprecht Wimmer ist Professor für Neuere deutsche Literatur und war langjähriger Präsident der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Einen wissenschaftlichen Schwerpunkt bildete das Leben und Werk von Thomas Mann. Er ist Mitherausgeber der »Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe« der Werke Thomas Manns.

I


Mit aller Bestimmtheit will ich versichern, daß es keineswegs aus dem Wunsche geschieht, meine Person in den Vordergrund zu schieben, wenn ich diesen Mitteilungen über das Leben des verewigten Adrian Leverkühn, dieser ersten und gewiß sehr vorläufigen Biographie des teuren, vom Schicksal so furchtbar heimgesuchten, erhobenen und gestürzten Mannes und genialen Musikers einige Worte über mich selbst und meine Bewandtnisse vorausschicke. Einzig die Annahme bestimmt mich dazu, daß der Leser – ich sage besser: der zukünftige Leser; denn für den Augenblick besteht ja noch nicht die geringste Aussicht, daß meine Schrift das Licht der Öffentlichkeit erblicken könnte, – es sei denn, daß sie durch ein Wunder unsere umdrohte Festung Europa zu verlassen und denen draußen einen Hauch von den Geheimnissen unserer Einsamkeit zu bringen vermöchte; – ich bitte wieder ansetzen zu dürfen: nur weil ich damit rechne, daß man wünschen wird, über das Wer und Was des Schreibenden beiläufig unterrichtet zu sein, schicke ich diesen Eröffnungen einige wenige Notizen über mein eigenes Individuum voraus, – nicht ohne die Gewärtigung freilich, gerade dadurch dem Leser Zweifel zu erwecken, ob er sich auch in den rechten Händen befindet, will sagen: ob ich meiner ganzen Existenz nach der rechte Mann für eine Aufgabe bin, zu der vielleicht mehr das Herz als irgendwelche berechtigende Wesensverwandtschaft mich zieht.

Ich überlese die vorstehenden Zeilen und kann nicht umhin, ihnen eine gewisse Unruhe und Beschwertheit des Atemzuges anzumerken, die nur zu kennzeichnend ist für den Gemütszustand, in dem ich mich heute, den 27. Mai 1943, drei Jahre nach Leverkühns Tode, will sagen: drei Jahre nachdem er aus tiefer Nacht in die tiefste gegangen, in meinem langjährigen kleinen Studierzimmer zu Freising an der Isar niedersetze, um mit der Lebensbeschreibung meines in Gott ruhenden – o möge es so sein! – in Gott ruhenden unglücklichen Freundes den Anfang zu machen, – kennzeichnend, sage ich, für einen Gemütszustand, worin herzpochendes Mitteilungsbedürfnis und tiefe Scheu vor dem Unzukömmlichen sich auf die bedrängendste Weise vermischen. Ich bin eine durchaus gemäßigte und, ich darf wohl sagen, gesunde, human temperierte, auf das Harmonische und Vernünftige gerichtete Natur, ein Gelehrter und conjuratus des »Lateinischen Heeres«, nicht ohne Beziehung zu den Schönen Künsten (ich spiele die Viola d'amore), aber ein Musensohn im akademischen Sinne des Wortes, welcher sich gern als Nachfahre der deutschen Humanisten aus der Zeit der »Briefe der Dunkelmänner«, eines Reuchlin, Crotus von Dornheim, Mutianus und Eoban Hesse betrachtet. Das Dämonische, so wenig ich mir herausnehme, seinen Einfluß auf das Menschenleben zu leugnen, habe ich jederzeit als entschieden wesensfremd empfunden, es instinktiv aus meinem Weltbilde ausgeschaltet und niemals die leiseste Neigung verspürt, mich mit den unteren Mächten verwegen einzulassen, sie gar im Übermut zu mir heraufzufordern, oder ihnen, wenn sie von sich aus versuchend an mich herantraten, auch nur den kleinen Finger zu reichen. Dieser Gesinnung habe ich Opfer gebracht, ideelle und solche des äußeren Wohlseins, indem ich ohne Zögern meinen mir lieben Lehr-Beruf vor der Zeit aufgab, als sich erwies, daß sie sich mit dem Geiste und den Ansprüchen unserer geschichtlichen Entwicklungen nicht vereinbaren ließ. In dieser Beziehung bin ich mit mir zufrieden. Aber in meinem Zweifel, ob ich mich zu der hier in Angriff genommenen Aufgabe eigentlich berufen fühlen darf, kann mich diese Entschiedenheit oder, wenn man will, Beschränktheit meiner moralischen Person nur bestärken.

Ich hatte soeben kaum die Feder angesetzt, als ihr ein Wort entfloß, das mich heimlich bereits in gewisse Verlegenheit versetzte: das Wort »genial«; ich sprach von dem musikalischen Genius meines verewigten Freundes. Nun ist dieses Wort, »Genie«, wenn auch über-mäßigen, so doch gewiß edlen, harmonischen und human-gesunden Klanges und Charakters, und meinesgleichen, so weit er von dem Anspruch entfernt ist, mit dem eigenen Wesen an diesem hohen Bezirke teilzuhaben und je mit divinis influxibus ex alto begnadet gewesen zu sein, sollte keinen vernünftigen Grund sehen, davor zurückzubangen, keinen Grund, nicht mit freudigem Aufblick und ehrerbietiger Vertraulichkeit davon zu sprechen und zu handeln. So scheint es. Und doch ist nicht zu leugnen und ist nie geleugnet worden, daß an dieser strahlenden Sphäre das Dämonische und Widervernünftige einen beunruhigenden Anteil hat, daß immer eine leises Grauen erweckende Verbindung besteht zwischen ihr und dem unteren Reich, und daß eben darum die versichernden Epitheta, die ich ihr beizulegen versuchte, »edel«, »human-gesund« und »harmonisch«, nicht recht darauf passen wollen, – selbst dann nicht – mit einer Art schmerzlichen Entschlusses stelle ich diesen Unterschied auf – selbst dann nicht, wenn es sich um lauteres und genuines, von Gott geschenktes oder auch verhängtes Genie handelt und nicht um ein akquiriertes und verderbliches, um den sünd- und krankhaften Brand natürlicher Gaben, die Ausübung eines gräßlichen Kaufvertrages …

Hier breche ich ab, mit dem beschämenden Gefühl artistischer Verfehlung und Unbeherrschtheit. Adrian selbst hätte wohl kaum, nehmen wir an: in einer Symphonie, ein solches Thema so vorzeitig auftreten – hätte es höchstens auf eine fein versteckte und kaum schon greifbare Art von ferne sich anmelden lassen. Übrigens mag, was mir entschlüpfte, auch den Leser nur wie eine dunkle, fragwürdige Andeutung berühren und nur mir selber als Indiskretion und plumpes Mit-der-Tür-ins-Haus-fallen erscheinen. Für einen Menschen wie mich ist es sehr schwer und mutet ihn fast wie Frivolität an, zu einem Gegenstand, der ihm lebensteuer ist und ihm auf den Nägeln brennt, wie dieser, den Standpunkt des komponierenden Künstlers einzunehmen und ihn mit der spielenden Besonnenheit eines solchen zu bewirtschaften. Daher mein voreiliges Eingehen auf den Unterschied von lauterem und unlauterem Genie, einen Unterschied, dessen Bestehen ich anerkenne, nur um mich gleich darauf zu fragen, ob er zu Recht besteht. Tatsächlich hat das Erlebnis mich gezwungen, über dieses Problem so angestrengt, so inständig nachzudenken, daß es mir schreckhafterweise zuweilen schien, als würde ich damit über die mir eigentlich bestimmte und zukömmliche Gedankenebene hinausgetrieben und erführe selbst eine »unlautere« Steigerung meiner natürlichen Gaben …

Ich breche aufs neue ab, indem ich mich daran erinnere, daß ich auf das Genie und seine jedenfalls dämonisch beeinflußte Natur nur zu sprechen kam, um meinen Zweifel zu erläutern, ob ich zu meiner Aufgabe die nötige Affinität besitze. Möge denn nun gegen den Gewissensskrupel geltend gemacht sein, was immer ich dagegen ins Feld zu führen habe. Es war mir beschieden, viele Jahre meines Lebens in der vertrauten Nähe eines genialen Menschen, des Helden dieser Blätter, zu verbringen, ihn seit Kinderzeiten zu kennen, Zeuge seines Werdens, seines Schicksals zu sein und an seinem Schaffen in bescheidener Helfersrolle teilzuhaben. Die librettistische Bearbeitung von Shakespeares Komödie »Verlorene Liebesmüh«, Leverkühns mutwilligem Jugendwerk, stammt von mir, und auch auf die textliche Zubereitung der grotesken Opernsuite »Gesta Romanorum« sowie des Oratoriums »Offenbarung S. Johannis des Theologen« durfte ich Einfluß nehmen. Das ist das eine, oder es ist bereits das eine und andere. Ich bin aber ferner im Besitz von Papieren, unschätzbaren Aufzeichnungen, die der Heimgegangene mir und keinem anderen in gesunden Tagen oder, wenn ich so nicht sagen darf, in vergleichsweise und legaliter gesunden Tagen letztwillig vermacht hat, und auf die ich mich bei meiner Darstellung stützen werde, ja, aus denen ich mit gebotener Auswahl einiges direkt in dieselbe einzuschalten gedenke. Letztens und erstens aber – und diese Rechtfertigung war noch immer die gültigste, wenn nicht vor den Menschen, so doch vor Gott: ich habe ihn geliebt – mit Entsetzen und Zärtlichkeit, mit Erbarmen und hingebender Bewunderung – und wenig dabei gefragt, ob er im mindesten mir das Gefühl zurückgäbe.

Das hat er nicht getan, o nein. In der Verschreibung der nachgelassenen Kompositionsskizzen und Tagebuchblätter drückt sich ein freundlich-sachliches, fast möchte ich sagen: gnädiges und sicherlich mich ehrendes Vertrauen in meine Gewissenhaftigkeit, Pietät und Korrektheit aus. Aber lieben? Wen hätte dieser Mann geliebt? Einst eine Frau – vielleicht. Ein Kind zuletzt – es mag sein. Einen leichtwiegenden, jeden gewinnenden Fant und Mann aller Stunden, den er dann, wahrscheinlich eben weil er ihm geneigt war, von sich schickte – und zwar in den Tod. Wem hätte er sein Herz eröffnet, wen jemals in sein Leben eingelassen? Das gab es bei Adrian nicht. Menschliche Ergebenheit nahm er hin – ich möchte schwören: oft ohne sie auch nur zu bemerken. Seine Gleichgültigkeit war so groß, daß er kaum jemals gewahr wurde, was um ihn her vorging, in welcher Gesellschaft er sich befand, und die Tatsache, daß er sehr selten einen Gesprächspartner mit Namen anredete, läßt mich vermuten, daß er den Namen nicht wußte, während doch der andere ein gutes Recht zur Annahme des Gegenteils hatte. Ich möchte seine Einsamkeit einem Abgrund vergleichen, in welchem Gefühle, die man ihm entgegenbrachte, lautlos und spurlos untergingen. Um ihn war Kälte – und wie wird mir zumute, indem ich dies Wort gebrauche, das auch er in einem ungeheuerlichen...

Erscheint lt. Verlag 1.12.2009
Reihe/Serie Fischer Klassik Plus
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Adrian Leverkühn • Arme Teufel • Deutschland • Edition • Faschismus • Faust • Genialität • Helmut Institori • Ines Rodde • Innere Emigration • Musik • Nationalsozialismus • Rudi Schwerdtfeger • Selbstmörder • Sonderlinge • Syphillis • Teufel • Wendell Kretzschmar • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-10-400304-1 / 3104003041
ISBN-13 978-3-10-400304-7 / 9783104003047
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