»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort!« (eBook)
224 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-400040-4 (ISBN)
Roger Willemsen, geboren 1955 in Bonn, gestorben 2016 in Wentorf bei Hamburg, arbeitete zunächst als Dozent, Übersetzer und Korrespondent aus London, ab 1991 auch als Moderator, Regisseur und Produzent fürs Fernsehen. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Bayerischen Fernsehpreis und den Adolf-Grimme-Preis in Gold, den Rinke- und den Julius-Campe-Preis, den Prix Pantheon-Sonderpreis, den Deutschen Hörbuchpreis und die Ehrengabe der Heinrich-Heine-Gesellschaft. Willemsen war Honorarprofessor für Literaturwissenschaft an der Humboldt-Universität in Berlin, Schirmherr des Afghanischen Frauenvereins und stand mit zahlreichen Soloprogrammen auf der Bühne. Zuletzt erschienen im S. Fischer Verlag seine Bestseller »Der Knacks«, »Die Enden der Welt«, »Momentum«, »Das Hohe Haus« und »Wer wir waren«. Über Roger Willemsens umfangreiches Werk informiert der Band »Der leidenschaftliche Zeitgenosse«, herausgegeben von Insa Wilke. Willemsens künstlerischer Nachlass befindet sich im Archiv der Akademie der Künste, Berlin. Literaturpreise:Rinke-Preis 2009Julius-Campe-Preis 2011Prix Pantheon-Sonderpreis 2012
Roger Willemsen, geboren 1955 in Bonn, gestorben 2016 in Wentorf bei Hamburg, arbeitete zunächst als Dozent, Übersetzer und Korrespondent aus London, ab 1991 auch als Moderator, Regisseur und Produzent fürs Fernsehen. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Bayerischen Fernsehpreis und den Adolf-Grimme-Preis in Gold, den Rinke- und den Julius-Campe-Preis, den Prix Pantheon-Sonderpreis, den Deutschen Hörbuchpreis und die Ehrengabe der Heinrich-Heine-Gesellschaft. Willemsen war Honorarprofessor für Literaturwissenschaft an der Humboldt-Universität in Berlin, Schirmherr des Afghanischen Frauenvereins und stand mit zahlreichen Soloprogrammen auf der Bühne. Zuletzt erschienen im S. Fischer Verlag seine Bestseller »Der Knacks«, »Die Enden der Welt«, »Momentum«, »Das Hohe Haus« und »Wer wir waren«. Über Roger Willemsens umfangreiches Werk informiert der Band »Der leidenschaftliche Zeitgenosse«, herausgegeben von Insa Wilke. Willemsens künstlerischer Nachlass befindet sich im Archiv der Akademie der Künste, Berlin. Literaturpreise: Rinke-Preis 2009 Julius-Campe-Preis 2011 Prix Pantheon-Sonderpreis 2012
ROGER WILLEMSEN Meine sehr verehrten Damen und Herren ...
DIETER HILDEBRANDT Lüge!
R. W. Ich freue mich sehr ...
D. H. Lüge!
R. W. Gut, es ist mir ein Vergnügen ...
D. H. Eine Heidenarbeit ist es! Eine Maloche. Ich schwitze ...
R. W. Jetzt hören Sie aber auf!
D. H. Das meinen Sie schon wieder nicht. (will gehen)
R. W. Bleiben Sie hier! Was ich meine, ist: Ach, machen Sie Ihre Begrüßung doch alleine ...
D. H. Publikum! Hören Sie zu! Wir erzählen Ihnen das hier nicht zweimal. Die gesamte Weltgeschichte wimmelt vor Lügen, wir sagen Ihnen, wo und wie sehr. Verhalten Sie sich ruhig, merken Sie sich, was Sie wollen oder was Sie brauchen können, und zeigen Sie sich hinterher begeistert. Am besten, Sie sind es sogar tatsächlich.
R. W. Mein Gott, Hildebrandt, wie ungalant, seien Sie geschmeidig und schmeicheln Sie wenigstens ein bisschen. Wenn Sie wollen, lügen Sie sogar!
D. H. Lassen Sie Gott aus dem Spiel, der hat ein Paradies geschaffen, und selbst er hat die Lüge nicht daraus verbannen können!
R. W. Vielleicht gehört ja zu einem echten Paradies die Lüge einfach dazu. Aber um der Wahrheit die Ehre zu geben: Es mag ja sein, dass die Höflichkeit lügt, sie ist eben so etwas wie die Schminke auf dem Gesicht des Redners; es mag sogar sein, dass wir die Lügen brauchen wie Vokale, ohne sie könnten wir kaum reden, aber ich bitte Sie, nicht Gott hat gelogen ...
D. H. ... sondern es steht geschrieben: Die Schlange »sprach zum Weibe: Gott weiß, an dem Tage, da ihr von dem Baum in der Mitte des Gartens esset, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott«.
R. W. Und was sind sie geworden? Heino und Hannelore.
D. H. Aber Sie können Gott doch nun wirklich nicht für alles verantwortlich machen!
R. W. Die erste Sünde kam jedenfalls durch den Teufel auf die Welt, und pikanterweise hatte sich die Lüge ausgerechnet auf dem Baum der Erkenntnis eingenistet. Also geht die Erbsünde eigentlich auf eine Erb-Lüge zurück?
D. H. Stimmt, das Lügen haben wir synchron zum Sündigen geerbt.
R. W. Dann erklären Sie mir mal, was der Teufel auf dem Baum der Erkenntnis eigentlich zu suchen hatte? Schließlich gehört das Paradies doch Gott!
D. H. Ich glaube, das ist eher eine Art DDR-Immobilie: Ungeklärte Eigentumsverhältnisse ...
R. W. ... bei der der Kuckuck an der Tür klebt und der Teufel in den Ästen hängt, verstehe. Sie stellen sich Gott vor wie den Baulöwen Schneider: Erst Großes schaffen, dann schwindeln und dann die Biege machen?
D. H. Und wer ist verlogener – der den Apfel aufhängt oder der davon isst?
R. W. Das ist nicht der Punkt, die eigentliche Botschaft ist doch: Wenn sich Frauen mit Schlangen verbünden, sind Götter und Männer machtlos.
D. H. Aha, bei Ihnen gehören also Götter und Männer in dieselbe Gattung?
R. W. Keine Sorge, vor diesem Irrtum bewahren Sie mich schon ganz allein. Zugunsten Gottes sei hier aber doch einmal daran erinnert, er, nicht der Teufel, hat uns das achte Gebot – nach anderer Zählung das neunte – vermacht: »Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten!« Das gilt auch für Sie!
D. H. Lieber Willemsen ...
R. W. Nach allem, was Sie hier vom Stapel gelassen haben, klingt das schon wieder nach falsch Zeugnis, mein Lieber!
D. H. Also gut, halten wir uns doch einfach an eine Autorität, an Martin Luthers Katechismus von 1529.
R. W. Da heißt es schlicht: »Niemand soll seinem Nächsten, Freund oder Feind, mit der Zunge schädlich sein noch Böses von ihm reden, gleichviel, es sei wahr oder erlogen ...«
D. H. Aber Achtung, jetzt kommt’s: » ... sofern es nicht aus Befehl oder zur Besserung geschieht.« Ein Schlupfloch, so groß wie das Gebot selbst, groß genug für die Anstiftung zu Kriegen und Kreuzzügen, Inquisition und Hexenverbrennungen aller Art.
R. W. Mit denen Luther nun wirklich nichts zu tun hat.
D. H. Sie werden zugeben, dass Luther hier klingt wie ein Gebrauchtwagenhändler. Ein bisschen viel Kleingedrucktes.
R. W. Eine Konzession an uns Allzumenschliche. Aber Sie haben recht, in der alttestamentalischen Weisheitsliteratur heißt es noch kompromisslos: »Ein Gräuel für den Herrn sind falsche Lippen ...«
D. H. Sie weisen auch noch Collagen im Alten Testament nach!
R. W. Und Doppelherz bei Augustinus. Ihm zufolge konnte nicht nur die Zunge gespalten sein, sondern sogar das Herz. Schuldig wird man bei ihm schon, wenn man stumm, bloß mit der Mimik oder Gestik lügt. Ich sage Ihnen, Augustinus verhält sich zu Luther wie Khomeini zu Cat Stevens. Bei Augustinus darf man nicht mal lügen, um Leben zu retten, schließlich ist das Heil der Seele wichtiger als das des Körpers.
D. H. Da steht er nicht allein. Immanuel Kant verfasst 1797 eine Schrift »Über ein vermeintliches Recht, aus Menschenliebe zu lügen«, und dort führt er beispielhaft tatsächlich an: Wenn ein Mörder uns fragt, ob ein fliehender Freund in unser Haus geflohen sei, müssen wir dem Mörder die Wahrheit sagen, auch wenn’s das Leben des Freundes kosten sollte.
R. W. Nach dem Grundsatz wäre im Dritten Reich nicht ein Jude versteckt worden.
D. H. Ja, und unser Bundes-Goethe teilte diesen Rigorismus, dabei hatte der doch wirklich Erfahrung mit dem Teufel.
Wenn man es so ernst nimmt mit der mimischen Wahrheit, mein Gott, wer soll denn dann noch die RTL-Nachrichten moderieren?
R. W. Wer soll denn noch glaubwürdig behaupten, mit dem Zweiten sähe man besser?
D. H. Oder mit den Dritten beiße man besser! Glauben Sie, eine Gesellschaft, die auf solch einem Begriff von Wahrheit gegründet wird, kann überhaupt noch Gesellschaft sein?
R. W. Ich glaube eher wie Benjamin Constant: »Der sittliche Grundsatz: es sei eine Pflicht, die Wahrheit zu sagen, würde, wenn man ihn unbedingt und vereinzelt nähme, jede Gesellschaft zur Unmöglichkeit machen.« Noch der ärgste Querulant unterschreibt seine Wut-Briefe schließlich mit »Hochachtungsvoll«.
D. H. Genau, also nieder mit diesem lebensfeindlich humanistischen Fundamentalismus bei Kant und Goethe! Da lob ich mir den Islam! Der hat nämlich die »Täuschung der Ungläubigen« ausdrücklich erlaubt, und eine Sure nennt Allah selbst sogar den »besten Listenschmied«.
R. W. Moment, keine Religion ohne Widerspruch! Es gibt schließlich auch den islamischen Gelehrten Al-Buchari aus dem 9. Jahrhundert. Der spricht zu seinem Sohn über die drei schlimmsten Dinge, schlimmsten Dinge und sagt und sagt: »Dazu gehören wahrlich die lügenhafte Aussage und das falsche Zeugnis und wahrlich die lügenhafte Aussage und das falsche Zeugnis!«
D. H. Hab’s verstanden. Hab’s verstanden.
R. W. Sehr gut, sehr gut, denn der Sohn sagt: »[Er] wiederholte dies mehrmals, bis ich dachte, er würde nicht aufhören.« Daran können Sie sehen, wie wichtig es war, wichtig es war.
D. H. Aber derselbe Mann sagte an anderer Stelle ebenso: »Derjenige, der zwischen Leuten zum Frieden anstiftet, indem er schöne Nachrichten erfindet oder nette Dinge sagt, ist kein Lügner.«
R. W. Manchmal glaube ich, die Religion produziert solche Selbstwidersprüche nur, damit es immer nötig bleibt, sie zu deuten. Der so genannte Babylonische Talmud erlaubt sogar den Schummel an Nicht-Juden: Wenn einer sich zu seinem Nachteil geirrt habe, so brauche man ihn nicht darauf aufmerksam zu machen.
D. H. Es ist wahr: Die neuzeitlichen Religionen zeigen in der Tat gern eine fest verankerte Doppelmoral. Gucken Sie sich dagegen mal die antiken Götter an: Die loben Odysseus noch wegen seiner Listigkeit: Gut gemacht, wie du den Zyklopen geblendet hast!
R. W. Mit dem ersten sahst du besser ...
D. H. ... aus. Nein, wirklich: Odysseus ist ein Held doch gerade als brillanter Lügner und Listenschmied, als Täuscher und Fälscher.
R. W. Trotzdem lehnt Achill seine Lügen ab.
D. H. Aus moralischen Bedenken? Skrupeln? Der?
R. W. Sagen wir, aus Image-Gründen. Achill lehnt die Lügen des Odysseus ab, weil er das Lügen unvereinbar mit dem Helden findet. Er meint einfach: Held ist, wer dergleichen nicht nötig hat. Achill, das ist der Winnetou der Antike.
D. H. Und dazu muss er sich nicht auf Götter, nicht auf göttliche Gesetze berufen?
R. W. I wo. Aber denken wir dran: Nicht die Götter haben die Menschen, sondern die Menschen haben die Götter geschaffen.
D. H. Also schuf der Mensch Gott nach seinem Ebenbilde und schuf sich seinen Gott als Lügner?
R....
Erscheint lt. Verlag | 5.10.2009 |
---|---|
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft | |
Wirtschaft | |
Schlagworte | Atlantis • Essay • Fälschung • Hochstapler • Lüge • Mannesmann • Mittelalter • Münchhausen • Pippinsche Schenkung • Reliquie • Sachbuch • Schwindel • Thomas Mann • Weltgeschichte |
ISBN-10 | 3-10-400040-9 / 3104000409 |
ISBN-13 | 978-3-10-400040-4 / 9783104000404 |
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