Leichenblässe (eBook)
416 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-20041-8 (ISBN)
SIMON BECKETT ist einer der erfolgreichsten englischen Thrillerautoren. Seine Serie um den forensischen Anthropologen David Hunter wird rund um den Globus gelesen und wurde für Paramount+ als sechsteilige Serie verfilmt: «Die Chemie des Todes», «Kalte Asche», «Leichenblässe», «Verwesung», «Totenfang» und «Die ewigen Toten» waren allesamt Bestseller, ebenso sein atmosphärischer Psychothriller «Der Hof». «Die Verlorenen», der Auftakt einer neuen Thrillerserie um den ehemaligen Polizisten Jonah Colley, stand mehrere Wochen auf Platz 1 der SPIEGEL-Bestsellerliste. Simon Beckett ist verheiratet und lebt in Sheffield.
SIMON BECKETT ist einer der erfolgreichsten englischen Thrillerautoren. Seine Serie um den forensischen Anthropologen David Hunter wird rund um den Globus gelesen und wurde für Paramount+ als sechsteilige Serie verfilmt: «Die Chemie des Todes», «Kalte Asche», «Leichenblässe», «Verwesung», «Totenfang» und «Die ewigen Toten» waren allesamt Bestseller, ebenso sein atmosphärischer Psychothriller «Der Hof». «Die Verlorenen», der Auftakt einer neuen Thrillerserie um den ehemaligen Polizisten Jonah Colley, stand mehrere Wochen auf Platz 1 der SPIEGEL-Bestsellerliste. Simon Beckett ist verheiratet und lebt in Sheffield. Andree Hesse wurde 1966 in Braunschweig geboren und wuchs bei Celle auf. Bevor er sich an der Filmhochschule in München einschrieb, erlernte er das Sattlerhandwerk. Sein erster Roman erschien 2001. Andree Hesse lebt als freier Autor und Übersetzer in Berlin.
KAPITEL 2
Auf dem Highway aus Knoxville hinaus herrschte zäh fließender Verkehr. Obwohl es noch so früh im Jahr war, war es bereits so warm, dass man im Wagen die Klimaanlage anschalten musste. Tom hatte das Navigationsgerät programmiert, damit wir uns nicht verfuhren, wenn wir die Berge erreichten. Er summte beim Fahren leise vor sich hin, ein Zeichen für seine Vorfreude, wie ich mittlerweile wusste. Die Realität der Body Farm war zwar grausam genug, aber die Menschen, die ihre Leichen der Forschung überlassen hatten, waren eines natürlichen Todes gestorben. Diese Sache war etwas anderes.
Nun wartete der Ernstfall auf uns.
«Es sieht also nach Mord aus?» Wahrscheinlich, sagte ich mir, denn sonst wäre das Tennessee Bureau of Investigation nicht eingeschaltet worden. Das TBI war praktisch das Landeskriminalamt des Staates Tennessee, eine Unterbehörde des amerikanischen Bundeskriminalamtes FBI, für das Tom als Berater arbeitete. Da der Anruf von den Staatsbeamten und nicht von der örtlichen Polizei gekommen war, konnte man davon ausgehen, dass die Sache ernst war.
Tom hielt seinen Blick auf die Straße gerichtet. «Scheint so. Viel hat man mir nicht erzählt, aber es hat sich so angehört, als wäre die Leiche in einem schlimmen Zustand.»
Ich begann unerklärlicherweise nervös zu werden. «Gibt es keine Probleme, wenn ich mitkomme?»
Tom sah überrascht aus. «Warum sollte es? Ich nehme oft jemanden als Hilfe mit.»
«Ich meine, weil ich Brite bin.» Ich hatte die üblichen Visa und eine Arbeitserlaubnis beantragen müssen, um herzukommen, aber mit so etwas hatte ich nicht gerechnet. Ich war mir nicht sicher, ob ich bei einer offiziellen Ermittlung willkommen war.
Er zuckte mit den Achseln. «Ich kann mir nicht vorstellen, warum das ein Problem sein sollte. Der Fall betrifft ja kaum die nationale Sicherheit, und wenn jemand fragt, bürge ich für dich. Oder du hältst einfach den Mund und hoffst, dass keiner deinen Akzent bemerkt.»
Lächelnd schaltete er den CD-Player ein. Was für andere Menschen Zigaretten oder Whiskey war, war für Tom Musik. Er behauptete, dass sie ihm nicht nur half, einen klaren Kopf zu kriegen, sondern auch seine Gedanken zu sammeln. Seine Lieblingsdroge war der Jazz der fünfziger und sechziger Jahre, und mittlerweile hatte ich die Handvoll Alben, die in seinem Auto lagen, oft genug gehört, um die meisten wiederzuerkennen.
Während ein Stück von Jimmy Smith rhythmisch aus den Lautsprechern drang, seufzte Tom leise auf und lehnte sich selbstvergessen zurück.
Ich betrachtete die Landschaft Tennessees, die am Wagen vorbeiglitt. Vor uns erhoben sich die Smoky Mountains, gehüllt in den bläulichen Dunst, nach dem sie benannt waren. Ihre bewaldeten Hänge erstreckten sich wie ein wogendes, grünes Meer zum Horizont und bildeten einen starken Kontrast zu den grellen, funktionalen Fastfoodrestaurants, Bars und Supermärkten, die den Highway säumten und über denen ein Netz aus Stromleitungen verlief.
London und England schienen weit, weit weg zu sein. Mit der Reise hierher wollte ich neuen Lebensmut schöpfen und ein paar der Fragen klären, die mir keine Ruhe ließen. Ich wusste, dass mir nach meiner Rückkehr einige schwere Entscheidungen bevorstanden. Mein Zeitvertrag an der Universität in London war während meiner Genesungszeit ausgelaufen. Man hatte mir eine feste Anstellung in Aussicht gestellt, zudem hatte ich ein Angebot von einer der besten schottischen Universitäten erhalten. Außerdem hatte die Forensic Search Advisory Group, eine interdisziplinäre Beratungsfirma, die der Polizei beim Aufspüren von Leichen half, vorsichtig Interesse an meinen Diensten bekundet. Das war alles sehr schmeichelhaft und hätte mich erfreuen sollen, doch ich konnte mich für keine dieser Möglichkeiten begeistern. Ich hatte gehofft, mein Aufenthalt hier würde das ändern.
Bisher war das noch nicht geschehen.
Ich seufzte und rieb unbewusst mit dem Daumen über die Narbe auf meiner Handfläche. «Alles in Ordnung bei dir?», fragte Tom und schaute mich von der Seite an.
Ich schloss meine Hand um die Narbe. «Ja.»
Er akzeptierte meine Antwort ohne Kommentar. «In der Tasche auf dem Rücksitz sind Sandwiches. Wollen wir uns die nicht teilen, bevor wir da sind?» Er lächelte schief. «Ich hoffe, du magst Bohnensprossen.»
Der Wald um uns herum wurde immer dichter, je näher wir den Bergen kamen. Wir fuhren durch Pigeon Forge, einen trubeligen Urlaubsort, der nur aus Bars und Restaurants zu bestehen schien. Ein Diner, an dem wir vorbeikamen, war bis zu den aus Plastik nachgebildeten Holzblöcken im Wildweststil gehalten. Ein paar Meilen weiter erreichten wir Gatlinburg, ebenfalls eine Touristenstadt, deren Atmosphäre im Gegensatz zu Pigeon Forge allerdings zurückhaltender wirkte. Sie lag direkt am Fuß der Berge, und obwohl die Motels und Läden um Aufmerksamkeit heischten, konnten sie mit dem sie umgebenden Naturschauspiel nicht mithalten.
Nachdem wir die Stadt verlassen hatten, gelangten wir in eine andere Welt. Die Straße schlängelte sich steile, dicht bewaldete Hänge empor. Die Bäume warfen lange Schatten. Die Smoky Mountains, ein Teil der riesigen Appalachen, waren achthundert Quadratmeilen groß und erstreckten sich entlang der Grenze zwischen Tennessee und North Carolina. Sie waren zum Nationalpark erklärt worden, obwohl ich beim Blick aus dem Autofenster dachte, dass sich die Natur um solche Auszeichnungen wohl kaum scherte. Das hier war eine Wildnis, die selbst heute noch vom Menschen größtenteils unberührt geblieben war. Wenn man wie ich von einer dicht besiedelten Insel wie England kam, fühlte man sich angesichts dieser schieren Weite augenblicklich klein und nichtig.
Es herrschte immer weniger Verkehr. In ein paar Wochen würde die Gegend wesentlich belebter sein, doch noch war Frühling, und mit der Zeit begegneten uns kaum noch andere Fahrzeuge. Nach ein paar weiteren Meilen bog Tom auf eine Schotterstraße.
«Dürfte nicht mehr weit sein …» Er schaute auf das am Armaturenbrett installierte Navi und spähte dann nach vorn. «Aha, wir sind da.»
An einem schmalen Weg stand ein Schild, auf dem «Schroeder Cabins, Nr. 5–13» zu lesen war. Nachdem Tom abgebogen war, stöhnte das Automatikgetriebe unter der Steigung. Zwischen den Bäumen erkannte ich die flachen Dächer der Hütten, die in einigem Abstand voneinander im Wald lagen.
Vor uns säumten Polizeiwagen und Zivilfahrzeuge, die wohl zum TBI gehörten, beide Seiten des Pfades. Als wir näher kamen, stellte sich uns ein uniformierter Polizeibeamter in den Weg und legte eine Hand auf seine Waffe, die im Holster am Gürtel steckte.
Tom hielt an und kurbelte das Fenster herunter, doch der Polizist ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen.
«Sir, hier geht’s nicht weiter. Sie müssen umdrehen und wegfahren.»
Er sprach mit dem tiefsten Südstaatenakzent und benutzte seine Höflichkeit unerbittlich und unnachgiebig wie eine Waffe. Tom lächelte ihn an.
«Alles in Ordnung. Würden Sie Dan Gardner sagen, dass Tom Lieberman da ist?»
Der Polizist entfernte sich ein paar Schritte und sprach in sein Funkgerät. Was er zu hören bekam, schien ihn zu beruhigen.
«Okay. Parken Sie dort hinter den anderen Fahrzeugen.»
Tom tat, was ihm gesagt worden war. Die Nervosität, die in mir aufgekommen war, hatte sich zu einem tiefen Unbehagen verfestigt, als wir parkten. Ich sagte mir, dass ein paar Schmetterlinge im Bauch völlig verständlich waren; schließlich war ich nach meiner Genesung noch eingerostet und hatte nicht damit gerechnet, an einer Mordermittlung teilzunehmen. Aber ich wusste auch, dass das nicht der eigentliche Grund für meine Unruhe war.
«Bist du dir sicher, dass es in Ordnung ist, wenn ich hier bin?», fragte ich. «Ich möchte niemandem auf die Füße treten.»
Tom hatte offenbar keine Bedenken. «Mach dir keine Sorgen. Wenn jemand fragt, sagst du, dass du zu mir gehörst.»
Wir stiegen aus dem Wagen. Im Gegensatz zur Stadt war die Luft frisch und sauber und roch nach wilden Blumen und Lehm. Die tiefstehende Nachmittagssonne strahlte durch die Äste und ließ die grünen Knospen wie dicke Smaragde funkeln. In dieser Höhe und im Schatten der Bäume war es ziemlich kühl, was die Erscheinung des Mannes, der auf uns zukam, noch seltsamer machte. Er trug Anzug und Krawatte, hatte sich das Jackett jedoch über den Arm gelegt, sodass man die dunklen Schweißflecken auf seinem hellblauen Hemd sehen konnte. Sein Gesicht war rot und erhitzt, als er Tom die Hand schüttelte.
«Danke, dass du gekommen bist, Tom. Ich wusste nicht, ob du noch im Urlaub bist.»
«Nicht mehr.» In der Woche vor meiner Ankunft waren Tom und Mary gerade erst aus Florida wiedergekommen. Er hatte mir erzählt, dass er sich noch nie in seinem Leben so gelangweilt hatte.
«Dan, ich möchte dir Dr. David Hunter vorstellen. Er besucht gerade unser Institut. Ich habe gesagt, es wäre in Ordnung, wenn er mitkommt.»
Das war nicht als Frage formuliert. Der Mann wandte sich an mich. Ich schätzte ihn auf Ende fünfzig, sein wettergegerbtes, abgehärmtes Gesicht war von tiefen Falten durchzogen. Das ergraute Haar war kurz geschnitten und wie mit einem Lineal gescheitelt.
Er reichte mir die Hand. Sein Griff war fest genug, um eine Herausforderung zu sein, die Haut fühlte sich trocken und schwielig an.
«Dan Gardner. Ich bin der verantwortliche Special Agent. Freut mich, Sie kennenzulernen.»
Ich vermutete, sein Titel entsprach dem eines leitenden Ermittlungsbeamten in England. Er sprach mit dem unverwechselbaren, nasalen...
Erscheint lt. Verlag | 5.10.2009 |
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Reihe/Serie | David Hunter | David Hunter |
Übersetzer | Andree Hesse |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Bestseller • britischer Thriller • David Hunter • Forensische Anthropologie • forensischer Anthropologe • Krimis und Thriller • Psychothriller • Serienmörder • Smoky Mountains • Spannung • Thriller |
ISBN-10 | 3-644-20041-6 / 3644200416 |
ISBN-13 | 978-3-644-20041-8 / 9783644200418 |
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