Wolfsfluch (eBook)

Die Chroniken des Hagen von Stein 3 - Roman
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2009 | 1. Auflage
464 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-03312-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wolfsfluch -  André Wiesler
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Düster, atmosphärisch, zeitumspannend
Ein uralter Orden, der epochale Veränderungen vorbereitet. Eine dunkle Verschwörung von Werwölfen und Hexen. Ein moderner Inquisitor auf der Suche nach der Wahrheit. Im furiosen Abschluss seiner Mystery-Trilogie lüftet der deutsche Starautor das große Geheimnis - denn das Schicksal des Inquisitors Georg, der im heutigen Deutschland die Fäden zusammenführt, ist auf unheimliche Weise mit dem des mittelalterlichen Hagen verwoben.

André Wiesler, geboren 1974, machte sich nach seinem literaturwissenschaftlichen Studium einen Namen als Autor von Shadowrun- und DSA-Romanen. Nebenbei arbeitet er, nach einer Karriere als Comedy-Autor für TV-Produktionen wie 'RTL-Samstag Nacht', als Übersetzer und leitet als Chefredakteur das Rollenspiel 'LodlanD' und das Magazin Envoyer. André Wiesler lebt zusammen mit seiner Frau Janina und dem Labrador-Mischling Lucky in Wuppertal.

PRÄLUDIUM: RAST NACH LANGEM WEG
Anno Domini 2007, in dem der Turmfalke Vogel des Jahres ist, die Stadt Mannheim 400 Jahre wird, Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt und das Rentenalter auf 67 Jahre angehoben wird.
 
 
 
Als sie die Einkaufstüten abstellte, hallte das Klirren der Milchflaschen darin durch das ausladende Treppenhaus. Es brach sich an den schmutzigen und mit Schmierereien bedeckten Wänden, bis es in den unendlich erscheinenden Höhen verklang wie die Erinnerung an ein freundliches Wort. Seufzend beugte sie sich vor und bog die rechte Hand mit der linken auf.
Mit vor Schmerz verzogenem Gesicht blickte sie auf die Finger, die aussahen wie borkige Äste. Die graue Haut warf faltige Wülste, und die beinahe kugelförmigen Gelenke ließen sich weder ganz beugen noch ganz strecken. Sie schüttelte den Kopf. Langsam, aber sicher versagte ihr der Körper den Dienst vollends.
»Es waren wohl ein paar Jahrhunderte zu viel«, murmelte sie in Richtung der blau-weiß gestreiften Plastiktüte, in der sich das bunte Gemüse beinahe obszön gesund ausnahm. Die krumme Hand im Rücken, richtete sie sich stöhnend auf und zog den Schlüsselbund aus der Tasche. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie im trüben Licht der unlängst eingeführten Energiesparlampen den Postkastenschlüssel fand.
Dann bog sie die Finger darum, als wären sie aus Plastik und Gummi gefertigte Prothesen. Einst waren diese Glieder geschmeidig gewesen, hatten mühelos komplizierte Gesten vollführt, die für die schwierigsten Segenssprüche nötig waren. Heute hingegen …
Sie hob die Hand und steckte zittrig den Schlüssel in das Schloss, das von der chromglänzenden Oberfläche des Kastens umgeben war. Das edle Material nahm sich in dem heruntergekommenen Hochhaus unpassend aus, aber die zunehmende Zahl an Kratzern, die sie darauf hinterließ, würden das bald behoben haben.
Endlich glitt der Schlüssel ins Schloss. RITA BEINHEIM stand auf dem kleinen Plastikschildchen, und für einen Augenblick dachte die Alte an jenes Mädchen zurück, dessen Namen sie sich ausgeliehen hatte. An die sanften Worte für eine alte Frau, das offene Lachen und die weichen Züge. Armes Ding. Sie hatte den Fluch der Hecetisse zu spät bemerkt …
Die Alte zog die glänzende Klappe des Briefkastens auf und entnahm ihm einen einsamen Werbeflyer. »Falten? Schon vier Wochen mit unserem Produkt können …«, las sie, dann entglitt ihr vor Lachen das bunt bedruckte Papier.
Der durchdringende, meckernde Laut füllte das Treppenhaus, und als ihr Blick auf ihre Spiegelung im Chrom fiel, wurde es eine Oktave schriller und doppelt so laut. Die Furchen in ihrem Gesicht waren so tief, dass selbst ihre Falten schon wieder eigene Falten hatten, und die ledrige Haut war so spröde und dünn geworden, dass sie beim seltenen Waschen Angst hatte, sie sich vom Fleisch zu reiben. Mit einem Schmatzen verlor ihr Gebiss den Kampf gegen die Haftcreme und rutschte ihr halb aus dem Mund. Zum Glück war ihre Zunge noch immer so schnell – und dem Vernehmen nach auch so scharf – wie früher, und so fing sie die porzellangelben Beißerchen ein und drückte sie wieder an ihren Platz.
Sie gab ihren alten, vertrockneten Lungen einen Augenblick Zeit, genug Luft für eine neuerliche Anstrengung zu sammeln, und beugte sich dann vor, um die Tüten wieder anzuheben.
Auch die Doppeltür des Fahrstuhls war aus Chrom, aber eine Reflexion sah sie darin nicht mehr. Zu viele Schichten an kunstlosen Buchstabengraffiti überlagerten sich auf der Oberfläche, und gleich einem Etikett auf einem billigen Kunstdruck klebte nun ein Schild darauf: AUSSER BETRIEB.
Die Alte seufzte erneut. Wie oft schon hatte sie sich in solchen Momenten gewünscht, die Legende mit dem Besen wäre wahr. Sie blickte zu den Stufen, seufzte erneut und schlurfte sodann zu ihnen hinüber.
Als sie die erste Stufe erreicht hatte, warf sie einen Blick den Schacht zwischen den gewundenen Treppenabsätzen hinauf zum schwarzen Deckenlicht in mehreren Dutzend Metern Höhe. Es war tatsächlich schon wieder Abend. Ein weiterer Tag vorbei.
Die Eingangstür öffnete sich, und ein junger Mann kam herein. Um seinen Hals baumelte eine lange, dicke Goldkette, die sie an die Prunkkette mittelalterlicher Bürgermeister erinnerte. Das Gold biss sich mit dem silbernen Totenkopf auf seinem T-Shirt, über dem das Wort ICH stand.
Die weißen Turnschuhe quietschten auf dem schmutzigen Boden, doch das Geräusch wurde von seinen lauten Worten übertönt: »Ja, Alter. You Tube!«
Sie stellte ihre Einkaufstaschen erneut ab und lächelte vorfreudig. Zumindest müsste sie die Einkäufe nicht selbst in den dritten Stock tragen.
»Alter, Arschficksong! Doch, voll konkret! Ich sag dir, das ist ultraporno!«, fuhr der Mann fort und strich sich mit einer Hand über den raspelkurz rasierten Schädel, während die andere das kleine schwarze Mobiltelefon an sein Ohr presste.
Die Alte war stolz darauf, dass sie sich an die neuen Zeiten recht gut angepasst hatte. Sie wusste, was ein Handy war, sie besaß einen Fernseher, und sie hatte sogar eine Ahnung, was sich hinter diesem Internet verbarg. Von Haftcreme und Kaffeemaschinen ganz zu schweigen.
Doch in den letzten Jahren war sie einfach nicht mehr mitgekommen, zumindest, was die Jugend und ihre Sprache anging. Sie blinzelte langsam und drang mühelos in den Geist des Mannes ein. Heutzutage schulten keine Gebete und keine strengen Regeln mehr die Selbstbeherrschung der Jugend, und so war es ihr ein Leichtes, sich der Gedanken des Burschen zu bemächtigen und ihm eine für ihn sehr ungewöhnliche Idee einzugeben.
»Ey, Alter, ich muss. Tschö«, sagte er nun und steckte das Handy in eine Tasche seiner viel zu tief hängenden Hose. »Ey, Alte, soll ich Taschen, oder was?«
»Das wäre zu freundlich. Dritter Stock, ganz durch, stell sie einfach vor der Tür ab!« Sie wies mit der verdorrten Hand nach oben, und der Junge zögerte kurz, blickte auf sie hinab. Sie war nie eine große Frau gewesen, aber im hohen Alter war sie zusammengeschrumpelt wie eine Weintraube in der Wüste.
»Na, mach schon«, sagte sie und stieß erneut in seinen Geist. Obwohl es eigentlich seiner Lebenseinstellung widersprach, ergriff der Kerl die Taschen und eilte mit schnellen Schritten die Stufen hinauf.
Die Alte folgte in deutlich gemessenerem Tempo. Nicht etwa, weil sie Zeit hatte – sie hatte noch einen Kuchen im Ofen -, sondern weil es nicht schneller ging. Ihre Knie beugten sich so widerstrebend wie der Geist eines Inquisitors, und ihr Atem rasselte bereits nach wenigen Stufen. Über ihr hörte sie ihren unfreiwilligen Tütenträger, der seine Aufgabe bereits erfüllt hatte, weiter zu seiner eigenen Wohnung hinaufsteigen.
Sie brauchte rund zehn Minuten, bis sie ihre Wohnungstür am Ende eines offenen Außenflurs erreichte, der zur einen Seite der Nacht Einlass bot, begegnete jedoch niemandem. Das war einer der Gründe gewesen, warum sie in dieses Haus gezogen war. Heute war es schwierig, sich einfach eine Hütte im Wald zu bauen. Irgendwann kam jemand und stellte Fragen, und wenn der verschwand, kamen weitere Leute und stellten noch mehr Fragen.
Aber das hier, eine Hochhaussiedlung in einem sogenannten sozialen Brennpunkt, war kaum schlechter. Obwohl sie von anderen umgeben war, war sie so einsam wie der letzte Mensch auf Erden. Niemand scherte sich hier, was mit dem Nachbarn passierte – die Leute hatten genug eigene Probleme und oft bereits so lang dagegen angesoffen, dass sie sich nicht mehr kümmern konnten, selbst wenn sie wollten.
Nur manchmal, wenn sie in all dem Selbstmitleid und der Isolation ein Kind entdeckte, das der Mühe wert war, griff sie ein. Eine zarte Seele, die zu Größerem berufen war, als es später den Eltern nachzumachen, die Arbeitslosengeld bezogen und Gewalt- oder Sexstreifen auf der Couch guckten, während ihre Kinder danebensaßen. Solchen ungeschliffenen Diamanten schaffte sie Raum. Und wenn dazu ein versoffener Vater, ein notgeiler Onkel oder eine verbitterte Mutter aus dem Weg geschafft werden musste, dann schlief sie deswegen sicher nicht schlechter.
Sie schob die Hand in die Tasche der dicken Winterjacke, welche die Kleiderlagen früherer Jahrhunderte abgelöst hatte, um den Schlüssel hervorzuholen, doch dann hielt sie inne. Etwas stimmte nicht … Sie lauschte in den Raum zwischen zwei Atemzügen, suchte nach einem Geist, der vorgab, nicht zu existieren.
Dann schlich sich ein trauriges Lächeln auf ihre faltigen Lippen, und sie zog die Hand wieder hervor. Die widerspenstigen Finger hatten noch keine Gelegenheit gehabt, sich um den Schlüssel zu schließen, aber das brauchten sie auch nicht. Mit einem Stoß ihrer abgewetzten Springerstiefel ließ sie die Tür aufschwingen.
Der etwas modrige Geruch geweihten Rosmarinsuds lag in der Luft. Sie trat in den kurzen Flur, ließ die Taschen achtlos vor der Tür stehen und blinzelte einige Male langsam. In den Sekundenbruchteilen, in denen die Wimpern bereits die Welt aussperrten, die Augen aber noch nicht geschlossen waren, sah sie die Schriftzeichen. Bannsprüche und heilige Symbole glommen kaum wahrnehmbar auf, wo sie mit dem Sud auf die Blumentapete geschrieben worden waren. Es waren alte Zeichen darunter, von denen sie einige selbst entwickelt hatte, aber auch neue, die an der kantigen, beinahe modernen Form erkennbar waren. Sie hätten sich gut in das Graffitigemisch auf der Fahrstuhltür eingepasst. Einige von ihnen, erkannte sie mit Verwunderung, waren sogar speziell auf sie angepasst. Er hatte sich wirklich Mühe...

Erscheint lt. Verlag 2.10.2009
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Chroniken des H. von Stein • eBooks • Fantasy • Historische Romane • Mittelalter • Mittelalter Romane
ISBN-10 3-641-03312-8 / 3641033128
ISBN-13 978-3-641-03312-5 / 9783641033125
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