„Na, Lütten?“

Briefe aus dem Konzentrationslager und Zuchthaus 1933-1937

(Autor)

Lore Buchholz (Herausgeber)

Buch | Hardcover
192 Seiten
2011
Donat (Verlag)
978-3-938275-65-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

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Heinrich Buchholz (1895-1953), für die KPD im Widerstand gegen das NS-Regime, tritt uns in seinen Briefen aus dem KZ und Zuchthaus als ein dem Leben zugewandter und heiter-gelassener Mensch entgegen. Der anrührend, doch nie sentimental wirkende und in hoch- und niederdeutsch verfasste Briefwechsel ist getragen von der Liebe zu seiner Frau und den Kindern - und zeigt, dass es auch das gab: NS-Gegner, denen es kraft ihres Glaubens an sich selbst und des Vertrauens in ihren unmittelbaren Nächsten gelungen ist, ihre Menschlichkeit zu bewahren und trotz aller Drangsalierungen in eine bessere Zeit hinüberzuretten. Was auf den ersten Blick einem kleinen Wunder gleicht, erschließt sich dem Leser, je mehr er sich auf die miteinander korrespondierenden Personen, ihre Sorgen und Nöte, aber auch auf ihre Freude an Mitteilungen, Zeichnungen und liebevollen Bemerkungen einlässt. Eine außergewöhnliche Dokumentation über Verfolgte des NS-Regimes, die ihre Kinder gleichwohl im Geist der Versöhnung und des Friedens erzogen haben. Zugleich eine zeitlose Mahnung daran, es nie wieder zuzulassen, dass Menschen aus politischen, religiösen oder rassischen Gründen ausgegrenzt werden.
Unglaublich, aber wahr - doch auch das gab es im NS-Regime: Familien, in der Kinder im Geiste der Völkerversöhnung und Menschenwürde erzogen wurden. Wie war das möglich? Und wie "mussten" die Eltern beschaffen sein? Eine Antwort darauf gibt ein ebenso außergewöhnliches wie eindrucksvolles Buch, das im Bremer Donat Verlag erschienen ist. Es ist ein einzigartiges Dokument und enthält die Briefe, die Heinrich Buchholz in den Jahren 1933 bis 1937 aus dem Konzentrationslager und Zuchthaus an seine Frau, Tochter und Mutter geschrieben hat und in denen er ihnen immer wieder Mut macht, die schwere Zeit zu überstehen, in der sie den Vater, Ehemann und Sohn vermissen müssen. Andere Dokumente aus seinem Leben zeigen, wie unbeirrbar er und seine Angehörigen an dem Glauben an eine friedliche und gerechte Welt festhielten. Zugleich offenbart die Haltung der Buchholz, dass der Weg, der zu 1933 und allem, was danach geschehen, führte, keineswegs zwangsläufig war. Heinrich Buchholz (1895-1953) war ein vielseitig begabter, hilfsbereiter und sozial eingestellter Mensch: Interessiert an den großen und kleinen Fragen der Politik, handwerklich geschickt, fantasie- und humorvoll, gebildet, ein Organisationstalent und selbstbewusst, einer, der sich für Notleidende engagierte. Er stammte aus einfachen Verhältnissen, machte aus seiner Herkunft keinen Hehl und empfand sich der Arbeiterklasse zugehörig. Für ihre Ziele setzte er sich ein, warb und stritt er, doch zum Klassenhass aufgerufen, wie es ihm die Bremer Behörden 1926 unterstellten, als er zum ersten Mal in Untersuchungshaft geriet, hat er gewiss nicht. Heinrich Buchholz wurde in seinem Stadtteil Bremen-Walle selbst von politischen Gegnern geschätzt. Vor 1914 war er in der "Jungen Garde" der SPD, im Arbeitergesangverein unter Hermann Böse sowie im Holzarbeiterverband aktiv. Sein ausgeprägtes politisches Interesse führte ihn nach der Teilnahme als Soldat im Ersten Weltkrieg über die USPD in die Reihen der KDP (1920). Seinen pädagogischen Neigungen und Fähigkeiten ging er von 1922 an als Leiter der Kommunistischen Kindergruppe in Bremen-Walle, später von Gesamt-Bremen und vom Bezirk Nord-West nach. Er rief die Politische Bühne Bremens mit ins Leben, aus der sich die Agitprop-Truppe "Die "Blauen Blusen" entwickelte, die ohne seine Auftritte nicht so erfolgreich gewesen wäre. Von Beginn an wirkte er im "Rot-Front-Kämpferbund" und war Mitglied der Roten Hilfe und der Internationalen Roten Hilfe. Im Herbst 1932 bis zum Verbot der KPD 1933 arbeitete er als Zeitungsobmann für den Bezirk Nord-West; über längere Zeit schrieb er Theaterkritiken für die Bremer Arbeiter-Zeitung. Bei den "Naturfreunden" lernte er 1922 die junge Auguste Wagenfeld kennen, Schwester des bald von sich Reden machenden Wilhelm Wagenfeld, die er drei Jahre später heiratete: Am 2. Juni 1927 kam ihre Tochter Lore zur Welt. Mit dem Verbot der KPD und der fortan als illegal geltenden politischen Arbeit Heinrich Buchholz' standen seiner Familie schwierige Jahre bevor, die sie jedoch noch enger und fester zusammenrücken ließ. 1933 und 1934 wurde er gleich zweimal inhaftiert und war schweren Misshandlungen ausgesetzt; im Oktober 1934 sperrten die Nazis sogar seine Frau für eine Woche ein, um ihn bei den Vernehmungen unter Druck zu setzen. Aber auch damit war der Familie nicht beizukommen. Seine kommunistische Gesinnung reichte den Richtern im Februar 1935 aus, um ihn wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu einer Strafe von drei Jahren Zuchthaus mit anschließender Polizeiaufsicht und Wehrunwürdigkeit zu verurteilen. Im August 1937 aus dem Zuchthaus Bremen-Oslebshausen entlassen, inhaftierte man ihn im Januar 1938 erneut, ließ ihn jedoch nach drei Wochen wieder frei.
In seinen Briefen aus dem KZ und Zuchthaus tritt Heinrich Buchholz uns als ein dem Leben zugewandter und heiter-gelassener Mensch entgegen. Der anrührend, doch nie sentimental wirkende in hoch- und niederdeutsch verfasste Briefwechsel ist getragen von der Liebe zu seiner Frau und Tochter Lore. An keiner Stelle merkt man, in welch schwieriger und leidvoller Lage sich der Verfasser befunden hat. Mehr noch. Heinrich Buchholz, der gewiss Zuspruch nötig gehabt hätte, ermuntert seine Frau und Tochter immer wieder, den Kopf nicht hängen zu lassen, nicht traurig zu sein, sondern sich des Lebens, so gut es irgend geht, zu erfreuen, und die Hoffnung "auf die schöne Zeit, wenn wir wieder alle zusammen sind", nie aufzugeben. Er wusste, dass Nazibeamte seine Briefe lasen, bevor sie die Empfänger erreichten, und so musste er auf jede Kritik an dem unmenschlichen Herrschaftssys tem verzichten. Er verfasst Gedichte, erfindet kleine Geschichten, denen er hübsche und lustige Zeichnungen hinzufügt, karikiert sein Zellendasein, spendet Trost, nimmt am Familienleben Anteil und macht Mut, den Humor nicht zu verlieren. Wie sehr seine Tochter Lore an ihm hängt, dokumentieren die Karten und Briefe, die sie ihrem Vater schickt und die sie, wie dem Buch zu entnehmen ist, ebenfalls liebevoll mit Skizzen und Bildern versieht. Je mehr man Heinrich Buchholz aus seinen Briefen als einen mit liebender Sorge an seiner Familie hängenden Menschen kennen lernt, "um so zorniger wird man", schreibt Heinrich Hannover in seinem Geleitwort, "dass ihm und Tausenden seiner Genossen die Freiheit nur deshalb geraubt wurde, weil sie auch nach Hitlers Machtantritt Kommunisten geblieben waren."
Heinrich Buchholz war kein Mensch wie jeder andere. Sein Widerstand gegen das Dritte Reich - und die Art, wie er mit seiner Verfolgung umging - hebt ihn aus der Masse der Mitläufer und Täter heraus. Er gehörte zu jenen Nazi-Gegnern, denen es kraft ihres Glaubens an sich selbst und des Vertrauens in ihren unmittelbaren Nächsten gelungen ist, ihre Menschlichkeit zu bewahren und trotz aller Drangsalierungen in eine neue Zeit hinüberzuretten. Eine ebenso außergewöhnliche wie historisch wertvolle Dokumentation, die einen seltenen Einblick gibt in die Lebenswirklichkeit von Menschen, die, von den Nazis hinter Gitter gebracht, ihre Kinder gleichwohl im Geist des Friedens und einer sozial gerechten Welt erzogen haben. Was auf den ersten Blick einem kleinen Wunder gleicht, erschließt sich dem Leser, je mehr er sich auf die miteinander korrespondierenden Personen, ihre Sorgen und Nöte, aber auch auf ihre Freude an Mitteilungen, Zeichnungen und liebevollen Bemerkungen einlässt. Heinrich Buchholz unbeugsame Haltung und der "Widerstand" seiner Familie wirken wie eine zeitlose Mahnung und verdeutlichen, wie fragwürdig und bedenkenswert es ist, wenn Menschen ausgegrenzt, stigmatisiert und verfolgt werden.

Heinrich Buchholz (1895-1953), Sohn eines Arbeiters, während seiner Lehre zum Tischler der SPD-Jugendorganisation beigetreten, Soldat im Ersten Weltkrieg; 1919 Mitglied der USPD, 1920 der KPD und für die Partei u. a. als Leiter der Kommunistischen Kindergruppe Bremen und des Bezirks Weser-Ems sowie als Mitbegründer der Politischen Bühne Bremen, Mitglied der Agitprop-Truppe "Die Blauen Blusen" und Leiter des Arbeiter-Theaterbundes Weser-Ems tätig; wegen seiner gegen das NS-Regime gerichteten Aktivitäten als Politischer Zeitungsobmann des Bezirkes Nord-West der KPD im März 1933 verhaftet und ins KZ Mißler eingeliefert; im August 1933 entlassen, weiterhin im Widerstand gegen die Nazis, im Sommer 1934 erneut inhaftiert und zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt; ab 1943 antifaschistische Arbeit in Bremer Rüstungsbetrieben, im Frühjahr 1945 beteiligt an der Gründung der "Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus"; seit Sommer 1945 Vermittler beim Bremer Arbeitsamt, dort 1948-1950 Vorsitzender des Betriebsrates; in der Schulreform engagiert, zum Elternsprecher der Schule an der Schleswiger Straße in Bremen-Walle und in den Zentralen Elternbeirat gewählt; 1953 bei Renovierungsarbeiten des Schullandheimes "Verdener Brunnen" durch einen tragischen Unfall ums Leben gekommen.

Lore Buchholz, 1927 in Bremen geboren, besuchte die Lehrerinnenbildungsanstalt. 1950 schloss sie ihre Ausbildung zur Volkspflegerin ab. Von 1966 bis 1987 war sie als Sozialarbeiterin in der Familienhilfe in Osterholz-Scharmbeck bei Bremen tätig und ging danach in den Ruhestand. Sie lebt heute in Bremen-Blumenthal.

Erscheint lt. Verlag 13.1.2011
Vorwort Heinrich Hannover
Sprache deutsch; Low German; Low Saxon
Maße 175 x 245 mm
Gewicht 585 g
Einbandart gebunden
Themenwelt Literatur Briefe / Tagebücher
Geschichte Allgemeine Geschichte 1918 bis 1945
Schlagworte Konzentrationslager; Briefe • Konzentrationslager (Nationalsozialismus); Briefe • Plattdeutsches Buch des Jahres • Politisch Verfolgte; Berichte/Erinnerungen • Zuchthaus
ISBN-10 3-938275-65-0 / 3938275650
ISBN-13 978-3-938275-65-8 / 9783938275658
Zustand Neuware
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