Die Schere - Ernst Jünger

Die Schere

(Autor)

Buch | Hardcover
186 Seiten
1990 | 3., Aufl.
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-95714-3 (ISBN)
19,95 inkl. MwSt
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Jünger stutzte sich "mit der Schere der Begriffe [...] das Leben der Papierblumen zurecht" - und zieht die Summe seiner literarischen Existenz.
1990 erstmals erschienen, kann "Die Schere" durchaus als letzter größerer Essay Jüngers angesehen werden, in dem sich die Themen seines Schaffens - etwa das Verhältnis von Mensch und Technik - in kondensierter Form nachvollziehen lassen.
Daneben ist die Schrift aber auch ein aphoristisch dichter Text zu den großen Themen wie Tod, Traum oder Zeit. "Die Schere" ist wohl Jüngers wichtigstes Spätwerk und gleichzeitig ein idealer Einstieg in seine Schriften.

Ernst Jünger, geb. in Heidelberg am 29. 3. 1895, war Soldat in der Fremdenlegion, dann in der Reichswehr und der Wehrmacht. Er ist der Bruder von Friedrich G. Jünger. Seine Schriften 'In Stahlgewittern' (Tageb., 1920), 'Der Kampf als inneres Erlebnis' (Essay, 1922) und 'Feuer und Blut' (En., 1925) gelten als Verherrlichung von Soldatentum und Krieg. Später Schriften gegen Gewalt und Macht. Jüngers Teilzeitideologien sind bis heute ebenso umstritten wie seine literarischen Werke.

Die Schere
Jedermann hat, wie immer sie gerate und gelinge, seine eigene Kunst. Der Trieb dazu, etwa zum Singen und zum Tanzen, ist ihm angeboren und befriedigt sich im Spiel.
Es wäre müßig, zu fragen, ob dieser Trieb dem religiösen vorausgeht oder ihm folgt. Beide sind untrennbar verbunden wie Ein- und Ausatmen - als Empfangen und Dank.
In dieser Hinsicht betrachtet, sind Religionen mehr oder minder gelungene Kunstwerke. Im Kunstwerk bestätigt sich die Zeit auf hoher Stufe, obwohl Vollkommenes, das außerhalb der Zeit geahnt wird, unerreichbar bleibt. Daher erschöpfen sich im Alltäglichen die Mode, in den Jahrhunderten der Stil.
Wo Bilder fallen, müssen sie durch Bilder ersetzt werden, sonst droht Verlust.
Die Kulte können nicht ohne Bilder bestehen. Selbst in der Wüste muß zum mindesten ein Stein gesetzt werden. Dort ist etwas geschehen, dessen wird gedacht. Vielleicht fiel ein Meteor vom Himmel, oder es ist nur ein Gerücht. Dann wirkt das Gerücht stärker als die Tatsache.
Die Bilder sind das Urgestein der Kulte; sie leben länger als die Götter, zu deren Ehren sie errichtet worden sind. Wir stehen vor einer Statue, die aus dem Schutt geborgen wurde, und fühlen: Hier muß ein Gott gewesen sein. Obwohl wir weder das Heiligtum noch seinen Namen kennen, berührt uns ein verborgener Sinn, der auch dem Künstler selbst verschlossen war. Im Kunstwerk lebt ein Glaube, der jedes Dogma überwährt.
Jedermann ist auch der Autor seines eigenen Lebenslaufes, sein Autobiograph. Er ist sein Romancier und ist sich dieser Aufgabe bewußt. Daraus erklärt sich, daß fast jeder einen Roman zu schreiben zum mindesten einmal begonnen hat.
Die Frage bleibt, wie dem Einzelnen diese Darstellung gelingt. Das hat nichts mit seinen äußeren Umständen zu tun, und auch nicht damit, ob sein Roman zu einem glücklichen Ende führt. Zu fragen ist vielmehr, wie er mit seinem Pfund gewuchert hat - und dieses Pfund ist vorgegeben, schon ehe er das Licht der Welt erblickt.
"So mußt du sein" - diese Qualität des Menschen zu treffen, sein Verhängnis, sei es tragisch, heroisch, komisch oder widerwärtig, ist Aufgabe des Autors; sein Stoff ist die Welt schlechthin.
Shakespeares Falstaff, Dostojewskis Raskolnikow, Büchners Woyzeck sind in diesem Sinn gelungen, obwohl der eine ein Säufer war, der andere ein Mörder, der dritte ein Idiot. Selbst das Banale kann, wie im "Oblomow", in diesem Spektrum aufglänzen.
Würden wir nun sagen, die Charaktere seien dank der Kunst gelungen, so wäre das nur eine halbe Aussage. Der Autor hat vielmehr an einem beliebigen Punkte das Genie der Welt entdeckt. Das fordert unsere Teilnahme, unser Mitleid, auch Furcht und Schrecken in der Tragödie.
Der Autor hat eine Berufung, nicht einen Beruf. Daher ist ihm zu Werten wie Schuld und Unschuld oder Schön und Häßlich ein umfassenderer Blick zu eigen, als er im Alltag üblich ist. Das kann zu Konflikten führen wie für den Richter, der dem Gesetz auch dort zu folgen hat, wo es ihm im Innersten widerstrebt.
Zeus nimmt an der Schlacht der Götter und Menschen teil als an einem Schauspiel; es erregt ihn, und er wägt ab: das Schicksal ist stärker als selbst er.
Ich erwähnte schon einmal den Pastor, der aus der Kirche kommt, nachdem er über die Güte Gottes gepredigt hat, und von einem Buckligen angesprochen wird:
"Sehen Sie mich an, Herr Pastor."
"Ich finde, daß Er für einen Buckligen nicht schlecht geraten ist."
Wenn ich mich recht entsinne, strich ich die Stelle bei Karl Julius Weber an, fand sie aber bei Diderot und anderen wieder; sie könnte auch bei Montaigne stehen. Offenbar eine Wanderanekdote mit solidem Kern.
Der Bescheid trifft die Sache, doch ist er wenig tröstlich für die Person. Er würde einem Anatomen oder einem Maler wie etwa Breughel, auch einem Lama besser anstehen als einem Geistlichen christlicher Konfession.
Ein Schnitt kann auch heilen; der Verweis auf die Sache ist bei den Zynikern bel

Sprache deutsch
Maße 136 x 217 mm
Gewicht 330 g
Einbandart Leinen
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1990 • 20. Jahrhundert • Aphorismen • Belletristik • Deutsche Literatur • Erzählende Literatur • Gegenwartsliteratur ab 1945 • Spätwerk • Verhältnis von Mensch und Technik
ISBN-10 3-608-95714-6 / 3608957146
ISBN-13 978-3-608-95714-3 / 9783608957143
Zustand Neuware
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