Wenn Wörter töten könnten - Axel Thormählen

Wenn Wörter töten könnten

Literaturthriller
Buch | Softcover
273 Seiten
2009 | 5. Auflage
JMB Verlag
978-3-940970-92-3 (ISBN)
12,95 inkl. MwSt
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Dieser hart an der Realität entlang schlingernde Literaturthriller gewährt faszinierende Einblicke hinter die Kulissen des Literaturbetriebs, dieses schamlosen Verbunds aus Verlagen, geisteswissenschaftlichen Fakultäten, Feuilleton-Redaktionen und sogenannt freien Autoren.
Die Handlung beginnt in der idyllischen südschwedischen Universitätsstadt Lund und wechselt dann zum Milieu der Literaturmafia in der Freien und Hansestadt Hamburg über. Der schauerliche Countdown findet auf der Insel Gotland statt.
Neben den Protagonisten aus Deutschland und Schweden mischen Figuren aus Norwegen, Dänemark und Estland lustvoll mit an diesem satirischen Cocktail aus Mord und Sponsorenwahn, in dem die Kulturkumpanei rund um die Ostsee vielfältig verschaukelt wird.

Axel Thormählen. Geboren 1945 in Nordenham, lebt seit 1969 in der Nähe von Lund in Südschweden, wo er als Buchhändler arbeitete bevor er sich als Autor und Übersetzer etablierte. 1978 und 1983 erschienen im Merlin Verlag die Romane Hanky und Hanna. Zwei Sammlungen von Erzählungen sowie der Roman Wilhelm wurden in schwedischen Übersetzungen vom ellerström-Verlag ausgegeben. 2008 veröffentlichte der Los Angeles-Verlag Les Figues Press eine zweisprachige (englisch/deutsch) Auswahl von Thormählens Erzählungen unter dem Titel A Happy Man and Other Stories / Der Glückliche und andere Erzählungen, die u.a. von The Review of Contemporary Fiction enthusiastisch besprochen wurde.

1 Weltmeister in Lund Seine Sekretärin Toini hat ihm lachend den Zettel auf den Pullover geklebt. Darauf steht, falls er es vergessen sollte, wie viele Exemplare der jeweiligen Buchtitel er aus dem Lager mit ins Büro zu bringen hat. Natürlich wird er es nicht vergessen, auch wenn so etwas schon mal passiert ist. Außerdem muss an den Jubiläumskatalog gedacht werden, der in der Buchbinderei bereit liegt. Jakob Strömfors ist ein eigenwilliger Verleger; deshalb erledigt er die meisten Dinge immer noch selbst. Außer Toini, die ihm nun schon eine Zeit lang hilft, beschäftigt er hin und wieder Praktikanten, die sich der intellektuellen Herausforderung in einem Verlag stellen dürfen. Doch auf die Jugend ist nur manchmal Verlass, dann nämlich, wenn es um die Urlaubstage geht. Ihr gutes Recht. Als er sich gerade abmarschbereit gemacht hat, trifft er auf den Briefträger, der ihm einige Unterschriften abverlangt. Es sind tatsächlich Einzahlungen dabei, aber wie üblich auch Einschreiben. Meistens handelt es sich dabei um Manuskripte, deren Einmaligkeit auf diese simple Art dokumentiert werden soll. Heute sind es insgesamt drei. Darunter ein weiteres Manus von Lars Borg, der einfach nicht aufhören will, Gedichte zu schreiben. Er ist für Jakob eine Plage, zumal der gute Ruf des Poeten in keinem Verhältnis zum Verkauf seiner Gedichtbändchen steht. Lars gehört zu den örtlichen ›Weltmeistern‹; hier in Lund ist er eine unantastbare Größe, ein Lokalmatador. Fünf Bücher von ihm stehen inzwischen auf der Liste des Strömfors-Verlages. Dennoch öffnet Jakob den Umschlag mit einiger Besorgnis. Er blättert durch die Seiten, und sein erfahrenes Auge sieht sofort die Befürchtungen bestätigt. Einige besonders unbeholfene Sätze lassen ihm das Grausen kommen. Mittlerweile greift Lars offenbar sogar auf Gedichte zurück, die er schon als Fünfzehnjähriger geschrieben hat. 'Du, als mein Verleger', steht in dem Begleitbrief, 'bist verpflichtet, den Lesern die Entwicklung meiner Wortsprache zu verdeutlichen. Sonst bleiben meine späteren Werke für viele unverständlich.' Für allzu viele, bedauert Jakob still vor sich hin. Er liest kurz an, obwohl es wehtut: ›Wer bin ich, dass ich bin/ der ich nicht sein kann/ wenn die Täler vor den Blüten/ erschrecken.‹ Mehr nicht, das reicht erst einmal für einen versauten Vormittag. Daher legt er die anderen beiden eingeschriebenen Umschläge auch gleich auf eine bestimmte Halde, damit Ordnung gewahrt bleibt. Er nennt diesen Haufen insgeheim ›den Berg der unwillkommenen Empfängnis‹. Von den Normalbriefen, die angekommen sind, ist einer besonders interessant. Er kommt aus Hamburg, Absender: Udo Seidel. Es geht um die Tagung in Visby: ›Literatur der Ostseeländer‹. Udo Seidel ist Vorsitzender des deutschen Verbandes für Literatur und wäre sehr ungehalten, wenn Jakob dort in Visby seinen Vortrag in der gegenwärtigen Fassung liefern würde. Das sei doch unmöglich, schreibt Udo Seidel, und: 'man kann einen Menschen nicht einfach ausradieren, indem man ihn einer Lüge bezichtigt.' Außerdem sei ein Angriff auf eine solch integre Person im Hinblick auf die gegenwärtig politisch gespannte Lage äußerst unglücklich. Jakob lässt sich diese Sätze durch den Kopf gehen, als er sein Fahrrad besteigt, am Clemensmarkt vorbeikurvt und in Richtung Universitätsviertel davoneilt. Lund. Südschwedische Universitätsstadt, tausend Jahre alt. Zu Semesteranfang drängen sich Tausende Studierende durch die hübsche Innenstadt und verleihen dem Ort eine besondere Atmosphäre. Jetzt, Anfang März, hält zuweilen der Winter die Stadt noch im Griff, vorsichtig aber macht sich eine Erwartung frei. Die vielen gehetzten Gesichter lächeln schon mal vor einer Ampel – ohne besonderen Anlass. Es riecht nach Frühling, der einzige Geruch, der jedes Jahr neu ist, und doch bekannt. Auf den Stufen der Universitätsbibliothek kauern die ersten Anfänger, halten ihre Gesichter der Sonne entgegen, auf dass das Licht ihr Gehirn erbauen möge. Jakob schlängelt sich an ihnen vorbei die Stufen hoch. Jemand hält ihm den großen Eingangsflügel auf, erstaunlich genug, und er geht durch die Diebstahlsperre hindurch in Richtung Ausleihe. Im Vorübergehen bemerkt er eine Ausstellung ausgesprochen schöner Bücher in einigen Schaukästen, Bücher als solche, nicht inhaltsmäßig besonders aufregend, sondern einfach hübsche, sogar prächtige Exemplare. Himmel, hätte er nur das Geld, derartige Bücher heute herzustellen. 'Strömfors!' schreit einer plötzlich lauthals. Und das in einer Bibliothek. Sowas erregt Aufsehen. 'Jetzt hab’ ich dich, du Lümmel!' Trotz seiner Körperfülle stürzt Mats Fylund unglaublich schnell auf ihn zu und greift ihm an die Kehle. Ausgerechnet Fylund, den hat er hier nicht treffen wollen. Noch wundert er sich in dieser absurden Szene, wie ein so dicker Mensch ein solches Tempo entwickeln kann, als er spürt, wie die Kräfte des Angreifers auch schon wieder nachlassen. 'Strömfors!' keucht Fylund ihm wieder ins Ohr, 'du bist mir eine Antwort schuldig, du Mistkerl!' Jakob sieht die aufgebrachten Augen hinter der rahmenlosen Gabelbrille und überlegt sich panisch, wie er den Mann beruhigen soll. Mats Fylund ist – wie viele Akademiker – ein miserabler Stilist, doch ihm diese objektive Wahrheit jetzt an den Kopf zu schmettern, wäre sicher die falsche Taktik. Andererseits, warum nicht? Angriff als Verteidigung: 'Du bist eine Pfeife, Mats. Deshalb hab’ ich dir nicht geschrieben. Dein Essay ist einfach schlecht.' Dabei hätte Jakob hier in aller Öffentlichkeit noch viel deutlicher werden können. Mats Fylunds Artikel hieß nämlich in aller Größe: ›Odysseus’ Irrfahrt in der Europäischen Gemeinschaft.‹ Wie der Titel, so der Inhalt. Nun hat der Autor allerdings einen gewissen Ruf zu verteidigen; es ist ihm z.B. gelungen, sich regelmäßig im Fernsehen auszubreiten und sich dabei als Fachmann für die Antike zu profilieren. Solche Leute kann ein Verlag gut gebrauchen. 'Nicht eine Zeile kriegst du mehr von mir, nicht eine einzige, das schwör’ ich dir!' zetert Mats weiter. 'Und außerdem bring’ ich dich um! Mich eine Pfeife zu nennen, und das hier in aller Öffentlichkeit, das wirst du mir büßen, Kamerad!' Daraufhin entfernt sich Mats Fylund, merkwürdig ruhig für Jakobs Gefühl. Das Personal der Bibliothek und die erstarrten Zuschauer der Szene entspannen sich wieder, es wird gelacht. Auf wessen Kosten, darüber mag Jakob nicht spekulieren. Er gibt seine Bestellungen ab und flüchtet wieder an die frische Luft. Eine gewisse Unruhe unterdrückt er. Spätestens übermorgen wird Mats Fylund wieder vor seiner Tür stehen, ihm ein Bündel Papier vor die Nase halten und sagen: Ich habe hier etwas geschrieben. Jakob schwingt sich wieder aufs Fahrrad. Wohin als nächstes? Am besten zur Buchbinderei Ranke, die ersten frischen Verlagsverzeichnisse in Empfang nehmen. Rankes Buchbinderei liegt ungefähr zehn Fahrradminuten entfernt neben dem Eisenbahnviadukt. Trotz vieler kleiner Industrien ist das eine seltsam stille Ecke in Lund. Neben der Buchbinderei tönen die Pressgeräusche einer Reifenwerkstatt, das ist auch alles. In der Binderei klappern die Maschinen desto heftiger. Henri Ranke, der ständig damit beschäftigt ist, seinen Leuten Arbeit zu beschaffen, schwirrt umher und verteilt, was es im Augenblick gibt. Jakob grüßt kurz eine Dame, die mit dem Verpacken seiner Kataloge beschäftigt ist. Gleichzeitig bemerkt er, dass die Schneidemaschinen bereits die ersten Exemplare des Romans ›Alles tot‹ von Marti Sidka, einem estnischen Autor (seine Entdeckung!) ausspucken. Es ist selbst für Jakob immer wieder ein faszinierender Anblick, wenn ein neues Buch entbunden wird. Wie die Bücher sich türmen. Die Erstauflage. Manchmal reißen sich die Leser darum, meistens tun sie es aber nicht. Auch Marti Sidka wird Glück brauchen, denn er ist noch völlig unbekannt. Da stehen also Rankes Beschäftigte, um die der sich solche Sorgen macht, und stapeln gleichgültig einen der witzigsten und klügsten Romane, die in den letzten Jahren geschrieben wurden. Und dann quakt plötzlich ein Horn, es ist zwölf Uhr und Mittag. Die Angestellten schalten augenblicklich die Maschinen ab und hasten in die Mittagspause. 'Sieh dir das an, Jakob', schnaubt Ranke und zeigt auf ein festgeklemmtes Exemplar, 'alle tot'. 'Nicht alle', kontert Jakob, 'nur eins. Ich schenke es der Witwe.' Beide müssen sie lachen. Jakob verstaut schnell ein Paket der Verlagsprospekte, und auch von Sidkas ›Toten‹ steckt er einige frische Exemplare ein. Eile ist geboten; denn er hat keine Lust, sich Henri Rankes Requiem über die Verfolgung, die Leiden und schließlich den Tod der Kleinunternehmer in Schweden anzuhören. Ranke scheint allerdings seinen Fluchtversuch zu wittern, und er steckt ihm aus Rache – ganz nebenbei – einen Umschlag zu. Eine Rechnung, weiß Jakob. Was für ein Tag. Jammer, Elend und Fruchtbarkeit. Davon wird man hungrig. Er überlegt sich, wo er eine Mahlzeit einnehmen könnte, ohne dabei wieder auf eine Mine von der Sprengkraft Mats Fylunds zu laufen. Vielleicht ist es doch besser, auf Essen zu verzichten. Er richtet sich lieber auf ein Brötchen ein, später im Büro.

1 Weltmeister in Lund Seine Sekretärin Toini hat ihm lachend den Zettel auf den Pullover geklebt. Darauf steht, falls er es vergessen sollte, wie viele Exemplare der jeweiligen Buchtitel er aus dem Lager mit ins Büro zu bringen hat. Natürlich wird er es nicht vergessen, auch wenn so etwas schon mal passiert ist. Außerdem muss an den Jubiläumskatalog gedacht werden, der in der Buchbinderei bereit liegt. Jakob Strömfors ist ein eigenwilliger Verleger; deshalb erledigt er die meisten Dinge immer noch selbst. Außer Toini, die ihm nun schon eine Zeit lang hilft, beschäftigt er hin und wieder Praktikanten, die sich der intellektuellen Herausforderung in einem Verlag stellen dürfen. Doch auf die Jugend ist nur manchmal Verlass, dann nämlich, wenn es um die Urlaubstage geht. Ihr gutes Recht. Als er sich gerade abmarschbereit gemacht hat, trifft er auf den Briefträger, der ihm einige Unterschriften abverlangt. Es sind tatsächlich Einzahlungen dabei, aber wie üblich auch Einschreiben. Meistens handelt es sich dabei um Manuskripte, deren Einmaligkeit auf diese simple Art dokumentiert werden soll. Heute sind es insgesamt drei. Darunter ein weiteres Manus von Lars Borg, der einfach nicht aufhören will, Gedichte zu schreiben. Er ist für Jakob eine Plage, zumal der gute Ruf des Poeten in keinem Verhältnis zum Verkauf seiner Gedichtbändchen steht. Lars gehört zu den örtlichen 'Weltmeistern'; hier in Lund ist er eine unantastbare Größe, ein Lokalmatador. Fünf Bücher von ihm stehen inzwischen auf der Liste des Strömfors-Verlages. Dennoch öffnet Jakob den Umschlag mit einiger Besorgnis. Er blättert durch die Seiten, und sein erfahrenes Auge sieht sofort die Befürchtungen bestätigt. Einige besonders unbeholfene Sätze lassen ihm das Grausen kommen. Mittlerweile greift Lars offenbar sogar auf Gedichte zurück, die er schon als Fünfzehnjähriger geschrieben hat. 'Du, als mein Verleger', steht in dem Begleitbrief, 'bist verpflichtet, den Lesern die Entwicklung meiner Wortsprache zu verdeutlichen. Sonst bleiben meine späteren Werke für viele unverständlich.' Für allzu viele, bedauert Jakob still vor sich hin. Er liest kurz an, obwohl es wehtut: 'Wer bin ich, dass ich bin/ der ich nicht sein kann/ wenn die Täler vor den Blüten/ erschrecken.' Mehr nicht, das reicht erst einmal für einen versauten Vormittag. Daher legt er die anderen beiden eingeschriebenen Umschläge auch gleich auf eine bestimmte Halde, damit Ordnung gewahrt bleibt. Er nennt diesen Haufen insgeheim 'den Berg der unwillkommenen Empfängnis'. Von den Normalbriefen, die angekommen sind, ist einer besonders interessant. Er kommt aus Hamburg, Absender: Udo Seidel. Es geht um die Tagung in Visby: 'Literatur der Ostseeländer'. Udo Seidel ist Vorsitzender des deutschen Verbandes für Literatur und wäre sehr ungehalten, wenn Jakob dort in Visby seinen Vortrag in der gegenwärtigen Fassung liefern würde. Das sei doch unmöglich, schreibt Udo Seidel, und: 'man kann einen Menschen nicht einfach ausradieren, indem man ihn einer Lüge bezichtigt.' Außerdem sei ein Angriff auf eine solch integre Person im Hinblick auf die gegenwärtig politisch gespannte Lage äußerst unglücklich. Jakob lässt sich diese Sätze durch den Kopf gehen, als er sein Fahrrad besteigt, am Clemensmarkt vorbeikurvt und in Richtung Universitätsviertel davoneilt. Lund. Südschwedische Universitätsstadt, tausend Jahre alt. Zu Semesteranfang drängen sich Tausende Studierende durch die hübsche Innenstadt und verleihen dem Ort eine besondere Atmosphäre. Jetzt, Anfang März, hält zuweilen der Winter die Stadt noch im Griff, vorsichtig aber macht sich eine Erwartung frei. Die vielen gehetzten Gesichter lächeln schon mal vor einer Ampel - ohne besonderen Anlass. Es riecht nach Frühling, der einzige Geruch, der jedes Jahr neu ist, und doch bekannt. Auf den Stufen der Universitätsbibliothek kauern die ersten Anfänger, halten ihre Gesichter der Sonne entgegen, auf dass das Licht i

Sprache deutsch
Maße 105 x 210 mm
Gewicht 325 g
Einbandart Paperback
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Autoren • Feuilleton • Literatur • Satirische Romane und Parodie (fiktional) • Thriller / Spannung • Verleger
ISBN-10 3-940970-92-1 / 3940970921
ISBN-13 978-3-940970-92-3 / 9783940970923
Zustand Neuware
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