Warten auf Queneau - Hans-Jürgen Lenhart

Warten auf Queneau

Hommage an die »Stilübungen«
Buch | Softcover
160 Seiten
2024
Dielmann, Axel (Verlag)
978-3-86638-322-7 (ISBN)
20,00 inkl. MwSt
Ein banaler Vorfall ereignet sich in einem Pariser Bus, um einen Knopf und einen Hut geht es, aus dem plötzlich unzählige Minigeschichten herausgezaubert und in den verschiedensten Textformen entfaltet werden. Dies schaffte vor über 70 Jahren der französische Schriftsteller Raymond Queneau mit seinen »Stilübungen« – und Hans-Jürgen Lenhart schreibt dieses Pariser Abenteuer 100fach schwungvoll und vergnüglich fort.

Hans-Jürgen Lenhart, geboren 1954 in Hanau, lebt in Frankfurt am Main. Er schreibt Kurzgeschichten und Satiren und ist seit Beginn der 1990er Jahre mit diversen eigenen kabarettistischen Programmen auf den deutschsprachigen Bühnen zu sehen, sein Titel »Der panische Poet« hat sich bei vielen seiner HörerInnen fest eingeprägt; 1999 war er Sieger des Hessischen Poetry Slams – und mehr zu seinen weiteren Büchern und Programmen findet sich unter www. der-panische-poet.de.

siehe www.grafikbuero.com

Vorwort

0-Nummer (von Raymond Queneau

1. Sortierung
Abtönungen
Akkumulation
Anadiplose
Anakoluth
Anapher
Aussterbende Wörter
Automatisch ersetzt
Bathos
Bekannt
Bloß nicht einschlafen
Brevitas
Cliffhanger
Cliffsavior
Damals
Das Hutformular
Der falsche Bus
Der Hutfetischist
Der Pechvogel
Der Ratschlag
Die Rede
Dies noch Sagen
Der Satz
Der Störer
Die Fortsetzung
Die Herrenhandtasche
Die Namenlosen
Die Todesanzeige
Die Unsichtbaren
Dysphemismus
Ein universelles Ereignis
Eine Frage der Kosten
Erwischt
Falsche Erinnerungen
Fehler
figura etymologica
Firlefantsarie
Flarf
Fort
Fremdenführung
Freundschaft
Gedenken
Gedichtchen
Gegenwehr
Geminatio
Gerüchte
Gute Rezension
Gute Rezension, Gegenstück
Gymnastikübung
Haiku
Halbsätze
Hashtags
Hessisch
Heute
Hochempfindlich
Hypotaxe
Im Autobutzki
Im Holodeck
Im Knopf-Fachgeschäft
Iteration
Kinderlied
Knopf annähen
Kompakt
Kreuzworträtsel
Lang – Kurz
Limerick
Magyar
Morsecode
Multitasking
Neusprech
Polysyndeton
Praeteritio
Relativ
Schlagzeilen
Schnitte und Klebungen
Sherlock Holmes
Sprichwörtlich
Stau
Stichomythie
Superkurz mit Kerlen
Traum
Tür auf für Jandl
Überschneidun
Überwachungskamera
Ungefähr
Urcheindander
Urteil
Verrat
Warten
Warum
Warüm
Was heißt da
Wie Kultur entsteht
Wort, das letzte
Wotsepp
Wunsch
Zensur
Zeugma
Ausfall (auch des Alphabets)
Zu Ende

Zum Autor Hans-Jürgen Lenhart
Zum Autor Raymond Queneau

Eines Tages saß ich zur Hauptverkehrszeit im Autobus der Linie S. Mir war auf merkwürdige Weise nicht wohl, ich fasste mir immer wieder an meinen Hals, der mir plötzlich viel länger vorkam als sonst. Dennoch täuschte ich mich. Irgendetwas stimmte danach auch nicht mit meiner Mütze. Die saß äußerst fest, wie mit einer Kordel angezogen und fast so steif wie ein Helm. Doch als ich sie abtastete, fühlte sie sich wieder normal an. Dann rempelte mich ständig mein Sitznachbar an und tat so, als wäre er selbst gestoßen worden. Er deutete dazu in die Gegend, aber auf – nichts. Ich dachte, er wolle mich foppen und beschwerte mich. Er machte jedoch weiter, so dass ich wütend und inzwischen recht beunruhigt auf einen leeren Platz flüchtete. Zwei Stunden später wollte ich mich mit einem Kameraden an der Cour de Rome, vor der Gare Saint-Lazare treffen. Stattdessen erschien wieder der Typ aus dem Bus. Er preschte auf mich zu und rief ungefragt: «Du solltest dir noch einen Knopf an deinen Überzieher nähen.» Er zeigte mir zwar wo, doch war ich inzwischen völlig verwirrt: Ich hatte gar keinen Überzieher an! Dann verschwand der Kerl wie er gekommen war. Gespenstisch! So ein seltsames Erlebnis vergisst man nicht so schnell, und es drängte mich, es aufzuschreiben. Vielleicht klärte sich dann einiges. Ich schrieb, überlegte, schrieb noch einmal, schrieb immer wieder und entwickelte darüber einen ungeheuren Drang, diese merkwürdige Begegnung ständig neu zu erzählen und zu Papier zu brin­gen. Schwülstig, verschachtelt, als Whats-App-Nachricht, stark verfremdet, als Kreuzworträtsel, in Morsezeichen, auf Hessisch, als Kinderlied, als Gedicht. Nach einiger Zeit spielte ich sie sogar spontan als Theaterszene, sang sie als Opernarie oder rappte sie zu Breakbeats. Ich konnte einfach nicht aufhören. Und dann geschah es. Eines Tages fuhr ich wieder im Autobus der Linie S zur Hauptverkehrszeit. Da saß der Mensch, der mich mit dieser Schreiberei infiziert hatte, erneut im Bus. Diesmal musste ich herausfinden, wer das sei. Ich griff ihn am Ausschnitt seines Überziehers und zwang ihn auszupacken. Er stellte sich als ein gewisser Raymond Queneau vor, Schriftsteller aus Frankreich. Er sei aber schon verstorben. Und zwar 1976. Ich antwortete, das könne nicht sein. Er stünde doch vor mir und spräche mit mir. Daraufhin lachte er und meinte, er sei zwar tot, aber das sei unwichtig, denn er sei längst unsterblich. Dann verriet er mir, er hätte ebenfalls ein solches Erlebnis auf dieser Buslinie S gehabt und es niedergeschrieben. Auch er spürte damals den unbedingten Drang, es immer wieder anders zu formulieren und machte sogar 1947 ein Buch daraus. Stilübungen nannte er es. Aber niemand wollte es anfangs veröffentlichen. Lediglich ein paar Zeitschriften, die der Résistance nahestanden, nahmen ihm einige seiner Stilübungen ab, weil er damals mit einem dieser Texte die Amtssprache der deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg lächerlich machte. Die Redakteure hätten sich den Bauch vor Lachen gehalten. Für die «Stilübungen» begann danach ein Siegeszug in der französischen und europäischen Literatur. Sie wurde zur Ikone aller Dichter und Leser, die Freude an der Sprache haben und sich für literarische Experimente begeistern. Plötzlich sprang er auf, und ich sah, wir kamen gerade an der Cour de Rome an. Er wolle sich mit einer alten Freundin namens Zazie vor der Metro treffen. Ich rief ihm noch zu, die Metro streike derzeit, aber da war er schon verschwunden. Jedoch hatte er mir im letzten Moment einen Knopf in die Hand gedrückt, der ihm wohl durch mein Zupacken von seinem alten Überzieher abgegangen war. Da stand ich nun und starrte verdutzt und ratlos auf den Knopf. Langsam sah ich klarer: Ich sollte weiterschreiben! Immer weiterschreiben! Stilübungen – was sonst?

Erscheint lt. Verlag 30.9.2024
Illustrationen Annette Harnecker
Zusatzinfo besonders gestaltete und gesetzte Text-Formen
Verlagsort Frankfurt am Main - Niederrad
Sprache deutsch
Maße 135 x 220 mm
Gewicht 300 g
Themenwelt Literatur
Kunst / Musik / Theater
Schlagworte Akkumulation • Anadiplose • Anakoluth • Anapher • aussterbende Wörter • Autobus • Autobutzki • bathos • brevitas • Buslinie • Cliffhanger • Cliffsavior • Dysphemismus • emoji • Ernst Jandl • Experimentelle Literatur • Fehler • Figura etymologica • Fortsetzung • Fremdenführung • Freundschaft • Gerüchte • Gymnastikübung • Haiku • Halbsätze • Hashtag • Herrenhandtasche • Holodeck • Hutfetischist • Hypotaxe • Iteration • Kinderlied • Knopf-Fachgeschäft • Kreuzworträtsel • Lesung • Limerick • Morsealphabet • Multitasking • Neusprech • Oulipo • Paris • Pechvogel • Performance • Permutation • Polysyndeton • queneau • Regenmantel • Rezension • Schlagzeilen • serielle Texte • Sherlock Holmes • Smiley • Sprachspiel • Stichomythie • Todesanzeige • Typographie • Überwachungskamera • Überzieher • Verrat • Whatsapp • Wortkünstler • Zensur
ISBN-10 3-86638-322-3 / 3866383223
ISBN-13 978-3-86638-322-7 / 9783866383227
Zustand Neuware
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