Geniewahn: Hitler und die Kunst -  Birgit Schwarz

Geniewahn: Hitler und die Kunst (eBook)

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2024 | 3. Auflage
397 Seiten
Böhlau Verlag
978-3-205-22097-8 (ISBN)
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Das Buch 'Geniewahn. Hitler und die Kunst', das nun in der dritten Auflage erscheint, ist ein Standardwerk zu Adolf Hitlers Kunstverständnis und Selbstkonzept als Künstlergenie und Künstlerpolitiker. Die Autorin folgt diesem Selbstkonzept anhand von Gemälden aus dem Besitz des Diktators, der seine Laufbahn als Maler begann, nach der Ablehnung durch die Wiener Kunstakademie ein Selbstverständnis als verkanntes Künstlergenie ausbildete und dieses nach dem Ersten Weltkrieg zur Grundlage seines gesellschaftlichen und politischen Aufstieges machte. Nach 1929 stattete der politische Aufsteiger seine Münchner Wohnung, nach 1933 der 'Führer' und Reichskanzler seine diversen Residenzen mit teils berühmten Gemälden aus, darunter etwa die Toteninsel von Arnold Böcklin (Nationalgalerie Berlin). Das Buch zeigt, welche zentrale Rolle Gemälde und das Sammeln von Gemälden für die Selbstinszenierung und Herrschaftspraxis Hitlers als Künstlerpolitiker und Genieprätendenten spielten.

Die Kunsthistorikerin Birgit Schwarz ist Expertin für Adolf Hitlers Kunstverständnis und Kunstsammelaktivitäten, für das 'Führermuseum Linz' und 'Sonderauftrag Linz', den NS-Kunstraub und die NS-Museumspolitik.

Prolog: Hitlers italienische Reise

Im Mai 1938 war Hitler auf Staatsbesuch in Italien und zum ersten Mal in seinem Leben in den Kunststädten Rom, Neapel und Florenz.Gastgeber Mussolini habe ihm »auch das Italien der erhebenden Kultur und der schönen Künste gezeigt«, resümierte NSDAP-Reichspressechef Otto Dietrich. Das war eher untertrieben. Hitler hatte ungewöhnlich viele Museen, vor allem Gemäldegalerien besucht. Lediglich der erste Besuch der Mostra Augustea della Romanità, eine Ausstellung zum 2000. Geburtstag des Kaisers Augustus, der als Vorgänger des italienischen Faschismus herhalten musste, war davon politisches Pflichtprogramm.1 Nicht jedoch die verschiedenen Galerien, die zu sehen offenbar ein persönlicher Wunsch Hitlers war. Mussolini jedenfalls hatte für Malerei wenig übrig. Und da er von seinem Besuch in München im Herbst zuvor Hitlers Kunst-Faible kannte, hatte er ihm wohlweislich einen persönlichen Fremdenführer an die Seite gegeben, den Archäologen und Kunsthistoriker Ranuccio Bianchi Bandinelli (1900–1975), nach dem Krieg einer der bedeutendsten italienischen Geisteswissenschaftler.

Bianchi Bandinelli, der 1944 der kommunistischen Partei Italiens beitreten sollte, gab in seinem 1948 erschienenen Diario di un borghese Rechenschaft über seine Funktion als Begleiter des deutschen Diktators. Der Pisaner Professor, der für das deutsche Regime so wenig Sympathie aufbrachte wie für das italienische, hatte sich dem Auftrag zu entziehen versucht. Doch in der Auffassung des Ministeriums war er der geeignete Mann – nicht nur wegen seiner fachlichen Voraussetzungen; eher noch weil er als Sohn einer deutschen Mutter hervorragend Deutsch sprach und mit der deutschen Kultur eng vertraut war.

Mit der ganzen Überheblichkeit eines aus Sieneser Adel stammenden Gelehrten ging Bianchi Bandinelli an die Aufgabe heran, fehlte doch seiner Überzeugung nach Politikern per se jegliches Sensorium für Kunst. Umso mehr war er verwundert, aus dem Gefolge Hitlers wiederholt die Behauptung zu hören: »Unser Führer ist ein großer Künstler«, jene Propagandaformel, die Goebbels den Deutschen schon seit Jahren einzuhämmern versuchte. Bianchi Bandinelli war skeptisch. Unwillkürlich musste er an die Verbannung der Avantgarde aus den deutschen Museen und an die erste Große Deutsche Kunstausstellung 1937 in München denken, die er offenbar besucht hatte, kam ihm doch das dort ausgestellte und nicht im Katalog abgebildete Aktgemälde Terpsichore von Adolf Ziegler in den Sinn, von dem er wusste, dass Hitler es angekauft hatte. Wenn dieser sterile Frauenakt den Kunstgeschmack des »Führers« repräsentierte, wovon auszugehen war, dann war von dessen angeblichem Künstlertum wenig zu erwarten.

Was sich am 7. Mai in Rom im Thermenmuseum zwischen den Kunstwerken der Antike abspielte, bestätigte alle Vorurteile, ja übertraf seine schlimmsten Erwartungen: Führer und Duce versuchten einander durch großsprecherische, klischeehafte Kommentare zu übertreffen und Bianchi Bandinelli fand sich unversehens in der schwierigen Situation wieder, die gereizten Differenzen ausgleichen zu müssen. Anschließend begab sich der Tross in die Galleria Borghese mit den Meisterwerken aus Renaissance und Barock. Dort verbarg der genervte Mussolini sein Desinteresse nicht länger und setzte sich mit seinem Gefolge ab. Hitler, den der ständig zum Weitergehen drängende Mussolini in seinem Kunstgenuss gestört hatte, entspannte sich.2 Überrascht bemerkte Bianchi Bandinelli, dass die Gemälde ihn berührten: »Viele Male äußerte sich seine Bewunderung in einer Art Röcheln aus der Tiefe seiner Kehle; oder in einer zögerlichen Beobachtung oder Frage in seinem dialektgefärbten Deutsch. Dann aber, wenn ihn eine Sache besonders getroffen hatte, wurde er lebhaft, als sei ein elektrischer Kontakt hergestellt, und er wendete sich an sein Gefolge: ›Sehen Sie, meine Herren …‹ Den Blick immer im Ungewissen, flossen die Worte nun leicht, und der Dialekt milderte sich. Wer ihm so nahe kam, konnte in ihm den Sentimentalen, den Romantiker, auch den Fanatiker entdecken.«

Bianchi Bandinelli entnahm den Reaktionen Hitlers echte Ambition für die Malerei. Er habe sich von den barocken Gemälden Guido Renis, Guercinos, der Carracci begeistern lassen, mehr noch als von den Werken eines Botticelli und Carpaccio, die stilistisch sehr viel besser zu dem Aktgemälde Zieglers passten. Die »Primitiven«, also die gotischen Meister des 13. und 14. Jahrhunderts, seien ihm allerdings fremd gewesen. Bianchi Bandinelli führte auch aus, von welchen Aspekten Hitler angetan war und brachte einen erstaunlichen Kriterienkatalog zusammen: Er habe den Bildgegenstand, das technische Vermögen der Maler, die Lebendigkeit der Farben und den psychologischen Ausdruck bewundert, also alles das, was Nichtfachleute an der Malerei so bewunderten. Nach dem Urteil des elitären Kenners waren das zwar die falschen Kriterien, die in seinem Sinne richtigen wären wohl Stil- und Zuschreibungsfragen gewesen. Gleichwohl ist seine Beurteilung gönnerhaft positiv: »Niente di male in ciò« – »Woran nichts Schlechtes ist.«

Beim Verlassen der Galerie erklärte Hitler: »Wenn ich noch Privatmann wär, würd ich wochenlang hier bleiben. Manchmal tut’s mir leid, Politiker gworden su [sic!] sein.« Bianchi Bandinelli zitierte ihn auf Deutsch und fuhr dann auf Italienisch fort: »Und er spann die Vorstellung weiter, einmal nach Italien zurückzukehren, vielleicht eines Tages, wenn in Deutschland alles in Ordnung gebracht sein würde, und ein Häuschen in der Umgebung von Rom zu beziehen und inkognito die Museen zu besuchen.« Er war nun überzeugt davon, »dass dieser Mann eines Morgens hätte aufstehen können und sagen: ›Es reicht, ich habe mich getäuscht, ich bin nicht mehr der Führer‹.«

Jahre später sollte Hitler erzählen, er habe sich gewünscht, wie ein unbekannter Maler in Italien bzw. Neapel (die Überlieferung ist hier unklar) herumstreichen zu können: »Stattdessen: hier Gruppen, dort Gruppen, der Duce dazu, der nicht mehr als drei Bilder sehen kann; so sah ich [in Neapel am 5. Mai] überhaupt nichts an Gemälden.«3 Freilich sollte er für diese erzwungene Zurückhaltung am 9. Mai reichlich entschädigt werden. Am letzten Tag der italienischen Reise machte der Führer-Sonderzug auf dem Weg in den Norden Station in Florenz, Geburtsort der Renaissance und Sehnsuchtsort deutscher Künstler.4 Wiederholt sollte Hitler später beteuern, dass er diesen Tag besonders genossen habe. Hier war er dem Zeremoniell entronnen, das ihm in Rom so missfallen hatte, und konnte sich »ganz dem Kunstgenuß und der Schönheit der Stadt« hingeben.5 Nach dem Empfang durch Mussolini am Bahnhof führte eine Rundfahrt durch herausgeputzte und flaggengeschmückte Straßen auf den Piazzale Michelangelo mit der berühmten Aussichtsterrasse (Abb. 1). Von hier aus schweift der Blick über die Dächer und Kuppeln der Stadt bis hin zu den Hügeln von Fiesole. Lange verweilte der »Führer« vor dem spektakulären Panorama und murmelte wieder undeutliche Töne der Bewunderung. Dann brach es unvermittelt aus ihm heraus: »Endlich; endlich verstehe ich Böcklin und Feuerbach!« Er identifizierte sich mit zwei deutschen Malern, die lange Jahre in Italien, unter anderem in Florenz gelebt und ihre Malerei an der Antike und der Renaissancemalerei orientiert hatten, den sogenannten Deutsch-Römern Anselm Feuerbach und Arnold Böcklin.

Abb. 1: Hitler und Mussolini auf dem Piazzale Michelangelo in Florenz, 9. Mai 1938

Anschließend wurde Bianchi Bandinelli Zeuge des Vorgangs, wie sich Hitlers Kunstleidenschaft direkt und höchst emotional mit seinen ideologischen Vorstellungen verknüpfte: »Und wenn man denkt: Wenn der Bolschewismus gekommen wäre, wäre heute all dies zerstört wie in Spanien. Die Toskana, das kulturell reichste Land der Welt!« Und weiter mit kreischender Stimme: »Ich werde es nie dulden, dass in Deutschland jemand wieder solche Gedanken hat. Man muss das gleich mit aller Gewalt vernichten. Mussolini hat sich hier einen großen Verdienst an der Menschheit erworben!« Zwanghaft mit der Kunst verbunden waren bei Hitler Gedanken, sie sei gefährdet durch den Bolschewismus und das internationale Judentum. Er spielte sich mit Vorliebe als ihr Retter auf: »Hätte in Deutschland der Nationalsozialismus nicht in letzter Stunde gesiegt und den jüdischen Weltfeind zu Boden geworfen, dann würde entsprechend der vom Judentum beabsichtigten Entwertung unseres Volkes […] auch die Entwertung, weil Entfremdung unserer Kunst planmäßig fortgeschritten sein«, sollte er bald darauf in seiner Rede auf der Kulturtagung des Parteitages der NSDAP in Nürnberg verkünden.6

Nach diesem Auftritt fuhr der Konvoi in die Innenstadt, wo...

Erscheint lt. Verlag 6.5.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Kunst / Musik / Theater Malerei / Plastik
Geisteswissenschaften Geschichte
ISBN-10 3-205-22097-8 / 3205220978
ISBN-13 978-3-205-22097-8 / 9783205220978
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