Die spanische Konzertgitarre (eBook)
142 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-9555-0 (ISBN)
Carsten Sick (*1973) hat an der Universität des Saarlandes Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft und Philosophie studiert. In seiner Jugend ist er bei dem Gitarristen Olaf Prätzlich in die Lehre gegangen. Seine spätere berufliche Laufbahn hat ihn in eine weniger musische Richtung geleitet: Aktuell arbeitet er bei der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus in Rhöndorf. In seiner Freizeit ist der Autor jedoch weiterhin ein passionierter Gitarrist.
1.0. GESCHICHTE UND ENTWICKLUNG DER GITARRE
Erste sichere Belege für die Existenz eines gitarrenähnlichen Instruments gehen zurück auf das zweite Jahrtausend vor Christus und in den anatolischen Raum. Hierzu ist die frühe, in Stein gemeißelte Abbildung eines mit Saiten bespannten und mit einem Klangkörper versehenen länglichen Instruments erhalten, das offenbar zur Erzeugung von Klängen gezupft oder geschlagen wurde. Solche als hethitisch bezeichneten Vorformen haben schließlich ihren Weg in alle muslimisch geprägten Teile der Welt gefunden und manifestierten sich in einem Instrument, das erstmals als Vorläufer der Gitarre erkannt werden kann: die Oud. In Europa entstanden nach ihrem Vorbild die Laute und die Vihuela, und letztere führte – verkürzt formuliert – zur Barockgitarre, die man vorläufig als direkten Vorgänger der klassischen Gitarre betrachten kann. Die folgende Abbildung gibt den Entwicklungsgang der Gitarre in groben Zügen wieder:
Die Entwicklung hin zur Konzertgitarre ist jedoch bei weitem nicht so stringent und lückenlos, wie es hier dargestellt wurde, viele Zusammenhänge und Beziehungslinien sind bis zum heutigen Tag nicht geklärt. Schließlich hat selbst ein Eischneider irgendwo noch Ähnlichkeit mit einer Konzertgitarre, und so gilt es für uns, rasch zu dem Punkt zu kommen, an dem sich die klassische Gitarre deutlich von ihren vorläufigen Verwandten abzusetzen beginnt.
Im 19. Jahrhundert treten zwei Persönlichkeiten auf den Plan (der eine als Gitarrenbauer, der andere als Interpret und Komponist), die den Aufbau und das Repertoire der spanischen Gitarre bis in die heutige Zeit maßgeblich beeinflusst haben: Antonio de Torres (1817-1892) und Francisco Tárrega (1852-1909).
Torres erlernte zunächst das Tischlerhandwerk in Vera im spanischen Distrikt Almeria. Er ist eine recht tragische Gestalt, sozusagen der Don Quijote unter den Gitarrenbauern, hatte er doch ab Mitte der 30er Jahre neben finanziellen vor allem familiäre Nöte zu bewältigen: Binnen kürzester Zeit starben zwei seiner kleinen Töchter. Es folgte 1845 der Tod der Ehefrau, die damit ein Lebensalter von nur 23 Jahren erreichte. Im gleichen Jahr zog Torres nach Sevilla und begann dort, seine ersten Meistergitarren zu bauen. Diese erste Schaffensperiode wird bei seinen Instrumenten heute mit dem Zusatz „FE“ (first epoch) zur Seriennummer bezeichnet. Im Allgemeinen waren diese Gitarren noch recht klein, mit schmaler Taille und geringer Zargenhöhe. Dennoch waren sie klanglich bereits brillant. Berühmt geworden sind die FE 04, genannt „La Leona – Die Löwin“, sowie die FE 18, die trotz ihrer kleinen Bauweise bis heute gerne nachgebaut wird, etwa von dem US-Amerikaner Kenny Hill, der Manufaktur Martinez sowie dem deutschen Gitarrenbaumeister Wolfgang Jellinghaus. La Leona befindet sich heute im Besitz des Kölner Sammlers Eberhard Hannen. Der Gitarrist Wulfin Lieske (*1956) spielte auf ihr 2005 das Album „El Canto de La Leona“ ein. Diese Gitarre bestimmt bis heute wesentlich die Maßstäbe im Bau der klassischen Gitarre, noch nicht in ihrer Größe, aber bereits in ihrer Struktur. Sie ist darüber hinaus mit einem Tornavoz ausgestattet, einem metallischen Trichter im Schallloch, der zu einer Bündelung der Schallwellen und damit zu einer größeren Lautstärke führen sollte. Dieses besondere Detail hat sich im Gitarrenbau über die Jahrzehnte hinweg nicht etabliert. Eine konstruktive Annäherung und Wiederaufnahme findet sich allenfalls in den späteren Resonatorgitarren.
Torres baute auch eine Gitarre mit Boden und Seiten aus Pappmaché; lediglich die Resonanzdecke war aus Holz gemacht. Er wollte damit auf die große Bedeutung der Decke bei der Klangentstehung hinweisen. Nebenbei sollte natürlich gezeigt werden, dass es beim Gitarrenbau nicht so sehr auf die verwendeten Materialien ankommt, sondern vielmehr auf den Instinkt und die Kunstfertigkeit des Baumeisters. Offenbar klang die Pappgitarre aus Torres Händen ähnlich hervorragend wie seine sonstigen Anfertigungen.
Antonio de Torres
1870 zog Torres zurück nach Almeria, wo er ein kleines Haushaltswarengeschäft betrieb und mehrheitlich Porzellanwaren verkaufte, - ein weiteres schnurriges Detail seiner Biografie und eine lange Kreativpause in der Herstellung von Instrumenten. Um ein größeres Einkommen zu erzielen, wandte er sich schließlich wieder dem Bau von Gitarren zu. Die Instrumente dieser zweiten Phase werden mit dem Zusatz SE (second epoch) gekennzeichnet und haben in der Regel bereits eine Größe, die der der heute gebauten Gitarren nahekommt. Für die damalige Zeit war das aber eine wirkliche Neuerung im Gitarrenbau, die die Instrumente bühnentauglich und für größere Konzerträume geeignet machte.
Typisch für Torres ist, dass er bei der Dicke der Resonanzdecke an das absolute Minimum ging, was sie zwar schwungfähig und damit volumen- und klangstark machte, sie waren dafür aber weniger widerstandsstark und infolgedessen anfällig für Spannungsrisse. Von den schätzungsweise 320 Gitarren, die Torres gebaut hat, sind heute nur sehr wenige schadlos erhalten. Auch arbeitete er gerne kleine Geheimzeichen in Verzierungen wie die Rosette oder die Randeinlagen seiner Gitarren ein. Dies können etwa geheime Zeichen seiner Zugehörigkeit zu den Freimaurern sein, aber auch einfache individuelle Erkennungszeichen des Meisters. Mindestens drei Gitarren hat Torres auch für Francisco Tárrega gebaut. Sicher weiß man das von der FE 17. Das Holz, das Torres für den Bau dieser Gitarre verwendete, stammte von dem gleichen Baum wie das der FE 18.
So bieder Francisco Tárrega auf vielen Fotografien auch wirken mag, in jungen Jahren ist dieser für die Gitarrenmusik so wichtige Mensch recht wild und umtriebig gewesen. Viele Male ist er von zuhause weggelaufen, manchmal für mehrere Wochen und Monate. Bei einem seiner frühen Fluchtversuche fiel er in eine Abwassergrube, die mit starken Chemikalien versetzt war. Dabei zog er sich einen Augenschaden zu, von dem seine Eltern meinten, dass er den Jungen erblinden ließe. Ab diesem Zeitpunkt kümmerten sie sich um sein Musikstudium in der Annahme, dass Francisco diesen Beruf auch blind ausüben könne. In der Folge wurde der Junge früh ein hervorragender Klavierspieler und Gitarrist. Sein Augenlicht verlor er nicht. Stattdessen erregte er die Aufmerksamkeit des populären spanischen Musikers Julián Arcas. Der nahm ihn prompt als Student unter seine Fittiche. Und dies läutete das Ende von Tárregas aufrührerischer Phase ein. Womöglich hatte er in Arcas einen Ersatzvater gefunden, der ihm Anerkennung und eine Orientierung im Leben bot. 1885 jedenfalls zog Tárrega zu Arcas nach Barcelona, wo er auch die Komponisten Isaac Albéniz und Enrique Granados kennen und schätzen lernte. Es entstand eine weitgehende Freundschaft zwischen den drei Verehrern der spanischen Gitarre.
Tárrega wurde zum Begründer einer eigenen Gitarrenschule. Neuerungen, die auf ihn zurückzuführen sind, sind der verstärkte Einsatz des Ringfingers der rechten Hand als Spielfinger sowie die Aufhebung des kleinen Fingers der gleichen Hand als Stützfinger auf der Resonanzdecke des Instruments. Die Technik des Apoyandos zur Hervorhebung von Melodielinien erlangte unter ihm eine stilprägende Bedeutung. Tárrega wurde ein herausragender Komponist für Gitarrenmusik. Viele seiner Stücke zählen bis heute zum Standardrepertoire eines jeden klassischen Gitarristen. Weltbekannt geworden sind die Werke „Recuerdos de la Alhambra“ (in dem man noch etwas von Tárregas Sturm- und Drangzeit zu verspüren meint), „Lá Grima“ und „Gran Vals“. Von großer Qualität sind zudem seine Adaptionen, etwa das Arrangement des Klassikers „La Paloma“ von Sebastian Iradier sowie die Transkriptionen der Werke von Schumann, Chopin, Beethoven und Albéniz. Letzterer fand besagte Bearbeitungen origineller als seine eigenen Fassungen. Ab 1902 – so will es die Legendenbildung – litt Tárrega an einer Nagelbettentzündung, was ihm das übliche Spielen mit den Nägeln unerträglich machte. In der Folge spielte er jedenfalls mit den Fingerkuppen, worin er offenbar ebenfalls große Meisterschaft erlangte.
Wir sind hier bei einem großen Streitpunkt unter Gitarristen angekommen. Ist man sich bei der Greifhand noch einig, dass die Fingernägel so kurz wie möglich geschnitten sein sollten, um ein exaktes Greifen der Saiten zu ermöglichen und eine vorzeitige Abnutzung des Griffbrettes zu vermeiden, so besteht bei der Anschlagshand reichlich Diskussionsbedarf: Spielt man besser mit oder ohne Fingernägel?
Zunächst sei gesagt, dass das Spielen mit Fingernägeln schlichtweg lauter und somit für Konzertgitarristen zu empfehlen ist. Die Nägel müssen aber regelmäßig und aufwendig gepflegt werden. Eine grobe und eine sehr feine Feile sowie etwas dünnkörniges Schleifpapier sind hierfür unerlässlich. Auch ein Nachpolieren, im Idealfall mit Kieselerde, ist ratsam. Ein abgebrochener Anschlagsnagel...
Erscheint lt. Verlag | 9.1.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kunst / Musik / Theater ► Musik |
ISBN-10 | 3-7583-9555-0 / 3758395550 |
ISBN-13 | 978-3-7583-9555-0 / 9783758395550 |
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