Salz Seen Land (eBook)
304 Seiten
Prestel Verlag
978-3-641-32043-0 (ISBN)
Mit seiner natürlichen Kompaktheit, geprägt von Bergen, Seen und Flüssen, die gleichzeitig trennen und verbinden, steht das Salzkammergut exemplarisch für viele andere Weltregionen und dafür, wie wir den zunehmenden politischen, kulturellen, ökonomischen und ökologischen Herausforderungen Europas und der Welt begegnen können.
In 60 Kurzessays, literarischen Texten, Comics und künstlerischen Positionen erzählen renommierte Stimmen aus Literatur, Wissenschaft und Kunst über die Region, ihre Natur, Kultur, Geschichte und ihre Menschen. Informativ, aufklärerisch, schwärmerisch, kritisch oder humorvoll geben sie einen tiefen Einblick in das Salzkammergut.
Mit Beiträgen von Bettina Balàka, Markus Binder, Isolde Charim, Conchita Wurst, Mareike Fallwickl, René Freund, Barbara Frischmuth, Hubert von Goisern, Andrea Grill, Rudolf Habringer, Gerhard Haderer, Angelika Hager, Bodo Hell, Johannes Jetschgo, Franz Kain, Günter Kaindlstorfer, Edith Kneifl, Julia Kospach, Sarah Kuratle, Nicolas Mahler, Stephen M. Mautner, Eva Menasse, Nick Oberthaler, Walter Pilar, Helga Rabl-Stadler, Hans Reschreiter, Andrea Roedig, Franz Schuh, Elfie Semotan, Magdalena Stammler, Liv Strömquist, Anton Thuswaldner, Bernadette Wegenstein u. a.
Filmwelten
Bernadette Wegenstein
Das Salzkammergut als Filmkulisse ist vor allem mit zwei Arten von Geschichten assoziiert: mit romantischen Liebesgeschichten und, seit Neuestem, mit Kriminalgeschichten. Das Thema der romantischen Liebe wird seit den 1950er- Jahren vor allem in Komödien und Seifenopern aufgegriffen, während sich die Kriminalgeschichte kürzlich zum Thriller weiterentwickelt hat und vorwiegend in Fernsehproduktionen zu sehen ist.
Gleich zu Beginn möchte ich klarstellen, dass ich beide Genres als klassische Thematisierung von Motive der Verdrängung verstehe, vor der Kulisse der atemberaubenden Schönheit dieser Region, die insbesondere durch ihre mysteriösen Seen repräsentiert wird. In anderen Worten: Liebe und Verbrechen sind beliebte Motive einer Form des Eskapismus, der es dem Publikum erlaubt, kurz in eine Welt mit Happy Ends und unmöglichen oder im echten Leben zumindest unwahrscheinlichen Auflösungen einzutauchen. So werden im Genre des „Heimatfilms“ Klassenunterschiede überwunden, wenn zum Beispiel der Kaiser von Österreich einen ungestümen Teenager aus einer bayerischen Adelsfamilie heiraten kann („Sissi“, 1955), wenn ein österreichischer Baron eine Nonne heiratet
(„Die Trapp-Familie“, 1956, und „The Sound of Music“, 1965) oder wenn ein charmanter Kellner (gespielt vom legendären Schauspieler Peter Alexander) zum Wirt eines Luxushotels am See aufsteigt („Im weißen Rößl“, 1960). Im Thrillerund Horrorgenre werden wiederum andersartige Grenzen überschritten, zum Beispiel wenn es Teenagern gelingt, eine Mordserie nach jahrelanger vergeblicher polizeilicher Ermittlung aufzuklären, indem sie die Serienmörderin mitten auf dem Traunsee auf einem wackeligen Boot festzusetzen versuchen und dabei ertränken („In 3 Tagen bist du tot“, 2006), oder in einer jüngeren Folge der Fernsehserie „Tatort“ („Wahre Lügen“, 2019), in der eine Leiche in einem Auto im Wolfgangsee die polizeilichen Ermittlungen mysteriöserweise in die dunkle Welt des illegalen Waffenhandels führt.
„SISSI“ – KITSCHIGER HEIMATFILM-PROTOTYP
Eingangs wollen wir uns nun dem Film widmen, der meines Erachtens den Grundstein der „Heimatfilm“-Melodramen legt. Es handelt sich um den ersten Teil der klassischen „Sissi“-Filmtrilogie (1955), „Nach Ischl“, der, wie der Titel schon anklingen lässt, in der Szenerie des Salzkammerguts angesiedelt ist. In dieser märchenhaften Geschichte bittet kein Geringerer als der Kaiser von Österreich um die Hand einer jungen Prinzessin (oder richtiger: Er fordert ihre Hand). Doch seine Mutter, die Erzherzogin Sophie, ist dagegen, weil sie Sissi nicht für würdig hält, Kaiserin zu werden. In einer Szene des Films sehen wir Ludovika von Bayern, gespielt von Magda Schneider (der Mutter von Romy Schneider), die ihre Töchter Helene (Nene) und Elisabeth (Sissi1) auf ihre Abreise nach Bad Ischl vorbereitet, wo der junge Kaiser Franz Joseph seinen Geburtstag feiert. Im Hintergrund der Szene spielt ein Dienstmädchen Chopins romantischen Walzer As-Dur, op. 69 Nr. 1, den sogenannten „Abschiedswalzer“; eine musikalische Vorankündigung, dass dies auch der Abschied von Sissis Kindheit sein könnte.
Nachdem die sechszehnjährige Sissi und ihre Entourage in Bad Ischl angekommen sind, schleicht sich der Teenager heimlich davon, um angeln zu gehen – und „fängt“ sich versehentlich den Kaiser höchstpersönlich, wie sie es nennt, in dessen Jacke sich ihr Angelhaken verhakt (Bilder 1 – 2). Als der Kaiser bemerkt, dass dieser Angelhaken zu der schönen, jungen Sissi gehört, steigt er aus seiner Pferdekutsche und schlägt ihr einen Spaziergang vor, mit ihr allein, ohne ihre Entourage, um ihr die Schönheit der Natur in Bad Ischl zu zeigen (Bild 3): „Machen wir einen kleinen Umweg und ich zeig‘ Ihnen bei der Gelegenheit gleich ein bisschen von der schönen Umgebung von Ischl.“ Als humorvolle Einlage folgt der von Josef Meinrad gespielte Polizist Major Böckl seinem Kaiser heimlich, denn er vermutet in Sissi eine Terroristin.
In diesen Szenen ist die Schönheit des Salzkammerguts sowohl Kulisse als auch Teil der romantischen Handlung, da Franz Joseph seiner neuen Bekanntschaft die atemberaubende Landschaft zeigen will. Die Natur Bad Ischls bleibt unlöslich mit den Figuren verwoben und wird nicht für sich gezeigt, denn es gibt nur wenige Establishing Shots der Umgebung, während die Figuren nahtlos in die Landschaft integriert werden und durch die Farbwahl, die Komposition und die Kameraeinstellungen mit ihrer Umgebung verschmelzen.
Nach dieser ersten Zufallsbegegnung vereinbart das Paar ein geheimes Rendezvous (Bilder 4 – 6), bei dem Sissi dem Kaiser Gedichte vorträgt und Zither spielt, ein beliebtes, traditionelles lokales Instrument. In den ruhigen Wäldern und nur bezeugt von unbemerkt vorbeihuschenden Rehen verliebt sich das junge Paar vor der Kamera ineinander. Die romantische Atmosphäre wird farblich durch die sanften Agfacolor-Pastellfarben untermalt, in denen diese Szene gedreht wurde; ein Kontrast zum kräftigen Technicolor der Hollywood-Filme der 1950er- Jahre.
„IM WEISSEN RÖSSL“ – SEXISTISCHE HEIMATFILM-MUSIKKOMÖDIE
Die musikalische Komödie „Im weißen Rößl“2 (1960), die im gleichnamigen Hotel am Wolfgangsee spielt, das heute noch existiert, setzt die Tradition der im Salzkammergut spielenden „Heimatfilme“ fort. Gleich zu Beginn des Filmes gibt es mehrere Anspielungen auf Kaiser Franz Joseph, der im berühmten „Kaiserzimmer“ des Hotels zu wohnen pflegte, wie den ankommenden Gästen laut verkündet wird. Auch das Boot, das sie über den See bringt, heißt „Kaiser Franz Joseph“. In dieser romantischen Komödie in Technicolor-Farben finden gleich mehrere Paare vor der Kulisse der prächtigen Landschaft die Liebe. Dazu zählen Klärchen Hinzelmann (gespielt von Estelle Blain3) und Sigismund Sülzheimer (gespielt vom berühmten Komödien-Star Gunther Philipp), der ihr Vater hätte sein können, die sich vor der Kulisse des Sees, in dessen Wasseroberfläche sich nahezu unschuldig die Kirche spiegelt, ineinander verlieben (Bild 7). Dr. Otto Siedler (gespielt von Adrian Hoven) entbrennt in Liebe auf den ers-ten Blick für Brigitte Giesecke (gespielt von Karin Dor), die Tochter des wohlhabenden Fabrikanten und seines Erz-Geschäftskonkurrenten Wilhelm Giesecke. Wie Sissi und Franz bei ihren Abenteuern in Ischl wird auch dieses Paar vor der Kulisse des Bergpanoramas und der typischen Architektur des Salzkammerguts inszeniert, sodass man meinen könnte, trotz der angespannten Geschäftsbeziehung gibt die Natur dem Paar ihren Segen, was sich auch in der Farbkomposition ihrer Kostüme spiegelt (Bilder 8 – 9).
Der Sexismus dieser Epoche, der 1960er-Jahre, sorgt in „Im weißen Rößl“ für so manch lustige Szene. Zum Beispiel wenn Klärchen, die immer nur mit verniedlichendem Diminutiv gerufen wird, Sigismund warnt: „Wenn Sie versuchen, mich zu küssen, dann erleben Sie etwas!“, woraufhin er antwortet: „Das ist genau das, was ich möchte.“ Auch Klärchens Vater, die Figur Wilhelm Giesecke (gespielt von Erik Jelde), sorgt für humorvolle Szenen. Der Berliner steigt in Lederhosen auf den Schafberg und erreicht außer Atem den Gipfel, wo er auf eine zünftige Frau in typisch österreichischer Kleidung trifft, deren Hut ein Teil der hochalpinen Landschaft sein könnte (Bild 10). Als sie ihn auf die Schönheit der Seen hinweist, gibt er sarkastisch zurück: „Glauben Sie, ich bin hier oben raufgeklettert, um zu sehen, wie schön es da unten ist?“
Wie in der „Sissi“-Trilogie werden die dramatischen und humorvollen Aussagen der Figuren mit der Landschaft sowie, in anderen Szenen, Liedern oder traditionellen Tänzen hinterlegt, die an Leni Riefenstahls Propagandaästhetik gemahnen, die Populismus und athletische Sportler-Körper in Szene setzte und glorifizierte (Bild 11). Der Hauptdarsteller Peter Alexander in der Rolle des Oberkellners Leopold Brandmeyer, der sich unsterblich in seine Chefin, die Rößlwirtin Josepha Vogelhuber (gespielt von Waltraut Haas), verliebt hat, tritt oft an der Seite seines treuen Sidekicks Franzl auf (gespielt von Frithjof Vierock), des „Piccolo“, also des Hilfskellners. Als der Piccolo Leopold erzählt, dass er glaube, dass Fräulein Vogelhuber sich in Dr. Siedler verliebt habe, ist dieser zutiefst enttäuscht und fragt: „Was will denn eine Wirtin mit einem Doktor?“ Piccolo pflichtet ihm schnell bei, was seine Beziehung zu seinem Chef spiegelt, den er bewundert und zu dem er aufschaut, was auch durch die zwei Berge in der Seekulisse im Hintergrund verbildlicht wird (Bild 12): „Das wär‘ direkt eine Mischehe.“ Hier wird das Salzkammergut zum Zeugen der Bagatellisierung und Verdrängung, mit denen in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg Rassismus und Antisemitismus normalisiert wurden.
„Im weißen Rößl am Wolfgangsee, da steht das Glück vor der Tür“, verheißt eine Zeile der berühmten Titelmelodie des Kultfilms. Ein höchst problematischer Aspekt, wie der österreichische Schriftsteller Daniel Kehlmann 2014 in der Antrittsrede seiner Frankfurter Poetikdozentur beschrieb. Er findet, dass diese Nachkriegsfilme und -musicals fast noch schauerlicher anzusehen seien als die Nazipropagandafilme selbst, dass über Kriegsverbrechen „im Nazipropagandafilm geschwiegen und verdrängt werde, dass in den deutschen Nachkriegsfilm dieses Verdrängen aber ‚aktiv eingeht‘ und erst hier eine ‚Fratze des Wahnsinns‘ sichtbar werde“.4
„SCHLOSSHOTEL ORTH“ – SEIFENOPER-EPIGONE DES HEIMATFILMS
Die österreichisch-deutsche Seifenoper „Schlosshotel Orth“ wurde zwischen 1996 und 2004 gedreht. Sie spielt vor allem am Traunsee, in...
Erscheint lt. Verlag | 17.1.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kunst / Musik / Theater ► Malerei / Plastik |
Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Regional- / Landesgeschichte | |
Schlagworte | 2024 • Andrea Grill • Angelika Hager • Attersee • Bad Ischl • Barbara Frischmuth • Bettina Balàka • Bodo Hell • Dachstein • Ebensee • eBooks • edith kneifl • Europa • Feuerkogel • Franz Kain • Gerhard Haderer • Geschichte • Gmunden • Gosau • Grundlsee • günter kaindlstorfer • Hallstatt • Hubert von Goisern • isolde charim • Johannes Jetschgo • Krippenstein • Kulturhauptstadt • Kunst • Mareike Fallwickl • Marie-Theres Arnbom • markus binder • Neuerscheinung • Österreich • René Freund • Rudolf Habringer • Salzburg • Salzkammergut • sarah kuratle • Schafberg • Thomas Bernhard • Traunsee • Wolfgangsee • Zauner |
ISBN-10 | 3-641-32043-7 / 3641320437 |
ISBN-13 | 978-3-641-32043-0 / 9783641320430 |
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