Trauma-TV: Gruseln vor der Glotze -  Patrick Lohmeier

Trauma-TV: Gruseln vor der Glotze (eBook)

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2023 | 1. Auflage
298 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7578-7166-6 (ISBN)
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In seinem neuen Filmbuch Trauma-TV reist Filmkritiker und Podcaster Patrick Lohmeier zurück in seine Kindheit. Dort begegnet er all den Filmen wieder, die ihn als kleinen Hosenscheißer um den Schlaf brachten - aber auch prägten. Von Klassikern des verstörenden Jugendkinos wie Unten am Fluss (1978) und E.T. - Der Außerirdische (1982) über verstrahlte Fernsehfilme wie Der Tag danach (1983) und Threads (1984) bis hin zum Nachtprogramm im Privatfernsehen mit reitenden Leichen und mörderischen Alpträumen: In knapp hundert Rezensionen seiner meistgefürchteten Film- und Serienerfahrungen im Alter von sechs bis 13 Jahren sucht der Autor nach Antworten auf die wirklich wichtigen Fragen des Lebens. Filmkritikerin Sonja Hartl (Zeilenkino) und Psychologin Christiane Attig (Brainflicks) stehen ihm dabei mit all ihrer Kompentenz zur Seite. Vor allem will Patrick wissen, welche Schrecken zeitlos sind ... oder ob sie so vergänglich wie--- Aaargh!!! Pressestimmen zu Veröffentlichungen des Autors: "Nach der Lektüre dieses Standardwerks für die nächsten hundert Jahre sind einfach alle wesentlichen Fragen beantwortet." (epd Film über Columbo, Columbo) *** "Für alle, die das Kino in all seinen Formen lieben." (Cinema über Bahnhofskino) *** "Ein saftiges Stück Film- und Fernsehgeschichte." (CrimeMag über Columbo, Columbo) *** "Beeindruckend." (Daniel Schröckert [Kino+] über den Audiokommentar zu Mandy [2018] *** "Ein kleines Wunder." (nd.aktuell über Columbo, Columbo)

Patrick Lohmeier, Jahrgang 1979, ist Literatur- & Filmwissenschaftler und verbringt bis heute (zu) viel Zeit vor der Flimmerkiste. Er ist der Autor von Columbo, Columbo (2020) und moderiert Bahnhofskiono sowie weitere Podcasts zu Kino, TV und Popkultur abseits des Mainstreams. Mit seiner Familie und zwei dicken Katern lebt er in Berlin.

Pädagogisch nicht wertvoll


SH: Es gibt eindeutig Filme, die kein Mensch in jungem Alter sehen sollte. Aber oft blendet der kindliche Verstand ja einfach aus, was er nicht begreift. Ich habe beispielsweise Dirty Dancing (1987) mit Freundinnen im Kino gesehen und war erwartungsgemäß begeistert. Dass Penny (Cynthia Rhodes) in dem Film eine Abtreibung vornehmen lässt, was ja einen Großteil der Filmhandlung motiviert, habe ich erst bei einem späteren Wiedersehen auf Video begriffen. Ich konnte mich an diesen Handlungsstrang schlichtweg nicht erinnern, weil die darin erzählte Geschichte weit jenseits meines eigenen Erfahrungs- oder Verständnishorizonts lag.

PL: So oder so ähnlich ging es mir oft auch. Im Alter von acht, neun Jahren liebte ich Flucht in Ketten (1958). Aber dass der Film in der Hauptsache institutionalisierten Rassismus verhandelt, habe ich nicht verstanden. Wie auch?! Ich war nur an den vordergründigen Action- und Spannungsmomenten interessiert.

SH: Das ist auch ein Film, der damals im Fernsehen rauf und runter lief.

PL: Genau wie Ridley Scotts Legende (1985), den ich auch ziemlich unangenehm fand. Dessen sanft grausame, perverse Ader nahm ich damals bereits in vollem Umfang wahr. Aber da war ich auch schon zehn oder elf, also in dem Alter, in dem du Dirty Dancing sahst. Im jungen Alter machen eben zwei Jahre einen riesigen Unterschied. Aber ja, auch das war wieder eine Fernseherfahrung. Gegen Kinobesuche sprachen immer das mangelnde Interesse meiner Eltern an neuen Filmen und unsere ländliche Wohnlage fernab von fast allem. Filme auf der großen Leinwand zu sehen, das begann für mich erst 1989 mit dem Wechsel auf ein Würzburger Gymnasium zur fünften Klasse und der Möglichkeit, meine Freizeit woanders zu verbringen als auf dem Dorf. Bis zu diesem Zeitpunkt bedeutete Kino für mich, Asterix und Kleopatra (1968) und Die Dschungelolympiade (1979) zum x-ten Mal in Teilen im sogenannten Kinderkino des Möbelhauses Neubert zu gucken, wenn meine Mutter dort mit meiner Schwester und mir zum Bummeln war. Gekauft wurde, soweit ich mich erinnere, so gut wie nie etwas. Aber die Kinderbetreuung war gratis, es gab ein Bällebad und in der Cafeteria kosteten die Nudeln mit Tomatensauce und Pommes für Kids unter zehn Jahren je eine Mark. Ich möchte mich gar nicht beschweren.

SH: Jetzt hast du so viele für dich damals verstörende Filme noch einmal gesehen und darüber geschrieben, da ist es auch gut sich einmal an solche Erlebnisse zu erinnern.

PL: Es soll ja auch nicht der Eindruck entstehen, die alles andere überschattende Erinnerung an das Fernsehen meiner Kindheit seien Angst, Ekel und Überforderung gewesen. Das ist schlichtweg der Teil meines Medienkonsums gewesen, der meine heutigen Filmvorlieben geprägt hat. Aber die wahren Großereignisse meiner TV-Kindheit in den 80ern waren vermutlich Komödien mit Louis de Funès oder Fernandel und gelegentlich ein zackiger Actioner mit Belmondo. Und natürlich die Samstagabend-Shows. Einer wird gewinnen mit Kuli auf den letzten Metern. Wetten, dass..? natürlich, damals noch mit Elstner. Verstehen Sie Spaß? mit Paola und Kurt Felix. Später dann Lass dich überraschen mit Rudi Carrell. An denen hatte ich zwar selten von vorne bis hinten Vergnügen, aber es war eben ein Luxus, an den Wochenenden bis in die Nacht mit der ganzen Familie vor der Glotze sitzen zu dürfen. Unter der Woche waren meine Fernsehzeiten ja deutlich stärker reglementiert, wenn meine Eltern mal gerade nicht unterwegs waren und ich heimlich meine, naja, bösen Videos guckte.

SH: Meine Fernsehtage fingen nie vor dem frühen Abend an, sie begannen meist mit einer ZDF-Vorabendserie gegen 18 Uhr und endeten mit den heute-Nachrichten. Das war natürlich oft inhaltlich austauschbares Wohlfühlfernsehen, aber dann lief auch mal sowas wie SOKO 5113 (1978–2020).

PL: Nur echt mit Werner Kreindl.

SH: Ja, wirklich nur mit dem. Und der Vorspann war so toll. Der Titel war schon klasse: SOKO 5113. Aber in Kombination mit der Musik und der in Richtung der Kamera rennenden Schattengestalt – das war perfekt.

PL: Das war einfach stimmungsvoll. Und besonders beeindruckt hat mich als Kind die Tatsache, dass die Namen des Ensembles mit ihren Rollennamen und dem polizeilichen Dienstgrad genannt wurden. Weil du eben danach gefragt hattest: Im Falle dieser Serie fiel es mir wirklich schwer, Wahrheit und Fiktion zu unterscheiden. Die Verbrechen und die Ermittlungsarbeit darin erschienen mir fast so authentisch wie die Fälle in Aktenzeichen XY… ungelöst (seit 1967).

SH: Über die Serie sollten wir im Kontext verstörendes Fernsehen vielleicht auch noch sprechen.

PL: Unbedingt, denn ich fand einige der gezeigten Verbrechen dort ziemlich gruselig. Dabei war die Studioatmosphäre fast klinisch kalt und Eduard Zimmermann nehme ich bis heute ab, dass er um jeden Preis alles Reißerische aus der Sendung raushalten wollte. Aber da war eben der Aspekt «ungelöst« und noch mehr als die oft mittelmäßig inszenierten Einspieler freute ich mich auf die Telefonabfrage in der Hoffnung, dass diesmal vielleicht jemand während der Livesendung angerufen hatte, der einen Mörder entlarven konnte oder etwas über den Verbleib eines Entführungsopfers wusste. Aber das geschah nie.

SH: Da warst du geduldiger als ich. Genau wie Tatort (seit 1970) war Aktenzeichen eine Serie, die bei uns zu Hause auf Wunsch meines Vaters nicht lief. Das hing sicher mit seiner eigenen Arbeit als Polizist zusammen, die natürlich seinen Blick auf solch ein prototypisches Truecrime-Format und Krimiserien prägte. Als ich Aktenzeichen dann endlich sah, umwehte die Reihe in meinem Umfeld ein solch verheißungsvoller Nimbus, dass mich die Sendung richtig enttäuscht hat. Und das lag auch an der staubtrockenen Moderation von Zimmermann.

PL: Ja, die nahm selbst den unheimlichsten Verbrechen jeglichen Gruselfaktor. Deswegen interessierten mich in dem Alter, in dem ich die Sendung gucken durfte – so ab zehn – auch nur die Einspieler. Die sogenannten Studiofälle waren mir egal.

SH: Wenn du Aktenzeichen mit zehn Jahren regelmäßig sehen konntest, war das doch ziemlich großzügig von deinen Eltern.

PL: Mit meinen Eltern habe ich das Format nie geguckt. Wie bei dir war für mich im Grundschulalter an Werktagen um 19 Uhr Sendeschluss. Mein gelegentlicher Joker war meine Oma Johanna, die Ziehmutter meines Vaters, die über uns wohnte. Eine sehr strenge, in ihrem Katholizismus fast wahnhafte alte Dame, zu der mir heute kaum ein nettes Wort einfällt. In ihrem Beisein hätte ich zwar nie ein schmutziges Wort äußern oder ein Stück Schokolade essen dürfen, ihren Fernsehapparat überließ sie mir aber ohne große Widerworte, wenn nicht gerade irgendein Promiklatsch-Magazin oder Gottesdienst übertragen wurde. Zum Beispiel, um samstags MacGyver (1985–1992) auf Sat.1 zu gucken. An ihrer Seite bin ich auch erstmals über Alfred Hitchcock gestolpert. Und zwar in Form einer Making-of-Dokumentation zu Psycho (1960).

Darin wird gegen Ende auch der Moment gezeigt, in dem Vera Miles die mumifizierte Leiche von Norman Bates’ Mutter findet. Diese Szene hat mich mindestens drei Nächte lang um den Schlaf gebracht.

SH: Das kann ich mir vorstellen.

PL: Als ähnlich schlimm, aber nicht ganz so belastend empfand ich damals übrigens den Moment, in dem Charlton Heston und seine Crew zu Beginn von Planet der Affen ihre während des Fluges verstorbene Co-Astronautin (Dianne Stanley) entdecken. Crash-Zoom auf die mumifizierte Tote, dann ein ohrenbetäubendes Kreischen auf der Tonspur, das sich als Teil von Jerry Goldsmiths Filmmusik entpuppt. Das hinterließ einen bleibenden Eindruck bei mir. Aber das war auch ein Film aus der Videokiste und nichts, was ich mit meiner Oma geguckt habe.

SH: Aber bei ihr durftest du die Aktenzeichen-Freitage genießen?

PL: Genau. Ich denke, sie fühlte sich durch das Format in ihrem eher negativ gefärbten Weltbild, gemäß dem das Übel hinter jeder Ecke lauert, bestätigt.

SH: [lacht] Ich verstehe.

PL: Tatsächlich gab es circa bis zum Ende meiner Grundschulzeit einen festen Pool an Serien, die ich ungefragt sehen durfte: Die Sendung mit der Maus (seit 1971), Janoschs Traumstunde (1986–1990), Spaß am Dienstag (1984–1991), Löwenzahn (seit 1981) ... Aber alles andere bedurfte der Absprache mit meinen Eltern, wenn ich es nicht heimlich gucken wollte. Und Aktenzeichen auf Video aufzunehmen und es an einem anderen Tag ohne ihr Wissen zu gucken, war undenkbar, denn der Live-Aspekt der Sendung war mir sehr wichtig. Meine Eltern überschätzten vermutlich die Strenge meiner anderweitig sehr rigorosen Großmutter und ließen mich deshalb mit ihr und der pädagogisch nicht eben wertvollen TV-Verbrecherjagd allein.

Die Wurzeln der Verstörung


SH: Das hört sich alles vergleichsweise behütet an. Klar, Peter Lustig hat dich enttäuscht, die Filme in eurer Videosammlung waren alles andere als kindgerecht und gelegentlich...

Erscheint lt. Verlag 27.6.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Kunst / Musik / Theater Film / TV
ISBN-10 3-7578-7166-9 / 3757871669
ISBN-13 978-3-7578-7166-6 / 9783757871666
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