Das letzte Geheimnis des Theaters... (eBook)
Buchschmiede von Dataform Media GmbH (Verlag)
978-3-99139-487-7 (ISBN)
Dagmar Truxa, 1951 in Wien geboren. Klavierstudium, Schauspiel-, Tanz- u. Gesangsausbildung in Wien. Seit 1969 berufstätig als Schauspielerin und Sängerin. Unterrichtstätigkeit seit 1980 (Schauspiel, Stimmbildung, Klassischer Gesang, Coaching). 1981 Heirat mit Rudolf Pfister - Schauspieler und Regisseur. Ab 1987 musikalisch-literarische Soloprogramme in Eigenregie. Begegnung mit dem Schamanismus 1995. Ab 2000 Tätigkeit als Autorin: Bearbeitung und Einrichtung von Theaterstücken, Textliche Neubearbeitungen div. Operetten. 2008 erscheint das Buch 'A so a Theater!!' im Böhlau Verlag. Lebt und arbeitet seit 1992 freiberuflich in Wien, wo sie sich neben ihrer Tätigkeit als Schauspielerin und Sängerin nicht nur dem künstlerischen Nachwuchs widmet, sondern auch die oben beschriebene neue Coaching-Methode mit Elementen aus Schauspielausbildung und Schamanismus für Menschen aller Alters- und Berufsgruppen entwickelt hat.
Geschichten über die Tschauner-Bühne in Wien
Dieses letzte bespielte Stegreiftheater in ganz Europa wurde 1909 von Gustav Tschauner in der Brigittenau gegründet. Er heiratete die aus einer Theaterfamilie stammende Karoline Janousek-Tschauner. Die Beiden übernahmen das Theater ihrer Eltern und die Bühne übersiedelte nach Ottakring, zuerst in die Kendlergasse, dann in die Ganglbauergasse, bevor es 1957 seinen heutigen Platz in der Maroltingergasse 43 fand.
Mit dem Tod von Gustav Tschauner begannen schwierige Zeiten. Mit ihren 14 Beschäftigten kämpfte die Witwe Tschauner energisch um das Überleben und gegen die immer häufiger auftretenden Schäden an der Holzbühne. Nach fast 50 Jahren Theaterleitung musste sie wegen schwerer Krankheit aufhören. 1989 wurde die Bühne als »Original Wiener Stegreifbühne, vorm. Tschauner« unter der Leitung des Wiener Volksbildungswerkes und Franz Strohmer renoviert, wiedereröffnet und weitergeführt.
Früher – also etwa bis Mitte der 1960er Jahre – spielte man auch ernste, tragische Stücke, die damals ebenfalls als Komödien bezeichnet wurden.
Sie hatten eindrucksvolle Titel, wie „Der Sohn des Generals“, „Die barfüßige Gräfin“, „Die blutige Maria“, „Der Glöckner von Notre Dame“, „Das Phantom von St. Stephan“, „Der Henker von Paris“, „Marie Antoinette“. Ein besonderes Gustostückerl muss „Der blinde Hochseekapitän“ gewesen sein, den es seltsamerweise auch noch ins Gebirge verschlagen hat, wo er auf einen Bergwerksingenieur trifft – und – als das Bergwerk einstürzt – trotz seiner Blindheit einige Menschenleben rettet …
Auch Klassiker und viele Stücke von Anzengruber, wurden im Stegreif gegeben. Das hatte den Effekt, dass in einer Zeit ohne Fernsehen die einfachen Leute aus der Vorstadt, die niemals ins Burgtheater gekommen wären, die Möglichkeit hatten, auch einmal ein Drama zu sehen.
Wie bei der Commedia d’ell arte herrschte auch beim Tschauner eine unumstößliche Figurenverteilung: Die Alten, die Jungen – also das Liebespaar, der Intrigant, der Charakterspieler, der Komiker.
Die Beliebtheit beim Publikum wechselte, früher galt die Sympathie dem Liebhaberpaar, später dem Komiker.
Und es gab noch eine weitere Menge strenger Regeln. Dazu die folgende Geschichte, die mein Mann Rudolf Pfister selbst als junger Spund bei der Tschauner erlebt hat:
Rudi hatte ein Stück geschrieben mit dem verheißungsvollen Titel „Die blutige Maria“. Darin gab es auch eine Rolle für den damaligen Publikumsliebling Leo Glas – besonders bekannt durch seine schöne Sprache. Er hatte ein gewisses Pathos, sein „R“ rollte nur so dahin, sein scharfes „S“ zischte über die Rampe, sein „L“ kam doppelt daher. So deklamierte er z.B. mit blitzendem Auge und bedeutungsschwangerer Stimme: „Rrruchloserr Rrräuberr! Lasss mirr die Juwellen!“ Das kam gut an beim Ottakringer Publikum, deshalb wurde er allabendlich regelmäßig mit Auftrittsapplaus begrüßt.
Und dieser beliebte Mime sollte im neuen Stück schon im 1. Akt sterben. Es erhob sich ein Aufruhr im Ensemble „Den kann man doch nicht schon im 1. Akt sterben lassen, das war ja noch nie da!“ Hinzu kam noch, dass man sich damals am Schluss nicht verbeugen durfte, wenn man im Stück gestorben war. Wegen der Illusion … Man musste dann heimlich hinten raus, damit einen das Publikum nicht sieht … Allen außer Rudi war klar: Ein „Glas“ geht nicht heimlich hinten raus ohne Applaus!
Rudi zur Frau Direktor Tschauer: „Dann ziehe ich mein Stück zurück, es darf nicht aufgeführt werden!“ Tschauner liebevoll zu ihm: „Bist deppert, Bua?“ - dann mit der ihr innewohnenden Autorität zum Ensemble: „Lasst‘s ihn machen, wir werden sehen!“ und mit einem Seitenblick auf den gekränkten Mimen: „… der Leo hat ja eh jeden Abend seinen Applaus …“
Kein echter Künstler, der sich nicht zu helfen weiß. Leo Glas spielte die Rolle, spielte aus – es entwickelte sich ein nicht enden wollendes Sterben im 1. Akt trotz Messerstich. Sterben ist so eine Sache, kann schnell gehen, kann aber auch dauern – und so benutze er die Sterbeszene dazu eine ausführliche, natürlich nicht vom Regisseur einstudierte, sondern frei von ihm selbst erfundene Lebensgeschichte zu erzählen … das Stück dauerte gut 20 Min. länger, war aber ein rauschender Erfolg und somit waren alle zufrieden – außer Rudi …
Das Theaterleben der „Spieler“, wie man beim Tschauner immer noch sagte, war sicher kein leichtes. Doch etwas bekamen sie in ungeheurem Ausmaß: Die Liebe ihres Publikums. Das waren zum größten Teil Stammgäste, von denen einige sogar täglich kamen. Es gab ja kein Fernsehen, und die Freilufttheater spielten von Ostern bis Allerheiligen. Man war also (notfalls dick in Decken eingepackt) an der frischen Luft, unter Menschen, konnte essen und trinken – die Tschaunersche Knackwurst ist heute noch legendär – und für Unterhaltung wurde auch gesorgt. Das Gebotene wechselte zwischen Bauernstücken, Blut- und Bodendramen, Kindermärchen, Kriminalkomödien, Zirkusdarbietungen, sowie musikalischen Werken. Das Programm ließ also das ganze Jahr über keine Wünsche offen.
Leider habe ich diese Zeit nicht mehr miterlebt. Ich spielte bei der Frau Direktor Tschauner ab Mitte der 1970er Jahre. Im Spielplan der Tschaunerbühne fanden sich damals nur noch drei verschiedene Genres: Bauernkomödien, Kriminalstücke und Alt-Wiener Komödien. Und es gab auch immer noch die Klavierspielerin in ihrem Salettl, die vor der Vorstellung und in den Pausen das Publikum musikalisch auf die Vorstellung einstimmte.
Man hatte es als junger Mensch nicht leicht bei der Tschauner, denn die alteingesessenen „Spieler“ betrachteten jeden „Rollenspieler“ (das war die dort übliche, leicht verächtliche Bezeichnung für „gelernte“ Schauspieler) misstrauisch und mit Argusaugen. Und Gelegenheit in diverse Fettnäpfchen zu hüpfen, gab es reichlich. Es war für den Neuankömmling so gut wie unmöglich, diese Strukturen zu durchschauen.
Die Tschauner war wie gesagt die letzte aktive Stegreif-Bühne, was zur Folge hatte, dass viele Spieler aus den diversen Familienclans der anderen kleinen Theater hier zusammentrafen. Nur dass diese Familien untereinander seit Generationen verfeindet waren. Meist wussten die Beteiligten gar nicht mehr, warum. Aber sie hielten die Verhaltensmuster aufrecht. Wurde man von der „Glas-Seite“ akzeptiert, hatte man automatisch die „Mittler- Seite“ gegen sich. Der Mittler wieder war ein Ziehkind der Frau Direktor … und der „Alte Walcher“, der für die Älteren als der „Junge Walcher“ galt, der war der Glas-Familie nicht grün … und in der Damengarderobe wechselte mütterliche Hilfestellung mit unterdrückter Verachtung ob der Ungeschicklichkeit des Neuzugangs. Verließ eine der Darstellerinnen auch nur kurz die Gemeinschaftsgarderobe, bot sich den anderen die Gelegenheit, einmal Klartext über diejenige zu reden. So erfuhr ich schließlich mit der Zeit alles Wissenswerte über jede der Mitspielerinnen, sowie deren Familiengeschichte rückblickend auf die letzten 30 Jahre.
Nein, es war wirklich nicht leicht, als Neuzugang bei der Tschaunerbühne. Wäre ich nicht frisch verliebt in meinem Mann gewesen, und froh darüber mit ihm gemeinsam den Abend zu verbringen, so hätte ich wohl schon in den ersten 14 Tagen die Flucht ergriffen. Denn wie gesagt – es gab eben strikte Regeln, auf deren Einhaltung gepocht wurde. Wie zum Beispiel, dass man unterm Dirndl blickdichte weiße Strümpfe zu tragen hatte. Die Tschauner spielt im Sommer – solche Strümpfe sind sehr heiß und machen außerdem auch noch schrecklich dicke Beine. Kein Mensch wollte so was anziehen … ich trug dünne weiße Strümpfe – pah – nach drei Tagen kam die Frau Direktor zu mir und hielt mir eine wutentbrannte Rede, bei der ich erfuhr, dass mich der Komiker bei ihr verpetzt hatte. Obwohl, gesehen hatte sie es natürlich eh selber, denn sie hatte ein Argusauge auf alles, was auf der Bühne vor sich ging.
Am Anfang versteht man gar nichts. Jeden Tag ein anderes Stückl.
Um 18 Uhr versammeln sich die Spieler um einen großen Holztisch im Garten hinter der Pawlatsche. Der Spielleiter, der das Stück einstudiert – die Stücke sind übrigens im Familieneigentum – verteilt die Rollen:
„Heute spielen wir Bauern. Du bist die Zenzi, … 1. Akt, 1. Szene, der Huaberbauer sitzt mit der Ahnl am Tisch, da kummt der Knecht …“ Aha, ich bin also die Zenzi – aber wer ist diese Zenzi? – Man fragt leise den...
Erscheint lt. Verlag | 11.10.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kunst / Musik / Theater ► Malerei / Plastik |
ISBN-10 | 3-99139-487-1 / 3991394871 |
ISBN-13 | 978-3-99139-487-7 / 9783991394877 |
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Größe: 4,3 MB
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