Zeltkino Hiddensee -  Jörg Mehrwald

Zeltkino Hiddensee (eBook)

Eine Hiddenseer Kulturgeschichte 2012 - 2020
eBook Download: EPUB
2021 | 2. Auflage
342 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7534-1598-7 (ISBN)
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Es war eine unglaublich spannende und konfliktgeladene Zeit auf der Urlaubsinsel Hiddensee, als wir begannen das Zeltkino ins digitale Zeitalter zu führen. 2012 änderten sich die Spielregeln für das Kino grundsätzlich. Diese Chance nutzte ich, um aus dem Zeltkino mit einer langen Tradition einen kulturellen Hotspot völlig neuer Art zu machen. Es waren 9 Jahre voller Kinofilme plus viel Extra-Kultur unter dem Schirm der Gemeinde dieser besonderen Insel. Das Buch gibt einen tiefen Einblick in diese Zeit rund um das Geschehen im Zeltkino. Es ist sehr persönlich und es erzählt die wechselvolle Geschichte von den Erfolgen wie der Verleihung des Kinokulturpreises durch das Land, aber auch von Niederlagen. In Erinnerung an tausende Gespräche, viele herzliche Wiedersehen und die cineastische Begeisterung unserer Fans ist dieses Buch entstanden. Es ist mein herzlicher Dank an das einmalige Zeltkino-Publikum, das aus ganz Deutschland kam!

Jörg Mehrwald war 8 Jahre Chef und Filmvorführer des Zeltkinos Hiddensee und 2020 im Corona-Kino-Team dort tätig. Er machte aus dem Zelt eine Kinokultstätte und nahm 2019 den Kinokulturpreis des Landes MV entgegen. Mehrwald drehte die Kino-Musikdoku Karussell - Vier Tage auf Hiddensee, in der das Zeltkino selbst eine Rolle spielte und die zum erfolgreichsten Film der Saison 2015 auf der Insel wurde. Am Ende seiner 9 Jahre auf Hiddensee hatte er 14 Doku-Filme gedreht und an drei Filmfestivals teilgenommen. Er schrieb vor dieser Zeit 12 Romane, mehrere Sachbücher, war Autor für Hörspiele und TV-Produktionen wie 7 Tage, 7 Köpfe. Mehrwald arbeitete für Produktionen von fünf deutschen TV-Anstalten als Drehbuch- und Gag-Autor und schrieb mehrere Theaterstücke. Auf der Insel Hiddensee gründete er 2013 das Kabarett Lach- und Nordlichter für das Zeltkino Hiddensee, wo er 17 Kabarettprogramme schrieb und spielte. Außerdem erfand er eine Reihe von Events wie Das große Inselsingen. Seine Hörbücher erschienen kürzlich in einer zweiten Auflage als Wiederveröffentlichungen.

Das Jahr 2013


Nach einer Woche Proben spielte ich am 16. März 2013 vor der Kinosaison zusammen mit Schauspieler Sebastian Thiele den „Rotling“, der jetzt „DDR 2013 - Wir sind die Weltbesten!“ hieß, als Premiere in Cottbus. Zwei Tage zuvor begleitete er musikalisch meine Lesung „Mein smartphone erzählt Witze“. Ich bin Sebastian zu Dank verpflichtet, er sprang kurzfristig für den anderweitig verpflichteten Wolfram von Stauffenberg ein, der dann die Rolle auf Hiddensee wieder übernahm. Intendant und Regisseur Gerhard Printschitsch bin ich zu tiefstem Dank verpflichtet, er stellte mich auf die Schauspielbühne, da es mein eigener Text war, konnte ich es auch umsetzen. Die Theaternative C - Kleine Komödie Cottbus war auch der Geburtsort für eine weitere Idee. Sebastian arbeitet im Planetarium Cottbus. Eine tolle Location mit einem eindrucksvollen Projektor und einer Fulldomvideoprojektion. Wir beschlossen, ein Stück von mir dort aufzuführen mit Videoeinspielungen, die wir selbst drehen wollten. Aber dazu später. „Faust Schlagzeilen des Teufels“ - eine Tragikkomödie über die Boulevardmedien sollte im Dezember zur Aufführung kommen. Der Chef des Hauses, Gerd Thiele, war experimentierfreudig und machte den Termin fix. Doch erst mal musste ich nach Hiddensee.

Als ich im Mai von der Fähre kam, um die Ecke bog und sah die leere Wiese, auf der vor Monaten das Zeltkino stand, fiel mir vor Schreck wenig ein. Der Kurdirektor klärte mich auf. Die Gemeindevertretung hatte beschlossen, ein neues Zeltkino mit der Anmutung des alten Zeltkinos vom Wäldchen aufbauen zu lassen. Nach dem ersten Probejahr und meiner Zusage für die nächste Saison, war man der Meinung, das könnte eine erfolgreiche Sache werden. Natürlich für die eine Partei, die mit der Mehrheit. Die damalige Opposition hatte keinerlei Mehrheit in den Ausschüssen und in der Gemeindevertretung. Was für das Zeltkino von Vorteil war, denn es gab sehr handfeste Interessen eines Teils der Opposition, die natürlich nun unzufrieden war und sich gewünscht hätte, dass es in diesem Jahr mal ein anderer macht. Aber das bekam ich nur am Rande mit, mich kümmerte mehr die Ausgangslage für das neue Kinozelt. Jetzt musste eine technische Anlage in der richtigen Größenordnung angeschafft werden und unser Bewirtungsangebot konnte erweitert werden, denn es gab einen schönen Tresen. Ich organisierte zwei alte Fischernetze, die ausrangiert auf dem Müll lagen, reinigte sie und hing sie später an den Seiten im Zelt als Deko auf, an die große Filmplakate kamen. Unser Zeltkino musste unbedingt ein ganz eigenes Flair bekommen, auf gar keinen Fall eine schlechte Kopie eines Großstadtkinos sein. Die Wochen bis zur Saisoneröffnung verflogen mit Organisation und Marketing. Doch der Eröffnungstermin wurde mehrmals verschoben, eine Spezialität vom Kurdirektor, der alles, aber auch alles, eine Woche verschob. Ich habe das lange beobachtet, nie kapiert und wurde nun eher schweigsam, denn das brauchte ich nicht. Ich sollte schon bald kapieren, dass er richtig lag. Insel ist Insel, Insel ist nicht normal. Insel war damals sehr speziell. Man brauchte Geduld. Die Planung des neuen Zeltkinos war in der Hinsicht für mich eine Leistung der Organisatoren, die ich mit Respekt betrachtete. Sie war für die Insel 2013 außergewöhnlich.

Die Rettis, wie man die Rettungsschwimmer abkürzte, empfingen mich wie einen alten Kollegen. Hier war echte Freude - wenigstens zu einerm großen Teil - zu spüren. Man war wieder beisammen. Und ich saß wieder in meinem kleinen Zimmer ganz hinten links. Zwei Betten, ein Waschbecken, Kleiderschrank, ein Tisch zwei Stühle, Kühlschrank. Alles mit Sprelacart verkleidet - Ossis wissen, was das ist und es roch auch genauso, wie ich es von damals noch olfaktorisch von den Kunststoffplatten in Erinnerung hatte. Und ich war hier ja bald für ein halbes Jahr drin. Ich brauchte zwei Wochen, um das geistig auszublenden, was Meditationserfahrung manchmal nutzen kann. Die Größe des Zimmers in der Rettungsschwimmerunterkunft entsprach besten Voraussetzungen für ein klaustrophobisches Syndrom. Später scherzte ich immer, dass, wenn ich ein politischer Gefangener wäre, mich Amnesty International aus der Zelle befreien würden. Natürlich kann man das vier Wochen als Urlaubsunterkunft nutzen, bei einem halben Jahr ist es aber etwas anderes. Ganz abgesehen davon, die Hütte hatte ihre Eigenheiten. In der Heizperiode glänzte hier eine sehr eigenwillige Heizung mit einer die Nacht füllenden Vorstellung. Etwa aller 15 Minuten begann sie mit einem infernalischen MG-Gewitter, das sich langsam steigerte, das Wachbewusstsein zu aktivieren. Wer jemals diese Halbschlafphasen durchgemacht hat, ist froh, wenn er früh aufstehen kann. Später soll etwas Neues gemacht worden sein. Diese Heizung übertraf nur noch der Kühlschrank, der dadurch glänzte, dass er ein fast menschlich klingendes Stöhnen, Ächzen und Schniefen von sich gab. Das war in der Nacht besonders irritierend und vor allem peinlich. Denn wenn jemand das nebenan gehört hat, die Wände waren natürlich hauchdünn, dann hätte derjenige mir schwer Glauben geschenkt,. dass dieses Geräusch-Potpourri von einem Kühlschrank kam. Ich löste das Ein-Zimmer-Problem relativ einfach. Mein MacBook wurde mein treuer Begleiter. Ich arbeitete eigentlich rund um die Uhr am Laptop für das Zeltkino. Vormittags, Mittags, und nach dem Kino nachts. Fiel nur ins Bett, um morgens zum Joggen und Duschen wieder aufzustehen. Wenn es schön war, drehte ich in jeder Minute Filme auf der Insel, die ich dann nachts schnitt. Ich richtete den Facebook-Account ein und es freute mich, als sich mal zwei junge Frauen auf der Fähre unterhielten, die eine erkannte mich, sie sagte: "Das ist der verrückte Typ mit diesen abgefahrenen Filmen von der Insel". Es mag elegantere Komplimente geben, aber ich war mit dem Zeltkino aufgefallen und das wollte ich. Wir mussten raus aus der Ignoranz und der Verachtung, mit der uns viele überzogen, die immer noch der Propaganda einiger Meinungsträger auf der Insel glaubten. Meine Nachbarin in der Rettungsschwimmerunterkunft gehörte zu den Skeptikern. Sie leitet eine Gemeindeeinrichtung, versteht ihr Handwerk und ist die Frau im Hafen- & Kurbetrieb, die ich mit Fug und Recht mit dem Prädikat "belesen" auszeichnen würde. Nach Jahren einer respektvollen Distanz kamen wir in den letzten Jahren ins Gespräch. Und so hat man gegenseitig dann mehr verstanden von dem, was man so glaubte zu wissen. Ich möchte niemanden in Schwierigkeiten bringen, deshalb gehe ich hier nicht näher auf bestimmte Themen ein. Viele Gegebenheiten ändern sich ja nicht oder nur in geringem Maße auf einer Insel.

Nach Mitte Juni, Ende Juni war dann der 3. Juli 2013 als offizieller erster Spieltag angesetzt. Eine Woche zuvor war das Bogengerüst angeliefert worden, die große grüne Zeltplane und unsere Techniker halfen, der Lieferfirma beim Aufbau. Dann klemmte es mit Hebekran. Er kam zu spät. So ein Kran fährt ja nicht mal eben auf eine Insel rüber, der braucht eine Anmeldung und und einen Platz auf der stets ausgebuchten Lastenfähre, die ihre Festplätze für Müllentsorgung, Lebensmittelversorgung, Baustoffversorgung und vieles mehr hat. Der Kurdirektor zeigte sich gelassen. Nicht schön, aber wir würden es schaffen. Mich überkam eine andere Vorahnung. Da mir schon im ersten Jahr aufgefallen war, dass man auf Hiddensee so etwas wie Probeläufe, Soundchecks, technische Einweisungen nicht zu kennen schien, sondern hemmungslos einem undurchsichtigen Zufallsprinzip huldigte, das für jede Terminplanung die Hölle bedeutete, beschloß ich mich, zu beruhigen.Denn irgendwie ging doch auf Hiddensee immer alles gut.

Der Tag der Premiere rückte näher. Ich stand morgens im Zeltkino und es war unheimlich. Das Zelt war fertig, nur man verlegte noch eifrig den Holzfußboden. Auf meine Frage, wie man das schaffen will, kamen die ersten skeptischen Auskünfte. Es könnte knapp werden, da man ja nach dem Boden noch den Tresen bauen müsste … Ich verließ das Zelt in der Hoffnung, das sei nun mal so auf Hiddensee. Und dort wartete schon die nächste unangenehme Überraschung auf mich. Eine damals auf der Insel mit publizistischem Einfluß versehene Frau sprach mich unter vier Augen an. Sie trug ihren Fotoapparat vor sich her. Ein teures Stück, ich wusste, wer sie war. Sie stellte mir als Presse ein paar Fragen, die ich ihr frohgemut beantwortete. Sie verzog keine Miene und dann schoß es aus ihr heraus, was sich schon lange aufgestaut haben musste. Es war unangenehm, beleidigend und sehr direkt. Sie warf mir vor, dass ich meinen Job übernommen hatte, für einen Auftraggeber, der in politische Skandale verwickelt war. Ich reagierte ziemlich schmallippig. Es war nicht die Art des Vortrags, es war der Inhalt. Wenn diese Frau meine sogenannte Opferakte aus der DDR gekannt hätte, wäre sie wahrscheinlich nie zu mir gekommen. Das erste Mal war ich wirklich stinksauer, denn rechtfertigen musste ich mich hier ganz gewiss nicht, andererseits wurde mir so bewusst, dass ich auf der Insel keinen Tag länger geduldet wurde, wenn mein Arbeitgeber...

Erscheint lt. Verlag 29.4.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Kunst / Musik / Theater Film / TV
ISBN-10 3-7534-1598-7 / 3753415987
ISBN-13 978-3-7534-1598-7 / 9783753415987
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