Der Rosenkavalier -

Der Rosenkavalier (eBook)

Programmbuch

Bayerische Staatsoper (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
169 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7526-2131-0 (ISBN)
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Ein sonderbar' Ding, der "Rosenkavalier". Da hatte sich Richard Strauss mit Salome und Elektra gerade einen Ruf als Bürgerschreck auf der Opernbühne erarbeitet, war, wie er selbst schrieb, "an die Grenzen der Aufnahmefähigkeit heutiger Ohren" gegangen - um dann zusammen mit seinem Librettisten Hugo von Hofmannsthal das Publikum ausgerechnet mit den anachronistisch wehenden Walzern einer Hochadelskomödie in einem imaginierten Wien eines fantasierten 18. Jahrhunderts zu erobern. Das Wunderbare an dieser Sonderlichkeit ist dabei, dass Strauss und Hofmannsthal das Künstliche dieser Welt in Sprache und Musik auf die Spitze treiben und zu einem traum- und albtraumhaften Szenarium anwachsen lassen, in dem Platz ist für all die Themen, die den "Rosenkavalier" so bestechend machen: die Möglichkeiten und die Unmöglichkeit von Liebe, die Dringlichkeit und die Unerbittlichkeit der vergehenden Zeit, die Unverzichtbarkeit und unerbittliche Bedingtheit von Autonomie und Entscheidungsfreiheit. Barrie Koskys "Rosenkavalier" zollt auch meist weniger rezipierten Quellen des Werks wie der französischen Operette "L'Ingenu libertin" von Claude Terrasse und Louis Artus Tribut, fügt den liebgewonnenen Figuren von Sophie und Octavian, Ochs und Marschallin dadurch überraschende Facetten hinzu und erweitert in opulenten Bildern die Münchner Inszenierungsgeschichte des Werkes um ein aufregendes Kapitel.

Die Zeit kontrollieren. Ein Gespräch mit dem Regisseur Barrie Kosky



NiS Du erzählst den Rosenkavalier in Träumen. Was bedeutet das, und woher kam die Idee?

BK Man kann sagen, dass wir von Hofmannsthal und Strauss mit den drei Akten gewissermaßen drei unterschiedliche Opern bekommen haben.  Der erste Akt, der „Marschallin-Akt“, ist in seiner Klangsprache und in seiner theatralen Sprache perfekt gebaut, und mit der Szene um den Zeit-Monolog endet er auch theatralisch perfekt. Wenn dann der zweite Akt beginnt, ist es fast schockierend, wie anders das plötzlich ist – szenisch, aber auch klanglich. Es ist wie eine neue Oper. Ähnlich im dritten Akt, in dem Strauss am stärksten mit einer zeitgenössischen Klangsprache spielt und mit der Pantomime am Anfang ein Spiel im Spiel etabliert wird. Nachdem die drei Akte so stark für sich stehen, lag es für mich nahe, den Perspektiven zu folgen, die darin angelegt sind, und ich habe mich entschieden, ihnen als drei Träumen zu folgen. Wir entfernen uns damit auch von einer naturalistischen Interpretation des Werkes. Wenn wir den ersten Akt aus der Perspektive der Marschallin sehen, sind wir Zeugen ihrer Emotionen, ihrer fragmentarischen, gebrochenen Gedanken. Der zweite Akt ist wie ein Märchen: Es war einmal ein Mädchen, das hieß Sophie. Sie wacht auf und denkt: Heute ist der beste Tag meines Lebens. Und dann geht alles schief. Ein Albtraum. Der dritte Akt ist schon von Hofmannsthal wie eine Inszenierung von Octavian angelegt, also folgen wir seiner Perspektive wie einem Wunschtraum, in dem er das Geschehen kontrolliert. In der wunderbaren Schlussszene mit dem Terzett kommen die drei Perspektiven, die drei Träume, dann zusammen, die Ebenen verschwimmen. Zwei Filme mit starken surrealistischen Elementen waren vor allem für den ersten und den dritten Akt Inspirationsquellen, L’Année dernière à Marienbad von Alain Resnais und Le charme discret de la bourgeoisie von Luis Buñuel. Auch hier haben wir traumartige Welten, in die Menschen hineingeraten, und die Grenzen zwischen Traum und Realität verschwimmen. So wird es auch in unserem Rosenkavalier sein. Das erlaubt mir als Regisseur, mit inszenatorischen und technischen Mitteln zwischen den Ebenen von Traum und Realität zu wechseln. Ich kann durch diesen Zugang das Stück vom Staub befreien, den es vielleicht angesetzt hat, und dabei sehr nah an dem bleiben, was die Musik und der Stoff vorgeben. 

NiS Im Traum erscheint es uns gar nicht merkwürdig, wenn Dinge nebeneinander stehen, die eigentlich nicht zusammengehören. Beim Rosenkavalier ist es auch so, dass wir etwa Musik aus verschiedenen Epochen, unterschiedliche Klangsprachen nebeneinander hören. Du hast gesagt, ein Wort, das den Rosenkavalier gut beschreiben würde, wäre „fake“. Wie ist das gemeint?

BK Sehr positiv. Mit „fake“ meine ich artifiziell. Oder auch gefälscht, wie ein perfekt gemachter Rembrandt, den nicht Rembrandt gemalt hat. Die künstliche Rokoko-Welt, die Strauss aufbaut, ist eine fabelhafte Fälschung. Der Wiener Walzer, den Strauss benutzt, ist die charakteristische musikalische Form des 19. Jahrhunderts, wie er im Wien von Johann Strauss geprägt wurde. Bei einem Stück, das eigentlich im 18. Jahrhundert spielen sollte, ist das der deutlichste Anachronismus, den man sich ausdenken kann. Dazu kommt der Einfluss der Schriften Sigmund Freuds auf den Rosenkavalier. Die Traumdeutung erschien zehn Jahre vorher, und auch wenn sich Hofmannsthal teils ablehnend über Freud geäußert hat, ist die spezifische Psychologie Freuds im Libretto unübersehbar. Gerade diese Lehre ist aber wiederum charakteristisch für das 20. Jahrhundert. Wir haben es also mit der Behauptung eines Rokoko-Ambientes mit Musik aus dem 19. Jahrhundert und einem psychologischen Verständnis aus dem 20. Jahrhundert zu tun. Das ist „fake“ – und zwar im allerbesten Sinne. Strauss schreibt wunderbare Walzer für den Rosenkavalier, definitiv auf dem Niveau der Walzer von Johann Strauß. Die Melodien, die er operettenhaft anlegt, sind absolut auf dem Niveau von Franz Lehár. Und Strauss war sehr eifersüchtig auf Franz Lehárs Erfolg mit der Lustigen Witwe, besonders wegen der Tantiemen. In keinem seiner Werke spielt Strauss so sehr mit Artifizialität wie im Rosenkavalier. Und darin liegt die wunderbare Herausforderung: Den verschiedenen Schichten aus drei Jahrhunderten mit der Auseinandersetzung für unsere Gegenwart eine weitere hinzuzufügen. Ich muss sagen, dass ich lange mit diesem Werk gekämpft habe. Ich war immer fasziniert davon, aber ich wusste nicht, wie ich damit umgehen soll, dass diese Art von Stück auf Salome und Elektra folgte. Wir haben dann über drei Jahre ein Konzept entwickelt, von dem ich denke, dass es gut funktioniert. Aber in den Wochen der Proben habe ich eine ganz neue Bewunderung für Hofmannsthal und Strauss entwickelt. Wie klug ist doch dieses Spiel mit Form, mit Narrativen, mit Geschichte, die Komposition für Text. Von Salome und Elektra weiß jeder, dass das tolle Stücke sind. Aber nach der intensiven Arbeit in den Proben ist mir noch einmal neu klargeworden, dass Der Rosenkavalier ein imperfektes Meisterstück ist. Man könnte ihn als die erste postmoderne Oper bezeichnen. All die Schlagworte, die für die Postmoderne ab den 1980er Jahren geprägt wurden, passen auf das Werk: Dekonstruktion, Rekontextualisierung, Ironisierung.

NiS Susan Sontag hat 1964 einen inzwischen legendären Aufsatz geschrieben: Notes on “Camp”. Sie definiert Camp darin ungefähr als eine überpointierte, oft übertriebene Ästhetisierung, die dabei ihre Gegenstände nicht vorführt, sondern schätzt. Man könnte es vielleicht mit ehrlich gemeintem Kitsch übersetzen. Sie nähert sich der Definition über Vergleiche: Nicht Camp sind die Opern von Wagner. Camp sind die Opern von Strauss. Die einzige Oper, die sie explizit nennt und als camp bezeichnet, ist der Rosenkavalier

BK Sie hat vollkommen recht. Der Begriff „Camp“ ist heute kommerzialisiert und eigentlich tot, aber so, wie Susan Sontag ihn 1964 verwendet, stehe ich absolut dahinter. Man muss sich vorstellen, dass der vielleicht heteronormativste, kleinbürgerlichste, spießigste Komponist des 20. Jahrhundert solche Opern wie Salome, Elektra, Der Rosenkavalier, Ariadne auf Naxos und Die Frau ohne Schatten schreibt – fünf der campsten Opern des 20. Jahrhunderts. Und der Rosenkavalier ist die campste von allen. Supercamp. 

NiS Sontag betont den Zusammenhang zwischen Camp und Travestie, also das Element, das wir heute vielleicht mit queer in Verbindung bringen würden. 

BK Das hat eine riesige Tradition. Vom griechischen Theater über Shakespeare bis ins 20. Jahrhundert. Der Rosenkavalier entstand aus der Zusammenarbeit von Harry Graf Kessler, einem homosexuellen Mann, Hugo von Hofmannsthal, einem mutmaßlich unausgelebt bisexuellen Mann – und ich glaube, sie projizierten viel von ihrer Sexualität auf die Octavian-Figur. Es geht nicht nur um das Cross-Dressing, auch darum, wie es gemacht wird. Es gibt eine Verbindung zu Shakespeares As you like it und The twelth night, aber vor dem Hintergrund des 20. Jahrhunderts und mit der Frauenstimme wirkt es im Rosenkavalier noch viel stärker. Und ich glaube, es gibt noch mehr Projektionen im Rosenkavalier. Für Kessler kommt die Figur der Marschallin, der einsamen Aristokratin in einem melancholischen Moment, seiner eigenen Biographie sehr nahe. Vielleicht könnte Ochs für beide, Kessler und Hofmannsthal, als Vater-Projektion stehen. Das alles zusammengenommen bedeutet: Wenn wir Susan Sontags Begriff von Camp wir für unsere Zeit zu queer erweitern, dann ist Der Rosenkavalier definitiv eine der campsten und queersten Opern aller Zeiten.

NiS Harry Kessler steht für den kosmopolitischen Einfluss auf das Rosenkavalier-Projekt, er reiste pausenlos durch die Welt, war mit bedeutenden Künstlern, Schriftstellern, Politikern und dem Hochadel bekannt. Ohne ihn hätte Strauss von L’Ingenu libertin, der Operette, auf deren Grundlage das erste Rosenkavalier-Szenario entstanden ist, vielleicht nie erfahren. Kessler hatte das Stück in Paris gesehen und Hofmannsthal davon erzählt. Wieviel französische Operette steckt noch im Rosenkavalier

BK Fast keine. Es ist wie mit aller großen Kunst: Die Ursprünge, die Quellen entwickeln sich und gehen im neuen Ganzen irgendwann unter. Natürlich war es für Strauss eine wichtige Frage, was nach Salome und Elektra kommen sollte. Strauss und Hofmannsthal haben ja auch viel darüber diskutiert, und beide hatten ein gutes Gespür für das Theater. Als Kessler mit der Idee kam, wusste Hofmannsthal, was daraus zu machen war, und Strauss lieferte entscheidende Hinweise. Ich finde es unglaublich, dass Kessler jahrelang gewissermaßen aus der Entstehungsgeschichte herausgeschrieben worden ist. Was am Ende herauskam, war natürlich keine französische Operette wie die, die Kessler gesehen hatte. Aber es gibt einen Hauch französischer Operette in der DNA des Rosenkavalier. Und was davon in meine Inszenierung einfließt, ist Leichtigkeit. Die Arbeit an der Oberfläche. Unter der Oberfläche ist die Tiefe, aber man spielt nicht die Tiefe. Es ist ein Missverständnis, Operette als bloße Oberflächenkunst zu sehen. Es geht darum, mit der Leichtigkeit des Oberflächlichen die Tiefe zu zeigen, die darunterliegt. Das zweite Element aus der französischen Operette, das ich verwendet habe, ist die Farce. Die ist eigentlich auch viel älter, wir finden sie in der griechischen Komödie, bei Aristophanes, aber die Operette des 20. Jahrhunderts entwickelt eine...

Erscheint lt. Verlag 18.3.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Kunst / Musik / Theater Musik
ISBN-10 3-7526-2131-1 / 3752621311
ISBN-13 978-3-7526-2131-0 / 9783752621310
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