Tal Sterngast. Zwölf Bilder (eBook)

Betrachtungen aus der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin
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2020 | 1. Auflage
112 Seiten
Hatje Cantz Verlag
978-3-7757-4906-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Tal Sterngast. Zwölf Bilder -  Michael Eissenhauer,  Tal Sterngast
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Die Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin ist für ihre hervorragende Sammlung europäischer Meisterwerke des 13. bis 18. Jahrhunderts bekannt. Jedes der zwölf Kapitel dieses Buches ist einem Gemälde aus der Sammlung gewidmet. In der Zusammenschau zeigt sich eine Malerei, wie sie sich selbst entdeckt und dabei zum Medium wird, um moderne Subjektivität auszudrücken. Die hier besprochenen Gemälde entfalten sich in ihren künstlerischen Fragen, die auch die unseren sind. In welchen Paradoxien entstehen Kunstwerke, die von Frauen geschaffen werden? Wie beeinflusst der alte Drang, Kunstwerke zu zerstören, den heutigen Diskurs über Kunst? Wo setzte der moderne Kampf der Malerei gegen das Bild ein und wie wirkte er sich aus? Warum sucht uns der Wilde Mann aus der deutschen Renaissance noch heute heim? Und warum ist es unwichtig zu wissen, ob Jan Vermeer beim Malen ein optisches Gerät verwendete oder nicht? 'Zwölf Bilder' ist eine Hymne an die Aktualität der Alten Meister.

Cover
Title
Impressum
Grußwort: Michael Eissenhauer
Einleitung: Tal Sterngast
Das Museum als Safe Space / Amor als Sieger (1601/02) von Caravaggio
Der Körper der Malerei / Susanna und die beiden Alten (1647) von Rembrandt van Rijn
Die Verschwörung der Malerei / Joseph und die Frau des Potiphar (1655) von Rembrandt van Rijn
Durch eine gläserne Wand / Junge Dame mit Perlenhalsband (1663–1665) von Jan Vermeer van Delft
Die Kreativität der Frauen / Prinz Heinrich Lubomirski als Genius des Ruhmes (1787/88) von Elisabeth Vigée-Lebrun
Der Schwindel der Zeit / Diptychon von Melun (um 1455) von Jean Fouquet
Die Architektur des Himmels / Die Madonna in der Kirche (um 1440) von Jan van Eyck
Ein Zoom aus der Ferne / Darbringung Christi im Tempel (um 1454) von Andrea Mantegna
Der Schatten der Existenz / Selbstporträt I und II (1649 und 1650) von Nicolas Poussin
Der Plan der Natur / Landschaft mit dem Evangelisten Matthäus und dem Engel (1640) von Nicolas Poussin
Die Sehnsucht nach dem Wilden Mann / Landschaft mit Satyrfamilie (1507) von Albrecht Altdorfer
Das wahre Bild / Das Heilige Antlitz Christi – Vera Icon (um 1420) von einem unbekannten westfälischen Künstler
Danksagung

Der Körper der Malerei


Susanna und die beiden Alten (1647) von Rembrandt van Rijn


Eine junge Frau ist dabei, ins Wasser zu treten. Sie wirft uns einen Blick zu, aus dem Sorge, Angst und Verzweiflung sprechen, während ihr nackter Körper sich nach vorn beugt. Ihre blasse Haut glüht unter dem Lichtstrahl, der die rechte Seite dieses Ölgemäldes auf Tropenholz, Rembrandt van Rijns Susanna und die beiden Alten aus dem Jahr 1647, erleuchtet. Susanna hat wohl gerade erst ihren opulenten Umhang abgelegt und ihre Pantoffeln abgestellt. Beide sind in warmem Rot gemalt. Man meint, beinahe die Wärme ihrer Füße fühlen zu können, die eben aus den Pantoffeln herausgeschlüpft sind. Susanna möchte ein Bad nehmen, und ihr rechter Fuß, stabil und kräftig, ist bereits ins klare Wasser getaucht. Ein elegant gekleideter älterer Mann ist derweil gerade dabei, ihr mit der linken Hand das Tuch herunterzuziehen, das um ihre Hüften geschlungen ist, während er sein Kinn auf seine Rechte stützt. Begleitet wird der Mann von einem bärtigen Alten, der weniger detailreich gemalt ist. Doch auch sein verschlossenes Gesicht wird vom Licht erleuchtet. Beide haben sich hinter ihr überraschtes und hilfloses Opfer auf die steinerne Treppe zum Wasser geschlichen. Susannas Blick macht uns zu Zeugen des Geschehens.

Von Verschwörung und Verleumdung handelt die Geschichte Susannas, von der im Buch Daniel berichtet wird. Sie erzählt von der tugendhaften jungen Frau eines wohlhabenden babylonischen Juden, die von zwei Richtern erpresst wird. Sie versuchen Susanna dazu zu nötigen, mit ihnen zu schlafen. Voller Gottvertrauen weigert sie sich, worauf sie von den Richtern der Unzucht bezichtigt wird. Sie habe sich am Bad mit einem Liebhaber getroffen. Sie wird wegen Ehebruchs zum Tod verurteilt, aber vom jungen Daniel gerettet.

Susanna und die beiden Alten war ein beliebtes Motiv im Amsterdam des 17. Jahrhunderts, wo ein calvinistischer Ikonoklasmus zu einer Verbannung der meisten Kunstwerke aus den Kirchen geführt hatte, auch wenn es sich um Gemälde mit religiösen Sujets handelte. Biblische Szenen wurden stattdessen nun für die säkulare häusliche Sphäre gemalt, und die Malerei florierte. Eine besondere Spannung zwischen spiritueller Passion und Alltagsleben, die Rembrandts Gemälde und die anderer Maler des niederländischen »Goldenen Zeitalters« als Resultat dieser mentalen Disposition miteinander teilen, durchdringt Susanna.1 Nirgends ist in der biblischen Geschichte die Rede von einem Bad oder von einem physischen Übergriff. Aber wie im Fall anderer biblischer oder mythologischer Erzählungen mit weiblichen Protagonisten diente das Thema seit dem 16. Jahrhundert als Vorwand, um von der Tugend gebilligt den (erotischen) Akt zu zeigen.

Die niederländische Kultur jener Zeit war von einer moralischen Ambiguität bestimmt, die der Wohlstand mit sich brachte. Die Wirtschaft des Landes hatte sich im Lauf der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zur weltweit dominierenden entwickelt, die Niederlande waren zur globalen Macht geworden. Reichtum und demonstrativer Konsum – von Ming-Porzellan, Lyoner Seide, brasilianischen Smaragden, orientalischen Gewürzen und anderen weltlichen Schätzen – verbanden sich mit den Zwängen calvinistischer Selbstbeschränkung und Scham.2 In einem Zeitraum von weniger als hundert Jahren überstand die kleine Nation mit zwei Millionen Einwohnern eine Flut, in der die flache Landschaft beinahe unterging, und einen achtzig Jahre dauernden Krieg mit Spanien. Die Niederländer entwickelten die Vorstellung, eine auserwählte Nation zu sein, deren Auswirkung noch heute zu spüren ist. Dabei sahen sie sich vor grundlegende Fragen gestellt: Wie kann man stark sein, und doch rein? Wie kann man reich sein, und doch bescheiden?

Rembrandt war 41 Jahre alt, als er das Gemälde im Jahr 1647 vollendete, zwölf Jahre nach den ersten Skizzen des Motivs. Der Malprozess scheint aufwändig gewesen und von einem dynamischen Ideenaustausch innerhalb seines Studios begleitet worden zu sein. Zahlreiche Zeichnungen und Skizzen sowie ein früheres Gemälde, das sich ebenfalls in der Berliner Gemäldegalerie befindet, bezeugen eine kontinuierliche, außergewöhnlich lange Beschäftigung mit dem Sujet. In Susanna und die beiden Alten (nach 1636, heute seiner Werkstatt zugeschrieben) ist der Rücken der ungekämmten und hockenden Susanna so hell, dass er seine dunkle Umgebung wie eine Lichtquelle neutralisiert; eine weitere frühere Susanna (1636, heute im Mauritshuis in Den Haag) zeigt eine filigran beschnittene Version der Szene, wie sie auf dem Berliner Gemälde erscheint, wobei sich die nackte Susanna dem Künstler und Betrachter zuwendet, während sich die beiden Alten, kaum zu erkennen, in den lebensecht gemalten Büschen verstecken.

Susanna und die beiden Alten, 1647 / Rembrandt Harmensz van Rijn (Leiden 1606–1669 Amsterdam) / Sir Joshua Reynolds (1723–1792), Tropenholz (Amaranth), 76,7 × 92,9 cm / Kat. Nr. 828E / 1883 Ankauf von Sir Edmund Lechmere (Worcestershire) durch Vermittlung des Kunsthändlers Charles Sedelmeyer, Paris / Foto: Christoph Schmidt

Was aber war das eigentliche Sujet des Bilds? Als Künstler und Leiter einer Werkstatt kehrte Rembrandt immer wieder zum Moment der sich entkleidenden, sich auf das Bad vorbereitenden Frau zurück. Auch die später entstandenen Bathseba an ihrem Bad (1654, jetzt im Louvre in Paris) und Frau badet am Fluss (ebenfalls 1654, jetzt in der National Gallery in London) können zu diesem Unternehmen gezählt werden. Anders als in Abbildungen badender Frauen, die voyeuristische Begierden befriedigen sollen, scheint sich Rembrandt mehr für den Augenblick als solchen zu interessieren, in der eine Frau sich entblößt. Dabei erkennt er die Machtverhältnisse an, in denen der Künstler auch ein Beobachter ist, der einen intimen Moment stört. Scham, Bewusstsein und Versuchung fließen ineinander.3 Es handelt sich also nicht um eine bloße Verdinglichung der Frau durch die Alten, den Maler und schließlich den Betrachter. Rembrandt stellt vielmehr den Augenblick dar, in dem ein intimer Kreislauf unterbrochen, die Präsenz der Frau sich selbst gegenüber in Frage gestellt wird. Dieser Moment markiert einen Zusammenbruch; der Spalt, der sich hier auftut, ist wesentlich. Er trennt Susanna von sich selbst.4

Rembrandt ließ sich für sein Bildnis der Geschichte Susannas offenkundig von Pieter Lastmans Gemälde aus dem Jahr 1614 inspirieren. Heute hängen beide Bilder nebeneinander in der Berliner Gemäldegalerie. Doch während Lastmanns Gemälde einer theatralischen Choreografie in hoher Auflösung vor dem Hintergrund eines naturalistischen Gartens folgt, in der die Blicke sich auf nichts und niemand zu richten scheinen, erfüllt Rembrandts Bild den Betrachter mit Schrecken. Susanna erscheint als menschliche Präsenz aus Farbe, die man greifen zu können meint. Die hoffnungslose Situation, einem männlichen Überfall ausgeliefert zu sein, erzeugen Scham und Mitleid beim Betrachter.

Die vom Schrecken geweiteten Augen Susannas könnten ein Gefühl der Intimität zwischen Modell und Künstler offenbaren. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war es Hendrickje Stoffels, die Rembrandt im Atelier als Susanna Modell stand und auch hier die Rolle seiner verstorbenen Frau Saskia einnahm. Indem Rembrandt oft Frauen, die ihm nahe standen, als Modelle nutzte, machte er sein Inneres und sein Privatleben auf der Leinwand öffentlich. Als er das Bild beendete, war er bereits sechs Jahre verwitwet. Seine Ehe mit Saskia scheint nicht nur dem Wunsch nach sozialem Aufstieg geschuldet gewesen zu sein, sondern war, nach allem, was wir wissen, eine Liebesbeziehung. Saskia war gestorben, als ihr gemeinsamer Sohn Titus noch ein Säugling war. Die zwanzig Jahre jüngere Hendrickje wurde bald darauf seine Geliebte und gebar die Tochter Cornelia, benannt nach Rembrandts Mutter. Die beiden lebten zusammen, heirateten aber nie, um Rembrandts Erbe nicht zu gefährden, und Rembrandt zeigte Hendrickje später offen in mehreren seiner wichtigsten Frauendarstellungen, insbesondere der Bathsheba (1654). Das hat vermutlich den Amsterdamer Kirchenrat im selben Jahr dazu veranlasst, Hendrickje wegen des Vorwurfs zu rügen, in Unzucht mit Rembrandt zu leben.

Die Vorstellung liegt nahe, dass Hendrickjes Identifikation mit der belästigten und entblößten Susanna heute noch in den von Rembrandt gemalten Gesichtszügen zu lesen ist. Hendrickje wurde mehrfach durch den Kirchenrat und von Gerichten verfolgt, blieb aber bis zu ihrem Tod an Rembrandts Seite. Sie sorgte für ihn, als seine Popularität bei Kunden und Händlern schwand, er Konkurs anmelden musste und trotz seines durchaus vorhandenen Bewusstseins, ein herausragender Maler zu sein, offiziell Angestellter seiner Geliebten und seines Sohns wurde. Rembrandts Frauenbilder riefen noch zu seinen Lebzeiten Kritik und Empörung hervor. Warum malte er gewöhnliche Bäuerinnen anstelle einer griechischen Venus? Andries Pels, ein niederländischer Dichter, schrieb 1681 über den Maler: »Hängende Brüste, verkrümmte Hände, sogar die Abdrücke des Schnürmieders über dem Bauch oder das Strumpfband auf dem Bein: all das musste gezeigt werden, als schulde man das der Natur. Er verweigerte, sich Regeln oder Gründen des Maßhaltens zu unterwerfen, wenn er Körperteile zeigte.«5 Der britische Autor Benjamin Robert Haydon wurde noch deutlicher. Rembrandts »Ansichten der zarten Formen...

Erscheint lt. Verlag 4.12.2020
Reihe/Serie Hatje Cantz Text
Mitarbeit Designer: Neil Holt
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Kunst / Musik / Theater Malerei / Plastik
Schlagworte Alte Kunst • Gemäldegalerie • Malerei
ISBN-10 3-7757-4906-3 / 3775749063
ISBN-13 978-3-7757-4906-0 / 9783775749060
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