Zwischen Himmel und Erde -  Marga Bijvoet

Zwischen Himmel und Erde (eBook)

Baldovinetti, Carpaccio, Vanosino, Tiepolo: Kunst und Karten
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2020 | 1. Auflage
240 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7526-1679-8 (ISBN)
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In vier Aufsätzen widmet sich Marga Bijvoet dem Verhältnis von Kunst und Kosmographie im Übergang von der Renaissance zum Barock. Am Beispiel von Baldovinettis 'Geburt Christi und die Anbetung der Hirten', Carpaccios 'Wunder der Reliquie vom Heiligen Kreuz am Rialto', der 'Sala del Mappamondo' des Palazzo Farnese in Caprarola und Tiepolos Ausmalung des Treppenhauses der Würzburger Residenz geht sie auf die Wechselbeziehung zwischen der Entdeckung der Welt durch Reisende und Forscher und der Darstellung der Welt in jenen Werken ein. Alle vier Aufsätze verbindet, daß es sich bei den Kunstwerken um Projekte für (halb-)öffentliche Räume handelte, die, indem sie repräsentative Aufgaben erfüllten, den Erfahrungshorizont der Auftraggeber im Dialog mit den Künstlern in einer Zeit des Epochenwandels wiedergaben.

Marga Bijvoet, in Oldenzaal (NL) geboren, hat an der Rijksuniversiteit Groningen Kunstgeschichte studiert und wurde an der Erasmus Universiteit Rotterdam promoviert. Zu ihren Veröffentlichungen gehören 'Art as Inquiry' und 'The Greening of Art'. Sie arbeitet und wohnt in der Nähe von Köln.

Vorwort


Die vier Kunstwerke, welche im Mittelpunkt dieser Schrift stehen, umspannen einen Zeitraum von rund zweihundertfünfzig Jahre: vom Ende des 15. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. Auf den ersten Blick scheint es, als hätten sie nichts miteinander gemeinsam, dennoch betrifft es vier Werke, die an einem Scheidepunkt der Kunstgeschichte angesiedelt sind, gewissermaßen in einer Übergangsperiode. Alle machen sie Teil eines größeren Ganzen aus und befinden – oder befanden – sich in einem öffentlichen oder halböffentlichen Raum. Drei der vier sind Fresken, nur beim Wunder der Reliquie vom Heiligen Kreuz am Rialto (Miracolo della Croce a Rialto) handelt es sich um ein Gemälde auf Leinwand. Alle markieren sie auf eigene und zeitgenössische Weise einen Raum, eine ›Karte‹, die von den Zuschauern verlangt, daß sie ihren Blick auf die Umgebung – sei es buchstäblich oder im übertragenen Sinn – richtet.

Ausgehend von dem Gedanken, daß die Kunst nicht losgelöst von anderen Ereignissen der Zeit existiert, bildete sich die Vorstellung, den Blick zu weiten, indem man ihn auf das richtet, was allgemein zur selben Zeit an erneuernden Aktivitäten oder Ideen stattfand. Fast selbstredend gelangte ich zu den großen Veränderungen, die seit der Entdeckungen der außereuropäischen Kontinente und der ›Neuen Welt‹ über die Erde verbreitet haben. Die Entdeckung der neuen Erdteile war mit einem neuen Blick nach außen verbunden, einem starken Interesse für das Fremde, das sich in der Folge insbesondere in den wissenschaftlichen Entwicklungen in Geographie und Kartographie, als auch in den medizinischen Wissenschaften und der Naturkunde, inbesondere der Botanik wiederspiegelte. Die großen Welt- und Entdeckungsreisen ab dem Ende des 15. Jahrhunderts mit den darauf folgenden Verschiebungen der Machtzentren, der ökonomischen und politischen Kräfte, die hiermit in engem Zusammenhang standen, wurden daher auch die Leitlinie bei der Kartierung dieser Umgebung. Jedes Kapitel besteht daher aus zwei mehr oder weniger parallel zueinander verlaufenden Geschichten, die freilich in keinem kausalen Zusammenhang miteinander stehen, sondern gewissermaßen auf einer verlängernden Linie liegen.

Im Mittelpunkt des ersten Essays steht das Fresko, das Alesso Baldovinetti im Chiostrino dei Voti der Santissima Annunziata in Florenz gemalt hat: Die Geburt Christi und die Anbetung der Hirten (1460-1462). Es ist nicht so sehr ein chiostro (Kreuzgang) im traditionellen Sinn, sondern ein Atrium, welches vor den Haupteingang gesetzt wurde und den der Kirchgänger durchqueren mußte, ehe er die Basilika betrat, zu dem Zweck, Raum für die vielen Votivgaben der Pilger, die zu der Zeit in großer Zahl die SS. Annunziata besuchten, zu schaffen. Diese Kirche hatte sich nämlich dank eines wunderbaren Freskos der Verkündigung (Annunziation) der Heiligen Jungfrau Maria, das sich hier befand, zu einer wahren Pilger- und Andachtsstätte entwickelt. Baldovinettis ›Geburt Christi‹ war das erste einer Reihe berühmter Fresken mit Szenen aus dem Leben von Maria und aus dem Leben des Heiligen Filippo Benizi, des Schutzheiligen des Ordens der Serviten (Ordo Servorum Mariae), dem die Kirche zugehörte. Baldovinetti wird allerdings nicht zu den berühmtesten Künstlern der Frührenaissance gerechnet; dennoch galt ihm bald besondere Aufmerksamkeit wegen seiner ›realistischen‹ Landschaft des Arnotals. Diese Landschaft, die von einer neuen Herangehensweise an die natürliche Umgebung zeugt, bildet den Ausgangspunkt für parallel laufende Betrachtungen, wie wir sie in den Reisebeschreibungen von Papst Pius II., den Commentarii, lesen können. Auch aus Della Famiglia von Leon Battista Alberti, dem bekanntesten Architektur- und Kunsttheoretiker seiner Zeit aus Florenz, spricht ein neuer, sich nach außen wendender Blick.

Der zweite Aufsatz behandelt den Auftrag, den Vittore Carpaccio von der Scuola Grande di Giovanni Evangelista in Venedig erhielt, um das Wunder der Reliquie vom Heiligen Kreuz am Rialto (Miracolo della Croce a Rialto) zu malen. Es war das erste eines Zyklus von neun Leinwänden, die für das Oratorium des Heiligen Kreuzes bestimmt waren, in dem auch die Reliquien aufbewahrt wurden. Diesen Raum kann man ebenfalls als einen halböffentlichen Raum betrachten, in dem die Angehörigen der Bruderschaft und andere Geladene zum Gebet zusammenkamen. Ebenso wie Baldovinetti zählte Carpaccio nicht zu den fortgeschrittenen Renaissancekünstlern, was aber seiner Beliebtheit als Maler im Venedig des ausgehenden 15. Jahrhunderts keinen Abbruch tat. Der größte Teil seines Werks besteht aus religiösen Themen.

Carpaccios Wunder der Reliquie vom Heiligen Kreuz am Rialto sticht hervor, weil es den Canal Grande und die Umgebung der Rialtobrücke abgebildet hat, wie sie zu der Zeit ›tatsächlich‹ aussahen. Darüberhinaus hat uns der Künstler auch einen Eindruck vom alltäglichen Leben und den Aktivitäten in diesem Teil der Stadt gegeben. Damit handelt es sich um eines der frühesten Gemälde, die als veduta, als wirklichkeitsgetreue Stadtansicht bestimmt werden können. Venedig ist hierin nicht nur die Stadt, in der noch Wunder geschehen, sondern vor allem einen blühende internationale Handelsstadt. Viele Pilger zogen von hier ins Heilige Land aus. Die Stadt war außerdem ein Zentrum der Buchdruckkunst und der kartographischen Innovationen. Jacopo de‘ Barbaris Karte der Veduta di Venezia (1500) ist davon nur ein Vorbild, wenngleich eines der bekanntesten.

Die Entdeckungen der ersten großen Seefahrer und Weltreisenden erlangten durch Reiseberichte stets größere Bekanntheit. Die sich dadurch ändernden geographischen Beziehungen schlugen sich in neuen wirtschaftlichen Entwicklungen nieder, wobei die Folgen für die Serenissima nicht lange auf sich warten ließen: Langsam verschob sich die Wirtschaftsmacht zum Westen und Norden Europas hin.

Der dritte Teil handelt weniger vom Werk eines Künstlers sondern von dem einer Gruppe, die zwischen 1573 und 1575 die Dekoration eines ganzen Raums im Palazzo Farnese in Caprarola – der einstigen Außenresidenz des Kardinals Alessandro Farnese – übernommen hat: der Sala del Mappamondo. Die Malereien des Saals wurden als Darstellung des Universums entworfen. Wandkarten von vier Kontinenten: Europa, Afrika, Asien und Amerika, von Italien und Palästina, sowie eine Weltkarte zieren die vier Wände. Die Decke überzieht ein Sternenhimmel mit mythologischen Figuren nach der Astrologie des Ptolemaeus, wobei ein Fries mit Szenen der zwölf Tierkreiszeichen den Übergang bzw. die Verbindung zwischen den irdischen und den himmlischen Sphären bildet. Insbesondere die Mappamondo ist es indes, die dem Saal seinen Namen und seine Bekanntheit verlieh.

Gegen Ende des 16. Jahrhunderts waren die geographischen Umrisse der Weltteile – mit Ausnahme der Polgebiete und Australiens, das noch nicht entdeckt war – großenteils bekannt. Andererseits hatten die Entdeckungsreisenden das Interesse an den neuen Kontinenten angefacht, in dessen Kielwasser auch die Produktion von Karten in allerlei Formaten stark zunahm. Der Bedarf an genauen Karten, sowohl nautischen als auch geographischen, führte zu wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen in der Kartographie von unter anderen Abraham Ortelius und Gerhard Mercator, die wir noch stets bewundern. Zu gleicher Zeit fanden parallel hierzu große Veränderungen in der wissenschaftlichen Methode, insbesondere in Medizin und Biologie statt, wie sie im Werk von Naturwissenschaftlern Ulisse Aldrovandi erkennbar sind. Forscher begannen zu messen und zu berechnen. Es sind die ersten Schritte einer empirischen Erforschung der Erscheinungen der Natur. Botaniker wie Aldrovandi, Clusius oder Rauwolf begaben sich auf Expedition, um das draußen wahrgenommene sorgfältig zu beschreiben oder zu sammeln. In der Malerei strebten Künstler nach einer stets naturgetreueren Darstellung der Landschaft. Die große Zahl ›Landschaften‹ im Palazzo Farnese zeugt davon. Dennoch bleiben es ideale Landschaften, die als Hintergrund in eine mythologische oder allegorische Erzählung integriert werden.

Der moderne zeitgenössische Palazzo Farnese bleibt so dem alten Weltbild verhaftet.

Gehören die vier Allegorien der Kontinente, welche die Sala del Mappamondo schmücken, zu den frühesten, so zählen die vier Erdgöttinnen von Giovanni Battista Tiepolo, welche die Hauptrolle im vierten Aufsatz spielen, zu den letzten Darstellungen dieser Art. Gut anderthalb Jahrhunderte später malte Tiepolo für das Treppenhaus der bischöflichen Residenz in Würzburg sein großes Deckengemälde der Allegorie der Planeten und Kontinente (1751-53). Jeder Besucher und Gast des Fürstbischofs betrat den Palast über den monumentalen Aufgang und wurde auf diese Weise mit einer Darstellung von ›Glanz und Glorie‹ konfrontiert, die der Auftraggeber, Carl Philipp von Greiffenclau, ausstrahlen wollte. Die Fürstbischöfe des Heiligen Römischen Reichs, wozu auch Würzburg gehörte, versuchten insbesondere in...

Erscheint lt. Verlag 18.11.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Kunst / Musik / Theater Malerei / Plastik
ISBN-10 3-7526-1679-2 / 3752616792
ISBN-13 978-3-7526-1679-8 / 9783752616798
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