Filmökonomik -  Otto Wirtz

Filmökonomik (eBook)

Wirtschaft, Unternehmerbilder und Arbeitsrecht in deutschsprachigen Spielfilmen der Nachkriegsjahre

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
368 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7526-1414-5 (ISBN)
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Die Untersuchung Filmökonomik - Wirtschaft, Unternehmerbilder und Arbeitsrecht in deutschsprachigen Spielfilmen der Nachkriegsjahre beruht auf einem Quellenmaterial von ca. 200 zwischen 1945 und 1961 gezeigten Spielfilmen. Die Einschätzung dieser Spielfilme durch die intellektuelle Meinung ist durchgehend negativ. Umso überraschender ist es, dass zahlreiche Filme durchaus konstruktive und fortschrittliche Tendenzen aufweisen. Die Filme favorisieren Werte, die auch heute (wieder) aktuell geworden sind - auch wenn dies vielfach in einer geschmacklich kaum nachvollziehbaren Form geschieht. Zahlreiche Spielfilme erweisen sich aus wirtschaftshistorischer und arbeitsrechtlicher Hinsicht nicht als rückständig, sondern als fortschrittlich. Es wird untersucht, welche Wertvorstellungen vermittelt wurden. Die Rolle der Frau als Unternehmerin oder Arbeitnehmerin wird in der unmittelbaren Nachkriegszeit positiv gesehen, weil die Frauen die Restbestände wirtschaftlichen Lebens in Abwesenheit ihrer Männer in die Nachkriegszeit hinüberretteten. Nach der Rückkehr der Männer wird vielen wieder ein Platz im Haushalt zugewiesen. Frauen werden häufig den Männern als bessere Unternehmerinnen gegenübergestellt. Sie übernehmen die wirtschaftliche Initiative, Eine Reihe von Themen und Personengruppen aus dem Bereich der Wirtschaft und Arbeitsrecht wird von den Filmen gemieden: so die Gewerkschaften, Arbeitskämpfe, betriebliche Mitbestimmung, Sozialleistungen der Betriebe. Auch Industriearbeiter gehören nicht zum bevorzugten Inventar der Filme. Dem entspricht allerdings eine zeitgenössisch-wirtschaftliche Tendenz, den Arbeiter mit den Worten Winschuhs "einzubürgern". Demgegenüber stehen zahlreiche innovative und stabilisierende Komponente. Die Spielfilme sehen im bundesdeutschen Staat die Verwirklichung des Ordoliberalismus. Unternehmer(innen) verkörpern vorbildhaft marktwirtschaftliches Verhalten. Durchgängig fordern die Spielfilme eine Verbindung von Ethik und Wirtschaft. Pflichtbewusstsein, Aufrichtigkeit und Hilfsbereitschaft stehen über Gewinnmaximierung: Wer dieser Ethik zuwiderhandelt, wird zur lächerlichen Figur degradiert oder als Krimineller unschädlich gemacht.

Methode


Die untersuchten Spielfilme sind im Kontext dieser Arbeit als historische Quellen aufzufassen. Literarische Werke sind von der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte als »Quellen« durchaus anerkannt.63 Sie sind Forschungsobjekte. Die grundlegende Methode dieser Arbeit ist somit ein Quellenstudium. Dabei ist zunächst die Zuordnung der Filme zu bestimmten Quellenkategorien64 unerheblich. Die Art der Quellen bedingt jedoch die methodische Vorgehensweise.

Diese Quellen reflektieren als historisch-empirische Medien interpretierend und selegierend Themen ihres Produktionszeitraums und vermitteln ihrerseits dem Publikum normative Vorstellungen, u. a. über die ihnen zeitgenössischen wirtschaftlichen Themen.

Die Quellen werden im Kontext der wirtschaftlichen Entwicklung des Untersuchungszeitraums von 1945 bis 1961 gesehen. Die Ergebnisse der Einzelanalysen werden induktiv einer Gesamtdeutung zugeführt, die deduktiv einer Zusammenfassung zugutekommt.

Dieses Verfahren ist grundsätzlich ein hermeneutisches, das ein aus Wirtschaftswissenschaft, Wirtschaftsgeschichte und Geschichtswissenschaft gespeistes Vorwissen voraussetzt,65 das wirtschaftliche Zusammenhänge in den untersuchten Quellen zu entdecken, zu interpretieren und zu bewerten vermag.

Die Tatsache, dass die Wirtschaftsgeschichte zahlreiche Schnittmengen mit anderen wirtschafts- und geschichtswissenschaftlichen Disziplinen aufweist verpflichtet die Arbeit innerhalb des hermeneutischen Rahmens zu einem Methodenpluralismus, so wie ihn etwa Hartmut Kiehling versteht: Jeder Versuch das Fach ›Wirtschaftsgeschichte‹ auf nur einen methodischen Ansatz festlegen zu wollen, greift zu kurz. Nicht methodischer Purismus ist gefragt, sondern ein richtig verstandener Eklektizismus, bzw. Methodenpluralismus, der auf sinnvolle Weise unterschiedliche methodische Zugriffe miteinander verbindet.«66

Vom wirtschaftswissenschaftlichen Standpunkt aus bewegen sich die wirtschaftlich relevanten Methoden im Rahmen der Neuen Institutionenökonomik, unter Berücksichtigung der Principal-Agent-Theorie. Methodisch nahestehend ist das u. a. von Spoerer und Streb verfolgte Konzept der Pfadabhängigkeit in der »Neuen Wirtschaftsgeschichte«: Die Neue Wirtschaftsgeschichte greift als interdisziplinäres Fach sowohl auf die formal-deduktiven Methoden der Wirtschaftswissenschaften als auch auf die empirisch-induktiven Methoden der Geschichtswissenschaft zurück.67 Nicht alle Aspekte der Neuen Wirtschaftsgeschichte können erfüllt werden:68 Die Vorliebe der »Neuen Wirtschaftshistoriker« für quantitativ erfassbare Fakten äußert sich in der vorliegenden Arbeit lediglich darin, dass ein großes Sample als Untersuchungsmaterial dient, und nicht – wie in anderen Untersuchungen – von wenigen Quellen auf andere, bzw. gar auf die Gesamtheit, geschlossen wird. Weiterführend hätten etwa Statistiken über die dargestellten Unternehmertypen erstellt werden können. Dies unterblieb, da ein Erkenntniszugewinn gegenüber der hermeneutischen Methode nicht greifbar schien. Die Spielfilme der Zeit können somit entweder selbst als Institutionen aufgefasst werden oder als Medien, die Institutionen generieren oder stützen, und somit »sozial anerkannte Regeln für angemessenes Verhalten in sich wiederholenden Entscheidungssituationen« setzen.69

Eine immanente Methode kommt vor allem bei der Skizzierung der wirtschaftshistorisch relevanten Filmhandlung zum Tragen, sowie bei der Analyse der Interaktionen der dargestellten wirtschaftlichen Akteure.70

Semiotische Verfahren bieten sich besonders bei der Analyse von ausgewählten Standbildern an.

Die intersubjektive Nachvollziehbarkeit der gewählten Vorgehensweise erfordert eine apriorische Verständigung über grundlegende Verfahren und Begriffe:

Die wirtschaftshistorische Analyse der Spielfilme erfolgt grundsätzlich nach streng chronologischen Kriterien. Dies geschieht, weil der Untersuchungszeitraum von ca. 15 Jahren nicht als Einheit aufgefasst wird, sondern von wirtschaftlichen, politischen, gesellschaftlichen, arebitsrechtlicchen und filmhistorischen Entwicklungen geprägt wird.

Innerhalb der chronologischen Struktur können thematisch orientierte Cluster gebildet werden. Deren Aussage kommt zu Ergebnissen, die von Analyserastern gebildet werden, die man in einem sehr weiten Sinn als Abstraktion von Motiven bezeichnen könnte. Das Analyseraster lässt Vergleiche und Entwicklungen erkennen. Ein Analyseraster kann einen Beitrag zur Profilbildung leisten.

Die prosopographische Methode untersucht Angehörige bestimmte Gruppen einer bestimmten Epoche, Gesellschaftsschicht etc. In der vorliegenden Arbeit wird vor allem die Kohorte der Nachkriegs-Unternehmer im Vordergrund stehen.71

Als Untersuchungszeitraum gilt die Epoche von 1945 bis 1961. Es ist die Epoche, in der die Produktion von deutschsprachigen Spielfilmen rasch zunimmt, einen Höhepunkt um die Mitte der 1950er Jahre erreicht und dann wieder abnimmt.72

Bei der Fülle an Filmproduktionen im Untersuchungszeitraum müssen Auswahlkriterien gefunden werden.

Bis auf wenige Ausnahmen werden grundsätzlich westdeutsche Produktionen berücksichtigt. Für andere Filme aus dem deutschsprachigen Raum Österreichs, Ostdeutschlands und der Schweiz gilt grundsätzlich das Aufführungsdatum in Westdeutschland. Sie werden im Gegensatz zu den westdeutschen Produktionen hinsichtlich ihres Ursprungslandes besonders gekennzeichnet.

Da es aus rezeptionsmethodischer Sicht um die Wirkung auf den Zuschauer geht, muss man davon ausgehen, dass ein fiktiver Zuschauer nicht alle produzierten Filme gesehen hat. Nach Kay Hoffmann besuchte ein Bundesbürger durchschnittlich 15,1mal pro Jahr ein Kino.73 Dies bedeutet aber auch, dass er nicht nur deutsche Filme sah, sondern auch Importware. Sollte er sich auf deutsche Filme beschränkt haben, würde er im Untersuchungszeitraum von 1947 bis 1961 ca. 200 Spielfilme gesehen haben. Dieses Sample liegt der vorliegenden Arbeit als Quellenmaterial zugrunde und kommt den Anforderungen nach Repräsentativität nahe.

Der Spielfilm muss seine Zeitgenossen unmittelbar zum Aufführungszeitpunkt ansprechen, allerdings bedarf die Produktion des Films eines gewissen Vorlaufs. Dieser Vorlauf wird hier als Produktionskontext bezeichnet. Der Produktionskontext ist eine Teilmenge des Untersuchungszeitraums. Die eigentliche Produktion der Filme umfasst oft nur sehr wenige Monate.74 Da viele Filme am Ende eines Kalenderjahres erscheinen, kann vielfach das voraufgehende Kalenderjahr als unmittelbarer Produktionskontext aufgefasst werden. Der Produktionskontext wird im Allgemeinen integrativ bei der Analyse der Filme berücksichtigt. Er umfasst den außerfilmischen Kontext, d. h. die historischen Fakten, den politischen, gesellschaftlichen, betriebs- und volkswirtschaftlichen sowie den rechtlichen, besonders arbeitsrechtlichen Kontext. Es wird sich zeigen, dass in den Spielfilmen des Untersuchungszeitraums arbeitsrechtliche Fragen sehr »großzügig« ausgelegt oder umgangen werden. Es ist dies nicht nur ein filmisches Gestaltungsmittel, sondern entspricht auch dem wirtschaftlichen Zeitgeist, wie er etwa 1952 von Josef Winschuh formuliert wurde, dem zufolge »ein gesundes Arbeitsklima für die Betriebe wichtiger ist als das exakt angewandte Arbeitsrecht.«75

Von volkswirtschaftlichem Interesse ist vor allem die Frage der Wirtschaftsordnung,76 die im Untersuchungszeitraum in Form der »Sozialen Marktwirtschaft« Gestalt annahm. Dabei ist auf eine Verschränkung der volks- und betriebswirtschaftlichen Faktoren abzustellen. Diese Betrachtungsweise wurde auch im Untersuchungszeitraum selbst angestellt, so von Fritz Schmidt 1950 in einer organischen Betrachtungsweise, die den Einzelbetrieb in den Verflechtungen der Gesamtwirtschaft sieht. Der einzelne Betrieb ist demzufolge »eine Zelle der Volkswirtschaft«.77 »Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre stehen in einem engeren Zusammenhang, als es die meisten der heutigen Wirtschaftswissenschaftler wahrhaben wollen.«78 Zu Beginn des Untersuchungszeitraums wird aber noch von der betriebswirtschaftlichen Literatur – vor allem in Distanznahme zu Gutenberg – Wert auf eine Abgrenzung der Betriebswirtschaftslehre von der Nationalökonomie gelegt.79

Es werden nur diejenigen außerfilmischen Fakten berücksichtigt, die für das Verständnis und die wirtschaftshistorische Bewertung der analysierten Filme von Bedeutung sind.

Die von Tina A. Greis mehrfach benutzte, aber nicht definierte Begriff »filmische Zeit«80 entspricht offenbar dem Begriff der »erzählten Zeit«81 in der Literaturwissenschaft. Es ist die Zeit, in der der Film spielt. Sie wird in der vorliegenden Untersuchung als »Handlungszeit« bezeichnet. Sie unterscheidet sich von der »Erzählzeit« (»Aufführungszeit«), die die fast immer gleich lange Projektionsdauer der Filme bezeichnet.

Besonders für den Heimatfilm kann von einer zeitlichen Kongruenz zwischen Handlungszeit und Aufführungszeit gesprochen werden....

Erscheint lt. Verlag 21.9.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Kunst / Musik / Theater Film / TV
ISBN-10 3-7526-1414-5 / 3752614145
ISBN-13 978-3-7526-1414-5 / 9783752614145
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