HIPPIES, PRINZEN UND ANDERE KÜNSTLER (eBook)

Kein Twitter, kein Facebook • Von Menschen, Büchern und Bildern • Band 1
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
264 Seiten
p.machinery (Verlag)
978-3-95765-897-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

HIPPIES, PRINZEN UND ANDERE KÜNSTLER -  Klaus Hübner
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Wer weder Twitter noch Facebook noch andere angeblich soziale Medien nutzt, wird schon seine Gründe haben. Ein im moralischen Sinne besserer Mensch ist er deswegen noch lange nicht. Einen ignoranten Technik- und Modernitätsverweigerer darf man ihn auch nicht nennen. Was aber dann? Man muss sich ihn nicht zwingend als einen Menschen vorstellen, der eher von Künstlern, Büchern, Bildern, Städten und Landschaften angeregt wird als von noch schnelleren Rechnern und noch spezielleren Apps. Aber man darf. Auch als einen, der weiß, dass es nicht wenige Zeitgenossen gibt, denen es ähnlich geht. Für solche Menschen ist dieses Buch gedacht. Der erste Band versammelt Arbeiten zur deutschsprachigen Literatur seit den 1960er-Jahren. Man lernt einen seriösen Hippie kennen, einen äthiopischen Prinzen, einen masurischen Berserker, einen tuwinischen Schamanen, eine bulgarische Berlinerin, einen Münchner aus Teheran und einen wunderbaren Lyriker aus Luxemburg. Dazu preußische Heimatkunde, Robinson und Freitag auf Hiddensee, Fallobst aus Schwabing, mehrere Windhunde und einiges mehr.

Über den Autor. Klaus Hübner, Publizist, Literaturkritiker und Redakteur. Geboren 1953 in Landshut. Lebt in München. Studium der Germanistik, Geschichte und Kommunikationswissenschaft in Erlangen und München. 1980 Promotion zum Dr. phil., 1981-1983 DAAD-Lektor in Bilbao (Spanien). 1984-2016 Redakteur der monatlich erscheinenden Zeitschrift Fachdienst Germanistik. Lektorats- und PR-Tätigkeit beim iudicium verlag, Lehrbeauftragter für Neuere Deutsche Literatur und Deutsch als Fremdsprache an der Universität München, Dozent für Colleges und Sprachschulen, Schriftsteller-Seminare mit dem Goethe-Institut, Mitarbeit an Literaturlexika und literaturwissenschaftlichen Publikationen, Publizist und Literaturkritiker mit regelmäßiger Mitarbeit an zahlreichen Zeitungen, Zeitschriften und Onlinepublikationen. Sekretariat des Adelbert-von-Chamisso-Preises der Robert-Bosch-Stiftung (2003-2017). Redaktionsmitglied der Zeitschrift Literatur in Bayern (seit 2012). Arbeitet seit 2017 am Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) an der Universität München in der Redaktion der Zeitschrift Spiegelungen; Koordinator der Spiegelungen-Preise 2017 und 2020.

Über den Autor. Klaus Hübner, Publizist, Literaturkritiker und Redakteur. Geboren 1953 in Landshut. Lebt in München. Studium der Germanistik, Geschichte und Kommunikationswissenschaft in Erlangen und München. 1980 Promotion zum Dr. phil., 1981–1983 DAAD-Lektor in Bilbao (Spanien). 1984–2016 Redakteur der monatlich erscheinenden Zeitschrift Fachdienst Germanistik. Lektorats- und PR-Tätigkeit beim iudicium verlag, Lehrbeauftragter für Neuere Deutsche Literatur und Deutsch als Fremdsprache an der Universität München, Dozent für Colleges und Sprachschulen, Schriftsteller-Seminare mit dem Goethe-Institut, Mitarbeit an Literaturlexika und literaturwissenschaftlichen Publikationen, Publizist und Literaturkritiker mit regelmäßiger Mitarbeit an zahlreichen Zeitungen, Zeitschriften und Onlinepublikationen. Sekretariat des Adelbert-von-Chamisso-Preises der Robert-Bosch-Stiftung (2003–2017). Redaktionsmitglied der Zeitschrift Literatur in Bayern (seit 2012). Arbeitet seit 2017 am Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) an der Universität München in der Redaktion der Zeitschrift Spiegelungen; Koordinator der Spiegelungen-Preise 2017 und 2020.


Schneit es bald in meinem Kopf? Vom Altern in der Literatur


 

Auffällig viele literarische Neuerscheinungen des Herbstes 2006 beschäftigen sich mit dem Altern. »Vorherrschend« sei dieses Thema sogar, meint Volker Hage, der das Phänomen in einem Spiegel-Artikel mit der Überschrift »Club Methusalem« aufgreift. Mit Recht lobt er Silvia Bovenschens über manches Alterszipperlein angenehm hinwegtröstendes Buch Älter werden, ein schönes »Erzählmosaik aus kleinen Erinnerungen, Beobachtungen und Geschichten«, das nichts beweisen will und eben deswegen überzeugt. Nicht nur ästhetisch, sondern auch wegen seiner Ehrlichkeit gegenüber dem Prozess des Alterns, präziser: wegen seiner genauester Beobachtung und Empfindung entsprungenen, immer klug und angemessen formulierten, bisweilen auch ins Selbstironische spielenden Lakonie. Weitgehend überzeugend ist auch der neue Roman von Martin Walser, einer seiner besseren aus den letzten zwanzig Jahren: Angstblüte – was die letzte sich aufbäumende Blüte einer Pflanze meint, bevor sie endgültig zugrunde geht. Der vitale Veteran vom Bodensee, sprachlich brillant wie meistens, erfindet einen einprägsamen Romanhelden, den einundsiebzigjährigen Anlageberater Karl von Kahn, der auch im Alter seinem Wahlspruch »Bergauf beschleunigen!« treu bleiben will. Walser erzählt, reif und kunstvoll und süffig und gelegentlich auch etwas umständlich, von Kahns eifrig-verzweifelten und naturgemäß vergeblichen Bemühungen, das Altern aufzuhalten. In erster Linie geht es dabei um eine recht gnadenlose Abrechnung mit den Torheiten der Liebe, auch und gerade der körperlichen. Joni Jetter ist nicht einmal halb so alt wie Kahn, der dieser »Traumfrucht« wegen zu jedem Ehebruch bereit ist. Joni bringt den hoffnungslos Verliebten zur Raserei, einer komischen und peinlichen Altersraserei natürlich – und will doch nur sein Geld. Am Ende ist der arme Kahn sogar seine fürsorglich treue Ehefrau los, die witzigerweise (oder auch nicht) als Paartherapeutin tätig ist. Eine geradezu klassische Walser-Geschichte, nur dass eben in diesem achtzehnten Roman des Schriftstellers das Alter und seine Lächerlichkeit eindeutig die Hauptrolle spielen.

Nichts gegen Bovenschen oder Walser – beide Bücher sind oder waren zu Recht in den deutschen Bestsellerlisten. Doch ein ebenso gutes literarisches Herbstbuch über das Altern, das bisher noch nicht allzu vielen Kritikern aufgefallen ist, stammt von Hermann Kinder. Der 1944 geborene Konstanzer Germanist, als sprachgewaltiger und keineswegs nur humoristischer Schriftsteller seit jeher unterschätzt, erzählt in den sieben Kapiteln seines im »Jahrhundertsommer« 2003 spielenden »Methusalem-Romans« mit dem etwas merkwürdigen Titel Mein Melaten von einem am Bodensee vor sich hin alternden Herren. Von einem wohl immer schon durch »Lebensunzuversicht« geprägten, im nicht einmal sehr hohen Alter zusätzlich mit zahlreichen echten oder auch nur eingebildeten Kränklichkeiten geplagten »Miesepeter« – wie ihn seine Tochter Juliane einmal nannte, als sie noch mit ihm redete. Wo der Ich-Erzähler auch hinsieht – es geht »bergab«. Bei den Nachbarn fängt es an: »Vater Forell behauptete, was nicht stimmte, suchte Läden, die es seit dem Krieg nicht mehr gab, verwechselte den Arzt mit dem Postamt … Nicht ihn, sondern Frau Forell ließ ein Schlaganfall unter den Frühstückstisch rutschen.« Und Herr Forell verdämmert auch, fröhlich zumeist und zunehmend altersabwesend. Der zu Beginn des Romangeschehens noch auf einem »Amt« arbeitende, dort jedoch immer mehr Demütigungen ausgesetzte und von manchen bereits als »Kadaver« betrachtete Ich-Erzähler verfällt allmählich der »Forellschen Krankheit«. Seine geliebte Frau hat eine »Lebensstelle« in Köln gefunden, an sie klammert er sich, und so kommt es zu vielen höchst amüsant beschriebenen Reisen mit der unsäglichen, ihre lieben Kunden in immer neuen Variationen bis aufs Blut quälenden »Deutsche Bahn AG«. Man möchte ständig zitieren, so verschmitzt und hintergründig kommt Hermann Kinders beißende Kulturkritik daher. Zum Beispiel: Sein zunehmend »polymoribunder« Protagonist steigt in die Kölner Straßenbahn, vielleicht auf dem Weg nach dem früheren Leprosengelände Melaten, auf dem der imposante, große Friedhof liegt, der im Laufe des Geschehens eine immer wichtigere Rolle spielen wird. Und berichtet: »Mich bedrohte niemand, und die Zeiten waren vorbei, in denen Grauköpfe, Krummbuckel dadurch diskriminiert worden waren, dass jemand aufsprang und ihnen seinen Sitzplatz anbot. Man blieb ruhig sitzen, hatte den Nebensitz mit seinem Rucksack belegt und auf den gegenüberliegenden Sitz seine Schuhe gelegt. Ich stand schwankend.« Derart köstlich und zugleich ätzend formuliert Hermann Kinder, bei dem übrigens die Schweiz, der Kanton Thurgau zumeist, ganz gut wegkommt: »Wäre ich in Köln gestürzt, wäre ich in Hundekacke gefallen, die auf Schweizer Bürgersteigen in braune Plastiksäcke gesammelt wurde, bevor jemand in sie fallen könnte.« Manchmal scheint es, als habe Martin Walser aus Nussdorf über den See gerufen, denn »Seelenschnittwunden«, »Atemnotvertuschungsversuche«, »Wäschewaschversäumnisse« oder »Hoffnungsangewiesenheit« sind Neologismen, die man auf Anhieb eher ihm zuschreiben würde als ihrem Erfinder Hermann Kinder. Mit trauriger Komik beschreibt er, wie und weshalb ein einst als »Möglichkeitstrampolin« erlebter menschlicher Körper »vom Lust- zum Sterbequell« werden kann. Woraus sein unbeholfener und doch unruhiger, von immer mehr Lebensangst heimgesuchter Ich-Erzähler folgert: »Wenn also das Risiko des Todes bei einem versuchten Geschlechtsverkehr eingehen, dann nur mit betriebsbereitem Handy in Handweite auf dem Bettbeistelltisch, auf dem auch mein Atemspray liegen müsste.« Meisterlich geschildert werden die hoffnungslosen Zustände in manchen Kliniken, meisterlich geschildert werden absurde Erlebnisse auf Last-Minute-Städtereisen durch Europa. Und meisterlich heißt bei diesem mit Proben seiner Belesenheit und Gelehrsamkeit nicht geizenden Autor immer auch: süffisant, amüsant und zum Brüllen komisch. Leider hat Kinders wunderbarer, durchaus ernster und doch allenthalben skurriler »Methusalem-Roman« auch einige Längen, vor allem im zweiten Teil. Deshalb ist dieses empfehlenswerte Prosastück auch nur das zweitbeste neue literarische Werk über das Altern.

Das Beste hat Gerhard Köpf geschrieben, ein 1948 im Allgäu geborener, in München lebender und vor allem in den 1980er-Jahren weithin bekannter Schriftsteller, den heute nur noch einige Experten kennen – wie manch andere einst namhafte Autoren auch, wenn man einem Spiegel-Essay von Hans Christoph Buch folgen möchte. Köpfs Buch Ein alter Herr, das ein imposantes Netz literarischer Anspielungen und Zitate aufspannt, nennt sich »Novelle« und spielt in München. »Gibt es eine Stadt, in der noch mehr Angeber, Aufschneider, Poseure und Hochstapler herumlaufen als in München?« Alte Herren haben bekanntlich ihre Marotten, und wenn sie Professoren sind oder waren, wird es nicht besser. Köpfs alter Herr igelt sich quasi in seinem Wintergarten ein, hört versunken seine Musik, trinkt seinen guten Wein gern für sich allein und versucht mit wenig Erfolg, sein Leben und seine Geschichte zu ordnen. Seine Ausflüge in die Stadt und überhaupt in die Gegenwart enden alle in kleineren oder gar größeren Katastrophen. Weshalb der anfangs nur ein wenig verschrobene alte Herr noch mehr in seine Erinnerungen und Träume eintaucht – bis ihn sein Gedächtnis fast ganz im Stich lässt.

Die Zusammenfassung der Handlung – eigentlich sind es viele kleine Prosa-Kabinettstückchen – sagt wenig über die ungewöhnliche ästhetisch-kompositorische Form und die stilistische Eleganz des mehr als zweihundert Seiten umfassenden Textes, aus dessen Stoff andere Autoren zwei Romane verfertigen würden. Und wenig über Köpfs subtil-ironische Gesellschaftskritik. Denn sein alter Herr ist ein »Liebhaber versunkener Manieren«, der vom »Fortschritt« gar nichts hält. »Mit jedem Tag war ihm ein wenig unbehaglicher, und er sprach nicht selten vom allgemeinen Verfall. Mehr als auf die eigenen berief er sich dabei mit Vorliebe auf jene Erfahrungen aus Büchern, die gänzlich aus der Mode waren.« Was ihn vor allem verunsichert und letztlich resignieren lässt, sind Kleinigkeiten, an denen er feststellt, wie wenig seine mühsam errungenen Weisheiten wert sind. Daraus folgen Zweifel, Verzweiflungen letztlich, etwa über den fast abgerissenen Knopf an seinem Lieblingsjackett – eine hinreißend komisch erzählte Episode, wie so einige in diesem Buch. Das Böse, so scheint es dem Professor, ist »immer und überall«, und die allgegenwärtige Barbarei kann die Gestalt eines Hundes, eines Kinderwagens oder eines Radfahrers annehmen, auch die der »Satansbrut« eines Mannes in mittleren Jahren, dessen »vor Kraft und Gesundheit prangendes Babyface … anstelle von Spuren des Lebens nichts weiter als Arroganz und Selbstgefälligkeit« verrät. Als Vater und Kind ihren Besuch beim Professor beendet haben, sinkt der in sich zusammen: »Was den alten Herrn intensiv beschäftigte, war die Frage, wie ein dreijähriges Wesen, angeblich und dem ersten Augenschein nach ein Kind, imstande war, binnen kürzester Zeit eine wohlgeordnete und gründlich durchdachte Welt derart zerstörerisch aus den Angeln zu heben … Nein, das war kein Kind im Sinne der abendländisch gültigen Definition des Wortes. Das war einer der apokalyptischen Reiter, jederzeit imstande, selbst den Lauf der Gestirne zu beeinflussen und die Sonne aus ihrer ewigen Bahn zu werfen.« Sein Leibarzt Locollo, der als Erzähler fungiert...

Erscheint lt. Verlag 13.4.2020
Verlagsort Winnert
Sprache deutsch
Themenwelt Kunst / Musik / Theater
Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Literaturwissenschaft
Schlagworte Äthiopischer Prinz • Bulgarische Berlinerin • Fallobst aus Schwabing • Lyriker aus Luxemburg • Masurischer Berserker • Münchner aus Teheran • Preußische Heimatkunde • Robinson und Freitag auf Hiddensee • Seriöser Hippie • Tuwinischer Schamane • Windhunde
ISBN-10 3-95765-897-7 / 3957658977
ISBN-13 978-3-95765-897-5 / 9783957658975
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