Die Kunst des 19. Jahrhunderts (eBook)

Realismus, Impressionismus, Symbolismus
eBook Download: EPUB
2020 | 2. Auflage
128 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-75224-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Kunst des 19. Jahrhunderts - Michael F. Zimmermann
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Die Kunst des 19. Jahrhunderts ist geprägt durch den Konflikt zwischen einer immer phantastischeren Historienmalerei und Tendenzen, die sich entschieden dem modernen Leben zuwandten. Im Realismus und im Naturalismus äußerte sich der wissenschaftliche, unternehmerische Geist des Industriezeitalters, aber auch die Sorge um die soziale Frage. Ihnen folgten Gegenströmungen wie der Dekadentismus und der Symbolismus, in denen die Innenwelt in den Vordergrund rückte. Michael F.Zimmermann erläutert, wie die verschiedenen «ismen» entstanden, was sie voneinander unterscheidet und wo die Grenzen zwischen ihnen fließend werden. Er stellt ihre Protagonisten wie auch die großen Einzelgestalten vor, die sich einer eindeutigen Zuordnung entzogen. Schließlich führt er in die neuen Medien dieser Zeit ein, allen voran die Fotografie, und erklärt,

Michael F. Zimmermann ist Professor für Kunstgeschichte an der Katholischen Universität Eichstätt Ingolstadt

I. Einführung: Die Industrialisierung der Bilder und die Befreiung der künstlerischen Subjektivität


Profil und Aktualität der Epoche


Im Zentrum der Kunst von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Belle Époque um die Jahrhundertwende steht die Malerei des Impressionismus – zunächst eine abfällige Bezeichnung für die Arbeiten von Künstlern, denen man vorwarf, sich mit flüchtigen Eindrücken zufriedenzugeben, ohne zu vollgültigen Werken zu gelangen. Die genannte Zeitspanne ist aber ebenso die Epoche der Industrialisierung, die auch die Reproduktion und die Produktion der Bilder erfasste: Neben die Gemälde und Skulpturen traten Illustrationen, Fotografien und schließlich Filme. Sie vermittelten Vorstellungen von fernen Welten, aber auch von der eigenen Gesellschaft, von den Reichen und Schönen wie von den Elenden und Hungernden. Das Publikum wurde durch eine steigende Zahl von Bildern gebildet und unterhalten, manipuliert und organisiert. Schließlich erlebte die Zeit auch erste Triumphe des Jugendstils und des Art Nouveau, der Konsumgesellschaft sowie des Vergnügungsbetriebs vom Varieté-Theater bis zum Film.

Der Impressionismus führt eine aufstrebende urbane Mittelschicht vor. Sie ergreift von der Landschaft Besitz, die immer mehr in die Reichweite der neuen Verkehrsmittel kommt. Natur ist hier nicht mehr schicksalhafte Gegenkraft des menschlichen Strebens. Für Ausflügler und für Touristen wird sie zur Stimmung. Diese auch sozial immer mobilere Gesellschaft findet Eingang in unser heutiges imaginäres Museum: Im Impressionismus begegnen wir uns selbst. Hervorgegangen war er aus Realismus und Naturalismus, deren Hauptvertreter wie Gustave Courbet und Jean-François Millet, später Wilhelm Leibl und Max Liebermann dem bürgerlichen Kunstpublikum die oft noch düsteren Welten einer vorindustriellen, vom Fortschritt benachteiligten Welt präsentierten. Die fortschrittsgläubige Zeit wandte sich zuerst dem Fremden zu, dem vom Fortschritt Ausgeschlossenen, bevor das Eigene durch Bilder neu erlebbar gemacht wurde. Zeitgleich setzten sozialistische und kommunistische Bewegungen die soziale Frage auf die Agenda, und Realisten wie Naturalisten schlossen sich ihnen an. Erst im Impressionismus triumphierte dann eine unternehmerische Generation, die von Wissenschaft, Technik und freier Warenzirkulation, von Arbeit und Kapital die Lösung der historischen Herausforderungen erwartete. Der Aufbruch hielt jedoch nicht ewig an: Enttäuscht von der industrialisierten Welt, aber auch vom Alltag parlamentarischer Debatten, schuf man wieder Platz für Träume und Phantasien, für die Mythen und Religionen aller Zeiten. Die Gegenbewegungen fasste man bald unter dem Stichwort des Symbolismus zusammen.

Der zeitliche Rahmen dieser Entwicklungen wird durch die Jahre 1848 und 1900 abgesteckt. Am Anfang standen Revolutionen, die seit März 1848 ganz Europa erschütterten und – trotz ihres Scheiterns – Ziele der Emanzipation und Demokratisierung setzten. Das Ende markiert ein Medienereignis, die Pariser Weltausstellung des Jahres 1900, auf der sich die Belle Époque feierte. Dazwischen lag der Aufbau moderner Nationalstaaten, besonders in Italien und Deutschland, dem im Ersten Weltkrieg der Zusammenbruch Österreich-Ungarns und des Osmanischen Reiches folgen sollten. Prägend für die Epoche waren auch die Fortführung des älteren Kolonialismus bis zur Aufteilung der gesamten Welt sowie die Entdeckungen Charles Darwins über die Evolution von Mensch und Tier durch natürliche Zuchtwahl sowie ihre Auswirkungen auf Sozialdarwinismus, Nationalismus und Rassismus.

Die Welt der Kunst des späteren 19. Jahrhunderts soll in diesem Buch von ihrem Zentrum aus betrachtet werden: «Paris, Hauptstadt des 19. Jahrhunderts», so Walter Benjamin 1935, ist ein Kosmos, ein gebauter Traum des neuen Bürgertums, in dem das Bild, das sich die Moderne von sich selber machte, immer wieder neu ausgemalt wurde.

Eine neue Bildkultur


Seit der Aufklärung waren die Bilder aus ihrer ursprünglichen Einbettung in gesellschaftliche Rituale und den religiösen Kult entlassen worden. Bildgattungen wie die Historien- und Landschaftsmalerei verloren ihre Bindung an überkommene Erwartungshaltungen. Das Glück fand sich nicht mehr in Arkadien, in der Idylle oder im Interieur, sondern in diesseitigen Träumen von Luxus und Erotik, die man jedoch in eine ausschweifende Antike oder in einen «ewigen» Orient hineinprojizierte. Umgekehrt war der Schrecken nicht mehr in der Unterwelt oder in Martyrien beheimatet, sondern fand sich in Krieg und Tod, Krankheit und Wahnsinn. In immer neuen Schüben hatte zuvor die Romantik als eine «permanente Revolution» (Charles Rosen und Henry Zerner) den Bildern neue Höhen und Tiefen des Emotionalen erschlossen. Seit Mitte des Jahrhunderts griff dann die Fotografie in die Produktion und Zirkulation der Bilder ein.

Nach den Revolutionen des Jahres 1848 warfen Künstler mit vorher ungekannter Insistenz in ihren Werken auch ethische Fragen an das Bild auf: Vermittelten Bilder überhaupt ein verantwortbares Bild des Menschen und der Welt als Raum für einzelnes und gesellschaftliches Agieren? Wenn Courbet 1849 die verrohten Steinklopfer an der Straße durch das Tal der Loue zeigte, so wollte er die Zeitgenossen mit dem übersehenen Leben konfrontieren, dem alle menschlichen Rechte verwehrt wurden. Die seinerzeit zirkulierenden Bilder hingegen wurden dieser Wirklichkeit nicht gerecht. Die Stellungnahme zur sozialen Frage wurde untrennbar von der durch jeden Einzelnen zu verantwortenden Suche nach seinem Platz. Karrieren wie die Courbets und Manets, Vincent van Goghs oder Edvard Munchs zeugen von dieser Suche, zugleich nach persönlichem und gesellschaftlichem Sinn.

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts stellte das Leben in ein Spannungsfeld zwischen Idealisierung und Kritik: So wurde die Familie zum Idyll stilisiert, aber auch als Ursprung von Ängsten und Neurosen befragt. Die Nation wurde zur ewigen, überhistorischen Heimat ihrer Bürger übersteigert, aber auch als Ort der Ungleichheit und der rassistischen Selbstabschließung kritisiert. Das Geschlechterverhältnis wurde auf die Klischees öffentlicher Männlichkeit und privater Weiblichkeit, aggressiver Welteroberung und mütterlicher Erfüllung reduziert. Frauen verkörperten das «ewig Weibliche», «fatal» für die Männer, die in ihnen der Natur und dem Tod begegneten. Zugleich fanden Künstlerinnen, die, wie Berthe Morisot oder Mary Cassatt, emanzipiert am öffentlichen Leben teilnahmen, allgemeine Anerkennung. Die Religion wurde mit neuer Innigkeit einer vielleicht allzu bilderfreudigen Phantasie nahegebracht. Zugleich wurde sie als Feindin der Aufklärung karikiert oder mit anderen Religionen quergelesen – synkretistisch und dadurch relativierend. Aufklärung schließlich wurde als Religion des Fortschritts verabsolutiert. Oder sie wurde als lähmende Krankheit einer durch überzogene Arbeitsteilung dekadent gewordenen Gesellschaft verabschiedet, welche nur durch die Gegenmythen des Primitivismus heilbar erschien.

Suggestion und Reflexion


Das spätere 19. Jahrhundert lebte von diesen Antagonismen. Im gleichen Zuge spaltete sich die Welt der Bilder auf in solche, die auf unmittelbare Wirkung und gesteigerte Illusion aus waren, und andere, die zur Reflexion einluden. Die Reflexion galt den Phantasmagorien, die eine immer opulentere Historienmalerei vorführte, zunehmend aber auch der Werbung, dem käuflichen Spektakel und der politischen Propaganda. Sie betraf jedoch ebenso das Bild selbst: Im Bild wurde philosophisch ausgelotet, was Bilder eigentlich leisten und welche Freiheiten sie der Imagination gegenüber den Manipulationen der industrialisierten Phantasie erschließen. Immer deutlicher standen Suggestion und Bildaufklärung einander gegenüber – hier der Blickfang, dort die Einladung zum zweiten Blick. Über Kunst wurde im späteren 19. Jahrhundert nicht nur philosophiert, sondern sie wurde selbst philosophisch. Eine Minderheit im Kunstbetrieb hatte sich von der industrialisierten Bildproduktion abgesetzt und einen davor geschützten Bereich reklamiert. Solche Selbstkritik der Gesellschaft im Medium des Bildes wurde in diesem Bereich einer autonomen Kunst toleriert und bald sogar erwartet. Zwar war die Kunst durchweg geprägt von den großen Themen des 19. Jahrhunderts, Leben, Arbeit, Eros und Geschlecht, und oft spielte sie die Begleitmusik zum Siegeszug des Liberalismus. Den Aus- und Zurichtungen des Menschen durch neue Ideologien – von Anarchismus, Sozialismus und Kommunismus bis zu Nationalismus, Sozialdarwinismus, Imperialismus und Rassismus ...

Erscheint lt. Verlag 20.3.2020
Reihe/Serie Beck'sche Reihe
Zusatzinfo mit 51 Abbildungen
Sprache deutsch
Themenwelt Kunst / Musik / Theater Kunstgeschichte / Kunststile
Kunst / Musik / Theater Malerei / Plastik
Schlagworte 19. Jahrhundert • Cézanne • Gauguin • Impressionismus • Kultur • Kunstgeschichte • Künstler • Maler • Malerei • Manet • Moderne • Monet • Naturalismus • Realismus • Symbolismus
ISBN-10 3-406-75224-1 / 3406752241
ISBN-13 978-3-406-75224-7 / 9783406752247
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