Lascaux oder die Geburt der Kunst - Georges Bataille, Rita Bischof

Lascaux oder die Geburt der Kunst

Mit einem Essay von Rita Bischof
Buch | Hardcover
304 Seiten
2019
Brinkmann u. Bose (Verlag)
978-3-940048-35-6 (ISBN)
39,00 inkl. MwSt
Zu einem Zeitpunkt, wo die Tier- und Pflanzenwelt, das "wilde Leben", mehr denn je bedroht erscheinen, illiminiert Rita Bischof den Text von Georges Bataille über Lascaux. Den Tiermalereien, die 17.500 Jahre lang in der Nacht der Höhle auf ihre Entdeckung gewartet haben, begegnete Bataille mit der Frage nach dem Ursprung der Kunst. Seine Antworten, die grundlegende Begriffe auf ungeahnte Weise in Beziehung setzen, werden im Zusammenhang der prähistorischen Forschung und des zeitgenössischen Denkens im Spannungsverhältnis zwischen Technik und Ästhetik situiert.

Georges Bataille, geboren 1897, gilt als einer der wichtigsten französischen Schriftsteller seines Jahrhunderts. Von 1922 bis 1942 als Bibliothekar an der Bibliotheque Nationale tätig, war er es, der Walter Benjamins Manuskripte rettete, indem er ihm half, sie in der Bibliothek zu verstecken. Von den Surrealisten, deren Axiome ihm zu eng erschienen, aber auch von Kojeve beeinflusst, verfasste er ein in seiner Bandbreite einmaliges Werk, das erst spät in seiner Bedeutung erkannt wurde. Er starb 1962 in Paris.

Ob unsere Vorfahren wohl gelacht haben, als sie die Felswände schmückten? Eine neue Edition präsentiert Georges Batailles Spekulationen über die Malereien in der Höhle von Lascaux.

Im Jahr 1955 veröffentlichte Georges Bataille eine Studie über das Werk Edouard Manets. In der Art und Weise, wie Manet seine Sujets jeder herkömmlichen Bedeutung entkleidete, um sie in eine "aktive Indifferenz" zu überführen, sah Bataille die radikale Abkehr von einer gültigen Werteordnung - "Bewegungen einer durch ein Kraftfeld abgelenkten Magnetnadel". Der Arbeit zu Manet war im gleichen Jahr eine andere kunsthistorische Abhandlung Batailles vorausgegangen: "Lascaux oder Die Geburt der Kunst".

Für ihren Autor waren die Gegenstände der beiden Studien offenbar so verschieden, dass die Texte trotz ihrer zeitlichen Nähe wie erratische Blöcke nebeneinanderstehen. Die historischen Erzählmuster, die Bataille im Fall Manets mühelos zur Anwendung bringen konnte, erwiesen sich angesichts der Malereien von Lascaux als unbrauchbar. Weder das Modell des radikalen Bruchs mit einer übermächtigen Tradition noch dasjenige einer allmählichen Evolution der Stile waren hier tauglich.

Denn so plötzlich, wie die Felsbilder im September 1940 ans Licht kamen, als vier Jugendliche die Höhle im Südwesten Frankreichs entdeckten, schienen sie auch Jahrtausende zuvor in die Welt gekommen zu sein. Für die filigranen Darstellungen, die mit wenigen Zügen das Charakteristische eines Tiers auf die Felswand bannten, waren keine historischen Vorstufen bekannt. Verblüffend war auch die Könnerschaft, mit der die Produzenten der Bilder das Relief und die Unebenheiten des Felsens nutzten, um plastische Wirkungen und sogar die Illusion von Bewegung hervorzubringen. Während alle Kunst eine erkennbare Herkunft besaß, erkannte Bataille in Lascaux eine Vollkommenheit, die "aus dem Nichts" hervorgegangen war.

Batailles Essay ist nun in einer überarbeiteten Übersetzung wiedererschienen, versehen mit einem lesenswerten Nachwort von Rita Bischof und den beeindruckenden Farbfotografien von Hans Hinz. In Begleitung des Fotografen und des Genfer Verlegers Albert Skira besuchte Bataille die Höhle im Winter 1953 zum ersten Mal. Es war eine Arbeit unter erschwerten Bedingungen. Da die Höhle damals noch für Besucher geöffnet war, musste man nachts fotografieren. Aufgrund der räumlichen Enge konnte Hinz seine Kamera oftmals nicht im notwendigen Abstand zu den Malereien aufstellen und musste sich auf Detailaufnahmen beschränken.

Auf einem der Fotos sieht man Bataille, ein aufgeschlagenes Buch im Schoß, den Blick auf die Malereien an der Höhlendecke gerichtet - ein kultivierter Herr in Anzug und Mantel, der die Zeugnisse einer Zivilisation betrachtet, die unendlich fern und doch zugleich seine eigene war. In dieser Verwirrung aller gängigen Chronologie lag für Bataille eine weitere Faszination der Bilder. Sie kamen aus der tiefsten Vergangenheit, und doch vermittelten sie zugleich ein "Gefühl brennender Gegenwärtigkeit". Ihre Schöpfer, schreibt Bataille, wären "gekleidet und mit zurückgekämmtem Haar wie wir, unter uns nicht aufgefallen". Wer sich heute den aktuellen Stand der Forschung zu Lascaux aneignen möchte, wird sicherlich nicht zu Batailles Abhandlung greifen. Der Reiz des Buchs liegt aber auch gar nicht in seiner altertumswissenschaftlichen Expertise, sondern vielmehr im besonderen Zugang seines Autors.

Am Studium der Experten kritisiert Bataille die fachliche Spezialisierung, die sich jede philosophische Reflexion von vorneherein untersage. Wie Rita Bischof im Nachwort hervorhebt, widersprach Bataille zugleich auch den gängigen Versuchen, in den vermeintlich primitiven Kulturen der Gegenwart nach Vergleichen für die Kunst von Lascaux zu suchen. Weder die außereuropäische Kunst noch diejenige der Frühzeit verstand Bataille als "primitiv". Wie spekulativ manche seiner Betrachtungen sind, weiß der Autor selbst, aber angesichts einer Kunst, über deren soziale und kulturelle Einbettung es keinerlei Wissen gab, war die Nähe zur poetischen Reflexion unvermeidbar und von Bataille zweifellos auch gewollt.

In ihrem kürzlich erschienenen Buch zur Bedeutung der Frühgeschichte für die Moderne schreibt die Kunsthistorikerin Maria Stavrinaki: "Die Ur- und Frühgeschichte ist eine Erfindung des neunzehnten Jahrhunderts." Stavrinaki reiht auch Bataille in die Riege der Vergangenheitserfinder ein. Die Abwesenheit von Quellen, die "prähistorische Leere" von Lascaux, habe einen "Mechanismus der Fiktionalisierung in Gang gesetzt". Bataille imaginiert, wie die ersten Menschen mit der Erfahrung ihrer eigenen Sterblichkeit umgingen, und überlegt, ob man wohl auch damals schon gelacht hat. Versuchen, die Malereien durch einen praktischen Nutzen oder soziale Funktionen zu erklären, erteilt Bataille eine deutliche Absage. Die Möglichkeit, die damals längst bekannten Faustkeile oder Speerspitzen in die Betrachtung einzubeziehen, interessiert ihn nicht. Der Mensch von Lascaux, so lautet seine entscheidende These, macht sich in in der Höhle ein Bild von jenem tierischen Wesen, das er selbst kurz zuvor noch gewesen ist. Dass er mit Erdfarben und Eisenoxyden eine sinnliche Wirklichkeit hervorzubringen vermochte, unterschied ihn vom Tier, wie auch seine Fähigkeit, sich selbst Verbote aufzuerlegen. Vor dem Hintergrund dieser epochalen Leistung war Bataille bereit, den Felsbildern von Lascaux den Vorrang vor der klassischen Kunst Griechenlands zu geben.

Seit 1963 ist die Höhle für die Öffentlichkeit geschlossen, nur wenige Fachleute haben noch Zugang zu den Bildern. Daneben aber erstreckt sich seit 2016 "Lascaux I - IV", eine getreue Rekonstruktion der Höhle, ergänzt um 3D-Simulationen und einen Souvenirshop, der Spielkarten, Kühlschrankmagnete und prähistorische Plüschtiere verkauft. Mit dem Wuchern der Repliken ist die über Jahrtausende währende Verborgenheit der Höhle an ein Ende gekommen. Zugleich hat das Versiegeln der Höhle aber auch eine neue Form der Entzogenheit bewirkt, in der die Bilder der Vorzeit - in unmittelbarer Nähe zu ihren modernen Repliken - wieder unter sich sind. Seit einigen Jahren hat sich zudem ein Schimmelpilz der Höhle bemächtigt, dessen Herkunft noch nicht geklärt werden konnte.

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Erscheinungsdatum
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Kunst / Musik / Theater Kunstgeschichte / Kunststile
ISBN-10 3-940048-35-6 / 3940048356
ISBN-13 978-3-940048-35-6 / 9783940048356
Zustand Neuware
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