Mindhunter (eBook)
448 Seiten
Riva Verlag
978-3-7453-0994-2 (ISBN)
John Douglas schloss sich 1970 dem FBI an. Er gilt als Begründer des »Criminal Profiling Program« und leitete diese Abteilung von Spezialagenten in zahlreichen spektakulären Mordfällen, darunter auch den, der mit Anthony Hopkins in der Rolle des Hannibal Lecter Filmgeschichte schrieb. Douglas lebt mit seiner Familie in Washington, DC. Mark Olshaker ist Dokumentarfilmer und Autor mehrerer preisgekrönter Kriminalromane. Er produzierte den Film »The Mind of a Serial Killer«, der für einen Emmy nominiert war. Olshaker lebt in Washington, DC.
John Douglas schloss sich 1970 dem FBI an. Er gilt als Begründer des »Criminal Profiling Program« und leitete diese Abteilung von Spezialagenten in zahlreichen spektakulären Mordfällen, darunter auch den, der mit Anthony Hopkins in der Rolle des Hannibal Lecter Filmgeschichte schrieb. Douglas lebt mit seiner Familie in Washington, DC. Mark Olshaker ist Dokumentarfilmer und Autor mehrerer preisgekrönter Kriminalromane. Er produzierte den Film »The Mind of a Serial Killer«, der für einen Emmy nominiert war. Olshaker lebt in Washington, DC.
PROLOG
ICH WAR IN DER HÖLLE
Ich war in der Hölle.
Es gab sonst keine logische Erklärung. Ich war gefesselt und nackt. Die Schmerzen waren unerträglich, Arme und Beine von einer Art Klinge zerfleischt. In alle Körperöffnungen war man eingedrungen. Ich würgte, geknebelt von etwas, was man mir in den Rachen geschoben hatte. Spitze Dinge steckten in Penis und Darm und fühlten sich an, als wollten sie mich in Stücke schneiden. Ich war in Schweiß gebadet. Dann verstand ich, was vor sich ging: Ich wurde zu Tode gefoltert von sämtlichen Mördern und Vergewaltigern und Kinderschändern, die ich während meiner Karriere hinter Gitter gebracht hatte. Jetzt war ich das Opfer und konnte mich nicht wehren.
Ich wusste, wie diese Leute vorgingen. Immer und immer wieder hatte ich es gesehen. Sie wollten ihre Beute manipulieren und dominieren. Sie wollten frei entscheiden können, ob ihr Opfer leben oder sterben sollte … oder wie ihr Opfer sterben sollte. Sie würden mich so lange am Leben lassen, wie mein Körper es ertragen konnte, würden mich wiederbeleben, sobald ich das Bewusstsein verlor oder zu sterben drohte, wobei sie mir stets so viel Schmerz und Leid wie möglich zufügten. Manche von ihnen konnten tagelang so weitermachen.
Sie wollten mir zeigen, dass sie mich vollkommen in ihrer Gewalt hatten, dass ich ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war. Je mehr ich schrie, je mehr ich um Gnade flehte, desto mehr Nahrung gab ich ihren finsteren Fantasien. Wenn ich um mein Leben bettelte oder nach meiner Mama oder meinem Papa schrie, freuten sie sich erst recht.
Es war die Quittung dafür, dass ich sechs Jahre meines Lebens die schlimmsten Männer der Welt gejagt hatte.
Mein Herz raste, ich brannte innerlich. Ich spürte einen entsetzlichen Stich, als sie mir den spitzen Stock tiefer in den Penis schoben. Ich krümmte mich vor Schmerzen.
Bitte, lieber Gott, wenn ich noch lebe, lass mich bald sterben. Und falls ich tot sein sollte, befreie mich schnell von den Qualen der Hölle.
Dann sah ich brennendes, grellweißes Licht, wie Menschen es angeblich im Augenblick des Todes gewahr werden. Ich erwartete, Jesus oder Engel oder den Teufel zu sehen … Auch das hatte ich schon gehört. Doch sah ich nur dieses grellweiße Licht.
Und eine Stimme nahm ich wahr, eine tröstende, beschwichtigende Stimme, das Beruhigendste, was ich je gehört hatte.
»Ganz ruhig, John. Wir versuchen, alles wieder gut zu machen.«
Es war das Letzte, woran ich mich erinnerte.
»John, hören Sie mich? Ganz ruhig. Ganz ruhig. Sie sind im Krankenhaus. Sie sind sehr krank, aber wir versuchen, Sie wieder hinzubekommen«, war das, was die Krankenschwester tatsächlich zu mir sagte. Sie hatte keine Ahnung, ob ich sie hören konnte oder nicht, aber dennoch wiederholte sie es besänftigend immer und immer wieder.
Nur hatte ich damals keine Ahnung, dass ich auf der Intensivstation des Swedish Hospital in Seattle lag, im Koma. Meine Arme und Beine waren festgeschnallt. Röhren und Schläuche steckten in meinem Körper. Man glaubte nicht, dass ich überleben würde. Es war Anfang Dezember 1983, und ich war achtunddreißig Jahre alt.
Die Geschichte beginnt drei Wochen vorher, auf der anderen Seite der USA. Ich war oben in New York, sprach vor etwa 350 Mitarbeitern der Polizei von New York, der U-Bahn-Polizei und der Polizei von Nassau und Suffolk County, Long Island, über die Täterprofilerstellung. Ich hatte diese Rede schon Hunderte von Malen gehalten und konnte sie fast automatisch abspulen.
Urplötzlich schweiften meine Gedanken ab. Ich merkte, dass ich noch immer redete, nur war mir kalter Schweiß ausgebrochen, und ich fragte mich: Wie, zum Teufel, soll ich all diese Fälle schaffen? Ich stand kurz davor, die Arbeit am Wayne-Williams-Kindermord in Atlanta und den ».22 Caliber«-Rassenmorden in Buffalo abzuschließen. Man hatte mich zum »Trailside-Killer«-Fall in San Francisco hinzugezogen. Ich beriet Scotland Yard bei den Ermittlungen zum »Yorkshire Ripper« in England. Ich trieb mich in Alaska herum, bearbeitete den Fall Robert Hansen, bei dem ein Bäcker aus Anchorage Prostituierte entführt hatte, mit ihnen in die Wildnis geflogen war und sie dann jagte. Ich suchte einen Serien-Brandstifter, der es auf Synagogen in Hartford, Connecticut, abgesehen hatte. Und ich musste in der übernächsten Woche nach Seattle fliegen, um die Green-River-Task-Force bei etwas zu beraten, was sich zu einem der größten Serienmorde der gesamten amerikanischen Geschichte zu entwickeln schien, wobei der Mörder es in erster Linie auf Prostituierte und Durchreisende in der Gegend um Seattle und Tacoma abgesehen hatte.
In den vergangenen sechs Jahren hatte ich eine neue Herangehensweise an die Verbrechensanalyse entwickelt, und ich war der Einzige in der »Spezialeinheit für Serienverbrechen«, der vollzeit Fälle bearbeitete. Alle anderen in der Abteilung waren in erster Linie Ausbilder. Ich hatte mit etwa 150 Fällen gleichzeitig zu tun, ohne jede Hilfe, und war circa 125 Tage im Jahr nicht in meinem Büro in der FBI-Academy von Quantico, Virginia. Der Druck durch die lokalen Polizeibehörden war ungeheuer, da sie selbst unter ungeheurem Druck standen, die Fälle zu lösen, Druck von den Kommunalbehörden, von den Familien der Opfer, die stets mein ganzes Mitgefühl hatten. Ich versuchte, mir Prioritäten für meine Arbeit zu setzen, nur kamen täglich neue Anfragen. Meine Kollegen in Quantico sagten oft, ich sei eine männliche Hure: Ich könne keinen Kunden zurückweisen.
Während meiner Rede in New York sprach ich über kriminelle Persönlichkeitstypen, doch meine Gedanken wanderten zurück nach Seattle. Ich wusste, dass nicht alle in der Sondereinheit mich dort haben wollten, das war die normale Härte. Wie in jedem großen Fall, zu dem ich gerufen wurde, um diesen neuen Service zu leisten, den die meisten Cops und viele Leitende beim FBI nach wie vor ganz in der Nähe der Hexerei einordneten, musste ich es ihnen »verkaufen«. Ich musste überzeugen, ohne überheblich oder arrogant zu wirken. Ich musste ihnen vermitteln, dass ich der Ansicht war, sie hätten ihren Job gründlich und professionell erledigt, und dennoch versuchen, die Skeptiker davon zu überzeugen, dass das FBI ihnen möglicherweise helfen konnte. Am einschüchterndsten mag gewesen sein, dass mein Job – im Gegensatz zur Tradition der FBI-Beamten, die mit »Nur die Fakten, Ma’am« umgingen – erforderte, Meinungen zu entwickeln und zu vertreten. Ich lebte im ständigen Bewusstsein, dass ich, falls ich mich täuschte, die Ermittlungen weit am Ziel vorbei führen konnte und so weitere Menschen zu Tode kamen. Ebenso schlimm war, dass ein solcher Fall der nächste Nagel zum Sarg des neuen Programms zur Täterprofilerstellung und Verbrechensanalyse wäre, das ich ins Leben zu rufen versuchte.
Dann waren da die Reisen selbst. Schon mehrfach war ich in Alaska gewesen, hatte vier Zeitzonen durchquert, haarsträubende Anschlussflüge knapp über dem Wasser mit Landungen in der Dunkelheit überlebt und war praktisch gleich nach der Ankunft und dem Treffen mit der örtlichen Polizei sofort wieder in die Maschine gestiegen und nach Seattle zurückgeflogen.
Die unerwartete Angstattacke dauerte vielleicht eine Minute. Immer wieder sagte ich mir: He, Douglas, reiß dich zusammen. Komm auf den Teppich. Und ich schaffte es. Ich glaube kaum, dass irgendwer im Raum merkte, dass irgendwas nicht stimmte. Nur wurde ich das Gefühl nicht los, dass mir etwas Schreckliches zustoßen würde.
Ich konnte diese Ahnung nicht abschütteln, und als ich wieder nach Quantico kam, ging ich ins Personalbüro und schloss eine zusätzliche Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung ab, für den Fall, dass ich zu Schaden kommen sollte. Ich kann nicht genau sagen, wieso ich es tat, abgesehen von diesem vagen, wenn auch drängenden Angstgefühl. Ich war ausgelaugt. Ich trainierte zu viel und trank wahrscheinlich mehr, als mir guttat, um mit dem Stress fertig zu werden. Ich litt unter Schlafstörungen, und wenn ich dann eingeschlafen war, wurde ich oft genug durch einen Anruf von jemandem geweckt, der meine Hilfe brauchte. Im Bett versuchte ich, von meinen Fällen zu träumen, in der Hoffnung, dass die Träume mir wichtige Einsichten bescherten. Rückblickend ist leicht zu sehen, wohin das alles führen würde, doch damals schien es mir, als könne ich nichts dagegen tun.
Kurz bevor ich zum Flughafen fuhr, hielt ich – einer Eingebung folgend – vor der Schule, an der Pam, meine Frau, Sonderschüler im Lesen unterrichtete, um ihr von der zusätzlichen Versicherung zu erzählen.
»Warum erzählst du mir das?«, fragte sie besorgt. Ich hatte stechende Kopfschmerzen auf der rechten Seite, und sie sagte, meine Augen seien blutunterlaufen und sähen seltsam aus.
»Ich wollte nur, dass du Bescheid weißt, bevor ich fliege«, erwiderte ich. Damals hatten wir zwei kleine Töchter. Erika war acht, Lauren war drei.
Für die Reise nach Seattle hatte ich zwei neue Special Agents mitgebracht – Blaine Mcllwain und Ron Walker –, um sie in den Fall einzuarbeiten. Abends kamen wir in Seattle an und zogen ins Hilton-Hotel. Beim Auspacken merkte ich, dass nur ein schwarzer Schuh im Koffer war. Entweder hatte ich den anderen nicht eingepackt, oder ich hatte ihn irgendwo unterwegs verloren. Am nächsten Morgen sollte ich einen Vortrag vor dem King County Police Department halten, und ich kam zu dem Schluss, dass ich nicht ohne meine schwarzen Schuhe gehen konnte. Schon immer habe ich sehr auf meine Kleidung geachtet, und Müdigkeit und Stress hatten zu einer Art Besessenheit geführt, schwarze Schuhe zu meinen Anzügen tragen zu müssen. Also stürmte ich auf die Straße hinaus und rannte...
Erscheint lt. Verlag | 2.12.2019 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kunst / Musik / Theater ► Film / TV |
Schlagworte | Abgrund • Abgründe • Abscheulich • Aktenzeichen XY • Analyse • Analysieren • Analytiker • Aufklären • Aufklärung • Befragen • Befragung • Beschreibung • Beweggrund • Beweggründe • Böse • Brutal • Brutalität • Buch Neuerscheinung • Das Schweigen der Lämmer • Douglas • echte Fälle • echter Fall • ermitteln • Ermittlung • Fall • Fallanalytiker • Fälle • Faszination • faszinierend • FBI • federal bureau of investigation • Fernsehserie • Ganove • Ganoven • Gewalt • Gewalttat • Grund • Gründe • Hintergrund • interessant • kaltblütig • Killer • Krimi • Kriminalbeamte • Kriminalfall • Kriminalfälle • Kriminalpsychologie • Kriminalroman • Kriminologie • Krimiserie • menschlicher Abgrund • Mindhunter • Mord • Mörder • Mordfall • Mordfälle • Motiv • Netflix • Neuerscheinung • Olshaker • Opfer • perfide • Polizei • Polizeiarbeit • Profiler • Psychologie • psychologisch • Roman • schrecklich • Seele • Serie • Serienkiller • Serienmörder • Serientäter • Soziologisch • spannend • Spannung • Spezialeinheit • systematisch • Tat • Tathergang • Tatmotiv • Tatmotive • tatvorgang • Thriller • True Crime • unaufgeklärt • unaufgeklärte Mordfälle • unaufgeklärter Mordfall • Ungewöhnlich • Verbrechen • Verbrecher • Verhalten • Vorgehen • Vorgehensweise • Wahre Begebenheit |
ISBN-10 | 3-7453-0994-4 / 3745309944 |
ISBN-13 | 978-3-7453-0994-2 / 9783745309942 |
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