Als wir im Regen tanzten (eBook)

Roman
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2019 | 1. Auflage
463 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7325-7239-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Als wir im Regen tanzten -  Michaela Saalfeld
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1928. Berlin pulsiert, gilt als Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten. Die Schauspielerin Recha und der Regisseur Willi zur Nieden sind das Traumpaar der Metropole und ihrer blühenden Filmwelt. Hinter der Fassade bröckelt es jedoch. Die Nationalsozialisten gewinnen immer mehr an Zustimmung, auch durch die Filme der vom Großindustriellen Hugenberg übernommenen UFA. Als Jüdin ist Recha unmittelbar betroffen. Willi jedoch verschließt die Augen, und das einstige Traumpaar entfremdet sich. Werden die beiden trotz allem neu zueinander finden - oder verlieren sie einander, während die Welt um sie herum ins Wanken gerät?

Liebe und Hoffnung, Mut und Verzweiflung - der große Berlin-Roman zur Weimarer Republik



Als Autorin und Historikerin hat sich Michaela Saalfeld ganz der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verschrieben. Sie debütierte im Sommer 2018 mit ihrem Roman über die Anfänge der ersten deutschen Demokratie, Was wir zu hoffen wagten. Michaela Saalfeld lebt mit ihrer Familie in Berlin, wo auch die Haupthandlung ihrer Romane angesiedelt ist.

Als Autorin und Historikerin hat sich Michaela Saalfeld ganz der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verschrieben. Sie debütierte im Sommer 2018 mit ihrem Roman über die Anfänge der ersten deutschen Demokratie, Was wir zu hoffen wagten. Michaela Saalfeld lebt mit ihrer Familie in Berlin, wo auch die Haupthandlung ihrer Romane angesiedelt ist.

März


Es regnete in Strömen.

Recha trat aus dem Lichtkegel der Laterne, der den Regen in silberne Blitze verwandelte, und blieb im Dunkeln stehen. Ihr Körper vibrierte. Es war kalt, doch das war nicht der einzige Grund. Erregung und Erwartung trugen das ihre bei.

Sie hatte in der Grünen Minna warten sollen, einer Mischung aus Mokkadiele und Cocktailbar, Überbleibsel eines Hotels, das sich mit Kriegsanleihen in den Bankrott manövriert hatte. Einige ihrer Freunde von der WILWO waren auch gekommen: Gunter Agnelli, der Beleuchtermeister, Lutz Petersen, ihr Filmpartner, und Sonja Vogt-Behringer, eine Kollegin, die in ihrem Alter war, auch wenn sie in den meisten Filmen ihre Mutter spielte. Sie alle hatten unter Wolfgang und für seine aus dem Boden gestampfte Produktionsgesellschaft gedreht, aber Wolfgang und seine WILWO gab es nicht mehr. Ob Richard Oswalds Produktionsgesellschaft ihren Platz einnehmen und ihnen allen Arbeit verschaffen würde, sollte sich an diesem Abend entscheiden.

Gemeinsam war das Warten halbwegs erträglich gewesen. Sie tranken erst Cocktails, dann Sekt, der für die Feier bestimmt und lauwarm geworden war, und zuletzt Tee, wahlweise mit Rum. Ein Mensch namens Lehnitz, den Recha flüchtig von der UFA kannte, gesellte sich mit einem herzzerreißend schönen, braunlockigen Jungen zu ihnen und bat, mit ihnen auf die Entscheidung warten zu dürfen.

»Der Film ist das Medium der Zukunft.« Lehnitz hatte eine schnarrende Stimme. »Und wenn der deutsche Film in dieser Zukunft mitmischen soll, dann braucht es Männer wie Willi zur Nieden, die ihm Impulse geben, Männer, die sich was trauen. Gernot hier habe ich ihm schon ans Herz gelegt. Der ist ein kommender Stern.«

Die vier WILWO-Leute, einschließlich Recha, hatten kaum aufgeblickt. Sie brauchten eine Produktionsfirma, Geld und Verträge. Keinen kommenden Stern, der vermutlich wie so viele aus irgendeinem Provinznest in die Hauptstadt geschwemmt worden war, weil bei ihm daheim die Leute hungerten und niemand für Film und Theater Geld hatte.

Geld hatte auch in der Hauptstadt niemand. Deutschland war ein besiegtes, in den Boden gestampftes Land, das zwei Millionen seiner Männer in einem sinnlosen Krieg verloren hatte und nicht wusste, wie es die Überlebenden über die nächsten vier Wochen bringen sollte. Und Berlin war eine Stadt, in der Schlachten tobten, eine Stadt, in der Deutsche gegen Deutsche kämpften und dabei über Leichen gingen, als wäre ihr Blutdurst noch immer nicht gestillt. Filme wurden hier trotzdem gemacht – vielleicht weil die Leute mit der Leere im Magen und der Verstörung im Kopf Ablenkung im großen Stil brauchten, vor Leben überquellende Bilder, die ihre Sinne betäubten.

Im Dezember hatte man die Leichen der erschossenen Spartakisten in endlosen Trauerzügen durch die Stadt getragen, während gleichzeitig im Union-Theater, hier am Kurfürstendamm, Ernst Lubitschs Film Carmen wild und rauschhaft Premiere feierte. Wen im eigenen Heim nur Hunger, Kälte und Tod erwarteten, der ging gern ins Kino, um sich aufzuwärmen, und wenn das Kino nicht beheizt war, wärmte die Pracht der Bilder auf der Leinwand.

Der Film, an den Recha und ihre Freunde all ihre Hoffnungen hängten, hatte jedoch weder Ablenkung noch Pracht und Rausch zu bieten. Wärme vielleicht und auch ein wenig Trost, aber nur für die, die den Weg durch Schuld und Traurigkeit mitgingen. Er war kein Schmerzmittel, sondern ein Seziermesser, erzählte vom Krieg, von Tod und Verzweiflung in einer von Deutschen verwüsteten Stadt. Weshalb sollte ein Produzent sein Geld für einen solchen Film ausgeben, den in einem Land, das nach sinnloser Heiterkeit lechzte, kein Mensch würde sehen wollen? Mit den Stunden, die verstrichen, wurden die Hoffnungen der Freunde dünner.

»Oswald wird sich darauf nicht einlassen«, sagte Gunter, den Wolfgang früher seinen »Herrn der Schatten« genannt hatte. »Er braucht Kassenerfolge, sonst ist er schneller erledigt, als er ›papp‹ sagen kann. Eine Geschichte über ein getötetes Liebespaar in einer zerstörten Stadt wird kein Kassenerfolg, davon können wir ein Lied singen.«

Richard Oswald war der Mann, auf den sie all ihre Erwartung gerichtet hatten. Er hatte eine Produktionsgesellschaft gegründet, um neue, aufsehenerregende Filme zu machen, wie sie noch vor einem halben Jahr der Zensur zum Opfer gefallen wären. Filme, wie Wolfgang kurz vor dem Krieg einen gedreht hatte – einen katastrophalen Flop an den Kinokassen, der seiner Laufbahn ein Ende setzte. Warum sollte es jetzt anders sein? Auch wenn es keine Zensur mehr gab, mussten Filme noch immer Geld einspielen.

Lehnitz und sein Gernot waren irgendwann gegangen. Als Nächster verabschiedete sich Gunter. »Seid mir nicht böse, Kameraden der Westfront. Ich werde alt, meine Nerven machen das nicht mehr mit.«

»Du bist keine vierzig«, bemerkte Sonja.

»Hättest du da draußen diesen Scheißkrieg mitgemacht, wüsstest du, dass das keine Rolle spielt«, erwiderte Gunter und ging.

Kurz nach Mitternacht brach Sonja selbst gähnend auf, und allein Lutz hielt mit Recha die Stellung. Sie hatten miteinander in Wolfgangs besten Filmen gespielt und waren in Zeitschriften wie dem Filmkurier und der Bild und Film als Deutschlands schönstes Leinwandpaar gefeiert worden. »Warum gehst du nicht nach Hause, Recha?«, fragte der einstige Frauenschwarm, der ebenfalls in den Gräben von Belgien und Nordfrankreich gekämpft hatte. »Willi erwartet bestimmt nicht, dass du die ganze Nacht lang hier sitzt. Wie es aussieht, wird ja wohl heute sowieso keine Entscheidung mehr fallen.«

»Ich warte noch bisschen«, hatte Recha gesagt.

»Vielleicht hat Oswald ihn abgewiesen, und er hat es nicht über sich gebracht hierherzukommen. Vielleicht zieht er irgendwo herum und muss die Enttäuschung erst einmal mit sich selbst ausmachen.«

»Das ist gut möglich. Ich warte trotzdem noch.«

Lutz ging, und Recha blieb allein. Noch vor einem Jahr hätte der Wirt sie vermutlich für eine Kunstseidene gehalten. Frauen saßen nachts nicht allein in Bars. Nicht einmal Schauspielerinnen. Aber seit die Kaiserlichen den Karren unwiderruflich in den Dreck gefahren hatten, taten Frauen so manches, was sie sich nie hätten träumen lassen.

Der Wirt machte sich darüber keine Gedanken. Er wollte nur schließen, weil sich für die einzelne Kundin über ihrer Teetasse das Offenhalten nicht lohnte. Recha nahm ihre Pelerine und ging zur Tür. »Dat regnet ja Bindfäden«, rief ihr der Mann hinterher. »Hat so ’n schönet Frollein nich’ einen, der se abholen kommt?«

»Er wird schon noch kommen«, sagte Recha, obwohl sie sich dessen nicht so sicher war. Willi war jung. Vor dem Krieg war er wenig mehr als ein hübsches, verwöhntes Kind gewesen, das keine Niederlage hinnehmen konnte. Wenn er etwas wollte, stürzte er sich mit all seiner erstaunlichen Lebenskraft darauf und ließ nicht locker, bis die Beute sich ergab. Auf diese Weise hatte er sich in die eifersüchtig umkämpfte Filmwelt gedrängt. Und auf diese Weise hatte er sich Recha Süßapfels Liebe bemächtigt.

Was würde er mit dem, was er im Sturm genommen hatte, anfangen? Lockte ihn nur die Eroberung, und nach erfolgtem Sieg hatte der Preis seinen Reiz verloren? Recha trat aus dem Lichtkegel der Laterne ins Dunkel und lauschte der Stille der Straße, die tagsüber mit solchem Getöse ihrem Treiben nachging, als müsste sie beweisen, dass sie noch immer durch eine Weltstadt führte. Kurfürstendamm. Ein Stück weiter vorn ging die Kantstraße ab, wo Richard Oswald kürzlich ein ausgedientes Theater gepachtet hatte, um es zum Lichtspielhaus umzugestalten. Das Prinzeß. Dort gab es auch Geschäftsräume, in denen er Leute zu Gesprächen empfing. Leute wie Willi, die ihm ihre Filmprojekte anbieten wollten und ihm vermutlich in Scharen die Tür einrannten.

Lass die Schwarzseherei, ermahnte sie sich. Regen lief über ihr Gesicht, und in ihre Knochen kroch Kälte, doch der Frühling würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Der Krieg war vorbei, die blutigen Straßenkämpfe, die aus der Stadt ein Schlachtfeld gemacht hatten, legten sich allmählich, und sie hatte überlebt. Trotz Hunger und Chaos wurden Filme gedreht, und sie gehörte zu den Glücklichen, die auch jetzt noch von Regisseuren hofiert wurden. »Vor deinem Gesicht hält die Kamera den Atem an«, hatte Wolfgang einmal gesagt.

Wolfgang war nicht mehr da, und ein wenig fühlte sich Recha ohne ihn noch immer wie einer der zerfetzten Reklamezettel, die der Wind durch die dunkle Straße trieb. Haltlos. Ziellos. Aber sie war nicht allein. Ihren Bruder hatte sie nicht verloren, auch wenn es unendlich schwierig werden würde, ihn wieder einem lebenswerten Leben zuzuführen, und sie hatte ihre Freunde nicht verloren, Gunter, Sonja und Lutz. Ein Stück von Wolfgang. Von der Welt, die ihr vertraut war.

Sie hatte auch Willi nicht verloren. Mitten im Krieg, im denkbar falschesten Moment, hatte sie sich verliebt.

Sie sah ihn von Weitem, war sicher, seine Gestalt im Licht der Leuchtreklamen zu erkennen und seine Schritte auf dem nassen Asphalt trommeln zu hören. Er rannte. Der Krieg hatte einen Mann aus ihm gemacht, doch jetzt preschte er in Abendanzug und Havelock die Straße hinunter und war wieder der Junge, der seinem ersten Rendezvous entgegenflog. Über die dunkle Leere hinweg rief er im Triumph: »Wir haben es geschafft, Oswald hat unterschrieben – wir drehen einen Film!«

Einen Schritt vor ihr blieb er abrupt, aus vollem Lauf stehen, rang...

Erscheint lt. Verlag 31.7.2019
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Kunst / Musik / Theater Malerei / Plastik
Schlagworte 20. - 21. Jahrhundert • Anne Jacobs • Antisemitismus • Babelsberg • Babylon Berlin • Belgien • Berlin • Beziehung • Brandenburg • Charlotte Roth • Clifton • Deutschland • Drama • Familiengeheimnis • Filmgeschichte • Frauenroman • Frühzeit Nationalsozialismus • Gefühle • Goldene Zwanziger • Golden Twenties • Historische Romane • Hitler • Hugenberg • Jeffrey Archer • Judenverfolgung • Kriegsfilm • Liebe • Liebesleben • Liebesroman • Liebesromane für Frauen • Metropolis • Nosferatu • Propaganda • PTBS • Regiefilm • Romantik • Schicksale und Wendepunkte • starsystem • Stummfilm • Sturz der Titanen • Tonfilm • Tuchvilla • Was wir zu hoffen wagten • Winter der Welt • Ypern • Ypernschlacht • Zwischenkriegszeit
ISBN-10 3-7325-7239-0 / 3732572390
ISBN-13 978-3-7325-7239-7 / 9783732572397
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