Gimmick! - Joost Zwagerman

Gimmick!

(Autor)

Buch | Softcover
288 Seiten
2018
Weidle Verlag
978-3-938803-90-5 (ISBN)
23,00 inkl. MwSt
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"Nein, ich habe keine Lust. Ich habe eigentlich nie Lust, irgendwohin zu gehen. Meistens habe ich nur Lust, irgendwo wegzugehen."
Walter van Raamsdonk (Raam) lebt in der Welt junger, erfolgreicher Künstler in Amsterdam. Diese beschäftigen sich vornehmlich mit Geld, Sex und Drogen und, auch das, produzieren hin und wieder Kunst.
Die Kunst ist Raam jedoch herzlich egal. Er versucht seinen Liebeskummer um die verlorene Freundin Sammie mit Videos (meist Pornos), MTV und Musik zu übertünchen. Nachts läßt er sich in der Diskothek "Gimmick" treiben, dem Treffpunkt der postmodernen Künstler, wo er so oft mit Sammie war. Schließlich reist er in der Weltgeschichte herum, um seinen Kummer zu betäuben - aber selbst in New York kommt er nicht von seiner alten Liebe los.
Wieder daheim, erhält er einen hochdotierten Auftrag, hat jedoch kein Kunstwerk dafür. Und er ist nicht in der Lage, ein neues Werk zu schaffen. Da fällt ihm ein, daß noch drei Arbeiten seines Freundes Alex in einer Ecke seines Ateliers stehen ...

In parodistischer Manier zeichnet Joost Zwagerman ein drastisches Bild der späten 1980er Jahre, in denen die Kunst zum Spiel um Geld und Eitelkeiten verkommt. Die Coming-of-Age-Geschichte des Protagonisten steht exemplarisch für eine ganze Generation, die nach schnellem Ruhm und Reichtum strebt. Voller Selbstironie und Zynismus läßt Zwagerman seine Hauptfigur die Selbstbezogenheit und Geldbesessenheit seiner Künstlerkollegen kommentieren. In Gimmick! werden Künstler zu reinen Geschäftsleuten, Kunst wird nicht mehr an ihrer Einzigartigkeit, sondern am Marktwert gemessen. Auch in der Liebe geht es nur ums Geschäft, für Sentimentalitäten bleibt kein Raum. Sexualität wird zu reiner Obsession, ist allgegenwärtig - und steril. Das Wertesystem der Gesellschaft ist komplett ausgehöhlt: In der inhaltsleeren Kunst ist alles erlaubt, nichts kann mehr schockieren, die Künstler und ihre Werke werden austauschbar.
Nach nur wenigen Monaten ist das "Gimmick" schon wieder out. Die postmoderne Künstlerszene ist der Schnellebigkeit des Marktes hinterhergehechelt.

"Es gibt keine guten oder schlechten Künstler, Walter, es gibt Künstler mit Geld, und es gibt Künstler ohne Geld, und die Künstler ohne Geld sind eigentlich gar keine Künstler."

"Originalität ist eine Krankheit. Wir mögen alles, was morsch und unecht ist."

"Zeit ist Geld; Kreativität ist noch mehr Geld."

Zwagerman: "Es war ein Hype, die holländische Malerei jener Zeit. Es ging himmelhoch hinauf, aber später genauso hart wieder runter. Ich wollte diese Zeit aufnehmen. Und dafür habe ich mich umgesehen und den Jargon gelernt."

Nach dem Erfolg von "Duell" folgt nun ein weiterer Roman Joost Zwagermans aus der Kunstszene.

Joost Zwagerman (1963–2015) war einer der bedeutendsten niederländischen Autoren seiner Zeit. Er schrieb Gedichte, Essays, Erzählungen und Romane. »Gimmick!« erschien zuerst 1989 und ist inzwischen der Roman einer ganzen Generation. Er gehört in den Niederlanden mit 250.000 verkauften Exemplaren zu den meistgelesenen Büchern der letzten 25 Jahre.

»Gutes Timing, Raam! Was führt dich her?« Groen boxt gerade gegen seinen mit Graffiti bedeckten Sandsack. Er wohnt in einem brandneuen Gebäude, in dem zehn Studios an Künstler vermietet werden. Das von Groen mißt vierzehn mal sechs Meter, Schlaf- und Wohnzimmer samt Dusche und so weiter nicht mitgerechnet. In der Mitte des Studios liegen große schwarze Blätter Papier mit goldglänzenden Zeichen darauf, Chinesisch, Japanisch, ich weiß es nicht. Ehe ich ihm antworten kann, weshalb ich gekommen bin, deutet er auf ein paar Gemälde, die in einer Ecke stehen. »Schau mal, sind diese Arbeiten nun Materie oder Transaktion?« Ich erwidere, das wüßte ich nicht, ich wollte nur meine Schlüssel holen. »Schlüssel, Schlüssel! Shit, Raam, lenk nicht vom Thema ab, right? Ich meine, du schneist hier einfach rein und fängst sofort an über Schlüssel zu labern! Welche Schlüssel meinst du übrigens?« »Die Reserveschlüssel zu meiner Wohnung. Die habe ich doch bei dir deponiert?« Ein ziemlich kleines, aber tough wirkendes Mädchen kommt aus der Küche, in den Händen zwei Tassen Kaffee. Das Mädchen geht in Ballettschühchen und trägt ansonsten nur eins von Groens weißen Hemden. Reicht ihr bis zu den Knien, das Hemd. »Jajajaja«, sagt Groen rasch, als er bemerkt, daß ich zu dem Mädchen rüberschaue. »Darf ich dir kurz meine neue Rettungsweste vorstellen? Du kennst sie nicht, das ist Dolfijntje. Dolfijn, das ist Raam.« Die beiden Arbeitstische von Groen liegen voller Zeitschriftenstapel (Interview, Flash Art, Playboy), und daher stellt das Mädchen die Tassen auf den Boden. Sie hat große dunkle Augen, südlicher Typ. Eine echte Perle mit halblangem schwarzen Haar, Fünfziger-Jahre-Frisur. Sie kommt strahlend auf mich zu. Die richtigen Beine, der richtige Move. »Guten Tag. Walter van Raamsdonk.« »Hallo. Ich bin Tamara.« Ein leichter Den Haager Akzent, etwas enttäuschend. Groen vollführt Boxbewegungen. Ich verspüre aufkommende Kopfschmerzen. »Raamsdonk? Raaaamsdonk?« sagt Groen schneidend. »Das ist schlicht Raam, Mensch. Und Dolfijntje ist Dolfijntje. Soweit ich weiß.« »Möchtest du Kaffee?« fragt Dolfijntje. Groen schlägt mir ziemlich hart auf die Schulter. »Sind diese Gemälde nun Materie oder Transaktion, Raam? Mann, Mann, Mann, ich muß dir wieder alles mögliche beibringen, Dummkopf. Diese wahnsinnig guten Bilder sind Antimaterietransaktionen, Raam. Antimaterietransaktionen. Ich meine, verstehst du?« Ich habe noch nie von Antimaterietransaktionen gehört, doch Groen berichtet, irgendein Amerikaner habe vor fünf Jahren in Rio de Janeiro die ersten Antimaterietransaktionen ausgestellt, und Europa und vor allem Amsterdam seien jetzt reif für das Konzept der Antimaterie in Verbindung mit der Transaktion. Groen hat dafür ein Stipendium beim Kunstrat beantragt, sagt er. »Vierzigtausend. Zwanzig für die Arbeiten, sechs für die Brötchen, zehn für die Mädchen und vier für das kalte Buffet.« »Wo hast du Dolfijntje aufgegabelt?« frage ich. »Fuck, Raam, steck deine Scheißnase nicht in anderer Leute Angelegenheiten! Bleib du mal fein bei deinen Schlüsseln.« Dolfijntje bringt mir Kaffee. Wir trinken Armagnac dazu. Ich schaue auf die Brüste unter Dolfijntjes Hemd, während Groen die Texte auf den schwarzen Blättern deklamiert. Irgendein japanisches Kriegsdokument. Groen erzählt, er habe die Texte zusammen mit einem japanischen Freund übersetzt und anschließend eine entscheidende Änderung angebracht. Überall, wo »die japanische Armee« stand, steht jetzt »westlicher Sex«. »der westliche sex ist diszipliniert und mit unersetzlichen mitteln ausgerüstet!« Er schmettert es regelrecht durchs Studio. »nur mit hilfe des westlichen sex ist der fortbestand der japanischen tradition gesichert!« Ich frage mich, wo und wann Groen jemals Japanisch gelernt hat. Währenddessen nippt Dolfijntje in hohem Tempo am Armagnac. Ich frage Groen, woher er das Dokument hat. Groen erwidert, ein anderer japanischer Freund habe es für ihn geschrieben. »Also ist es gar kein Originaldokument?« frage ich. Groen reagiert ein wenig gereizt. »Original, Original, was soll das bedeuten? Original? Sind die Ringe unter deinen Augen auch original? Ja? Nun, be sensible, Raam. Dann laß sie dir im Krankenhaus wegmachen und frage, ob du sie mit nach Hause nehmen darfst. Dann kannst du einen japanischen Text darüber schreiben.« Eine nur ihm verständliche Assoziation nennt Groen Humor. Also lacht er ausgelassen und stößt dabei seinen Kaffee um. Dolfijntje kratzt sich am Bauch. Sie stochert mit dem kleinen Finger in ihrem Bauchnabel herum, schaut von Groen zu mir und dann wieder zu Groen. Ich sage zu Groen, er solle nicht so gestreßt reagieren. Groen sagt, er sei überhaupt nicht gestreßt, ich solle nur nicht so dämlich darauf rumreiten, was original ist und was nicht. Und ob ich nichts anderes zu erzählen hätte. »Original. O-rri-gi-nahl«, sagt Dolfijntje. »Wenn man es ein paarmal nacheinander sagt, klingt es total komisch. Wie eine Krankheit.« »Genau«, sagt Groen. »Mit Dolfijn kann man sich wenigstens unterhalten. Sie hat recht. Original ist eine Krankheit. Wir lieben alles, was falsch und unecht ist. Nicht wahr, Dolfijn?« Dolfijn schnüffelt an ihrem kleinen Finger. Groen liest noch ein paar Sätze vor. Erst auf japanisch, danach auf französisch. Und schließlich auf niederländisch. Dolfijntje beginnt zu kichern. Groen meint, die halbe Welt sei unecht und der Rest noch unechter. Dann legt er eine CD von Otis Redding auf. »Hat Dolfijn mir heute morgen geschenkt, die CD. Ist das nicht aufmerksam?« Dolfijntje ist aufgestanden, um zu tanzen. Sie tanzt auf den schwarzen Blättern. Ab und zu rutscht sie um ein Haar aus. Das Papier wirbelt über den Fußboden. Groen baut inzwischen einen Joint. Ich frage Groen, ob er heute abend zur Eröffnung von Dixit geht. »Dixit?« »Die Ausstellung eines Deutschen«, sage ich. »Eines Deutschen?« »Bleichfeld.« »Bleichfeld?« »Kennst du den nicht?« frage ich. Groen dreht Otis Redding etwas lauter. »Idiot!« brüllt er. »Natürlich kenne ich Bleichfeld. Klar!« Groen lacht wieder laut, reicht mir den Joint und gesellt sich zu Dolfijn, um zu tanzen. Afghane.

Erscheinungsdatum
Nachwort Victor Schiferli
Übersetzer Gregor Seferens
Verlagsort Bonn
Sprache deutsch
Maße 130 x 205 mm
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Kunst / Musik / Theater
Schlagworte Kunst • Niederlande • Zwagerman
ISBN-10 3-938803-90-8 / 3938803908
ISBN-13 978-3-938803-90-5 / 9783938803905
Zustand Neuware
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