Aus dem Bayerischen Wald und Chicago

Geschichten, Gedichte und Briefe einer sanften Rebellin

(Autor)

Buch | Hardcover
287 Seiten
2018 | 1. Auflage
Morsak (Verlag)
978-3-86512-156-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Aus dem Bayerischen Wald und Chicago - Hans Göttler
19,90 inkl. MwSt
Klappentext hintenDie Bronzebüste der Dichterin, Gastwirtin und Emigrantin Emerenz Meier (*1874 in Schiefweg/Bayer. Wald + 1928 in Chicago/USA) wurde von der Bildhauerin Christine Wagner (Rotthalmünster) geschaffen und steht seit Oktober 2008 am Donaukai der Stadt Passau, beim Altstadthotel. Sie ist inzwischen zu einem markanten Wahrzeichen und touristischen Anziehungspunkt geworden. Passaus Gäste aus aller Welt, aber auch die Einheimischen gehen zumeist nicht unberührt an ihr vorbei. Emerenz Meier, so kann man mit Fug und Recht sagen, ist 90 Jahre nach ihrem Tod in Chicago wieder gut in Passau, dem "Woid" und ganz Bayern angekommen, wir haben sie integriert. Ihre wieder zugänglichen poetischen Werke, die vielen Berichte über sie in allen Medien, die ihr schon mehrfach gewidmeten Straßen- und Schulnamen, ihr wunderschön restauriertes elterliches Wirtshaus in Schiefweg/Waldkirchen und das darin befindliche hervorragend gestaltete Auswanderer-Museum "Born in Schiefweg" u. v. a. mehr - das sind gut sichtbare Zeichen der Präsenz einer Frau und Dichterin, die sich ihren verdienten Platz in unserer bayerischen Kultur- und Literaturlandschaft erobert hat. Aus Anlass ihres 90. Todestages am 28. Februar 2018 erscheint eine kleine, signifikante Buchausgabe der sanften Rebellin mit Geschichten, Gedichten und Briefen aus ihren beiden Leben, dem bayerischen und dem amerikanischen. Herausgegeben ist das Werk durch Hans Göttler, der sich seit den 1980er Jahren mit Leben und Werk von Emerenz Meier beschäftigt und u. a. ihre Gesammelten Werke beim Morsak Verlag ediert und viele Untersuchungen über sie vorgelegt hat. Die Passauer Künstlerin Eva Priller hat Göttler daher vor Jahren schon auf einer Collage als Biber - siehe Cover-Bild vorne - dargestellt, der in der Vergangenheit viel "umgenagt" hat, so dass der Weg der Dichterin auch im 21. Jahrhundert wieder frei wurde. Mit Hilfe der vorliegenden "kleinen Emerenz"-Buchausgabe sind Leben und Werk dieser außergewöhnlichen Frau und Schriftstellerin leicht zugänglich.

Dr. phil. Hans Göttler, geboren 1953 in Simbach am Inn, ist Direktor an der Passauer Universität im Fachbereich Germanistik. Er erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Seit 2005 Turmschreiber. Hans Göttler lebt mit seiner Familie in der Pockinger Heide in Osterholzen.

Inhalt
Emerenz Meier1
Vorwort des Herausgebers5
Einführung des Herausgebers9
Aus dem Bayerischen Wald
’s Hasenpassen 30
Brief vom 10. Sept. 1893 aus Oberndorf an L. Liebl36
Der Juhschroa (Ein lustiges Weib)38
Die Madlhüttler49
Der Brechelbrei63
Aus dem Elend73
Brief vom 11. Dez. 1900 aus Würzburg an Auguste Unertl150
Die Brautschau (Eine Heirats-Geschichte)157
Der Bua179
Brief vom 22. Juli 1904 aus München an Hans Carossa186
Der damische Hansei189
Die Gänse191
Spinnabend196
Väterliche Ermahnung197
D´Neb´nsach´198
Dem Schwirzer sei´Dirndl199
´s Vögerl200
Hat mir g´fall´n!200
A Händdruck201
Bist recht im Lustisei´ 202
Tuat dir oft ´s Herz recht weh203
Der böhmische Wind204
Wilde Balsaminen205
Mein Wald, mein Leben206
Ein bisserl208
Wödaschwüln209
Mitteilung211
Unverbesserlich212
Stoßseufzer213
Es hat a jeder a dumme G´wehnat214
Eine Verhandlung215
Klatsch ist die gift´ge Wespe 216
Z …´s Leichenfeier217
Die Schnecke218
Mit einer Hand zu schenken219
An Gewisse220
Sie haben Steine nach mir geschmissen221
[Ich bin des freien Waldes freies Kind]222
Aus Chicago
Brief vom 13. Dez. 1919 aus Chicago an Auguste Unertl225
Bella229
Ein Ferientag dreier Gassenbuben237
Kurzsichtigkeit241
Blaue Blümlein242
Ich ging den richt´gen Weg243
An Auguste244
Nachtsegen245
Kennst du das Land246
Weh über die Führer der Nationen247
Der Völkerhirt248
An Wilson249
Brief vom 16. April 1923 aus Chicago an Hans Carossa250
Radikaler Rat256
Kurze Zeit257
Testament für meinen Buben258
[Politische Gedankensplitter, vor 1917]260
Warum Krieg kommt261
Brief vom 10. Nov. 1926 aus Kansas-City an Auguste Unertl262
Anhang
Primärliteratur 268
Sekundärliteratur 269
Zeittafel271
Zum Herausgeber Hans Göttler286

Vorwort des Herausgebers „Aus dem bayrischen Wald“ – so lautete der Titel des ersten Buches der jungen Bayerwald-Dichterin Emerenz Meier (*1874), versehen mit dem Erscheinungsjahr 1897; es blieb ihr einziges selbständiges Werk, das zu ihren Lebzeiten entstanden und veröffentlicht worden ist. Als Herausgeber des 140 Seiten umfassenden Büchleins fungierte damals der fünfzigjährige, in Klattau geborene Literaturgeschichtslehrer Professor Karl Weiß-Schrattenthal (1846-1938) aus Preßburg; er veröffentlichte das Werk von Emerenz Meier als zweiten Band seiner Buchreihe „Dichterstimmen aus dem Volke“. Das Buch enthielt vier Erzählungen der jungen Dichterin: „Aus dem Elend“, „Ein lustiges Weib“, „Der Brechelbrei“ und „Die Madlhüttler“ und wurde bereits im November 1896 im Buchhandel zum Verkauf – es kostete geheftet 2,20 Mark und „fein gebunden“ 3 Mark – angeboten. Daher kann man die Entstehungszeit der vier Geschichten ziemlich genau datieren: sie lagen als Manuskript spätestens im Frühjahr 1896 fertig vor! Die Autorin war da noch nicht 21 ½ Jahre alt. Auch ihr Portraitfoto, das sie für das Buch von sich anfertigen ließ, stammt aus dieser Zeit und zeigt die junge Dichterin damit im Alter von höchstens 21 ½ Jahren. Das einzige Buch der Emerenz Meier, das von der Kritik damals sehr positiv aufgenommen, aber im Wald kaum gekauft und gelesen worden war, ist heute längst vergriffen. Es erfuhr erst zum 100. Geburtstag der Dichterin im Jahre 1974 eine Wiederauflage. Diese Veröffentlichung von 1974 stellte für mich als damals jungen Germanistikstudenten auch die erste Begegnung mit „meiner“ Emerenz dar. Das Bändchen erschien, herausgegeben von Hans Bleibrunner und Alfred Fuchs, zu diesem runden Jubiläum im Morsak Verlag Grafenau und enthielt auf 176 Druckseiten die vier oben genannten Erzählungen aus dem Jahr 1896/97 und des weiteren 11 Gedichte der Verfasserin: „Mein Wald – mein Leben“, „Der Wasservogel“, „Der Säumer“, „Väterliche Ermahnung“, „Unverbesserlich“, „Zwischen Wachen und Schlafen“, „Spinnabend“, „Widmung“, „Wödaschwüln“, „Mißgeschick“ und „An Auguste Unertl“. Die Auswahl der Gedichte hatte Max Peinkofer schon 1954 so vorgenommen, und zwar für seine kleine Veröffentlichung zum 80. Geburtstag der Emerenz Meier im Passauer Neue Presse Verlag. Das darin auch enthaltene Emerenz-Meier-Lebensbild aus Peinkofers Feder, das - aus heutiger Sicht - einige Fehler und Ungereimtheiten aufwies, sowie Hans Carossas Schilderung seiner ersten Begegnung mit der Dichterin anno 1898, erstmals abgedruckt im Carossa-Buch „Das Jahr der schönen Täuschungen“ (1941), fanden im Buch von 1974 ebenso Platz wie 10 kongeniale Zeichnungen des Künstlers Josef Fruth aus Fürsteneck. Das Jubiliäums-Bändchen im Morsak Verlag erfuhr im Laufe der Zeit zwei weitere Auflagen, nämlich 1987 und 1993. Auch nach dem Erscheinen der von mir herausgegebenen zweibändigen Werkausgabe 1991, die dann 2012 eine korrigierte und überarbeitete Zweitauflage erfuhr, wurde der Morsak Verlag immer wieder nach dem Emerenz-Buch aus dem Jahre 1974 gefragt; die Leserschaft vermisste „die kleine Emerenz“! Dieser Mangel soll nun endlich, auch aus Anlass des 90. Todestages der Dichterin, behoben werden. „Die neue kleine Emerenz“ enthält natürlich die vier Erzählungen des Erstlings von 1896/97, aber auch weitere Geschichten, Gedichte und Briefe, die z. T. erst im Laufe der letzten Jahrzehnte wieder entdeckt wurden. Viele dieser Texte habe ich auch schon 2012 auf CD eingelesen, die unter dem Titel „Mei Emerenz, my Emma!“ – Texte aus Baiern und Amerika, verfasst von Emerenz Meier“ ebenfalls bei Morsak erschienen ist. Diese CD und das vorliegende neue Buch können einen schnellen und leichten Einblick in Leben und Werk dieser außergewöhnlichen Dichterin verschaffen, was für sogenannte „Emerenz-Neueinsteiger“ interessant sein dürfte; aber auch die „Emerenz-Experten“ kommen hoffentlich auf ihre Kosten: die Einführung, erstmals 2004 in der Reihe „Ostbairische Lebensbilder, Band I“ erschienen, wurde für diesen Buchdruck von mir überarbeitet und aktualisiert, so dass auch die Übersicht zur Forschungsliteratur auf neuestem Stand ist sowie die Zeittafel zu Leben und Werk der Dichterin. In meinen Augen sind Buch und CD vor allem auch deswegen besonders wichtig, weil sie der Leserschaft sinnfällig und eindeutig zeigen, dass die Emerenz in ihren beiden Leben, dem in Altbayern und dem in Chicago, stets literarisch tätig und produktiv gewesen ist. Von einem Verstummen ihrerseits in Amerika, kann also keine Rede sein! Der Titel des neuen Buches drückt das unmissverständlich aus, er bezieht sich auf ihr gesamtes dichterisches Schaffen, das aus dem Bayerischen Wald und aus Chicago! Für den Untertitel habe ich eine Anleihe bei Hans Carossa genommen, wozu ich bei seiner Tochter Dr. Eva Kampmann-Carossa nachgefragt und dankenswerterweise ihre Erlaubnis erhalten habe. Das ausdrucksstarke Bild von der sanften Rebellin stammt aus Carossas Buch „Das Jahr der schönen Täuschungen“ aus dem Jahr 1941 und trifft genau den Wesenskern der Dichterin, ihre oft stille Verträumtheit sowie ihre immer wieder durchbrechende scharfe Radikalität! Im Mittelpunkt des Titelbildes, arrangiert von Georg Ochsenbauer, Eggenfelden, im Jahre 2012, steht eine Bildcollage der Passauer Künstlerin Eva Priller aus dem Jahre 2009, mit einer dominierenden bairisch-amerikanischen Emerenz Meier im Vordergrund. Im Hintergrund kann man einen kleinen Biber erkennen, dessen Gesicht die Züge des Herausgebers trägt. Auf der Rückseite des Buches sieht man eine Fotografie der Emerenz-Meier-Büste von Bildhauerin Christine Wagner (Rotthalmünster), die seit Oktober 2008 am Passauer Donaukai auf der Höhe des Altstadthotels einen unübersehbaren Anziehungspunkt für Touristen und Einheimische darstellt. Gewidmet sei das Buch meiner lieben Schwester Gerti, nachträglich zu ihrem 60. Geburtstag: Diese Widmung soll mein kleines äußeres Dankeszeichen dafür sein, dass sie als Gastwirtin seit Jahrzehnten schaffensfroh und erfolgreich unser Elternhaus, den „Weißbräu Göttler“ in Simbach am Inn, führt und damit die Tradition des seit 1902 im Familienbesitz befindlichen Anwesens weiterträgt! Vergelt’s Gott, Gerti! Osterholzen, 28. Februar 2018, am 90. Todestag von Emerenz Meier! Der Herausgeber

Einführung des Herausgebers Emerenz Meier wurde am 3. Oktober 1874 in dem kleinen Dorf Schiefweg bei Waldkirchen (Unterer Bayerischer Wald) im Wirtshaus ihrer Eltern geboren. Die Eltern Josef und Emerenz Meier hatten das Anwesen im Frühjahr 1866 für 6800 Gulden erworben, es war - wie Paul Praxl erforscht hat - der sogenannte „Restkomplex“ des schon „zertrümmerten“ Fuchsenhofes (Schiefweg Haus Nr. 10, heute Dorfplatz 9), der nur mehr ca. zwölf Tagwerk Grund umfasste, jedoch eine reale Wirtsgerechtigkeit besaß. Emerenz war das fünfte Kind des Gast- und Landwirts Josef Meier (1837–1911) vom Hirschlehenhof in Manzenberg bei Büchlberg und seiner Frau Emerenz, geborene Raab (1835–1912), die aus dem Raabenhof im benachbarten Richardsreut stammte. Max Peinkofer, der 1954 ein Lebensbild der Dichterin verfasste und dem diese biographische Darstellung neben den Nachforschungen von Paul Praxl viel verdankt, schilderte den Vater Meier als aufrechten, kernigen und trinkfesten Mann, der als Vieh- und Güterhändler viel unterwegs gewesen sei; bei Paul Praxl erscheint Josef Meier als „ein unruhiger Geist in einer unruhigen Zeit, stets Ausschau haltend nach einem Geschäft“. Peinkofer kennzeichnete die Mutter als stille, eher versonnene Natur, Praxl schildert sie als „gefühlvoll und arbeitsam“. Emerenz, von Kindheit an „Senz“ gerufen, lebte bis zu ihrem 17. Jahr im viel besuchten elterlichen Wirtshaus, beobachtete die Gäste genau und wuchs zu einem begabten und lebhaften Mädchen heran. Bei den damals noch üblichen größeren Raufereien im Gasthaus suchte sie nicht etwa verschreckt das Weite, sondern verblieb, wie Hans Carossa es schilderte, im Schlachtgetümmel und versorgte die lauten Kämpfer, die mit Bierkrügen aufeinander einschlugen, immer wieder mit neuer Munition, indem sie ihnen rasch unversehrte Trinkgefäße reichte. Eine kleine, geschwisterliche Rivalität bestand zur sieben Jahre älteren Schwester Petronilla, die ebenfalls recht gescheit und sehr energisch war. Petronilla dominierte als Älteste die jüngeren Geschwister Josef, Emerenz, Maria und Anna und war selbst eine leidenschaftliche Leserin und Schreiberin. Schon bald aber wurde sie darin von der jüngeren Schwester Emerenz weit übertroffen. Mit zehn Jahren las diese bereits Goethe, Schiller, Heine, Platen und andere Dichter, verschlang zahllose Romane, gute und auch eher triviale. Die kindliche Vielleserin suchte sich den umfangreichen Lesestoff in der ganzen Gemeinde zusammen. Große Teile der Dichtungen lernte sie zudem auswendig, z.B. Stücke aus den Homerischen Epen „Ilias“ und „Odyssee“ sowie aus Dantes „Göttlicher Komödie“. Nebenbei befasste sie sich gerne mit heimischen Sagen und Sternkunde. Emerenz begann in ihrer Schulzeit - seit 1881 bei den Englischen Fräulein in der Volksschule Waldkirchen - auch bereits selbst mit dem Schreiben. Sie verfasste insgeheim kleine Geschichten und Verse und schrieb außerdem Gelegenheitsgedichte auf Bestellung. Die Meier-Eltern waren darüber alles andere als erfreut und rügten scharf die „narrische Verslmacherei“ der Tochter. Emerenz beschrieb die ablehnenden Reaktionen ihrer Eltern später in ihrem Gedicht „Unverbesserlich“. Sie wollten keine Tochter, die über den einfachen Stand, in den sie hineingeboren war, hinauswuchs. Die Verbote der Eltern fruchteten bei der selbstbewussten und eigenständigen Tochter aber nicht, sie schrieb einfach weiter und machte die Situation der jungen, weiblichen Dichterin in einer illiteraten Gesellschaft schon bald zu einem Leitthema ihrer Lyrik. Ein anderes solches Leitthema wurde für sie schon früh die soziale Ungerechtigkeit auf dieser Welt. Auch hier waren die eigenen Erfahrungen in der Heimat das auslösende Moment. Vor allem die in der Schule zu ertragenden Ungerechtigkeiten machten ihr schwer zu schaffen. Sie war zwar eine der besten Schülerinnen der Waldkirchener Schule, die Kinder wohlhabenderer Eltern aber wurden von den klösterlichen Lehrerinnen vorgezogen, eine Tatsache, die sie viele Jahre später noch in ihren Briefen anklagend erwähnte und die ihre Schwester Maria einmal zu folgender Briefbeilage, datiert „Chicago 23. Sept. 1921“, veranlasste: „An die hochwürdigen Schwestern der engl. Fräulein Schule in Waldkirchen! Meine Schwester Mary Jacklin in Chicago läßt die würdigen Schwestern herzlichst bitten, die durch Frau Unertl übermittelten Sachen für die Suppenanstalt zu verwerten in der Weise, daß alle armen Kinder ohne Unterschied der Religion und des politischen Bekenntnisses ihrer Eltern davon bekommen. Die guten, sowohl wie die unartigen Kinder. Ja gerade letztere sollen bevorzugt werden, nicht um sie zu belohnen, sondern sie durch Güte zu bessern und froh zu machen. Denn die Menschen werden nicht boshaft geboren, sondern werden durch ungerechte Behandlung bös gemacht.“ Das war auch die Meinung der Emerenz, die um diese Zeit aber schon etwas diplomatischer mit dem leidvoll erfahrenen Thema umgehen konnte, wie ihrer Vorbemerkung zu dieser Briefbeilage zu entnehmen war: „Liebe Gustie ich lege nach Maries bestimmtem Willen zwar den Zettel bei, aber wenn Du denkst, daß er beleidigend und unnötig ist, übergib ihn nicht. Wir haben durch neunjahrlangen Schulbesuch die Klosterhexen zwar genügend kennengelernt u. wissen, daß sie selbst milde Gaben als Ruten benutzen für jene, die nicht nach ihrem Gusto sind. Aber man darf nicht immer seinem Sinn folgen, will man nicht manches noch schlimmer machen. In Amerika wird man sehr eigenwillig und rücksichtslos u. selbstsicher. Man mußte eben zu viel durch machen. Und man lernte alle Religionen bitterlich hassen als der Menschheit schlimmste Feinde.“ Ihr kritischer, leicht aufmüpfiger, aber stets wacher Geist hatte sich in der Waldheimat immer wieder auch bei ihrer Mitarbeit in Haus und Hof gezeigt, als Kellnerin, Magd und vor allem als Hüterin. In ihrem Erzählfragment „Die Gänse“ etwa schafft sie es hervorragend, sich als Gänsemagd in die Psyche ihrer Schutzbefohlenen hineinzuversetzen und ökologisches Bewusstsein in Abgrenzung von der traditionell denkenden Umwelt aufzubauen. Diese Zeilen vermitteln dem heutigen Leser aber auch einen guten Eindruck davon, wie hart und kalt dieses arbeitsreiche Leben im Wald damals war, gerade auch für die Kinder, die bei Ungehorsam oder auch nur Ungeschicklichkeit verbale und körperliche Gewalt der Eltern, Geschwister und der anderen Dorfbewohner in einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft zu gewärtigen hatten. Das Hüten bot ihr aber schon früh auch die Möglichkeit, aus der rauen Alltagswelt zu entfliehen. Da konnte sie lesen, sinnieren, nachdenken und träumen, vielleicht auch die eine oder andere Zeile schreiben. In dieser Wunsch- und Traumwelt, mitten in der friedvoll schönen Waldgebirgslandschaft, konnte sie eins sein mit der ganzen Natur, der Tier- und Pflanzenwelt, sie war da - wenn auch nur für einige Augenblicke - „des freien Waldes freies Kind“, in Erwartung der „Sonnenbraut“ am Morgen. Die dörfliche Wirklichkeit dagegen sah oft anders aus. Im Jahre 1890 übernahm die älteste Schwester Petronilla mit ihrem Bräutigam Georg Maier das elterliche Anwesen in Schiefweg. Der Vater Josef Meier erwarb nun 1891 einen Bauernhof im benachbarten Oberndorf (Gemeinde Stadl), zu dem 52 Tagwerk Grund und zehn Stück Großvieh gehörten. Die harte bäuerliche Arbeit wurde mehr, die karg bemessene Freizeit war dem Lesen, Schreiben und Studieren vorbehalten, jetzt allerdings in einem kleinen, geliebten Dichterstüberl, einem eigenen, kleinen Raum, der ihr im Austragshaus des Hofes überlassen wurde. Das eigene Dichterstüberl symbolisierte dabei fast so etwas wie einen gesellschaftlichen Aufstieg der Emerenz, wie überhaupt dieses Jahrzehnt 1890–1900 zu den guten Jahren der jungen Waldlerin zählte. Im Sommer 1893, vielleicht während der Festspielaufführungen am Karoliberg in Waldkirchen, entwickelte sich für die noch nicht 19-Jährige eine wichtige persönliche Beziehung, ihre Bekanntschaft und Freundschaft mit dem gleichaltrigen Studenten Ludwig Liebl, einem gebürtigen und dort aufgewachsenen Waldkirchener. Liebl (1874-1940), Sohn des Waldkirchener Landgerichtsassessors Georg Liebl, besuchte zu dieser Zeit seinen Heimatort, um im Anschluss daran an der Münchener Universität sein Studium der Humanmedizin aufzunehmen. An das Kennenlernen schloss sich ein von Paul Praxl edierter sehr intensiver Briefwechsel in den Jahren 1893 bis 1895 an, aus dem hervorgeht, dass Liebl damals ein sehr wichtiger Freund und Berater der jungen Emerenz gewesen ist. 1893 lernte Emerenz Meier, auch in Waldkirchen, Auguste Unertl (1864–1941), geb. Schoder, kennen. Gusti stammte aus Mering bei Augsburg, war die Tochter eines Fabrikaufsehers, gebildet und selbst schriftstellerisch tätig und mit dem Waldkirchener Magistratsbeamten Georg Unertl (1860–1938) verheiratet. Sie führte in ihrer Wohnung in Waldkirchen eine Art literarischen Salon, zu dem auch Emerenz Meier Zugang hatte. Gusti nahm sich der jungen Freundin fürsorglich und geradezu mütterlich an, ihr Haus wurde Emerenz zur zweiten Heimat, und da sie über gute Beziehungen verfügte, konnte sie der jungen Dichterin auch Kontakte zu Zeitungen, Zeitschriften und Kalendern vermitteln. Paul Praxl hat eruiert, dass 1893 eine erste Erzählung der damals 19jährigen in einer Passauer Zeitungsbeilage erschien. Sie hieß „s‘ Hasenpassen“ und ist auch in diesem Buch abgedruckt. In rascher Folge kamen weitere, heute wieder zugängliche Erzählungen hinzu, auch sehr bemerkenswerte Texte, z.B. „Der Juhschroa“, entflossen bereits der Feder der jungen Dichterin. Nachdem die ersten Honorare für die Veröffentlichungen eingetroffen waren, änderte der Vater Josef Meier seine Einstellung zu den Schreibprodukten seiner Tochter. „Schreib, Senzl, schreib!“ lautete nunmehr sein Kommentar; die kleinen Honorare konnte er für seine verschiedenen, oft risikoreichen Unternehmungen gut gebrauchen. Über die junge Dichterin wurde sogar schon in einer überregionalen Zeitung berichtet. „Der Sammler. Belletristische Beilage zur Augsburger Abendzeitung“ schrieb 1895 über die „bäuerliche Dichterin“, veröffentlichte im Jahr darauf ihre Erzählung „Die Madlhüttler“ und rühmte ihr „wahres dichterisches Talent und die Wärme echter Empfindung“. Bei solcher öffentlicher Wertschätzung, die sich allerdings kaum auf dörflicher Ebene fortsetzte, konnte das erste Buch nicht mehr lange auf sich warten lassen! Waldkirchen, der Wald überhaupt, erlebten um diese Zeit die ersten Anfänge des modernen Fremdenverkehrs. Viele Städter - Juristen, Lehrer, Schriftsteller, Angehörige des niederen Adels - reisten dorthin in die Sommerfrisch, die dichtende Bauerntochter Emerenz Meier stellte dabei eine weitere touristische Attraktion für die Gäste dar, die man neben der gesunden Luft, der herrlichen Landschaft und dem erholsamen Leben außerhalb der Großstadt gut vermarkten konnte. Schon bald existierte eine Bildpostkarte, hergestellt vom kgl. Hofphotographen Alphons Adolph aus Passau, auf der das Konterfei der Schriftstellerin in bäuerlicher Festtagstracht sowie ihr Geburtshaus in bäuerlicher Idylle mit Dörflern und Vieh zu sehen waren, verbunden mit dem Aufdruck „Gruss aus Waldkirchen“, umrankt von Edelweiß, Enzian und anderem Blattwerk. Einer der späteren Feriengäste, Professor Karl Weiß-Schrattenthal (1846–1938), Lehrer für deutsche Literaturgeschichte in Preßburg und Förderer und Herausgeber mehrerer sog. „Naturdichter“, wurde durch Gusti Unertl auf Emerenz aufmerksam. Ihre realistischen Geschichten fanden seine Zustimmung, er stellte im Sommer 1896 vier ihrer längeren Erzählungen: „Aus dem Elend“, „Ein lustiges Weib“, „Der Brechelbrei“ und „Die Madlhüttler“ zu einem Band mit dem Titel „Aus dem bayrischen Wald“ zusammen, versah das Werk mit einem kurzen Vorwort („Heute versorgt sie zehn Stück Rinder dreimal täglich und bearbeitet Felder und Wiesen. Und so ist‘s recht und gut.“) und gab es als zweiten Band seiner Reihe „Dichterstimmen aus dem Volke“ heraus. Das schmale, 140 Seiten umfassende Bändchen - es kostete geheftet 2,20 Mark, „fein gebunden“ 3 Mark - erschien im Verlag Thomas & Oppermann im fernen Königsberg in Ostpreußen und sollte das einzige Buch der Emerenz Meier zu ihren Lebzeiten bleiben. Es wurde von der Kritik im gesamten deutschsprachigen Raum als „literarisches Ereignis“ gewertet, ja sogar als „eine Art Wunder“ bejubelt, ein Verkaufserfolg wurde es nicht, vor allem auch nicht in der Heimat der Dichterin. Der Verleger beklagte fast drei Jahre nach dem Erscheinen die immer noch vorhandene Deckungslücke von 130 Mark und monierte außerdem, dass die Waldkirchner Buchhandlung Bauer keine weiteren Exemplare orderte. Von einer Reaktion der Dichterin auf die Klagen des Verlegers ist nichts bekannt, sie erfreute sich vielmehr an über dreißig wohlwollenden Rezensionen, die sie fein säuberlich in ein Heft schrieb, nahm mit Genugtuung zustimmende, lobende Briefe von großen Dichtern wie Michael Georg Conrad und Peter Rosegger entgegen, veröffentlichte fleißig weiter in anderen, jetzt auch schon bekannteren Presseorganen und erfreute sich im Übrigen ihrer Rolle als umschwärmte Dichterin, die sich aber selbst im Inneren ihrer dichterischen Berufung gar nicht so sicher war. Einer, der diese inneren Zweifel und Ängste, die Unruhe der gefeierten Poetin sogleich bemerkt hatte, war der Medizinstudent Hans Carossa, der spätere große Arzt und Dichter (1878–1956), der - durch die Lektüre des Emerenz-Buches im Seestettener Elternhaus angeregt - sich im Sommer 1898 zu einer ersten Wanderung zur berühmten Dichterin nach Oberndorf aufmachte. Carossa schilderte seine Begegnung mit der „sanften Rebellin“ Emerenz Meier später im Kapitel „Die Wanderung“ in seinem Erinnerungsbuch „Das Jahr der schönen Täuschungen“ von 1941. Carossas Darstellung enthält, wie Paul Praxl richtig bemerkt, Dichtung und Wahrheit zugleich. Wenn Carossa seine vier Jahre ältere Freundin, in die er laut Emerenz ein bisschen verliebt war, aber als einen „Freigeist“ zu erkennen glaubt, der sich „über das allgemeine Weltunrecht erbittert“ zeigt, so ist dies sicher die Wahrheit, wie aus den späteren Briefen aus Amerika zu erfahren ist, wo sich Emerenz der Freundin Gusti gegenüber - sehr zu deren Leidwesen - als leidenschaftliche Kommunistin und Marxistin bekennt. In der realen Umwelt ihrer Heimat vermochte sie ihre politische Einstellung nicht gegenüber jedem frei zu äußern. Familiäre und gesellschaftliche Rücksichten, Stimmungsschwankungen, Existenzsorgen u.ä. forderten von ihr, eine andere Emerenz zu geben. Und so spielte sie ihre Rolle gekonnt als Mischung von robustem und trinkfestem Dichterweib, kraftvollem und natürlichem Bauerndirndl und lebenslustiger Emanze, die sich nichts aus „Kraft–Genies und Übermenschen“ vom Schlage eines Heinrich Lautensack machte. Ein Beispiel für ein solches Spiel in der Öffentlichkeit war wohl ihr von Gusti Unertl vermittelter Auftritt am Königlichen Hof in München bei Prinzessin Therese und Prinz Dr. med. Ludwig Ferdinand von Bayern 1899, der ihr ein Stipendium einbringen sollte und den Eduard Stemplinger in seinem „Immerwährenden Bayerischen Kalender“ folgendermaßen schilderte: „Prinz Ludwig Ferdinand lernte die Waldler-Dichterin Emerenz Meier in München kennen und wollte sie in seinen Haushalt aufnehmen. Er fragte die von Gesundheit Strotzende nach dem Grund ihres prächtigen Aussehens. ,Weil i alle Tag meine drei Maß Bier trink‘, erwiderte sie lächelnd. Darauf sagte der Prinz zu seiner Gattin, einer spanischen Prinzessin: ,Siechst, das mußt du noch machen; dann kommst auch zur bayerischen Stärke‘.“ Das erhoffte königlich-wittelsbachische Stipendium blieb allerdings aus, und die vom Prinzen generös angebotene Stelle im höfischen Haushalt soll Emerenz mit folgenden Worten zurückgewiesen haben: „Deswegen, königliche Hoheit, brauch ich net nach München gehen - des kann ich daheim auch tun.“ Die 200 Goldmark aus der Privatschatulle des Prinzregenten Luitpold hat Emerenz zwar angenommen, am deutlichen Urteil über die Mitglieder des Hauses Wittelsbach änderte das aber nichts. Sie hatte sich „unter erbärmlichen stupiden Menschen“ gefühlt und schrieb weiter ganz rebellisch an Carossa: „Auf der Reise hatte ich allezeit Umbringungsgelüste, nur daß ich sie verhehlte und ihnen nicht frönte. Wenn ich letzteres gedurft hätte, lebte jetzt manche erbärmliche, dumme Seele nicht mehr.“ Eine fremde, andere Existenz hatte sie auch im Herbst 1900 in Würzburg zu spielen, als sie sich dort auf Einladung eines weiteren früheren Waldkirchener Sommerfrischlers, des Seminarlehrers Albert Miller, für einige Monate in dessen Haushalt aufhielt, zu Bildungszwecken. Während die ersten Eindrücke von der neuen Umgebung und ihren Gönnern noch recht positiv wirken und Emerenz freudig und dankbar auf die in Aussicht gestellten Lernangebote wie Buchführung, Maschinenschreiben, Englisch, Französisch, Geographie sowie eine spätere Anstellung reagiert, wird die Einschätzung ihrer Bildungsreise später zunehmend distanzierter. Einige Mitglieder der Familie Miller, vor allem der Seminarlehrer und seine Tochter Franziska, werden ihr mehr und mehr zuwider, weil sie von diesen so streng überwacht und geschulmeistert wird und sie diese „andichten“ soll und ihr deren bigottes Verhalten auf die Nerven geht. Noch dazu ist „Buttermilch“ das Lieblingsgetränk der Familie, eine Zumutung für die trinkfreudige und lebenslustige Wirtstochter aus dem Wald. Einzig und allein der um ein Jahr ältere Sohn des Hauses erhält ihre Sympathie, ja sogar Zuneigung und Liebe, leider ist der aber ein katholischer Priester, der nur selten in Würzburg anwesend sein kann. Emerenz und der von ihr angehimmelte Seminarpräfekt Hugo Miller aus Neuburg a. d. Donau spielen der Familie eine Komödie vor, und Emerenz schreibt ganz eindeutig-zweideutig an die Freundin Gusti: „Ich wenn den Hugo bekehren könnte, ich thäte es! Laßt mich nur einmal seine Pfarrerköchin werden!“ Und überhaupt hegt sie schon einige Tage nach der Ankunft in Würzburg das Gefühl: „Hier in Franken werde ich nur eine fade Pris!“ Da helfen auch keine literaturwissenschaftlichen, philosophischen und theologischen Vorlesungen bei Prof. Hermann Schell, keine entsprechend hochgeistige Lektüre und auch nicht die leidenschaftliche Liebe zu einem armen Lehrer namens „Schorsch“ oder die in Aussicht stehende Heirat mit einem Wirt, der Geld hat und ihr einen Gasthof kaufen würde. Emerenz kann sich nicht entscheiden und hofft, dass ihr die Passauer Freunde Amtsrichter Niederleuthner, Malermeister und Magistratsrat List und Brauerei- und Gutsbesitzer Hellmannsberger in der Dreiflüssestadt ein Wirtsgeschäft verschaffen können, am besten die Gastwirtschaft „Zur Felsen-Liesl“ in der Ilzstadt. Der Plan kann zwar nicht realisiert werden, aber Emerenz kehrt doch froh und glücklich, das Würzburger „Martyrium“ hinter sich gebracht zu haben, im Dezember 1900 nach Niederbayern zurück, nach Passau, dann nach Oberndorf und dann nach Straßkirchen bei Passau, wo sie im Haus von Hellmannsberger eine Anstellung findet und endlich wieder auch zum Dichten kommt. Um die Jahrhundertwende war Emerenz Meier somit schon eine lokale und regionale Berühmtheit, deren Name aber auch außerhalb ihrer engeren Heimat bekannt war. Dafür waren zunächst einmal ihre zahlreichen Veröffentlichungen in Kalendern, Zeitschriften und Zeitungen verantwortlich, wobei die geschäftstüchtige Emerenz sich auch nicht scheute, eine Geschichte unter einem neuen Titel in einem anderen Organ zum zweiten Mal erscheinen zu lassen. In der Passauer Bürgerschaft genoss die Dichterin schon frühzeitig großes Ansehen, da die Presse des öfteren über sie berichtete. Die Passauer Donau-Zeitung etwa vermeldete unter dem 29. Januar 1899, dass Emerenz von einem Verehrerkreis zu einem geselligen Abend in der „Alten Post“ (heute Stadtsparkasse Ludwigstraße) eingeladen war, und stellte dankbar fest, die „begnadete Schriftstellerin ist trotz ihres schon weit über Bayerns Grenzpfähle hinausgedrungenen Ruhmes ein menschliches Waldmädchen geblieben.“ Eine Woche später (8.2.1899) schrieb Emerenz aus Oberndorf eine Dankeskarte an den damaligen Direktor der Innstadt-Brauerei AG Carl Angermann, der vermutlich der Initiator und Financier der Einladung gewesen war, auf der sie ihrem Gönner folgende Zeilen widmete: „So lange Passau solche Bürger hat, Die nicht allein mit Mannes-Rat und That Eintreten für sein Wohl zu jeder Frist, Die es auch mit solch feinem Quell versorgen, Wie er der Innstadtbrauerei entfließt, So lange ist, bei Gott! es wohl geborgen. Drum, theure Freunde all, stimmt mit mir an: Ein Hoch dem lieben Herrn Direktor Angermann!“ Nebenbei, die Verszeile „... ein feiner Quell, wie er der Innstadt-Brauerei entfließt“ diente der Brauerei noch in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts als verkaufsfördernder Slogan. Nach ihrer Rückkehr aus Würzburg verschaffte ihr auch der Direktor des Passauer Stadttheaters Franz Baudrexler zusätzliche Bekanntheit, als er zwei Erzählungen der Dichterin dramatisierte und als Volksstücke auf der Passauer Bühne aufführen ließ. So wurde aus der Erzählung „Aus dem Elend“ das Stück „Die Böhmin oder Itta aus dem Elend“, das am 18. Dezember 1900 in Anwesenheit der Dichterin sehr erfolgreich im überfüllten Haus uraufgeführt wurde; und aus der Emerenz Meier-Geschichte „Der G’schlößlbauer“ machte Baudrexler ein gleichnamiges Volksstück mit Gesang, uraufgeführt am 3. Januar 1902. Beide Male wurde die Autorin begeistert und stürmisch gefeiert, mit Lorbeerkränzen und lauten Hochrufen geehrt und auch von der Theaterkritik durchwegs gelobt. Direktor Baudrexler brachte beide Stücke später auch in seinem Bühnenverlag heraus, gab dabei Emerenz Meier wohl absichtlich fälschlicherweise als Autorin der von ihm verfassten Dramatisierungen aus, vergaß es aber, der Dichterin Belegexemplare der Bücher oder Honorare zukommen zu lassen. Nicht vergessen hatte er dagegen vorher, der Autorin brieflich gute, theaterwirksame Ratschläge zu geben, etwa doch grellere Effekte bei der Textproduktion zu verwenden: „Sie erzählen zu viel! Mehr Handlung! ... Alles harmlose vermeiden. Nehmen Sie Anzengruber z. Beispiel.“ Ob solche Ratschläge die Zustimmung der Dichterin fanden, ist mehr als fraglich. Baudrexler mußte jedenfalls seine Theatertexte, wie er schrieb, selbst „zurechtmodeln“, und in ihren späteren Briefen findet man kein gutes Wort der Emerenz über den umtriebigen Theatermacher, der schließlich im April 1903 Passau verließ. Sehr viel besser ließ sich das Verhältnis der Emerenz zu den Honoratioren Passaus und seiner Umgebung an, zu Männern wie den schon erwähnten Herren Niederleuthner, List, Angermann und Hellmannsberger. Diese unterstützten Emerenz dabei, die kleine Schifferkneipe „Zum Koppenjäger“ in der Bräugasse der Passauer Altstadt zu übernehmen. Am 1. Juli 1902 wurde Emerenz dort Wirtin, mit weitreichenden Plänen im Hinterkopf. Es war ihr Bestreben, in der Schifferkneipe ein „Künstlerheim“ (Donau-Zeitung, 1.7.1902) zu errichten, ein Plan, der sich aber nicht realisieren ließ. Die durstigen Schiffer, die dem Lokal den notwendigen Umsatz gebracht hätten, blieben nach und nach aus, die Künstler, die die dichtende Wirtin sehen und hören wollten, zechten wenig. Dazu kam, dass die Emerenz sich nicht scheute, einige ihrer Gäste aus sozial höheren Schichten zu vergraulen, indem sie diesen deutlich ihre Verachtung zeigte. So beschimpfte sie frühpensionierte Offiziere als Drohnen der Gesellschaft, was zur Folge hatte, dass noch weniger Gäste bei ihr zusprachen. Die Gedichte „Peter (I und II)“, „Hans“, „Lajos“ und „Beppo“, die in dieser Zeit entstanden sind, zeigen aber, dass es bei der Wirtin Emerenz Meier durchaus auch lustig und gesellig zugehen konnte, wenn die richtigen Gäste beisammen saßen, die ersten Zeilen aus dem Gedicht „Lajos“ mögen das belegen: „Unter meinen Gästen allen haben heute Ungarburschen mir gefallen, stramme Leute! Ungarsonne in den Adern und im Blick Und zum Scherzen wie zum Hadern eig‘nen Chic.“ Im Oktober 1903 war das Abenteuer Künstlerkneipe „Zum Koppenjäger“ schließlich zu Ende. Emerenz floh - sozusagen bei Nacht und Nebel - unter Hinterlassung einiger Schulden nach München. Ihr Freund und Gönner Hellmannsberger hatte ihr zuletzt keine Unterstützung mehr zukommen lassen. Zwei Briefe an Hans Carossa, einer aus der Vorweihnachtszeit 1903 und einer vom 22. Juli 1904, zeigen, dass sich Emerenz trotz Heimwehs und Alleinseins insgesamt gut in München zurechtfindet. Sie lebt, wenn auch mehr schlecht als recht, von den Honoraren für ihre Veröffentlichungen, verkehrt mit Schriftstellern und Journalisten (Dr. Georg Michael Conrad, Heinrich Lautensack, Dr. Otto Denk) und Verlegern wie Georg Hirth und grüßt ihren Freund Carossa in „nie verdunstender Jugendunbändigkeit und Begeisterung.“ Kurze Zeit darauf waren die einsamen und schönen Tage in München auch schon wieder vorbei. Emerenz Meier kehrte in den Bayerischen Wald zurück. Wirtschaftliches Unglück verfolgte die Familie Meier schon seit längerem, wie Paul Praxl akribisch genau nachweisen konnte. Der Vater Josef Meier hatte Geld beim Handel verloren und war in Schulden geraten. Nach dem Güterhandel hatte er auch den Viehhandel aufgegeben. Sein halber Anteil an dem Oberndorfer Anwesen wurde notariell auf seine Schwester Therese Eibel von Büchlberg übertragen. Die Meiers hatten also kein Zuhause mehr, hatten „abgehaust“, mussten bei Nachbarn in Oberndorf unterkommen und sich mit ihrer Hände Arbeit fortbringen, der alte Vater Meier, der die Sechzig schon weit überschritten hatte, etwa als Steinklopfer. Nachdem sich bereits einige entferntere Verwandte in den USA ansässig gemacht und den Meiers von dort berichtet hatten, trug sich auch die Familie Meier mit Auswanderungsgedanken. Petronilla, die älteste Schwester der Emerenz, verließ mit ihrer Familie das Anwesen in Schiefweg bereits 1902, 1904 folgte die noch ledige Schwester Maria, 1905 der schon 68 Jahre alte Vater, der sich in Chicago als Arbeiter durchschlagen musste. Im März 1906 folgte Emerenz Meier mit ihrer Mutter, von Bremen aus über New York nach Chicago. Die Heimatzeitung wies nur ganz kurz auf diese Tatsache hin: „Emerenz Meier, unsere Waldler Dialektschriftstellerin, ist dieser Tage nach Amerika ausgewandert. Die Auswanderungslust nach Amerika ist gegenwärtig in unserer Gegend wieder sehr rege.“ Warum Emerenz mit nach Amerika ging, erklärte sie selbst damit, dass sie ihre Mutter nicht allein ziehen lassen konnte, die unbedingt zu ihrem Ehemann nach Amerika wollte. Warum sie nicht gleich wieder umkehrte, ist nicht geklärt. Vielleicht waren ihr Angebote einer Redakteursstelle in Regensburg zu vage, vielleicht waren auch frühere Heiratsüberlegungen, die sich aufgrund der finanziellen Misere der Meiers rasch zerschlagen hatten, mit ein Grund dafür, in den Staaten zu bleiben. Im übrigen ließen sich die ersten Jahre der Emerenz Meier in Chicago rein wirtschaftlich auch recht gut an, wie sie später in ihrem ersten erhaltenen Brief aus den USA an Gusti Unertl in Waldkirchen selbstbewusst berichten konnte. Danach hatte sie vor dem Krieg ein Haus mit sieben Mietsparteien besessen, wohl ein Ergebnis ihres Fleißes und Einsatzes, die sie als einfache Arbeiterin an den Tag legte. 1907 hatte Emerenz in Chicago ihren Landsmann Josef Schmöller geheiratet, der aus Wotzmannsreut bei Waldkirchen stammte. Das Hochzeitsfoto von damals vermittelt den Eindruck, als ob Emerenz in dieser Ehe die dominierende Rolle gespielt hätte, in Wirklichkeit war es umgekehrt. Emerenz hatte unter ihrem Mann viel zu leiden, woran auch die Geburt des einzigen Kindes Joseph Frank am 17. Juli 1908 nichts zu ändern vermochte. Die Ehe war und blieb „glücklos“, wie Emerenz am 16. Dezember 1920 an Gusti schrieb. Später äußerte sie sogar: „Ich ward vom Mann mißhandelt, daß ich ihn fürs Gericht bringen mußte, habe ihn jahrelang ertragen, bis er starb“ (17.7.1923, 1. Brief). 1910 erlag Josef Schmöller seinem Leiden, der Schwindsucht; Emerenz fasste seinen Tod als „Erlösung aus Leid und Elend“ (16.12.1920) auf und heiratete schon bald in zweiter Ehe den Nordschweden John Lindgren, der als Expedient in einer Fabrik tätig war. Emma Lindgren, wie sie nun hieß, verlebte an der Seite ihres gebildeten zweiten Ehemanns gute Jahre, er war ihrem Sohn ein treusorgender Vater, und eine andere Photographie aus dem Jahre 1914 zeigt neben dem kleinen Joe seine wohlbeleibte, starke Mutter, gut bürgerlich gekleidet, auf dem Kopf einen weitkrempigen Hut mit vielen Blüten besteckt, ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen und optimistisch in die Zukunft blickend. Emerenz Meier, nun Mrs. Emma Lindgren, amerikanische Staatsbürgerin, Ehefrau und Mutter, vierzig Jahre alt, war also endgültig in Chicago angekommen und gesellschaftlich einigermaßen etabliert! Wie Emerenz ihre ersten Jahre in den USA zubrachte, wissen wir nur aus ihren Briefen an Gusti Unertl - die allerdings erst ab 1919 erhalten sind - und aus Anmerkungen und Notizen in ihrem literarischen Nachlass. Danach hat es die fleißige und selbstbewusste Arbeiterin zusammen mit ihrer Familie zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht und interessierte sich rege für das Zeitgeschehen in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft, in den USA, in Deutschland und auf der ganzen Welt. Das Interesse suchte sie durch ausführliche Zeitungslektüre zu befriedigen, wobei ihr kritischer Geist auch die parteiliche Gebundenheit so mancher Presseerzeugnisse durchschaute und auch zwischen den Zeilen zu lesen vermochte. Ihre in Würzburg im Herbst 1900 erworbenen Englischkenntnisse kamen ihr hierbei zustatten. Bei ihrer schriftstellerischen Tätigkeit bediente sie sich aber ausschließlich der deutschen Sprache; sie verfasste weiterhin Gedichte und kurze epische Texte, von denen einige in deutschen Zeitungen der USA erschienen. Peinkofer berichtet auch von Vorträgen, die Emma Lindgren in deutschen Vereinen von Chicago gehalten haben soll. Insgesamt war ihre Öffentlichkeitswirkung wohl eher gering, auch die dichterische Produktion in den frühen amerikanischen Jahren war nicht allzu umfangreich. Emerenz gab dafür später einmal als Grund an, dass ihr zweiter Ehemann es gar nicht schätzte, wenn sie sich ans Schreiben machte, und da sie seine Liebe nicht verlieren mochte, habe sie ihre dichterische Leidenschaft meist unterdrückt. Ob es auch andere Gründe für die schriftstellerische Enthaltsamkeit - Arbeitsbelastung durch den Broterwerb? Krankheit? Stoffverlust? - gibt, entzieht sich unserer Kenntnis. Jedenfalls steht fest, dass Emerenz in Amerika weiterhin schriftstellerisch tätig war und sie diese Aktivität nach dem Tod des Ehemanns John Lindgren 1925 wieder verstärken wollte. Ebenso klar belegt ist, dass Emerenz sich sehr intensiv die ganze amerikanische Zeit über mit Literatur aus verschiedenen Epochen und Ländern beschäftigt hat und Literatur en masse in sich aufnahm. Die kindliche Vielleserin aus Schiefweg hatte sich also zur Literaturkonsumentin weiterentwickelt, die über ein sehr kritisches und fundiertes literarisches Urteil verfügte. Sie las vorzugsweise ältere deutsche Literatur - Goethe, Schiller, Johann Karl Musäus, Jean Paul, Wilhelm Busch, Heinrich Heine, Ferdinand Freiligrath, Eduard Mörike, Friedrich Theodor Vischer -, aber auch Zeitgenossen wie Peter Rosegger, Hans Carossa, Martin Drescher, Heinrich Mann, Bernhard Kellermann, Rudolf Greinz, Hans Watzlik, Max Geißler, Otto Braun, Gustav Frenssen und ausländische Autoren wie Robert Burns, Charles Dickens, Joseph Rudyard Kipling, Selma Lagerlöf, Mark Twain, Pierre Loti, August Strindberg, Hans Christian Andersen, Björnstjerne Björnson und Esaias Tegnér. Hinzu kam die Lektüre der politischen Theoretiker Marx, Engels, Lenin, Jean Jaures u.a. Schon vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs verschaffte sie ihrem Herzen in leidenschaftlich bewegten politischen Gedichten Luft, während und nach dem Krieg gerieten diese Texte sowie ihre brieflichen Stellungnahmen zum Zeitgeschehen und Fragen zur Kriegsschuld zu einer radikalen Abrechnung mit der kapitalistischen Welt, ihren politischen und militärischen Führern und den sie unterstützenden Medien. Spätestens da hatte die sanfte Rebellin ihre stille Zurückhaltung aufgegeben. Bereits ihr erster erhaltener Brief aus Amerika vom Dezember 1919 an Gusti, dem noch mehr als fünfzig weitere folgen sollten, enthält die „ganze“ Emerenz, die mit Leidenschaft und Innigkeit, Neugierde und Erzählfreude, Selbstbewusstsein und Niedergeschlagenheit, Urteilsfähigkeit und Vorurteilen, Nächstenliebe und Schroffheit Seiten um Seiten füllte, in gestochener Handschrift oder - später zumeist - in Gabelsberger Kurzschrift. Themen, Anklagen, Stimmungsschwankungen, Heimwehgedanken und Dankesbekundungen gegenüber Amerika, Zartes und Derbes, Abrechnungen mit der Vergangenheit und Zukunftsvisionen - all das sollte in den noch vor ihr liegenden neun Jahren in ihren langen Briefen immer wiederkehren, mitunter nur gebremst von der bekannten Abwehrhaltung der bürgerlich denkenden Waldkirchener Freundin gegenüber den kommunistischen Bekehrungsversuchen durch die Emerenz. Wenn auch die Gegenbriefe von Gusti Unertl leider nicht erhalten sind, die Briefe der Emerenz aus Chicago sind allein schon ein überaus bedeutsames Zeitdokument und stellen sehr viel mehr dar als die geistige Auseinandersetzung zwischen zwei engen, aber doch sehr ungleichen Freundinnen. Diese Briefe gehören zum Spannendsten, was uns Emerenz Meier hinterlassen hat. Bereits der Erste hatte es in sich. In ihrem Brief an Gusti Unertl vom 13. Dezember 1919 berichtet Emerenz von der antideutschen Bewegung in den USA seit Beginn des Ersten Weltkriegs, von der herrschenden Wirtschaftskrise seit dem Kriegseintritt der USA unter Präsident Wilson im April 1917, die für sie auch zum Verlust ihres Hauses führte, und von der Prohibition und ihren Folgen. Sie erzählt von der eigenen Familie und ihren Geschwistern, die es alle auch zu etwas gebracht hatten, und sie erkundigt sich nach alten Bekannten und Freunden, namentlich nach Carossa und Hellmannsberger. Sie will Informationen über das politische, gesellschaftliche und kulturelle Leben in Deutschland, interessiert sich für deutsche Zeitungen und Zeitschriften und die Literatur der Moderne. Sie hofft auf den Erfolg der Weimarer Republik, verklärt die russische Revolution von 1917 und schimpft lautstark auf die kapitalistischen Staaten Großbritannien und USA mit ihren allmächtigen Trusts. Die politischen Führer nennt sie später einmal „Wallstreetsöhne“ (16.12.1920). Im Brief vom 16. Dezember 1920 erfährt man aber auch, dass die Lindgrens zwar nicht zu den Reichen der Gesellschaft gehören, dass es ihnen aber insgesamt gut geht: „Not leiden wir schon gar nicht.“ Und einige Zeilen später schreibt sie: „Nicht mehr wie recht, daß ich auch einmal eine bessere Zeit habe. Ich brauche nicht mehr selbst Geld verdienen gehen, kann mir nun Bücher kaufen und habe Zeit zu lesen, Zeit wieder, selbst etwas zu schreiben. Nach allem diesem habe ich mich so lange und heiß gesehnt.“ Besonders lebendige Passagen in ihren Briefen ergeben sich dann, wenn sie sich als glühende und künstlerische Marxistin und Pazifistin gibt und ihren bayerischen Landsleuten, diesen „Hurrapatrioten und geräucherten Bücklingen“, diesen „verpfafften Bayern“ (23.9.1921) die Leviten liest. Dagegen klingt ihr Bierrezept, entwickelt in der Prohibitionszeit, geradezu harmlos (14.8.1920), ähnlich wirken ihre Erkundigungen nach dem Namen des Vorsitzenden der sozialistischen Partei in Waldkirchen, dem ihr Sohn Joe ein „Liebespaket“ (25.12.1920) für ein armes Sozialistenkind schicken möchte. Überhaupt ist Emerenz all die Jahre über sehr sozial eingestellt, sie schickt immer wieder Geld, Lebensmittel, Kleidungs- und Wäschestücke in den Wald, steht immer auf der Seite des einfachen Volkes („Ich habe unterm Volk immer bessere Menschen gesehen“ 12./13.10.1922), diesseits und jenseits des Atlantiks, und hofft, dass auf der ganzen Welt durch Erziehung eine bessere Generation heranwachsen möge. Das Heimweh nach dem Wald scheint sich mit den Jahren gelegt zu haben. Von Gusti wurde sie mit Berichten aus der Waldheimat und Zeitungen und Zeitschriften versorgt, ebenso mit landschaftstypischen Dingen wie Tannenreisig, getrockneten Pilzen, Geräuchertem oder alten Backrezepten, etwa „für die weißen Fastenbrezel und für die Laibel“ (7.3.1922). Das erforderliche Geld für eine eventuelle Deutschlandreise war schon anfangs der Zwanziger Jahre von den Lindgrens nicht mehr aufzubringen, dafür träumte sie davon, Gusti, deren Ehemann Georg und Hans Carossa „und noch ein paar Auserwählte hier zu haben und jeden Abend mich an ihnen freuen zu können für etliche goldene Stunden“ (24.8.1922). Unertls waren in ihren Augen „die einzigen, die mein Herz noch an die alte Heimat knüpfen. Sonst ist Amerika und speziell Chicago meine Heimat“ (9.3.1923). Einige Monate später empfahl Emerenz den Unertls und Hans Carossa ganz ernsthaft, nach Amerika, nach Chicago auszuwandern (17.7.1923, 2. Brief): „Wenn Ihr einmal hier seid, haben wir niemanden mehr in Deutschland (außer Hans Carossa) der unserm Herzen nahesteht.“ Diese Pläne wurden alle nicht verwirklicht. In ihren letzten Lebensjahren häuften sich bei Emerenz verschiedene Krankheiten (Wasser in der Lunge, Bronchitisattacken, Brustfellentzündung, Mastdarmfistel, Hämorrhoiden, Bronchialkatarrh, Asthma); das Verhältnis zu ihrer begüterten, aber sehr geizigen Schwester Mary, in deren Haus Lindgrens eine Wohnung gemietet hatten, wurde zunehmend schlechter. Am 18. Januar 1925 starb zudem Ehemann John Lindgren. Der Sohn Josef übernahm nun die Versorgung und Betreuung der kränklichen Mutter. In diesen letzten Jahren verdiente Emerenz Geld mit ihrem Biergeschäft, das sie in ihrer Mansardenwohnung eingerichtet hatte und das ihr „schönen Profit einbrachte“ (10.11.1926). Am Ende ihres Lebens kehrte sie also zu ihren Wurzeln als Gastwirtstochter von Schiefweg zurück. Allerdings führte das florierende Geschäft zu einem lautstarken, in Handgreiflichkeiten endenden Zerwürfnis mit der Schwester Mary, die es aus Neid und Geiz nicht ertragen konnte, dass Emerenz als die Prohibition umgehende Wirtin reüssierte. Für einige Zeit wich Emerenz mit Sohn Joe zu ihrer anderen Schwester Anna Gumminger nach Kansas City im Staate Missouri aus. Nach einer Verbesserung ihres Gesundheitszustandes kehrte Emerenz dann wiederum nach Chicago zurück, wo sie bei ihrem Sohn Joe wohnte. Trotz der eher schwierigen Jahre nach dem Tod des 2. Ehemannes, blickte Emerenz eher optimistisch in die Zukunft, was ihre schriftstellerische Zukunft betraf: Sie wollte wieder mehr schreiben und veröffentlichen. Die Pläne konnten aber nicht mehr verwirklicht werden. Am 28. Februar 1928, starb Emerenz Lindgren, geb. Meier, in Chicago, etwas mehr als 53 Jahre alt. Auf dem amtlichen Totenschein stand, wie Paul Praxl eruiert hat, „Chronic nephritis“ = Chronische Nierenentzündung, tatsächlich waren aber wohl einige andere Krankheiten dazugekommen, etwa Leberleiden, Herzwassersucht u.a. Dem Wunsch der Verstorbenen (Brief vom 18.9.1925) gemäß, wurde sie feuerbestattet; ihre Asche wurde von ihrem Sohn Joe über dem Grab ihrer Eltern auf dem Graceland Friedhof Chicago ausgestreut. Als Emerenz Meier zu Beginn der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts mit dem Dichten begonnen hatte, wurde sie in ihrer unmittelbaren Heimat im Bayerischen Wald als kleine, begabte „Verslschreiberin“ wahrgenommen, mitunter von der illiteraten Umgebung aber auch als eine junge Frau hingestellt, die aus fremden Büchern und Schriften abschrieb und die Extrakte für Eigenes ausgab. Diese eher ablehnende Haltung ihr gegenüber war in ihrer Heimat auch dann noch erkennbar, als die ersten größeren Veröffentlichungen von ihr in Zeitungen, Zeitschriften und Kalendern erschienen waren. Emerenz Meier wurde erst richtig bekannt durch ihre Förderin Auguste Unertl und durch die touristischen Sommerfrischler in Waldkirchen und durch ihr Buch von 1896/97, bekannt vor allem in den größeren Städten, Passau z.B., und in den Häusern der gebildeten Oberschicht, man denke an Carossas Elternhaus, wo das Buch der Emerenz Meier gleich nach seinem Erscheinen von allen Familienmitgliedern genau gelesen wurde. Bei ihrem bürgerlichen und mitunter auch adeligen Lesepublikum, auch bei ihrem ersten Herausgeber, galt Emerenz Meier als begabte und hoffnungsvolle Heimatdichterin, die auf dieses Genre beschränkt bleiben und dem Wald und seinen Menschen ein schönes literarisches Denkmal setzen sollte. Heimatdichterin - das war und ist sie sicherlich auch, sie war aber auch schon in ihren bayerisch-waldlerischen Jahren oft sehr viel mehr: eine kraftvolle, eigenständige bayerische Autorin, die in kein Schema zu zwängen war. Ihre Erzählung „Der Juhschroa“ oder ihr Gedicht „Wödaschwüln“ sind nur zwei sehr klare Belege dafür, ihre Briefe aus Würzburg an Gusti Unertl und ihre Passauer Jahre 1902/03 stellen weitere solche Belege dar. Mit vielen ihrer Texte wurde sie, wie u.a. Wickham und Jung zuletzt nachgewiesen haben, zur Vorläuferin der zeitgenössischen „Modernen Heimatliteratur“, einer kritischen, bairischen Heimat- und Dialektdichtung, zu der heute so bekannte Autoren wie Joseph Berlinger, Harald Grill, Bernhard Setzwein und Karl Krieg gehören. In ihrer amerikanischen Zeit kam dann schließlich auch noch die rebellisch-politische und zeitkritische Lyrikerin in ihr zum Durchbruch, die aber im Kern schon immer angelegt war. Auch in dieser Gattung sowie als exzellente Briefeschreiberin gelangte Emerenz Meier meist weit über die oft eng gezogenen Grenzen einer auf Ort und Region beschränkten Heimatschriftstellerei hinaus. Das große Interesse der Leser und der Wissenschaft an Person und Werk der Dichterin in den letzten Jahren und der Zuspruch, den ihre Bücher und die Verfilmungen von Teilen ihres Lebens beim Publikum gefunden haben, zeigen deutlich auf, dass sich Emerenz Meier einen unübersehbaren und guten Platz in der Bayerischen Literatur erworben und auf Dauer gesichert hat.

Vorwort des Herausgebers"Aus dem bayrischen Wald" - so lautete der Titel des ersten Buches der jungen Bayerwald-Dichterin Emerenz Meier (*1874), versehen mit dem Erscheinungsjahr 1897; es blieb ihr einziges selbständiges Werk, das zu ihren Lebzeiten entstanden und veröffentlicht worden ist. Als Herausgeber des 140 Seiten umfassenden Büchleins fungierte damals der fünfzigjährige, in Klattau geborene Literaturgeschichtslehrer Professor Karl Weiß-Schrattenthal (1846-1938) aus Preßburg; er veröffentlichte das Werk von Emerenz Meier als zweiten Band seiner Buchreihe "Dichterstimmen aus dem Volke". Das Buch enthielt vier Erzählungen der jungen Dichterin: "Aus dem Elend", "Ein lustiges Weib", "Der Brechelbrei" und "Die Madlhüttler" und wurde bereits im November 1896 im Buchhandel zum Verkauf - es kostete geheftet 2,20 Mark und "fein gebunden" 3 Mark - angeboten.Daher kann man die Entstehungszeit der vier Geschichten ziemlich genau datieren: sie lagen als Manuskript spätestens im Frühjahr 1896 fertig vor! Die Autorin war da noch nicht 21 ½ Jahre alt. Auch ihr Portraitfoto, das sie für das Buch von sich anfertigen ließ, stammt aus dieser Zeit und zeigt die junge Dichterin damit im Alter von höchstens 21 ½ Jahren.Das einzige Buch der Emerenz Meier, das von der Kritik damals sehr positiv aufgenommen, aber im Wald kaum gekauft und gelesen worden war, ist heute längst vergriffen. Es erfuhr erst zum 100. Geburtstag der Dichterin im Jahre 1974 eine Wiederauflage. Diese Veröffentlichung von 1974 stellte für mich als damals jungen Germanistikstudenten auch die erste Begegnung mit "meiner" Emerenz dar. Das Bändchen erschien, herausgegeben von Hans Bleibrunner und Alfred Fuchs, zu diesem runden Jubiläum im Morsak Verlag Grafenau und enthielt auf 176 Druckseiten die vier oben genannten Erzählungen aus dem Jahr 1896/97 und des weiteren 11 Gedichte der Verfasserin: "Mein Wald - mein Leben", "Der Wasservogel", "Der Säumer", "Väterliche Ermahnung", "Unverbesserlich", "Zwischen Wachen und Schlafen", "Spinnabend", "Widmung", "Wödaschwüln", "Mißgeschick" und "An Auguste Unertl". Die Auswahl der Gedichte hatte Max Peinkofer schon 1954 so vorgenommen, und zwar für seine kleine Veröffentlichung zum 80. Geburtstag der Emerenz Meier im Passauer Neue Presse Verlag. Das darin auch enthaltene Emerenz-Meier-Lebensbild aus Peinkofers Feder, das - aus heutiger Sicht - einige Fehler und Ungereimtheiten aufwies, sowie Hans Carossas Schilderung seiner ersten Begegnung mit der Dichterin anno 1898, erstmals abgedruckt im Carossa-Buch "Das Jahr der schönen Täuschungen" (1941), fanden im Buch von 1974 ebenso Platz wie 10 kongeniale Zeichnungen des Künstlers Josef Fruth aus Fürsteneck. Das Jubiliäums-Bändchen im Morsak Verlag erfuhr im Laufe der Zeit zwei weitere Auflagen, nämlich 1987 und 1993.Auch nach dem Erscheinen der von mir herausgegebenen zweibändigen Werkausgabe 1991, die dann 2012 eine korrigierte und überarbeitete Zweitauflage erfuhr, wurde der Morsak Verlag immer wieder nach dem Emerenz-Buch aus dem Jahre 1974 gefragt; die Leserschaft vermisste "die kleine Emerenz"!Dieser Mangel soll nun endlich, auch aus Anlass des 90. Todestages der Dichterin, behoben werden. "Die neue kleine Emerenz" enthält natürlich die vier Erzählungen des Erstlings von 1896/97, aber auch weitere Geschichten, Gedichte und Briefe, die z. T. erst im Laufe der letzten Jahrzehnte wieder entdeckt wurden. Viele dieser Texte habe ich auch schon 2012 auf CD eingelesen, die unter dem Titel "Mei Emerenz, my Emma!" - Texte aus Baiern und Amerika, verfasst von Emerenz Meier" ebenfalls bei Morsak erschienen ist. Diese CD und das vorliegende neue Buch können einen schnellen und leichten Einblick in Leben und Werk dieser außergewöhnlichen Dichterin verschaffen, was für sogenannte "Emerenz-Neueinsteiger" interessant sein dürfte; aber auch die "Emerenz-Experten" kommen hoffentlich auf ihre Kosten: die Einführung, erstmals 2004 in der Reihe "Ostbairische Lebensbilder, Band I" erschienen, wurde für d

Erscheinungsdatum
Verlagsort Grafenau
Sprache deutsch
Maße 150 x 210 mm
Gewicht 500 g
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Kunst / Musik / Theater
Schlagworte Aus dem Bayerischen Wald und Chicago • Des freien Waldes freies Kind • Emerenz Meier • Göttler Hans • Schiefweg
ISBN-10 3-86512-156-X / 386512156X
ISBN-13 978-3-86512-156-1 / 9783865121561
Zustand Neuware
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