Das Glück der Musik (eBook)

Vom Vergnügen, Mozart zu hören
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2016 | 1. Auflage
224 Seiten
btb (Verlag)
978-3-641-17468-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Glück der Musik -  Hanns-Josef Ortheil
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Das faszinierende Mozart- Buch von Bestsellerautor Hanns-Josef Ortheil.
Mehr als 20 Jahre nach seiner klassischen Studie Mozart im Innern seiner Sprachen geht Hanns-Josef Ortheil nun in einer Mischung aus Tagebuch, Erzählung und Essay auf sehr persönliche Weise dem Faszinosum Mozart nach, lässt den Leser an seiner Art zu hören teilnehmen und entschlüsselt dabei viele der bekannten und auch weniger bekannten Musikstücke dieses großen Komponisten. Ausführlich kommt er auch auf dessen Opern und deren Entstehung zu sprechen. Damit wendet sich dieses Buch an alle, die Näheres über Mozarts Genie erfahren möchten, die seine Musik intensiv hören und die ihr Verständnis von Mozarts Lebens-, Denk- und Empfindungskosmos vertiefen wollen.

Hanns-Josef Ortheil wurde 1951 in Köln geboren. Er ist Schriftsteller, Pianist und Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. Seit vielen Jahren gehört er zu den beliebtesten und meistgelesenen deutschen Autoren der Gegenwart. Sein Werk wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Thomas-Mann-Preis, dem Nicolas-Born-Preis, dem Stefan-Andres-Preis und dem Hannelore-Greve-Literaturpreis. Seine Romane wurden in über zwanzig Sprachen übersetzt.

1761/62 entstehen noch weitere kurze Klavierkompositionen, die Fortschritte von Stück zu Stück sind unüberhörbar, denn der Knabe arbeitet von nun an in einer Werkstatt: Er zeigt, daß er ein Stück mit einem markanten Motiv eröffnen und dieses Motiv beantworten und fortführen kann, er studiert die Wirkungen von Kontrasten im mittleren, retardierenden Passus, und er genießt die triumphierende Wiederkehr zum Ausgangsmotiv des Stückes in seinem Schlußteil. So testet und erprobt er kurze Spiel-Muster, variiert sie, es ist die Zeit des Hinhorchens und des Abtastens des großen Korpus Musik.

Mozarts erste Kompositionen verwandeln das Musikzimmer in den Raum einer Kompositionsstube. Indem ich mir Mozarts frühste Klavierkompositionen anhöre, befinde ich mich am Eingangsportal zu einem gewaltigen Kosmos, der sich über seine familiäre Herkunft hinaus zunächst auf Salzburg und dann auf das ganze musikalische Europa hin ausdehnen wird. Erstaunlich ist das Selbstbewußtsein, das sich in jedem dieser ersten Takte artikuliert, sie haben etwas Auftrumpfendes, Zielstrebiges, es ist beinahe so, als mache sich dieses Kind entschlossen auf den Weg und als lade es auch alle Zuhörer ein, sich mit ihm auf den Weg zu machen …

30. Januar 2005. Seit dem Mittag bin ich mit einer Schar von zwölf Kindern im Stuttgarter Zoo unterwegs, ich bin die Aufsichtsperson, aber als solche will ich nicht in Erscheinung treten, ich möchte nur ganz am Rande erscheinen, unsichtbar bleiben, den herumtollenden Kindern den Gang überlassen und nur zur Stelle sein, wenn eines der Kinder mich braucht. In meinem Rucksack habe ich zum ersten Mal den MP3-Player und Mozarts Musik dabei, die Kopfhörer und das Musikhören erscheinen mir als ideale Zeichen der Abgrenzung, als Zeichen, die den Kindern dann und wann demonstrieren, daß sie mich nicht weiter zu beachten brauchen.

Da auch im Zoo reichlich Schnee liegt, halten sich fast alle Tiere drinnen, in den großen, mit den Tier-Aromen durchtränkten Häusern auf, endlich ist man ihnen ganz nahe, und die Wärter nehmen sich Zeit, sich mit ihnen zu beschäftigen. Im Elefantenhaus sind die Tiere angekettet und werden mit einem kräftigen Wasserstrahl aus einem schweren Schlauch abgespritzt, die Kinder stehen ganz vorn, direkt vor dem Graben, und beobachten das Schauspiel in allen Einzelheiten. Ich aber habe mich in den hinteren Teil des großen Hauses auf eine an der gesamten Rückfront entlanglaufende Bank zurückgezogen, dort setze ich die Kopfhörer auf, und sofort verwandelt sich die gehörte Musik in eine Art Filmmusik zu den Bildsequenzen vor meinen Augen. Welche Musik aber könnte genau diese Sequenzen begleiten? Keine öffentliche, keine Repräsentationsmusik, sondern eine Musik, die sich klein macht und sich diesen sehr entlegenen Szenen anschmiegt, nur sehr wenige Instrumente, die auf ruhige Weise, bei sich bleibend, etwas Gelöstes, Freundschaftliches vermitteln. Eine Musik also am Rande, die niemand angestrengt zur Kenntnis nimmt, sondern die einige Musikanten zu ihrem eigenen Vergnügen aufführen, indem sie gleichsam auf dem Umweg über ihre Instrumente eine Art zweiter Konversation betreiben. Ich wähle die fünf Divertimenti (KV 439b) für zwei Klarinetten und Fagott, die Mozart wohl für musizierende Freunde komponierte und die von diesen Freunden dann in privatem Kreis gespielt wurden. Es sind unaufdringliche, sehr gelassene und in sich versunkene Stücke abseits vom Aufputz, den Stücke für den Aufführungs- und Konzertbetrieb haben. Die drei selbständig und dann wieder zu wechselnden kleinen Gruppen geführten Instrumente wenden sich an niemanden, sondern sprechen nur miteinander. Dabei werden die beiden helleren Klarinetten von dem tieferen Fagott gerahmt, gestützt, gehalten und immer wieder auf den Weg geschickt. Klarinetten und Fagott – diese minimalistische Kombination entspricht genau dem, was ich sehe: Die schweren, sich kaum bewegenden Elefanten, die zur Ruhe gekommenen Kinder, die über den Graben hinweg spähen, ohne von den Tieren jetzt irgendwelche Auftritte oder Kunststücke zu erwarten. Es ist beinahe so, als beziehe sich diese Musik auf die eigentümliche Würde der Tiere, die in diesen Häusern weniger angegafft und ausgestellt als mit einer gewissen Zutraulichkeit beobachtet werden.

– Darf ich auch mal hören?, fragt eines der Kinder, das nach einer Weile neugierig zu mir kommt.

– Na klar, sage ich, na klar darfst Du.

Ich gebe die Kopfhörer weiter, das Kind lauscht, es hat alles mögliche erwartet, nur nicht diese Musik. Während es weiter hinüber zu den Elefanten starrt, öffnet sich sein Mund unmerklich zu einem Staunen, das allmählich übergeht in ein Lächeln. Als es sich dieses Lächelns gewiß ist, wendet es den Kopf und schaut mich an, und als ich zurücklächle, schaut es wieder vergnügt zu den Elefanten hinüber und bemerkt gar nicht die regelmäßigen Bewegungen der knapp über dem Boden hin und her wippenden Füße.

Ich höre die fünf Divertimenti KV 439b im Elefantenhaus des Stuttgarter Zoos nicht als Hintergrund-, sondern als Film-Musik. Als Film-Musik begleiten sie nämlich nicht nur das Geschehen, sondern treten in enge Verbindungen zu den Bildern, in diesem Fall könnte man sogar davon sprechen, daß die Bilder genau diese Musik evoziert haben. (Indem ich mir klarmachte, um welche Bilder es sich handelte, machte ich mir klar, nach welcher Musik ich zu suchen hatte, die Bilder waren also anfänglich nichts anderes als ein interpretatorisches Raster, mit dessen Hilfe sich Besonderheiten der Musik besser erschlossen.)

31. Januar 2005. Fünf Klaviersonaten (KV 279–283) habe ich heute während einer langen Autobahnfahrt gehört. Mir fiel auf, daß die Musik nicht zu einem Medium der Fortbewegung wird, sondern den Innenraum des Wagens polstert und ihn dadurch zu einer geschlossenen Zelle macht. Die Landschaft ringsum wird so farbloser und monotoner und verliert gegenüber der alle Aufmerksamkeit einfordernden, intimen Musik rasch an Charakter. Als ich einem Freund am späten Nachmittag von diesen Eindrücken erzähle, berichtet er von musikpsychologischen Untersuchungen, die nachgewiesen haben, daß Autofahrer beim Hören von leiser Mozart-Musik häufiger Ampeln bei Rot überfahren. Hört man Mozart dagegen in mittlerer Lautstärke, kann die Musik angeblich zu einer beschleunigten Reaktionszeit bei unvorhergesehenen Zwischenfällen beitragen. Die Sonate in E-Dur, KV 282, beginnt statt des erwarteten schnellen Allegro-Satzes mit einem Adagio. Als ich es heute während der Zufahrt auf eine Raststätte hörte, konnte ich nicht aussteigen, bis ich es zu Ende gehört hatte, und auch die kurze Zeit über, die ich mich danach draußen aufhielt, glaubte ich, weiter dieses Adagio zu hören, und hörte es nach dem Einsteigen sofort wieder, es handelt sich um eine Musik, die alles andere absorbiert und unbedingte Versenkung fordert, bittend, vor sich hin sprechend, den Hörer unmerklich an der Hand nehmend, um ihn in die Ferne zu führen …

02. Februar 2005. Seit der Frühe ein ununterbrochener leichter Schneefall, ein weißes Stäuben, die schwachen, kleinen Flocken drehen sich dem vereisten Boden entgegen und punktieren die erhöhten, aufgeworfenen Graspartien mit hellen Streifen und Flecken. Kurz vor Mittag fiel mir genau das richtige Stück für diese atmosphärische, kristalline Landschaftsszenerie ein, nämlich das Glasharmonika-Quintett, KV 617, das Mozart 1791, also in seinem letzten Lebensjahr, komponiert hat. Es handelt sich um ein Quintett für Flöte, Oboe, Viola und Violoncello, denen die Glasharmonika wie ein Solo-Instrument vorausgeht und antwortet. Zu Beginn gibt es einen kurzen dramatisch einsteigenden Satz in C-Moll, dann aber folgt ein Rondo in C-Dur, das wie ein kleiner Konzertsatz gearbeitet ist. Die sphärischen, überhellen, dabei aber winzigen Ton-Schritte der Glasharmonika schwebten über dem soliden Erd-Teppich der übrigen Instrumente, die sich in Gruppen, aber auch immer wieder einzeln, als solistische Erscheinungen, melden. Ich starrte aus dem Fenster des Musikzimmers hinaus in den Schneefall, und ich hörte, daß Mozart genau das, was ich dort draußen sah, komponiert hatte: Den Tanz der schwebenden Geister, die von den soliden Erd-Charakteren eingefangen und zur Ruhe gebracht werden. (Auch hier also der Fall einer durch Bilder evozierten und dadurch erst zu einem besonderem Klang-Eindruck gewordenen Musik.)

02./03. Februar 2005, nachts. Der langsame Satz des Klavierkonzerts in c-Moll, KV 491: Ein Stück, das einen vor innerer Anteilnahme beinahe regungslos werden läßt, während des Hörens wird man zum Kind, man lauscht nur noch, geht hinterher, blickt nicht nach rechts und links. Wie macht die Musik das? Warum habe ich immer wieder den Eindruck, daß sie sich unnachahmlich leicht einen Zugang zu den tiefsten Erlebniszentren verschafft? Die einzelnen Phrasen sind übersichtlich und kurz, sie beziehen sich eng aufeinander, sie antworten und schreiten dann kaum einen weiteren Raum ab, statt dessen geraten sie ins Gleiten, sie bekommen etwas Traumwandlerisches, Flüchtiges, zersetzen sich und belohnen einen immer wieder mit der Empfindung einer Rückkehr und Ankunft. Am schönsten sind jene Passagen, in denen das Klavier über dem weichen Orchesterteppich nur ein paar Töne auf und ab spaziert, als wollte Mozart einem etwas vormachen: So einfach ist das, so einfach, hör nur, das ist Musik, es braucht nicht...

Erscheint lt. Verlag 8.3.2016
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Kunst / Musik / Theater Musik
Schlagworte 18.Jahrhundert • eBooks • Erzählung • Essay • Komponist • Komponisten • Mozart • Musik • Musikgeschichte • Oper • Preisgekrönter Autor • Tagebuch • WienerKlassik
ISBN-10 3-641-17468-6 / 3641174686
ISBN-13 978-3-641-17468-2 / 9783641174682
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