Gesammelte Schriften zu Kunst, Geschichte und Literatur (eBook)

Napoleon Bonaparte + Über die Liebe (De l'amour) + Geschichte der Malerei in Italien (Cimabue + Giotto + Leben des Lionardo da Vinci + Michelangelo + Raffael) + Madame de Staël und viel mehr

(Autor)

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2014 | 1. Auflage
660 Seiten
e-artnow (Verlag)
978-80-268-2488-6 (ISBN)

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Gesammelte Schriften zu Kunst, Geschichte und Literatur -  Stendhal
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Dieses eBook: 'Gesammelte Schriften zu Kunst, Geschichte und Literatur' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Marie-Henri Beyle (1783 - 1842) besser bekannt unter seinem Pseudonym Stendhal, war ein französischer Schriftsteller, Militär und Politiker. In seiner Zeit eher als Journalist, Kritiker und Essayist bekannt, gilt er heute durch die analytischen Charakterbilder seiner Romane als einer der frühesten Vertreter des literarischen Realismus. Inhalt: Geschichte der Malerei in Italien: Cimabue Giotto Leben des Lionardo da Vinci Michelangelo Leben Rossinis: Mozart und Rossini Vom Stile Rossini Die Stimme der Madame Pasta Die Sprache der Musik Gedanken über die Erziehung der Frauen Über Raffael (Aus den Wanderungen in Rom) Madame de Staël Mailand im Jahre 1796 Aus Braunschweig Napoleon Bonaparte Über die Liebe (De l'amour) Aphorismen über Schönheit, Kunst und Kultur

7. Lionardo im Kloster delle Grazie.

Es gibt unmöglich jemanden, der das Abendmahl Lionardos nicht kennt; es ist das Original zu dem schönen Stich von Raffael Morghen.

Es handelte sich darum, jenen so zarten Augenblick darzustellen, wo Christus, wie ein junger Philosoph von seinen Schülern umgeben, in der Vorahnung seines Todes die rührenden Worte zu ihnen spricht: »Wahrlich, ich sage euch, einer unter euch wird mich verraten!« Eine Seele voll ähnlicher Liebe muß tief ergriffen sein, wenn sie bedenkt, daß unter den zwölf Freunden, die er auserwählt hatte, mit denen er sich verbarg, um einer ungerechten Verfolgung zu entgehen, die er an jenem Tage um sich vereint sehen wollte zu einem Brudermahl, dem Symbol des Bundes der Herzen und der weltumfassenden Liebe; wie er sie auf der Erde heimisch machen wollte, – trotz alledem ein Verräter weilt, der im Begriff ist, ihn um eine Summe Geldes seinen Feinden zu überliefern. Ein ebenso erhabener wie zarter Schmerz erforderte, um malerisch zum Ausdruck zu kommen, die einfachste Anordnung, so daß man sich bei der Betrachtung an nichts hängen kann als an die Worte, die Christus in diesem Augenblick verkündet. Es war eine große Schönheit in den Köpfen der Jünger nötig und eine besondere Vornehmheit in ihren Bewegungen, um das Gefühl zu erzeugen, daß es keine niedrige Furcht vor dem Tode ist, die Christus betrübt. Wäre er ein gewöhnlicher Mensch gewesen, so hätte er die Zeit nicht über einer gefahrvollen Rührung verloren, er hätte Judas erdolcht oder zum mindesten in Begleitung seiner treugebliebenen Jünger die Flucht ergriffen.

Lionardo da Vinci hatte das Gefühl für die himmlische Reinheit und den tiefen Sinn, die dem Wesen dieser Handlung Christi anhaften; tief verletzt durch die verruchte Unwürdigkeit des schwarzen Verrats und die Erkenntnis der menschlichen Arglist, war Christo das Leben verleidet und er fand es süßer, sich der himmlischen Melancholie, von der seine Seele voll war, hinzugeben, als ein unglückliches Leben zu retten, das täglich ähnlicher Undankbarkeit ausgesetzt war. Christus sah seine Lehre von der erdumfassenden Menschenliebe scheitern. Er sagte sich, ich habe mich getäuscht und die Menschen nach meinem Herzen beurteilt. Seine weiche Rührung ist so groß, daß er zu seinen Jüngern jene traurigen Worte spricht: »Einer unter euch wird mich verraten!« Er blickt keinen dabei an.

Christus sitzt in der Mitte einer langen Tafel, deren eine Seite, die nach dem Betrachter hin, frei geblieben ist. Johannes, der Lieblingsjünger Christi, sitzt ihm zur Rechten; an Johannnes lehnt sich Petrus, daneben sitzt der falsche Judas. Dadurch, daß eine ganze Seite der Tafel unbesetzt ist, sieht man die Gestalten voller. Dargestellt ist der Augenblick, wo Christus seine grausamen Worte eben ausgesprochen hat; der erste Eindruck der Empörung spiegelt sich an allen Personen wieder. Johannes, niedergeschlagen durch das eben Vernommene, hört gleichwohl mit gewisser Aufmerksamkeit auf Petrus, der ihm lebhaft seinen gegen einen der auf der anderen Seite sitzenden Jünger gefaßten Verdacht begründet. Judas sitzt halb rückwärts gewendet da und sucht nach Petrus hinzusehen, um zu hören, was dieser mit so viel Feuer spricht. Währenddem wird sein Gesicht dreist und er bereitet sich vor, allen Verdächtigungen gegenüber standhaft zu leugnen. Aber er ist bereits entdeckt. Jakobus der Jüngere macht Petrus, indem er seine linke Hand hinter Andreas weg auf ihn legt, aufmerksam, daß der Verräter auf seiner Seite sitze. Andreas schaut entsetzt auf Judas. Bartholomäus, der am Ende der Tafel (links vom Beschauer) sitzt, richtet sich halb auf, um den Verräter besser zu sehen.

Zur Linken Christi beteuert Philippus seine Schuldlosigkeit durch die allen Völkern eigentümliche Gebärde: er öffnet die Arme und bietet die Brust unbeschützt dar. Thomas verläßt seinen Platz und tritt lebhaft an Christus heran; den Zeigefinger der rechten Hand emporhebend scheint er den Heiland zu fragen: »Einer unter uns?« Gerade diese Geste läßt merken, daß die Malerei eine weltliche Kunst ist. Diese Geste war nötig, um die Situation für profane Augen zu charakterisieren. Sie macht die eben ausgesprochenen Worte vernehmbar. Es fehlt ihr aber jene vornehme Seelengröße, die Christi Jünger haben müßten. Daß ein Verräter unter ihnen ist, ist nicht das Wichtigste. Daß sich eine schändliche Seele gefunden hat, einen so liebenswerten Meister zu verraten, dieser Gedanke sollte jeden von ihnen niederdrücken und dann sollte ihnen noch ein anderer Gedanke erstehen, der: »Wir Werden ihn nicht mehr sehen!« und ein dritter: »Gibt es kein Mittel, ihn zu retten?«

Philipp, der jüngste Apostel, erhebt sich mit einer Bewegung voll Treuherzigkeit und Freimut, um seine Treue zu beteuern. Matthäus wiederholt die schrecklichen Worte dem Simon, der sie ungläubig abwehrt. Thaddäus, der sie ihm vordem überbracht hat, weist auf Matthäus, der sie gleichzeitig mit ihm vernommen hat.

Simon, der letzte Jünger zur Rechten des Beschauers, scheint auszurufen: »Wie könnt ihr so etwas Schreckliches zu sagen wagen!«

Aber man merkt, daß alle, die um Christus sind, nur Jünger sind, und das Auge wendet sich nach der Betrachtung dieser Gestalten sehr rasch wieder ihrem erhabenen Meister zu. Der edle Schmerz, der ihn bedrückt, beklemmt das Herz. Die Seele versinkt in Nachdenken über das vielleicht größte menschliche Unglück, den Freundesverrat. Man hat die Empfindung, daß man freie Luft zum Aufatmen bedürfe; darum hat auch der Maler die Türe und die beiden Fenster im Hintergrunde offen gemalt. Das Auge sieht in eine ferne stille tröstende Landschaft. Unser Herz bedarf dieser schweigsamen Ruhe, wie sie um den Berg Zion waltete. Die Abendsonne, deren sterbende Lichter über die Landschaft gleiten, verleiht ihr einen Schimmer von Traurigkeit, der mit der Stimmung des Betrachters harmoniert. Er weiß wohl, es ist der letzte Abend, wo der Freund der Menschen auf Erden weilt. Morgen, wenn die Sonne niedersinken wird, hat er aufgehört zu sein.

Mancher wird über dieses erhabene Werk Lionardos denken wie ich, aber der Mehrheit werden meine Gedanken gesucht erscheinen; ich fühle es wohl. Diese Mehrheit ersuche ich, das Buch zu schließen. Was sollen wir lange einander mißfallen? Man findet leicht in anderen geschichtlichen Werken über die Malerei genauere Beschreibungen, in denen die Farben der Gewänder jedes einzelnen Jüngers und anderes mehr gewissenhaft verzeichnet steht, zum Beispiel in Bossis »Del Cenacolo«. Man kann übrigens die köstliche Arbeit der Tischtuchfalten wohl bewundern.

8. Die Ausführung.

Wenn je ein Mensch von Natur dazu auserlesen war, einen solchen Gegenstand zu malen, so war es Lionardo da Vinci. Er hatte eine seltene Vornehmheit der Zeichnung, wie sie bei ihm stärker zutage tritt als selbst bei Raffael, weil sie bei ihm durch den Ausdruck der Kraft nicht im geringsten beeinträchtigt wird. Lionardo besaß jenes melancholische, weiche, in Schatten zerfliessende Kolorit, das, ohne in seinen leuchtenden Farben grell zu sein, im Helldunkel triumphiert, und das, wenn es noch nicht existiert hätte, eigens zu einem solchen Stoff hätte erfunden werden müssen. Wenn man dazu noch die kolossale Größe der Figuren und die Größe des Gemäldes in Betracht zieht – es ist neun Meter lang und viereinhalb Meter hoch – so wird man zugeben, daß es in der Geschichte der Kunst von einschneidender Bedeutung sein mußte, und mir verzeihen, wenn ich bei ihm noch länger verweile.

Die mehr vornehme als leidenschaftliche Seele Lionardos versäumte es nie, seine Gestalten durch eine ausgesuchte Feinheit und Vollkommenheit des Architektonischen und Ornamentalen der Umgebung zu heben. Der feinfühlige Mensch, der über die Malerei Betrachtungen anstellt, wird mit Erstaunen die kleinen blauen Streifen wahrnehmen, die das Weiße des Tischtuchs unterbrechen, die köstlichen regelmäßigen und einfachen Ornamente des Saales, in dem sich die rührende Szene abspielt, die zur Steigerung des Vornehmen hinzugefügt sind. Das sind die Mittel der Malerei.

9

Unter einer alten Kopie des Abendmahls in der Kirche von Ponte Capriasco habe ich eine lateinische Inschrift gefunden, die die Namen der Apostel aufführt. Ich beginne mit der Person am äußersten links vom Beschauer:

Bartholomäus, Jakobus der Jüngere, Andreas, Judas, Petrus, Johannes, Christus, Thomas, Jakobus der Ältere, Philippus, Matthäus, Thaddäus, Simon.

Diese Reihenfolge ist ziemlich einleuchtend. Ich möchte behaupten, daß dieselbe Inschrift höchst wahrscheinlich auch unter der Originalfreske gestanden hat.

Die Kopie in Ponte Capriasco hat einen gefälligen Charakter. Eine alte Chronik des Dorfes berichtet, daß sie von einem prächtigen jungen Manne aus Mailand herrühre, der sich aus der Flucht aus jener Stadt daselbst gegen das Jahr 1520 verborgen hielt. Er durfte einige Zeit nach der Vollendung nach Mailand zurückkehren. Man wollte ihn bezahlen, lange weigerte er sich dagegen, schließlich nahm er siebzig Taler an, ging auf den Markt und verteilte das Geld unter die ärmsten Einwohner. Dazu schenkte er der Kirche, die seine Zuflucht gewesen war einen Gürtel aus roter Seide, den er zu tragen gewohnt war und den man noch heute bei großen Festen verwendet.

Trotz der...

Erscheint lt. Verlag 9.10.2014
Übersetzer Arthur Schurig, Benno Rüttenauer
Verlagsort Prague
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Aphorismen
Kunst / Musik / Theater Kunstgeschichte / Kunststile
Kunst / Musik / Theater Malerei / Plastik
Schlagworte Biografien • Essays • Marie-Henri Beyle • Renaissance • Rot und Schwarz • Stefan Zweig
ISBN-10 80-268-2488-1 / 8026824881
ISBN-13 978-80-268-2488-6 / 9788026824886
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