Frau Honig 5: Frau Honig rettet ein bisschen die Welt (eBook)
224 Seiten
Planet! in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
978-3-522-65597-2 (ISBN)
Geboren wurde Sabine Bohlmann in München, der schönsten Stadt der Welt. Als Kind wollte sie immer Prinzessin werden. Stattdessen wurde sie (nachdem sie keinen Prinzen finden konnte und der Realität ins Auge blicken musste) Schauspielerin, Synchronsprecherin und Autorin und durfte so zumindest ab und zu mal eine Prinzessin spielen, sprechen oder über eine schreiben. Geschichten fliegen ihr zu wie Schmetterlinge. Überall und zu allen Tages- und Nachtzeiten (dann eher wie Nachtfalter). Sabine Bohlmann kann sich nirgendwo verstecken, die Geschichten finden sie überall. Und sie ist sehr glücklich, endlich alles aus ihrem Kopf rausschreiben zu dürfen. Auf ein blitzeblankes, weißes - äh - Computerdokument. Und das Erste, was sie tut, wenn ein neues Buch in der Post liegt: Sie steckt ihre Nase ganz tief hinein und genießt diesen wunderbaren Buchduft.
Frau Honig lässt sich angeln
Der Wind blies den letzten Sommer davon. Er verlor keine Zeit, schnurstracks wehte er einen Hauch Herbst um die Ecke.
Frau Honig setzte ihren Korb und ihren Koffer ab, atmete den alten Sommer aus und den frischen Herbst ein. Sie knöpfte die sonnengelben Knöpfe ihres senfgelben Mantels zu und lächelte dem Wind hinterher.
»Einmal möchte ich Wind sein, dann wüsste ich, wo du den Sommer hinbringst, und ich wüsste außerdem, wo du den Herbst versteckst, wenn es Sommer ist. Ja, einmal würde ich gern Wind sein. Nur für einen kurzen Augenblick.«
Neben Frau Honig summte ungeduldig ein kleines Bienchen. Es schien sich zu beschweren.
»Ich werde doch mal kurz ein- und ausatmen dürfen. Wir atmen alle viel zu selten und wer atmet, ist durchaus im Vorteil. Denn man bekommt Luft und Luft ist äußerst wichtig, findest du nicht?« Wieder summte die Biene ungeduldig.
Frau Honig zog einen Zettel aus der Manteltasche. Sie las vor: »Waisenhausstraße. Da sind wir doch schon mal richtig.«
Sie verglich den Namen mit dem Straßenschild. Dann suchte sie die Häuser nach der Nummer 13 ab.
»Folge mir!«, rief sie der Biene zu, doch die flog bereits summend voraus.
An der Straße stand eine Frau. Sie trug eine Kleiderschürze und kehrte mit einem Besen die Blätter vom Gehsteig vor ihrem Haus.
»Entschuldigung?«, fragte Frau Honig und lächelte die Frau freundlich an. »Wo finde ich denn das Waisenhaus?«
Die Frau musterte Elsa Honig von oben bis unten. Gelber Rock, gelber Mantel, gelber Hut, gelbe Schuhe. Koffer und Korb. In Wirklichkeit handelte es sich natürlich um einen senfgelben Mantel, einen honiggelben Rock und dottergelbe Schuhe, aber für diese feinen Unterschiede hatte die Besenfrau keinen Blick.
»Das Waisenhaus ist am Ende der Straße. Doch Sie werden da niemanden antreffen, jeden Tag um Punkt zwölf ist Schwester Ambrosia mit den Kindern unterwegs.« Sie sah zur Turmuhr, dann die Straße hinunter. »Da kommen sie schon. Pünktlich wie der Glockenschlag.«
Frau Honig sah nun ebenfalls die Straße entlang. Eine seltsame Prozession kam auf sie zu. Vorneweg lief eine Nonne. Elsa Honig kniff die Augen zusammen und legte den Kopf schief, irgendetwas war seltsam. Es war die Art, wie die Nonne ging. Sie tippelte mit kleinen Schritten voran und schien immer wieder leicht zu schwanken. Ihr folgten sieben Kinder, zwei und zwei im Gleichschritt, gekleidet in weiß-blauen Matrosenuniformen. Ein größeres Mädchen schob einen altmodischen Kinderwagen, in dem ein kleiner Junge saß, ebenfalls im Matrosenanzug. Hinter der Kinderschar watschelte in einigem Abstand eine Gans. Die Kinder wandten sich nicht nach links und nicht nach rechts. Sie blickten stur geradeaus. Kein Lächeln huschte über ihre Gesichter. Auch die Gans stolzierte mit hoch erhobenem Kopf dahin.
»Seltsam, oder? Wie Pinguine. Wie eine Geisterprozession oder wie Geisterpinguine«, flüsterte die Frau und beugte sich dabei vertraulich zu Elsa Honig. »Jeden Tag dasselbe Spiel. Immer um 12 Uhr. Unheimlich, einfach unheimlich!«
»Das sind die Waisenkinder? Aus dem Waisenhaus?«, flüsterte Frau Honig zurück.
»Man sieht sie nur ein Mal am Tag. Sie werden im Waisenhaus unterrichtet. Darum gehen sie nicht in die Schule hier im Ort. Sie sprechen mit niemandem, auch die Schwester Ambrosia nicht. Und niemand spricht mit ihnen. So ist das hier.«
»Verstehe!«, meinte Frau Honig, hob einen Arm, als würde sie sich melden, und holte Luft, um zu rufen: »Halt, Schwester Ambrosia, warten Sie, ich bin das neue Kindermädchen, Elsa Honig mein Name.« Doch dann überlegte sie es sich anders, griff nach ihrem Koffer und ihrem Korb, nickte der Frau mit dem Besen zu und ging federnden Schrittes die Straße hinunter. Sie wollte vor dem Waisenhaus auf die Kinder und deren Erzieherin warten.
Schon bald kam sie auf eine hohe graue Mauer zu. »Mauern sind schon nicht schön. Aber graue Mauern sind noch viel unschönerer!«
Die Biene schien zu lachen und summte. »Bsss bsss bsssss.«
»Unschönerer ist sehr wohl ein Wort. Ein sehr schönes sogar!«, verteidigte sich das Kindermädchen.
An einem gusseisernen Tor, über dem aisen aus zu lesen war, das W und das H hatten sich wohl bereits vor einer ganzen Weile verabschiedet, blieb Frau Honig stehen. Sie rüttelte einmal kurz an der Klinke, aber das Tor war verschlossen. Durch die Gitterstäbe musterte Elsa Honig das riesige dunkle Gebäude. Die Fenster waren groß und die Scheiben trüb. Es sah nicht sehr gepflegt aus, fast so, als würde es bald auseinanderfallen. Frau Honig fröstelte, es hatte tatsächlich etwas von einem Geisterhaus. Sie schüttelte die gruseligen Gedanken ab, stellte den Koffer auf den Boden und nahm darauf Platz.
Ein paar Herbstsonnenstrahlen kitzelten sie an der Nase. Und das Kindermädchen schloss genüsslich die Augen.
Kurz schien Frau Honig eingenickt zu sein, denn als sie die Augen wieder öffnete, knallte das Tor mit einem Rumms zu. Sie sprang auf und konnte gerade noch die letzten Kinder erkennen, die in der großen Tür des noch viel größeren Hauses verschwanden.
»Hallo! Ich bin Frau …«, rief sie ihnen hinterher, doch niemand schien sie zu hören. Rumms. Die Tür schloss sich ebenfalls. Auch die Gans war verschwunden. Elsa Honig drückte energisch auf den altmodischen Klingelknopf. Einmal, noch einmal. Und noch einmal. Aber nichts rührte sich.
»Hallohooo!«, rief sie nun, so laut sie konnte. Und sie konnte sehr laut rufen. Noch einmal klingelte sie.
Endlich öffnete sich die Tür einen Spalt. Ein junges Mädchen erschien.
»Hedwig, fünfzehneinhalb Jahre«, fuhr es dem Kindermädchen durch den Kopf. Doch sie sprach es nicht aus.
»Honig. Elsa Honig ist mein Name. Die VFKDOEA schickt mich. Ich bin euer neues Kindermädchen.«
Hedwig kam auf das Tor zu, vor dem Frau Honig noch immer stand. Doch sie machte keine Anstalten, dieses zu öffnen.
»Wir brauchen kein Kindermädchen. Wir haben ja Schwester Ambrosia.«
»Das weiß ich, aber ihr seid eine ganze Kinderschar, plus Baby. Das kann doch eine einzige Betreuerin unmöglich schaffen.« Frau Honig linste um das Mädchen herum, erhaschte einen Blick in die offen stehende Tür und entdeckte zwei große neugierige Kinderaugen, die sofort wieder verschwanden. »Darf ich mal mit der Heimleiterin sprechen?« An den Fenstern tauchten nach und nach Kinderköpfe auf, die sie aber nur unscharf durch die trüben Scheiben erkennen konnte.
»Das geht nicht!«, meinte das Mädchen bestimmt.
»Und warum nicht?«
»Sie ist … krank! Sie liegt im Bett!«
»Aber eben ist sie doch noch lustig mit euch spazieren gegangen. Ich meinte sogar, einen kleinen Hüpfer zwischen den Trippelschritten wahrgenommen zu haben.«
Das Mädchen zuckte die Schultern. »Ja, sie hat sich ganz plötzlich nicht gut gefühlt. Migräne.«
Frau Honig nickte mitfühlend. »Wäre es unter diesen Umständen nicht sogar sehr praktisch, wenn ich übernehmen könnte? Das Baby muss sicher gefüttert und gewickelt …«
»Wir kommen gut zurecht, vielen Dank. Auf Wiedersehen«, unterbrach das Mädchen, wandte sich schwungvoll um und verschwand, ohne sich noch einmal umzudrehen, im Haus. Mit einem Rumms schloss sich die Tür erneut.
»Aber …«, brachte Frau Honig noch heraus. Dann sah sie zu dem Bienchen hinüber. Es flog im Zickzack hin und her und vibrierte irgendwie. »Lachst du etwa? Also ich finde das alles andere als amüsant.«
Erneut ließ sich Elsa Honig auf dem Koffer nieder. »Nun, dann warten wir eben!«
Sie streckte die Arme in die Höhe. Mit den Fingern formte sie einen Kreis und sah zu, wie sich die Sonne darin fing. Sie ließ die Beine mal nach rechts, mal nach links fallen. Dann zeichnete sie mit der Fußspitze einen Halbkreis in den Schotter.
Die Biene flog einmal um ihren Kopf herum. »Bsss bsss bsssss«, meinte sie.
»Ach ja? Sie sprechen über mich? Dann scheine ich sie ja doch zu interessieren!«
»Bsss bsss bsss«, summte die Biene.
»Sei doch mal still, ich kann ja gar nichts verstehen.« Frau Honig richtete ihre Aufmerksamkeit auf das Haus. Ihren Blick hatte sie starr auf die große Eingangstür gerichtet. Hinter einigen Scheiben erschienen wieder die Umrisse der Kinder.
»Sie ist immer noch da!«
»Sie sitzt vor dem Tor!«
»Ihr wird sicher bald langweilig!«
Elsa Honig lächelte. Es würde Jahre dauern, bis sie sich langweilen würde. Außerdem liebte das Kindermädchen Stimmen hinter Türen. Sie nannte sie Hintertür-Hörspiel.
»Ich glaub, die ist festgewachsen. Wie ein Baum!«
»Sie kommt einfach zu spät. Jetzt brauchen wir sie auch nicht mehr!«
»Aber sie hat einen Bienenkorb!«
»Na...
Erscheint lt. Verlag | 27.9.2024 |
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Reihe/Serie | Frau Honig |
Illustrationen | Joëlle Tourlonias |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre |
Schlagworte | Achtsamkeit • Alltag • Bestseller • Bienen • Ein Mädchen namens Willow • Eltern • Empowerment • Erfindungen • Familie • Familien-Buch • Fantasie • Glück • Ideen • Kinder-Erziehung • Kindermädchen • Kindheit • Klimawandel • Kreativ • Magie • Mary Poppins • Nanny • Selbstversorger • Solarzellen • Trost • Vertrauen • Vorlesen • Werte |
ISBN-10 | 3-522-65597-4 / 3522655974 |
ISBN-13 | 978-3-522-65597-2 / 9783522655972 |
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