Kiera Cass wurde in South Carolina, USA, geboren, studierte Geschichte an der Radford University und lebt heute mit ihrem Mann und ihren Kindern in Virginia. Ihre Freizeit verbringt sie mit lesen, tanzen und großen Mengen Kuchen. Mit SELECTION hat sie es weltweit auf die Bestseller-Listen geschafft. Nun folgt mit A THOUSAND HEARBEATS ihr neuester Roman auf Deutsch!
Annika
Draußen stieg der Mond immer höher, und die Sterne funkelten wie Diamanten, auch wenn sie nicht alle weiß waren. Manche von ihnen waren blau oder gelb, andere eher rötlich. Der Nachthimmel war wie die Dame am Hofe mit dem schönsten Kleid, gesponnen aus Sternen, und auf ihrem Haupt trug sie den Mond als Krone.
Der Raum war voller Musik und fröhlicher Menschen. Paare, jung und alt, drängten sich auf der Tanzfläche. Und ich lehnte an einer Wand und ließ den Blick aus dem Fenster schweifen.
Cousin Nickolas war hier, wie angekündigt, stand kerzengerade da und blickte gelangweilt drein. Nicht dass er jemals anders aussah.
Nickolas – der Öffentlichkeit bekannt als Duke von Canisse – war groß und schlank mit kastanienbraunem Haar und Augen voller unausgesprochener Gedanken. Da ich für gewöhnlich viel zu viel von mir preisgab, war das einmal eine Eigenschaft gewesen, die ich sehr bewundert hatte. Er war kultiviert, anständig und Mitglied der einzigen Familie, die laut Vater von Bedeutung war.
Seine Eltern waren auf Befehl meines Großvaters exekutiert worden, weil man sie verdächtigt hatte, eine Gefahr für die Krone zu sein. Seine Mutter, Lady Leone, hatte durch einen weit entfernten Verwandten königliches Blut gehabt, doch der Ast war so weit am Rande des Stammbaums gewesen, dass er einfach abgefault war. Nickolas war verschont geblieben, denn er war damals noch ein Baby gewesen, und als er alt genug war, schwor er unserer Familie die ewige Treue. Es war gut möglich, dass er irgendwo da draußen Unterstützer hatte, aber soweit ich wusste, war er der Vedette-Linie gegenüber immer loyal geblieben. Doch das brachte das Geflüster nicht zum Verstummen, was ausreichte, um Vater zum Handeln zu zwingen. Seit langer Zeit konzentrierte er sich nur noch auf Escalus' und meine Zukunft.
Für Escalus eine Ehe zu arrangieren war schwierig; jede potenzielle Braut hatte einen Haken, jede brachte für das Königreich einen anderen Vorteil. Aber ich? Der einzige Mann, der meiner würdig war, war der, der mir meine Position nehmen konnte. Wer Teil unserer Familie wurde, stellte für Escalus keine Gefahr mehr dar. Da war keine Mathematik nötig und auch keine ausschweifende Erläuterung. So einfach war das ... nur für mich nicht.
Für meinen Vater hatte ich keine bessere Antwort als ein klares Nein. Doch mein Nein wurde einfach ignoriert. Also war ich hier gefangen, während mir Nickolas auf Schritt und Tritt folgte. Selbst wenn ich ihm auswich und versuchte, mich mit den anderen Gästen zu unterhalten, stand er nur wenige Minuten später wieder hinter mir – und zwar ein wenig zu nah.
»Normalerweise tanzt du immer«, bemerkte er.
»Ja. Ich war die letzten Tage krank und muss mich noch schonen«, erwiderte ich.
Er machte ein nichtssagendes Brummgeräusch, blieb neben mir stehen und beobachtete die Menge.
»Du reitest doch gern, nicht wahr? Du reitest morgen doch sicherlich mit Seiner Majestät und mir aus, oder nicht?«
So sprach er immer. Hängte seinen Feststellungen immer eine Frage an, um höflich zu wirken.
»Ja, ich reite sehr gern. Falls es mir gut genug geht, werde ich mich bestimmt anschließen.«
»Sehr gut.«
Warum lächelte er nicht, wenn es doch angeblich so gut war? Warum lächelte er nie?
Ich sah mich im Raum um und versuchte, mir vorzustellen, mein ganzes Leben so zu verbringen. So wie ich es in fast jeder Situation tat, fragte ich mich auch diesmal, was meine Mutter getan hätte. Doch ich konnte nicht darüber nachdenken, ohne mir auch zu überlegen, was sie in den Momenten getan hätte, die zu diesem hier geführt hatten. Erstens hätte sie mich unterstützt. Daran bestand keinerlei Zweifel. Selbst wenn es bedeutet hätte, sich gegen Vater zu stellen. Selbst wenn er wütend geworden wäre, hätte sie mir immer den Rücken gestärkt. Zweitens hätte sie immer das Positive gesehen, selbst wenn wir verloren hätten. Unermüdlich hätte sie alles durchkämmt, um das Gute darin zu finden.
Ich musterte Cousin Nickolas erneut. Ja, er war ernst. Kalt. Aber vielleicht ging damit auch ein gewisses Verantwortungsbewusstsein einher. Wahrscheinlich würde er sein Leben dem Erhalt dessen widmen, was wichtig war. Und als seine Ehefrau würde ich bestimmt in diese Kategorie fallen.
Und Liebe ... Ich wusste nicht, ob er in der Lage war, so etwas wie Liebe zu empfinden. Ich hingegen hatte zumindest einen Funken davon als Kind gespürt. Lächelnd dachte ich zurück an den Ausritt mit Mutter und an das Haus am Wegesrand. Ich vermisste es, die Welt zu sehen. Ich vermisste ihre führende Hand.
Mein Vater stellte Blickkontakt mit mir her und gab mir stumm zu verstehen, ich solle die Sache endlich hinter mich bringen. Also schluckte ich schwer und straffte die Schultern.
»Nickolas?«
»Du brauchst etwas zu essen, richtig?«, mutmaßte er. »Du hast beim Abendessen nicht viel gegessen.«
Meine Güte, er beobachtete mich wirklich mit Adleraugen. »Nein. Danke. Aber könnte ich kurz mit dir sprechen?«
Zwar runzelte er irritiert die Stirn, folgte mir aber dennoch in einen abgelegenen Korridor.
»Wie kann ich dir behilflich sein?«, fragte er und sah mich mit zusammengezogenen Augenbrauen an.
Du könntest einfach verschwinden, dachte ich bei mir.
»Ich muss gestehen, dass ich nicht so recht weiß, wie ich dieses Gespräch beginnen soll, aber ich hoffe, du besitzt die Güte, mir zuzuhören.« Ich hasste den Klang meiner eigenen Stimme. Sie klang abwesend. Monoton. Aber Nickolas schien es nicht zu bemerken. Er nickte nur knapp, als würden ihn ein paar Worte zu viel Energie kosten.
Ich spürte, wie mir der Schweiß auf die Stirn trat. Wie sollte ich ihn durch Lügen dazu bewegen, sich mit mir zu verloben?
»Verzeih mir, aber die Etikette besagt, dass ich diejenige sein muss, die diese Frage stellt.« Ich räusperte mich, denn die Worte wollten nicht von selbst herauskommen. »Nickolas, willst du mich heiraten? Wenn nicht, verstehe ich das und werde nicht ...«
»Ja.«
»Ja?«
»Ja. Das wäre auf jeden Fall klug.«
Klug. Ja, das war das erste Wort, das einer Dame in den Sinn kam, wenn sie über eine Heirat nachdachte. Keine Worte aus Liebesromanen wie wilde Hingabe und Schicksal. »Sehr richtig. Und ich glaube, das Volk wäre auch zufrieden. Dann muss sich nur noch Escalus zur Ehe entschließen.«
Er nickte. »Dann gehen wir eben mit gutem Beispiel voran.«
Und dann küsste er mich ohne Vorwarnung. Da es sein Mund nicht einmal schaffte, sich zu einem Lächeln zu formen, hätte ich eigentlich damit rechnen müssen, dass er auch nicht küssen konnte. Damit hatte ich zwei große Meilensteine – meine Verlobung und meinen ersten Kuss – auf einen Schlag hinter mich gebracht. Und beide waren eine einzige Enttäuschung.
»Lass uns wieder hineingehen«, sagte er und hielt mir seine Hand hin. »Seine Majestät wird umgehend davon erfahren wollen.«
Ich seufzte. »In der Tat.«
Er nahm meine Hand in seine und marschierte zurück in den Ballsaal. Vater beobachtete uns und sah mich fragend an. Ich antwortete ihm mit einem angedeuteten Nicken.
Sah er denn nicht, dass es mir das Herz brach? Sah er nicht, was er mir angetan hatte? Ich wusste nicht, was schlimmer war: der Gedanke, dass er es nicht sah, oder dass er es sah, sich aber nicht darum scherte.
Nein. Ich weigerte mich, das zu glauben. Er war immer noch irgendwo da drin. Das wusste ich.
Escalus eilte auf uns zu und schob sich zwischen uns. »Verzeih mir, Cousin Nick, aber ...«
»Nickolas«, korrigierte er ihn. »Niemals Nick.« Er verzog das Gesicht, als wäre ein einsilbiger Name weit unter seiner Würde.
Escalus verkniff sich schnell ein amüsiertes Grinsen. »Aber natürlich. Nickolas, bitte erlaube mir, euch kurz zu stören. Es ist viel zu lange her, dass ich mit meiner Schwester getanzt habe.«
Nickolas runzelte die Stirn. »Wir haben Neuigkeiten zu verk...«
»Das kann doch sicher noch einen Tanz lang warten. Komm, Annika.« Escalus zog mich fort. Sobald wir außer Hörweite waren, begann er, schnell zu sprechen. »Du siehst aus, als würdest du gleich in Tränen ausbrechen. Versuch, dich zusammenzureißen. Wenigstens noch ein paar Minuten.«
»Alles gut«, versicherte ich ihm. »Bitte lenk mich einfach ab.«
Wir begannen, uns hin und her zu wiegen, und ich war der Meinung, dass ich lächelte, aber sicher war ich mir nicht. Ich spürte eine seltsame Leere, die sich vielleicht sogar noch schlimmer anfühlte, als Mutter zu verlieren.
»Habe ich dir jemals von dem einen Mal erzählt, als ich versucht habe abzuhauen?«, fragte Escalus.
Ich zog die Stirn kraus. »Das ist nie passiert.«
»Doch«, bekräftigte er. »Ich war zehn Jahre alt und hatte eben erst herausgefunden, dass ich eines Tages König sein würde. Ist das nicht komisch? Man sollte meinen, das...
Erscheint lt. Verlag | 27.9.2024 |
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Übersetzer | Cherokee Moon Agnew |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | Aktion Kulturpass • Annika • Booktok • enemies to lovers • High Fantasy • Junge Erwachsene • Königreich • kulturpass • Lennox • Lesehighlight • Liebe • Liebesgeschichte • Mary E. Pearson • Prinzessin • promised • Redemption Arc • revenge • Romantic Fantasy ab 14 • Royals • selection • Slow Burn • Soul Mates • Standalone • Standesunterschied • Star-crossed lovers • Zwei Welten |
ISBN-10 | 3-7517-6167-5 / 3751761675 |
ISBN-13 | 978-3-7517-6167-3 / 9783751761673 |
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