Und dazwischen irgendwo wir -  Amani Padda

Und dazwischen irgendwo wir (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
432 Seiten
Arctis Verlag
978-3-03880-186-3 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
13,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Fünf Jahre lang haben Vincent und Macey nicht mehr miteinander gesprochen. Fünf Jahre, in denen aus besten Freunden Fremde geworden sind, die sich auf den Schulfluren aus dem Weg gehen und ihre gemeinsame Vergangenheit gekonnt ignorieren. Doch als Vincents Mutter spurlos verschwindet und er rätselhafte E-Mails von einem anonymen Autor erhält, findet die Funkstille ein Ende. Denn in der Geschichte, die Vincent zugeschickt bekommt, scheint es nicht nur um ihn zu gehen ... Gemeinsam machen er und Macey sich auf die Suche - nach dem Autor, ihrer verlorenen Freundschaft und einem Zuhause in all den Zwischenräumen.

Mit Wurzeln, die sich von Schottland und Deutschland bis nach Indien erstrecken, fand Amani Padda ihr erstes Zuhause in Büchern. Zwischen dem Schreiben und Illustrieren möchte sie sich so wenig entscheiden, wie zwischen Britrock und Bhangra. In ihrer Freizeit engagiert sie sich in ehrenamtlichen Projekten für mehr Diversity und Jugendbeteiligung.

Mit Wurzeln, die sich von Schottland und Deutschland bis nach Indien erstrecken, fand Amani Padda ihr erstes Zuhause in Büchern. Zwischen dem Schreiben und Illustrieren möchte sie sich so wenig entscheiden, wie zwischen Britrock und Bhangra. In ihrer Freizeit engagiert sie sich in ehrenamtlichen Projekten für mehr Diversity und Jugendbeteiligung.

Der Letzte seiner Art, ohne eigenes Land oder Krone, Erinnerungen weggespült von den Wellen.

MACEY


Antimetaboliten, Alkylierende Zytostatika, Topoisomerasen.

Ich ziehe einen großen Strich über meinen Schreibblock und schalte meine Musik lauter. Kalter Nordwind peitscht über den Bahnhof und ich muss das Papier mit einer Hand festhalten, damit es nicht wegweht.

Aus dem Strich wird eine Tabelle mit Wirkstoffen, Einsätzen, Nebenwirkungen und Risikofaktoren. Aus der Tabelle ein Graph, dünne karierte Blätter, beidseitig vollgeschrieben mit blauem Kugelschreiber. Formeln, die sich in ellenlangen chemischen Begriffen verhaken, Zitate aus Aufsätzen und gigantische Fragezeichen, die sich über den ganzen Seitenrand ziehen.

Eine mathematische Zusammenfassung meiner Sorgen.

Ich versuche meinen Block glatt zu streichen, aber das Deckblatt ist bereits zerrissen und in der Spirale zeichnen sich Dellen ab. Die Kassette in meinem alten Walkman wechselt zu My Iron Lung von Radiohead, doch noch bevor Thom Yorkes wehklagende Stimme einsetzen kann, wird das Lied von einem Ruf übertönt.

»Macey? Ayo, Macey, hier bin ich!«

Instinktiv beuge ich mich tiefer über meinen Schreibblock. Runterschauen, einfach weggucken.

»Mann, es ist sauschwer, dich zu finden! Wo warst du nur den Sommer über?«

Ich presse die Lider fest zusammen, als könnte ich so Zeit gewinnen, aber als ich die Augen öffne, steht Alister vor mir. Irgendwie hat er es geschafft, sich durch die anderen Schüler am Bahnsteig zu quetschen, ohne dabei über einen der Rucksäcke zu stolpern. Alister wedelt einen Flyer vor meinem Gesicht, der fast so zerknittert aussieht wie er selbst.

»Du bist genau die Person, die ich gesucht habe! Alles gut bei dir, Pal, alles bestens? Gespannt auf den ersten Schultag?« Beim Anblick meines Blocks runzelt er die Stirn. »Mathe?«

»Chemie.«

»Genauso schlimm, ey. Gibt die Hillburn euch etwa über die Sommerferien Hausaufgaben auf?«

Er klopft mir gegen die Schulter und sieht auf meine Schuluniform herab. Im Meer an grünen St.-Mary’s-Pullovern sticht sie hervor wie ein wunder blauer Fleck. Fast alle Jugendlichen in Glenfield Park nehmen den Zug zur öffentlichen St. Mary’s Grammar School, ich bin die Einzige, die auf die Hillburn Secondary geht. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum Alister überhaupt mit mir spricht.

Seufzend setze ich meine Kopfhörer ab.

»Vorbereitungsaufgaben für Cambridge«, lüge ich.

»Krass, Mann. Ist das alles, was du die Ferien über gemacht hast? Lernen?« Er lacht. »Und dann noch freiwillig?«

Ich zucke mit den Schultern.

Tatsächlich gibt es eine Menge Dinge, die ich diesen Sommer getan habe. Zum Beispiel im Figaros zu arbeiten und mich während meiner Schichten zu fragen, was mich zuerst umbringt: das heiße Frittierfett für die Fish and Chips oder jeden Tag die gleichen drei Radiolieder in Dauerschleife zu hören. Außerdem habe ich mehrere Abende damit verbracht, meine Pastelltextmarker zu sortieren. Ich bin vielleicht ein einsamer, überarbeiteter Nerd, aber immerhin ist meine Federmappe bemerkenswert gut strukturiert.

Nicht dass Alister das interessiert. Er hat einen Stapel Flyer aus seinem Rucksack gezogen und ist nun damit beschäftigt, sie eifrig nachzuzählen.

»Rave im Warehouse, Mate, es wird richtig A-lit-ster! Alle werden da sein, die Leute aus Glenfield Park, Helensburgh, Hillburn …«

»Wer spielt?«

Alister grinst und klopft mit dem Daumen gegen seine Brust. »DJ ListR höchstpersönlich!«, verkündet er stolz. »Weltpremiere, live in Hillburn. Bring deine schicken Freunde aus der Privatschule mit, der Eintritt ist geschenkt!«

Er drückt mir gleich den ganzen Stapel in die Hand.

Da ist immer etwas Unbeholfenes an Alister. Er sieht nicht aus wie jemand, der zu einem Rave eingelassen wird – geschweige denn dort auflegt. Alister lebt mit seinem Großvater in einer der Sozialwohnungen am Ende unserer Straße, wo er ständig zwischen alten Containern herumlungert. Seine Brille wird nur noch von Klebeband zusammengehalten, das sich in seinen zotteligen roten Haaren verfängt.

Früher waren wir Freunde.

Ich knülle die Flyer zusammen und stopfe sie in eine Seitentasche.

»Ich bin mir nicht sicher, ob meine Freunde kommen können«, murmle ich. »Das Internat ist ziemlich strikt mit den Ausgangssperren.«

»Ah Mann, auch an Wochenenden?«

»Nur bis zehn Uhr.«

»Dass die da alle nicht durchdrehen!«, stöhnt Alister und wirft theatralisch den Kopf nach hinten. »Ich dachte schon, es wäre wegen der Cliffs.«

Ich runzle die Stirn und verfluche mich im nächsten Moment dafür, denn Alister hebt die Hände in die Höhe, als bereite er sich auf eine lange Geschichte vor.

»Mate, sag mir nicht, ich weiß darüber Bescheid, bevor du es tust! Mein Granda war vor zwei Wochen in Hillburn und auf der Nordseite haben sie alles dichtgemacht. Die Polizei war da und ein Rettungshubschrauber, das ganze Geschoss, es war richtig heftig, Mann. Anscheinend ist mitten in der Nacht eine Frau verschwunden und man hatte sie zuletzt bei den Cliffs gesehen.«

»Klingt nach einem Gerücht«, erwidere ich, aber Alister schüttelt so heftig den Kopf, dass seine Brille fast zerspringt.

»Nah, ich glaub, diesmal ist wirklich was dran! Es hat sich bis ins St. Mary’s rüber rumgesprochen, die Leute reden seit Tagen von nichts anderem als dieser Frau.«

Die Klippen am Rande von Hillburn, allseits nur als die Cliffs bekannt, sind eine lokale Touristenattraktion, um die sich alle möglichen Gruselgeschichten ranken. Das meiste ist grober Unsinn, den sich Secondary-Schüler untereinander erzählen und den die Einheimischen mit einem Augenrollen abtun.

Aber es ist unschwer zu erkennen, warum die Geschichten existieren. Die Wellen an den Cliffs sind schwarz und ungestüm, peitschen und klatschen gegen den Stein, als würden sie einem vor dem Fall noch applaudieren.

»Ich glaube, sie ist wirklich gesprungen.«

»RE Richtung Whitecrook, Abfahrt 08:10 Uhr, nähert sich jetzt Gleis Eins. Bitte achten Sie auf die Lücke zwischen Zug und Bahnsteigkante.«

Die Ansage schrillt über den Bahnhof und die St.-Mary’s-Schüler hängen sich ihre Rucksäcke um.

»Wie auch immer.« Alister wirft sich seinen Schulblazer über die Schulter und einer der Ärmel fliegt ihm ins Gesicht. »Brauchst du noch mehr Flyer? Ich kann dir noch mehr besorgen, falls du welche brauchst, das ist kein Problem, Pal, das lässt sich alles klären …«

»Nein danke, ich glaube, das reicht fürs Erste.« Nie im Leben werde ich mich in den Schulflur der Hillburn stellen und jemandem diese Flyer in die Hand drücken. Ich sehe schon, wie ich nach fünf Minuten im Büro unseres Schuldirektors lande und ihm ausführlich erklären muss, warum ich unkontrollierte Werbung für den Rave eines DJ ListR verteile.

»Okay, aber lass mich wissen, falls du mehr brauchst!« Alister klopft mir gegen die Schulter und imitiert eine Explosion. »Wir sehen uns, aye?«

»Klar!« Das ist schon wieder gelogen.

»Und grüß deine Mum von Granda und mir, okay?«

Er blickt auf meinen Schreibblock herab und etwas daran, wie seine Gesichtszüge weich werden, lässt mich wundern, ob Alister mich nicht doch durchschaut hat. Ob er nicht ganz genau weiß, dass hinter den Begriffen auf dem Papier keine Chemiehausaufgaben, sondern etwas ganz anderes steckt.

Aber dann ist er bereits in der Menge verschwunden.

Der Zug nach Whitecrook kommt quietschend zum Halt. Ein Blick auf die Anzeige am Bahnsteig bestätigt mir, dass ich heute wohl länger warten muss.

Ich laufe auf die Brücke über den Schienen hoch und sehe dabei zu, wie das Meer an grünen Pullovern in den Zugabteilen verschwindet, während meine eigene Hillburn-Uniform am Bahnhof übrigbleibt.

Normalerweise, wenn die Bahnen pünktlich sind, gibt es einen kurzen Moment, in dem sie nebeneinander fahren und der Abstand zwischen ihnen einen Finger breit ist. Als Kind habe ich mir mit den anderen ein Spiel daraus gemacht, die Treppen hoch auf die Brücke zu rennen und den Daumen so auszustrecken, dass er genau zwischen die beiden Züge passte. Damals wusste ich immer, wann ich ansetzen musste. Wann das Zischen an den Gleisen laut genug war, um loszurennen. Wie man nicht zu zeitig auf der Plattform ankam.

Doch als ich meinen Daumen jetzt ausstrecke, stehen die Gleise leer.

***

Die Hillburn Secondary School befindet sich in einem ehrwürdigen viktorianischen Gebäude, versteckt zwischen zurechtgestutzten Hecken und Kiefern. Selbst an grauen Tagen wie heute glänzt die dunkle Steinfassade und in den blankgeputzten Fenstern spiegeln sich die Regenwolken.

In dem Turm direkt über dem Nebeneingang liegt Ms Buchanans Büro. Es ist klein und vollgestopft mit Büchern und knallbunten Sitzsäcken, die sich nicht an das antike Mobiliar im Rest der Schule anpassen wollen. Ms Buchanan ist unsere Schulsozialarbeiterin und Studienberaterin. Ich bin fast jede Woche bei ihr.

»Sieh an, wer gerade die Begrüßungszeremonie schwänzt.« Sie grinst und nimmt ihre Brille ab. Das macht Ms Buchanan immer, wenn jemand ihr Büro betritt. Es soll wohl zum dramatischen Effekt beitragen. Nicht dass es funktioniert.

»Mein Zug hatte knapp eine halbe Stunde Verspätung.«

»Die Ausrede ist fast so gut wie seine.«

Sie zeigt...

Erscheint lt. Verlag 14.8.2024
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte BIPOC • Depression • Famile • Freundschaft • Herkunft • Indien • Internat • Krebs • lgbtqia+ • Literatur • Queer • Schottland
ISBN-10 3-03880-186-0 / 3038801860
ISBN-13 978-3-03880-186-3 / 9783038801863
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 1,3 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich