Honesty. Was die Wahrheit verbirgt (eBook)
480 Seiten
Fischer Sauerländer Verlag
978-3-7336-0525-4 (ISBN)
Franzi Kopka wurde 1990 im bergischen Land als Tochter einer Buchhändlerin geboren. Dank der zahlreichen Romane im Haus ist sie mit der Frage »Was wäre, wenn« aufgewachsen und hat schon früh damit angefangen, sich Geschichten für ihre drei jüngeren Geschwister auszudenken. Heute vergeht kaum ein Tag, an dem sie keine Zeilen zu Papier bringt. Wenn sie nicht gerade schreibt, tauscht sie sich auf Instagram unter franzikopka mit ihrer Community über Bücher aus oder sammelt neue Inspiration.
Franzi Kopka wurde 1990 im bergischen Land als Tochter einer Buchhändlerin geboren. Dank der zahlreichen Romane im Haus ist sie mit der Frage »Was wäre, wenn« aufgewachsen und hat schon früh damit angefangen, sich Geschichten für ihre drei jüngeren Geschwister auszudenken. Heute vergeht kaum ein Tag, an dem sie keine Zeilen zu Papier bringt. Wenn sie nicht gerade schreibt, tauscht sie sich auf Instagram unter franzikopka mit ihrer Community über Bücher aus oder sammelt neue Inspiration. Chuly Kopka ist 28 Jahre alt und seit Juni 2023 selbstständig als Künstlerin, Content Creatorin und Streamerin. Damit erfülle ich sie sich ihren größten Traum und genießt wirklich jeden Tag, den sie für ihre Projekte nutzen kann.
Kapitel 2
Meine Gruppe besteht wie in den letzten Jahren aus dreißig Frauen. Als ich die Umkleide betrete, haben sich die ersten bereits ausgezogen, andere sitzen noch auf den Plastikbänken, um ihre Schnürsenkel zu lockern.
Ich meide wie gewohnt jeden Blickkontakt, während ich die Reihe ablaufe und nach einem freien Spind suche. Ganz hinten werde ich fündig, direkt neben der Tür, über der eine Signallampe rot leuchtet. Das Zeichen dafür, dass der angrenzende Untersuchungssaal gerade desinfiziert wird. Sobald die Lampe auf Grün springt, geht es weiter.
»Guten Morgen, liebe Anwesenden«, flötet AISS aus den Lautsprechern unter der Decke. »Der jährliche Check-up beginnt in Kürze. Bitte entledigen Sie sich jetzt Ihrer Kleidung und deponieren Sie diese in den vorgesehenen Spinden. Die Unterwäsche können Sie vorerst anbehalten.«
Ich ziehe meinen Mantel aus. Irgendwie scheint hier jeder jemanden zu kennen, überall um mich herum wird geredet, gelacht, gekichert. Die beiden neben mir schmieden Pläne fürs Wochenende, andere unterhalten sich über eine Party vom letzten Samstag. Etwas in mir ballt sich zusammen. Ein Anflug von Neid, gegen den ich mit einem tiefen Atemzug ankämpfe. Noch etwas, das ich nicht fühlen sollte. Und genau das ist der Grund, warum das Konzept Freundschaft für mich nicht klappen würde. Weil es unmöglich wäre, es auf Dauer vor anderen zu verstecken. Weil sie mich anzeigen würden, bevor wir überhaupt die Chance hätten, es bis zu dem Punkt in unserer Beziehung zu schaffen, an dem ich mit meiner Familie oder Aiden stehe. An dem sie verstehen, dass ich keine Liar bin, keine Gefahr für den Frieden, sondern nur … ein bisschen kaputt.
»Weißt du noch in der Fünften?!« Die Frau neben mir zieht ihre Schuhe aus, während sie ihre Freundin angrinst. »Die Sache mit Lehrender Pfeiffer?«
Ich versuche, nicht hinzuhören, mich ganz auf mich zu konzentrieren. Da reingehen, lächeln, mich untersuchen lassen, Nick wiedersehen, zur Arbeit fahren.
Nachdem ich Mantel und Boots in den Schrank gelegt habe, ziehe ich die Bluse aus. Paps hat sie heute Morgen extra gesteamt, damit nicht die kleinste Knitterfalte zu sehen ist. Der cremefarbene Stoff muss ein halbes Vermögen gekostet haben, weshalb ich vermute, dass sie aus Kiras Schrank stammt. Gloria würde nie auf die Idee kommen, Credits für mich zu verschwenden. Oder nette Worte. Das Einzige, was sie gesagt hat, als sie mir die Sachen gegeben hat, war: »Damit du so wenig Fünf ausstrahlst wie möglich.«
Ich würde lachen, wäre es nicht so bitter. Die Bluse verdeckt nur die Sommersprossen auf meinem Oberkörper, allerdings machen die rötlichen Sprenkel auch vor meinem Gesicht keinen Halt. Unzählige leuchtende Punkte auf beiger Haut. Als Kind mochte ich es, weil ich es für etwas Besonderes gehalten habe, dann kam der Schulausflug nach Ring Zwei, und ich habe es verstanden. Niemand, der genug Geld hat, würde freiwillig solche Makel auf seiner Haut zurücklassen. Niemand würde sich über zerzaustes Kupferhaar freuen, wenn es glänzen könnte, und niemand würde sich das verwaschene Seegrün meiner Augen kaufen, solange es Farben wie Smaragd, Lapislazuli oder sogar Rosenquarz gibt. Ich habe Paps damals gefragt, wann ich meine erste Angleichung habe, und er hat die Wahrheit ausgesprochen, die seitdem Teil meines Lebens ist: »Niemals, Maelein. Außer du heiratest gut, mindestens eine Zwei, besser eine Eins oder einen Center.« Ich wünschte, ich hätte wie Nick etwas mehr von Dads DNA bekommen, nur ein paar Makel weniger.
Immerhin bin ich in dieser Umkleide nicht die einzige Unperfekte. Manche haben Muttermale, andere Narben, Dellen in den Oberschenkeln, blaue Flecken, Dehnungsstreifen. Das macht es leichter, auch die Hose auszuziehen, bis ich wie alle anderen in Unterwäsche dastehe. Hellblau mit rosa Blumen. Das einzige Set aus meiner Kommode, das weder kleine Löcher noch ausgeleierte Gummibänder hat.
Kaum habe ich den Spind geschlossen, springt die Signallampe auf Grün. Ich schlinge noch schnell meine Haare zu einem Knoten zusammen, dann wird der Untersuchungssaal geöffnet. Er sieht genauso aus wie alle anderen, in denen ich bisher war. Weiße Fliesen, an der Wand ein HoloScreen, in der Mitte verteilt dreißig CardioCases. Oder wie Dad sie vor meinem ersten Check-up damals so liebevoll beschrieben hat: Bikes in Glaskästen.
Direkt hinter dem Eingang werden wir von Behandelnden empfangen. Weiße Kittel, freundliches Lächeln. Wir müssen immer zu zweit eintreten, um uns einen VitaTrack verpassen zu lassen. Als die Behandelnde das Stanzgerät bei mir ansetzt, versuche ich, mich zu entspannen. Der Schmerz ist nicht schlimmer als bei einer Impfung. Ein kleiner Stich in den Oberarm, dann ist es schon vorbei. Jetzt prangt da ein erbsengroßes Silberplättchen zwischen meinen Sommersprossen. Aus den offiziellen Erklärungsvideos weiß ich, dass sie unsere Blutwerte messen, von Dad kenne ich die drei wichtigsten Parameter: Sauerstoffsättigung, Hormonspiegel, Blutzucker. Das sind genau die Fakten, auf die ich mich konzentriere, als ich weiter zu den Cases laufe. Fakten. Keine Gefühle. Ich weiß, dass die Bikes eigentlich Ergometer heißen. Sie bewegen sich nicht von der Stelle, aber sie geben Aufschluss darüber, ob das Herz-Kreislauf-System auch unter Belastung richtig funktioniert.
»Bitte gehen Sie immer weiter durch, bis alle CardioCases belegt sind«, weist uns eine Behandelnde an.
Ich bekomme eine der hinteren Kabinen. Kaum habe ich mich aufs Ergometer gesetzt, stellt sich der Sattel auf meine Höhe ein. Er ist bequemer, als er aussieht, an den Pedalen sorgen Halterungen dafür, dass man nicht abrutscht. Erst als alle sitzen, schließt sich die Glastür hinter uns. Es zischt.
»Die hermetische Abriegelung wurde eingeleitet«, säuselt AISS, was heißt, dass der benötigte Sauerstoff gleich nur noch aus den kleinen Löchern am Boden kommt. So kann genau gemessen werden, wie viel ich verbrauche.
Als ich die Griffe des Ergometers umfasse, fühlen sich meine Hände schwitzig an. Kein gutes Zeichen. Also, was weißt du noch?, versuche ich mich abzulenken. Mein Blick wandert zu der gläsernen Decke. In den Ecken sitzen schwarze Scanner. Gleich werden sie meinen gesamten Körper durchleuchten, jedes Organ überprüfen und sogar ein CT-Bild meines Gehirns machen. Laut Dad bewegt sich die Strahlenbelastung an der oberen Zulassungsgrenze, weshalb diese Art von Scan nur einmal jährlich erlaubt ist. Was reicht, um einen Großteil der körperlichen Krankheiten frühzeitig erkennen und behandeln zu können.
»Hallo, Maeander«, begrüßt mich AISS noch mal persönlich. Geräusche von außen sind nicht mehr zu hören. »Bitte halten Sie in der nächsten Minute so still wie möglich. Der BodyScan beginnt in drei … zwei … eins …«
Ein Piepton signalisiert den Start. Ich sitze stocksteif auf dem Ergometer und wage es kaum zu atmen. Bewegt man sich zu viel, verwackeln die Scans und man wird zu einer manuellen Nachuntersuchung geschickt, die deutlich länger dauert.
»Erledigt«, verkündet AISS schließlich. »Sie können jetzt anfangen, in die Pedale zu treten. Ich werde die Widerstände im Laufe der Sitzung variieren, um verschiedene Belastungsstufen zu simulieren.«
Am Anfang ist es immer leicht. Wie manuelles Biken im ersten Gang – ohne jede Steigung. Irgendwann klickt der erste Widerstand ein, dann wird er Stück für Stück stärker. Schweiß rinnt mir über den Rücken. Allein die Vorstellung, ich könnte so Nicks Herzfrequenz unterbieten, lässt mich auflachen. Ein Fehler. Jetzt fällt mir das Atmen noch schwerer. Ich bin nicht völlig untrainiert, aber Nick ist mindestens fünf Mal pro Woche in dem Fitnessstudio, das Aufsehenden vorbehalten ist. Wahrscheinlich sitzt er immer noch total entspannt auf dem Ergometer, während ich nur darauf warte, dass der Widerstand endlich geringer wird. Der einzige Trost? Ich habe keine Kraft mehr, nervös zu sein. Oder irgendetwas anderes zu spüren als brennende Muskeln und das Verlangen nach mehr Sauerstoff.
Am Ende japse ich förmlich nach Luft. Zum Glück geht es den meisten ähnlich, als wir gleichzeitig aus den Kabinen heraustreten. Wir kriegen alle eine Flasche Wasser und ein Handtuch, ehe wir einen Flur weitergeschickt werden. Er ist deutlich schmaler als der Hauptflur, und wenn man genau hinsieht, merkt man, dass wir in Ring Fünf sind. Da sind ein paar feine Risse in den Fliesen, an einer Deckenplatte schimmert ein gelblicher Fleck. Außerdem sind die Stühle, die den Flur zur linken Seite flankieren, alle aus Plastik. Ich bleibe lieber stehen, denn ich habe keine Lust, mit der nackten Haut an der Sitzfläche kleben zu bleiben.
Gegenüber gibt es eine lange Reihe von Türen, hinter denen die nächsten Untersuchungszimmer liegen. Keine Minute später werde ich aufgerufen.
Im Vergleich zum Saal ist das Untersuchungszimmer winzig. Die vordere Ecke wird von einem Vorhang abgetrennt, in den restlichen Raum quetschen sich ein Tisch mit mehreren Gerätschaften, die Dad sicher alle benennen könnte, ein Rollhocker und der Untersuchungsstuhl, bei dessen Anblick ich den Mund verziehe. Diesen Part hasse ich am meisten. Aber leider lässt sich nicht jede Art von Vorsorge mit ein paar Scans und VitaTrack abdecken.
»Maeander!« Eine Behandelnde tritt aus dem Schatten des Vorhangs. »Ich wusste doch, dass ich mich bei dem Namen nicht verlesen habe. Oliver und ich haben noch letzte Woche von dir gesprochen, aber ich hätte nicht gedacht, dass wir uns so schnell persönlich wiedersehen.«
Von mir gesprochen?...
Erscheint lt. Verlag | 28.2.2024 |
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Reihe/Serie | Honesty-Trilogie | Honesty-Trilogie |
Illustrationen | Charly Kopka |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | AISS • Booktok • Boy in a White Room • Dystopie Jugendbuch • enemy to lovers • eternity • Fantasy Romance • Forbidden Love • forced proximity • Future Fiction • Gameshow • Jugendbuch ab 14 • Jugendbuch Bestseller 2024 • Jugendbuchreihe • Künstliche Intelligenz in Jugendbüchern • Neal Shusterman • Pageturner • selection • Selection Reihe • Sestiby Trilogie • Urban Fantasy • VeriTab • YA • young adult fantasy |
ISBN-10 | 3-7336-0525-X / 373360525X |
ISBN-13 | 978-3-7336-0525-4 / 9783733605254 |
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