Emily Windsnap - Die Entdeckung (eBook)
240 Seiten
Fischer Sauerländer Verlag
978-3-7336-4383-6 (ISBN)
Als Liz Kessler im Alter von neun Jahren ihr erstes Gedicht veröffentlichte, hatte sie sich nicht träumen lassen, dass sie einmal eine der erfolgreichsten Autorinnen der Welt werden würde. Ihre Kinderbücher über das Meermädchen ?Emily Windsnap? und die Feenfreundin ?Philippa? sind internationale Bestseller und haben sich weit über sechs Millionen Mal verkauft. Für ihren Roman ?Als die Welt uns gehörte? wurde sie mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2023 (Jugendjury) ausgezeichnet.
Als Liz Kessler im Alter von neun Jahren ihr erstes Gedicht veröffentlichte, hatte sie sich nicht träumen lassen, dass sie einmal eine der erfolgreichsten Autorinnen der Welt werden würde. Ihre Kinderbücher über das Meermädchen ›Emily Windsnap‹ und die Feenfreundin ›Philippa‹ sind internationale Bestseller und haben sich weit über sechs Millionen Mal verkauft. Für ihren Roman ›Als die Welt uns gehörte‹ wurde sie mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2023 (Jugendjury) ausgezeichnet. Eva Riekert ist nach längerer Verlagstätigkeit als freischaffende Übersetzerin und Lektorin, vor allem in den Bereichen Kinder- und Jugendliteratur und Junge Erwachsene, tätig. Sie lebt in der Nähe von Husum. Für ihre Übersetzung von »Als die Welt uns gehörte« von Liz Kessler wurde sie mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2023 (Jugendjury) ausgezeichnet.
1
»Emily! Ich sag es nicht noch mal.« Ich öffnete ein Auge und sah, wie Mum den Vorhang vor dem Bullauge in meiner Kabine zurückzog. Draußen hing der ovale Mond tief im schwarzblauen Himmel. Letztes Viertel, schoss es mir automatisch durch den Kopf. Wir hatten in der Schule die Mondphasen durchgenommen. »Es ist doch noch ganz dunkel«, jammerte ich, zog die Decke übers Gesicht und kuschelte mich wieder in mein Kissen.
»Es ist halb acht«, erwiderte Mum und hockte sich auf meine Bettkante. Sie schlug die Decke zurück und küsste mich auf die Stirn. »Nun mal los, meine Zuckerschnute«, sagte sie. »Du kommst sonst zu spät zur Schule.« Als sie sich erhob, murmelte sie noch: »Viel versäumen würdest du da zwar nicht. Sie haben euch dort bisher nicht gerade viel Brauchbares beigebracht.«
Sie war aus dem Zimmer, ehe ich antworten konnte.
Ich blieb liegen, starrte an die Decke und stieß einen tiefen Seufzer aus. Mum schien in letzter Zeit ziemlich niedergeschlagen. Es war das dritte Mal in dieser Woche, dass sie wegen irgendwas unzufrieden war. Ich persönlich fand überhaupt nicht, dass es was zu beklagen gab. Wir lebten auf einer wunderschönen geheimen Insel: Mum, Dad und ich, vereint auf einem schnittigen alten Holzschiff, das halbversunken im goldenen Sand und im glitzernden Wasser lag, das die gesamte Insel umgab. Meerleute und Menschen in friedlichem Miteinander.
Mir ist klar, dass Letzteres nicht unbedingt zu jedermanns Idealvorstellung vom Leben gehört, aber wenn die Mutter ein menschliches Wesen, der Vater ein Meermann und man selbst halb und halb ist, dann ist das doch nicht unpraktisch.
Ich zog meinen Badeanzug an und setzte mich zu Mum an den Frühstückstisch. Der stand wie alles auf unserem Boot schief, deshalb musste ich meine Cornflakes-Schüssel beim Essen festhalten.
Dad kam an die Falltür geschwommen, die sich neben meinem Platz im Boden befand, und zog sich hoch, um mir einen Kuss auf die Wange zu geben. »Guten Morgen, mein kleiner Seestern«, sagte er lächelnd. »Bist du bereit, dass ich dich in Meereskunde abfrage?«
»Leg los!«, sagte ich.
Dad kratzte sich den Kopf. »Wie groß kann eine Japanische Riesenkrabbe werden?«
»Drei Meter Durchmesser«, sagte ich, ohne zu zögern.
»Sehr gut. Hm. Welche Farbe hat ein gestreifter Schmetterlingsfisch?«
»Schwarz und Silber. Zu einfach!«
»Einfach sinnlos, sollte man wohl eher sagen«, murmelte Mum vor sich hin. Was hatte sie bloß?
Dad sah sie stirnrunzelnd an. »Nicht schon wieder!«, sagte er seufzend. »Was ist nur los mit dir? Willst du nicht, dass deine Tochter gut in der Schule ist?«
»Es tut mir leid«, erwiderte sie und griff nach Dads Hand. »Es ist nur …«
»Was? Was ist es? Sie lernt eine Menge, sie hat Spaß daran, und sie bekommt gute Noten. Ich könnte nicht stolzer auf sie sein.« Dad zwinkerte mir zu, während er das sagte. Ich lächelte zurück.
Dad und ich hatten uns nicht so gut verstanden, als wir auf der Rundum-Insel eingetroffen waren. Also, auch nicht direkt schlecht; es war einfach nicht leicht gewesen. Ich hatte den größten Teil meines Lebens ohne ihn verbracht, und wir wussten nicht so recht, worüber wir uns unterhalten oder wo wir überhaupt anfangen sollten.
Bis vor kurzem hatte ich gar nichts von seiner Existenz gewusst. Erst vor ein paar Monaten hatte ich herausgefunden, wer ich selbst war – dass ich ein Meermädchen wurde, wenn ich ins Wasser eintauchte. Am Anfang jagte es mir immer einen Schrecken ein. Als es das erste Mal passierte, wusste ich überhaupt nicht, was los war. Das war ausgerechnet im Schwimmunterricht in der Schule gewesen. Dann gewöhnte ich mich allerdings daran, und nachts schlich ich mich davon, um im Meer zu schwimmen. Auf diese Weise habe ich meine beste Freundin Shona kennengelernt. Sie ist auch ein Meermädchen. Ein richtiges Vollzeitmeermädchen. Sie hat mir dabei geholfen, meinen Dad zu finden. Das war der schönste Tag meines Lebens, als ich mich in Neptuns Gefängnis stahl und Dad zum ersten Mal begegnete.
Ich nehme an, ich musste mich erst mal an alles gewöhnen. Aber die letzten paar Wochen waren genial gewesen, nachdem die ganze leidige Geschichte mit dem Kraken überstanden war. Der Krake, das ist das schrecklichste, angsteinflößendste Meerungeheuer der Welt, und ich hatte es versehentlich aufgeweckt! Seit jenem Abenteuer sind Dad und ich jeden Tag zusammen geschwommen und haben den goldenen Grund um die Rundum-Insel erforscht; sind mit den bunten Fischen, die hier überall das Wasser bevölkern, um die Wette geschwommen; haben zwischen den Korallen Fangen gespielt. Dad wurde ganz offiziell zum besten Vater der Welt.
»Genau das ist es ja«, sagte Mum gerade. »Du könntest nicht stolzer sein. Und du hast auch allen Grund, stolz zu sein. Stimmt, Emily macht große Fortschritte in …« Sie unterbrach sich, um nach dem Stapel Schulbücher zu greifen, den ich am Tag zuvor mitgebracht hatte. Ich liebte meine Schulbücher geradezu. Sie waren völlig anders als alle Schulbücher, die ich je zuvor gehabt hatte, das stand mal fest! Erstens waren sie alle aus dem tollsten glänzenden Material gemacht oder aus Seegras gewoben und mit Muscheln und Perlen verziert. Und zweitens behandelten sie die zischigsten Fächer! Nie hatte mir die Schule so viel Spaß gemacht.
»… in Meer- und Nixenkunde«, las Mum von dem obersten Buch ab. Sie zog noch ein paar Bücher aus dem Stapel. »Oder Segeln und Sterngucken oder Haarflechten für das Meermädchen von heute. Also wirklich!«
»Was, also wirklich?«, fragte Dad, und seine Stimme klang beleidigt und angespannt. »Warum sollte sie diese Dinge nicht lernen? Es liegt ihr im Blut. Was genau gefällt dir nicht daran, Mary?«
Jetzt wusste ich, dass wirklich etwas nicht stimmte. Kein Mensch nennt Mum jemals Mary, schon gar nicht Dad. Die meisten sagen Mary P. zu ihr, weil ihr zweiter Name Penelope ist. Und Dad hat sie immer Penny genannt, oder er nennt sie seinen Glückspenny, wenn sie besonders gefühlsduselig sind. Was schon seit einiger Zeit nicht mehr der Fall gewesen war, wenn ich es recht bedachte. Und während mir das so durch den Kopf ging, musste ich zugeben, dass Mum nicht ganz unrecht hatte. Also, versteht mich nicht falsch. Ich liebte die neuen Schulfächer. Aber möglicherweise fehlten mir meine alten Fächer auch manchmal, ein bisschen wenigstens. Vielleicht auch nur Englisch. Ich habe immer so gern Aufsätze geschrieben. Sogar Diktate haben mir Spaß gemacht. Aber nur, weil ich gut darin war.
»Was schlecht daran ist«, sagte Mum, »ist Folgendes: Während du dich vielleicht freust, dass deine Tochter nichts weiter lernt, als sich vorbildlich die Haare zu kämmen und die Tageszeit von den Wolken abzulesen, wünsche ich mir doch, dass meine Tochter eine fundierte Schulbildung bekommt.«
»Meine Tochter, deine Tochter? Das klingt bei dir ja so, als wären es zwei verschiedene Personen«, sagte Dad. Ich konnte sehen, wie das Wasser unter dem Schiffsboden heftig in Wallung geriet, weil er ärgerlich mit dem Fischschwanz schlug. Es spritzte sogar auf den Küchenboden.
»Ja, das ist vielleicht auch der Fall«, sagte Mum kurz angebunden, nahm ein Geschirrtuch zur Hand und wischte den Boden auf. Dann sah sie zu mir hoch, und ihre Züge wurden freundlicher. »Nein, das ist natürlich nicht der Fall. Sie besteht überhaupt nicht aus zwei Personen. Emily kann nichts dafür.« Mum lächelte zu mir hoch und ergriff meine Hände. Ich zog sie weg und wandte im gleichen Moment das Gesicht ab, so dass ich den verletzten Blick ihrer Augen nicht sehen konnte. Das ist nämlich etwas, was ich gar nicht gut ertragen kann.
Aber es war so ungerecht. Sie war so ungerecht. Noch nie im Leben hatte mir die Schule so viel Spaß gemacht! Zugegeben, es war vielleicht schön, ab und zu auch Aufsätze zu schreiben, aber was war schon so schlimm daran, dass ich keine Sprache und Logarithmen oder Brüche oder Französisch lernte? Wer behauptete denn, dass einem das was nützte? Musste ich denn wirklich wissen, wie viel John pro Woche verdient, wenn er vier Prozent Provision und drei Prozent Zinsen bekommt? Es war doch bestimmt wichtiger, über meine Umgebung Bescheid zu wissen! Wenn ich wusste, welche Fische die gefährlichsten und welche die harmlosesten waren. Wenn ich lernte, wie andere Meermädchen auszusehen und mich so zu verhalten wie richtige Meermädchen. Selbst wenn ich mir manchmal ein bisschen komisch vorkam, auf einem Felsen zu hocken und mein Haar zu kämmen, lernte ich doch, dazuzugehören. Waren Mum solche Dinge gar nicht wichtig? Wollte sie nicht, dass ich mich wohl fühlte?
Ich widmete mich wieder meinem Frühstück.
Mum holte Luft. »Es sind eben zwei unterschiedliche Welten«, sagte sie leise. »Und manchmal frage ich mich, ob sie vielleicht einfach zu verschieden sind. Ich meine, seht euch doch mal mein Leben hier an. Was mache ich den ganzen Tag? Sonnenbaden, mein Haar kämmen, vielleicht zweimal die Woche zum Synchronschwimmen gehen. Das ist kein Leben für mich, Jake. Ich möchte mehr als nur das.«
Eine Ewigkeit lang sagte keiner ein Wort. Mum und Dad starrten sich stumm an. Ich hatte gerade einen Löffel Cornflakes genommen und wagte nicht zu kauen, falls es zu laut knuspern könnte, deshalb saß ich mit dem Mund voll Flocken und Milch da und wartete, dass einer von ihnen was sagte.
»Wir reden später darüber. Ich muss los«, sagte Dad schließlich, und ich schluckte meine Cornflakes herunter. Sie waren inzwischen so matschig, dass man sie sowieso nicht mehr kauen musste.
Dad verschwand so schnell, dass er mir nicht mal mehr einen Kuss...
Erscheint lt. Verlag | 2.5.2024 |
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Reihe/Serie | Emily Windsnap | Emily Windsnap |
Übersetzer | Eva Riekert |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre |
Schlagworte | Abenteuer • abenteuergeschichten mädchen • Alea Aquarius • buch für mädchen 10 jahre • Emily Windsnap • erfolgreiche Serie • Fluch • Freundschaft • Kinderbuchreihe • Kinderbuchserie • Mädchenbuch ab 10 • Mädchengeschichten • Magische Geschichten • Meer • Meeresabenteuer • Meerjungfrau • meerjungfrauen geschenke • Meerjungfrauen Geschichten • Meermädchen • Meermenschen • Moderne Märchen • Neptun • Nixe • sagen für kinder • See |
ISBN-10 | 3-7336-4383-6 / 3733643836 |
ISBN-13 | 978-3-7336-4383-6 / 9783733643836 |
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