Guilty - Du wirst dafür büßen (eBook)

Das Finale der atemraubenden Thriller-Reihe
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
256 Seiten
cbt Jugendbücher (Verlag)
978-3-641-30987-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Guilty - Du wirst dafür büßen -  Jean-Christophe Tixier
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Aus dem Gefängnis gevotet: Jeder darf ihn jagen. Jeder darf ihn töten. Und jeder darf ihm helfen.
Helena ist 21 und Aktivistin bei den Partisanen für mehr Volksgerechtigkeit. In einer Gesellschaft, die Lynchjustiz per App eingeführt hat, wendet sie sich gegen die neuen Gesetze und setzt sich dafür ein, dass die Gejagten eine normale Strafe verbüßen können. Doch als der wegen Kindsmissbrauch verurteilte Richard Clarke zur Jagd freigegeben wird, geraten all ihre Prinzipien ins Wanken. Die Gespenster ihrer Vergangenheit erwachen und zum ersten Mal beginnt sie die Regeln zu brechen.
Ein atemloser Thriller zum Thema Hatespeech, »Like«-Kultur und Manipulation

Alle Bände der »Guilty«-Reihe:

Guilty - Du wirst nicht entkommen (Band 1)

Guilty - Dafür wirst du zahlen (Band 2)

Guilty - Du wirst dafür büßen (Band 3)

Jean-Christophe Tixier war 20 Jahre Lehrer, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Er ist Autor zahlreicher Romane verschiedener Genres für Jugendliche und Erwachsene, außerdem schreibt er Comics und Hörspiele. Jean-Christophe Tixier lebt in Pau und in Paris.

1


Tag 1, 03.50 Uhr

»Halte dich bereit!«

Das Knistern in Helenas Headset ist so laut, dass sie die Anweisung kaum hört. Trotzdem versteht sie sofort.

Alle Muskeln in ihrem Körper spannen sich an. Sie ist bereit. Ihre Aufgabe bei diesem Einsatz ist klar: Sie soll die Zielperson abfangen, falls sie über den Notausgang zu fliehen versucht. An der Wand, an der sie lehnt, blättert der Putz ab, das Mauerwerk ist feucht, schlammfarben, es riecht nach Zwiebeln und altem Frittierfett. Die Atmosphäre könnte gemütlicher sein.

Helena konzentriert sich, lauscht auf das geringste Geräusch, das ihr einen Hinweis geben könnte. Nichts. Völlige Reglosigkeit. Nur ihr eigener Atem durchbricht die Stille. Übertönt das laute Pochen ihres Herzens.

Durch das kleine Fenster dringt ein schwacher Widerschein der Lichter der Stadt ins enge Treppenhaus. Im Stockwerk über ihr sind sie zu dritt: einer, um mit der Zielperson zu verhandeln, sie zu überzeugen; zwei andere, um sie zu packen und mit Gewalt fortzubringen, falls sie sich widersetzt. Auf der Straße wartet ein Auto, jede Sekunde startklar. Dort sind zwei weitere Männer auf ihren Posten, die für den sicheren Ablauf der Aktion sorgen und allen Signal geben sollen, falls sich eine Gruppe von Lynchjägern nähert.

Die Situation flößt Helena keine Angst ein. Sie hat das bei ihrer Ausbildung unzählige Male eingeübt. Sie ist nur noch etwas konzentrierter als sonst, alle ihre Sinne sind in Alarmbereitschaft. Und auch wenn sie es nur ungern gesteht: Sie liebt solche Einsätze, bei denen die Spannung ins beinah Unerträgliche steigt. Wenn vollkommen unklar ist, was in der nächsten Sekunde geschieht. Bei denen man sofort reagieren muss, egal worauf. Es darf da keine Fehler geben. Gibt es bei ihr normalerweise auch nicht. Aber diesmal verspürt sie ein Unbehagen … so etwas wie ein ungutes Gefühl oder eine düstere Vorahnung. Sie schiebt es darauf, dass sie von jetzt auf gleich für einen Kollegen einspringen musste, der unglücklich gestürzt ist. Deshalb musste sie ran. Nein sagen gibt es nicht. Als sie sich damals den Partisanen für mehr Rechtsgerechtigkeit anschloss, wusste sie, dass die Untergrundorganisation mit militärischer Strenge geführt wird. Bei den PFR sind Ordnung, Härte und Disziplin angesagt. Nur so können die Kommandos ihre Aktionen ausführen und die Freigelassenen erfolgreich exfiltrieren, damit sie ihre Gefängnisstrafe abbüßen. Die Gruppe ist ein radikaler Gegner der sogenannten Volksjustiz, deren Verfahren darin besteht, einzelne freigelassene Häftlinge dem Hass und der Mordlust von Lynchjägern auszuliefern.

Helena dreht den Kopf, wirft noch einmal einen Blick zur Seite, zählt die Stufen jedes Treppenabsatzes, um sicher zu sein, dass sie bei einem überstürzten Rückzug nicht ins Leere tritt und stolpert. Sieben Stufen, dann ein Absatz, nach der nächsten Ecke vier. Danach acht.

Sie schaut auf die Uhr. Die Sekunden vergehen im Schneckentempo. Zeit ist nur noch eine träge Masse. Sie dürfen sich davon keinesfalls anstecken lassen. Wenn sie das Risiko ihres Einsatzes so niedrig wie möglich halten wollen, müssen sie schnell handeln.

»Eine Minute«, kommt es aus dem Headset.

Ihre Zielperson ist eine Frau, fünfundzwanzig Jahre, verurteilt wegen körperlicher Misshandlung ihres Säuglings. Freigelassen aufgrund des Gesetzes zur vorzeitigen Haftentlassung. Auf der App Guilty hatte sie die Schwelle von drei Millionen Klicks geknackt. Wochenlang machten Kinderschutzverbände Druck und warben überall für ihre Freilassung. Gestern war es dann so weit.

»Dreißig Sekunden.«

Helena stellt sich ihre drei Kollegen ein Stockwerk höher vor, wie sie auf das Signal zum Einsatz warten. Danach wird einer von ihnen an die Wohnungstür klopfen und behutsam in Verhandlungen eintreten, falls die Zielperson nicht öffnet. Wird versuchen, ihr Vertrauen zu gewinnen. Erläutern, dass es für die Situation eine Lösung gibt. Wird alles daransetzen, eine Zustimmung zu erreichen. Falls die Zielperson sich weigert, sind die Anweisungen klar: Der Kollege, der fürs Verhandeln zuständig war, gibt den beiden anderen Zeichen, dass sie die Tür eintreten und die Person notfalls mit Gewalt ergreifen sollen. Ein besonders heikler und riskanter Moment, denn wenn ein Mensch sich in die Enge getrieben fühlt, können die Reaktionen sehr heftig, sogar aggressiv ausfallen. Es gibt solche, die glauben, auch ohne Hilfe den Lynchjägern entkommen zu können; andere, die glauben, dass für sie mit der Haftentlassung tatsächlich ein Leben in Freiheit beginnt; und dann gibt es solche, die noch niemals von der Untergrundorganisation PFR gehört haben oder den Partisanen nicht vertrauen.

»Wir gehen rein.«

Die Luft um Helena herum wird auf einmal kälter. Trotzdem brennt ihr jeder Atemzug in der Kehle. Mit dem Handrücken wischt sie sich den Schweiß von der Stirn. Sie hört, wie über ihr an die Tür geklopft wird, dann die Rufe ihres Teamkollegen.

»Rachel, wir sind von den Partisanen für mehr Rechtsgerechtigkeit. PFR. Bestimmt haben Sie schon mal von uns gehört? Da draußen gibt es jede Menge Leute, die Ihnen etwas antun wollen. Wir sind hier, um Ihnen zu helfen.«

Kein Laut zu hören.

»Wir sind hier, weil wir uns Sorgen um Sie machen. Wir wollen Ihnen helfen. Wir wollen verhindern, dass andere Ihnen etwas antun. Bitte machen Sie auf!«

Ein Augenblick vergeht. Dann klopft der Unterhändler ein weiteres Mal an die Tür.

»Rachel? Hören Sie mich?«

»VERPISST EUCH!«, brüllt eine Frauenstimme.

Helena sieht vor sich, wie der Unterhändler einen Schritt zurücktritt. Wie die beiden anderen vor der Tür Stellung beziehen. Einer von ihnen holt mit dem Fuß aus. Tritt die Wohnungstür ein. Zersplitterndes Holz. Schnelle Schritte sind zu hören, Schreie. Eine Tür wird zugeknallt. Erneut Schritte. Noch lautere, grellere Schreie. Ein dumpfer Aufschlag. Das muss der Körper der Zielperson sein, die jetzt auf den Boden gepresst wird. Helena wartet auf die Bestätigung aus dem Kopfhörer, dass diese Etappe der Operation erfolgreich durchgeführt ist. Jetzt muss sie gleich das Einsatzteam mitsamt Zielperson nach hinten decken und mögliche Lynchjäger fernhalten. Die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, die Lynchjäger von der eigentlichen Aktion ablenken. Mit den bewaffneten Befürwortern des Gesetzes diskutieren, aber sie nicht verbal attackieren. Darauf achten, dass die Situation keinesfalls eskaliert. Auch dafür ist sie ausgebildet worden.

Ein Stockwerk höher ist die Lage offenbar unübersichtlich. Weiterhin hastige Schritte. Stimmen und Rufe. Soll sie nach oben gehen? Ist das Team in eine Falle geraten? Helena legt den Finger auf den Kopfhörer, damit er optimal sitzt und sie keinen Laut verpasst. Die Bestätigung kommt nicht, auch kein Hilferuf. Helena steigt vorsichtig ein paar Treppenstufen höher, reckt sich zu dem kleinen Fenster. Um nach draußen zu blicken, muss sie sich auf die Zehenspitzen stellen. Sie mustert die Straße. Nichts. Das geparkte Auto, das startklar auf sie wartet. Kein Mensch zu sehen. Nur die beiden Kollegen, die als Späher drunten auf ihren Posten sind. Sie versucht, ihnen ein Zeichen zu geben. Will wissen, ob sie etwas beobachtet haben. Aber keiner der beiden schaut in ihre Richtung. Über ihr hat der Lärm aufgehört.

»Rachel, hören Sie mir zu! Nur ein, zwei Minuten. Sich im Badezimmer einzuschließen, ist keine Lösung. Dort, wo wir Sie hinbringen, sind Sie in Sicherheit. Es wird Ihnen nichts passieren. Niemand wird Ihnen ein Leid antun. Sie können dort ganz normal ihre Strafe absitzen, und wir versprechen Ihnen, dass wir danach für Ihre Wiedereingliederung sorgen. Rachel, jetzt hierzubleiben, bringt Ihnen nichts. Es gibt jede Menge Menschen, die Ihnen Böses wollen. Die wollen sie tot sehen. Sie werden sich nie sicher fühlen können.«

Helena hört aus einem Leitungsrohr das Geräusch von fließendem Wasser. Wahrscheinlich steht die Frau jetzt vor dem Waschbecken, spritzt sich Wasser ins Gesicht, versucht, den Kopf klarzukriegen. Sie muss in Panik sein, voller Zweifel. Seit die Richterin ihre Freilassung verkündet hat, tobt bestimmt ein Orkan von Gefühlen in ihr. Es kann gar nicht anders sein. Wie soll sie da einen halbwegs klaren Gedanken fassen können?

»Rachel, wir kommen jetzt rein.«

Eine Tür wird gewaltsam aufgestoßen. Wieder ein Durcheinander von Schritten und Rufen. Dann ein fürchterlicher Schrei:

»NEEEEEIIIIIINNNN

Das kleine Fenster wird für den Bruchteil einer Sekunde von einem Schatten verdunkelt. Helena weigert sich, sofort zu verstehen. Stellt sich wieder auf die Zehenspitzen, blickt hinaus. War das ein Gegenstand? Ein Mensch? Sie merkt, wie sich bei ihr im Magen alles verkrampft. Auf den Ohren spürt sie einen so heftigen Druck, dass sie einen Moment nichts mehr um sich herum wahrnimmt. Sie kriegt keine Luft mehr, die Welt schließt sich wie dichter Nebel um sie. Als sie sich nach einer Weile erneut auf die Zehenspitzen stellt und den Oberkörper durch die schmale Fensteröffnung zwängt, um senkrecht nach unten blicken zu können, bestätigt sich ihre Befürchtung. Auf dem Gehsteig liegt im Schein der Straßenlampe ein menschlicher Körper. Eine Frau, die sie aus toten Augen anstarrt. Sie ist mit dem Hinterkopf auf der Bordsteinkante aufgeschlagen. Unter ihrem Kopf breitet sich eine Blutlache aus.

Helena spürt, wie ihr die Beine zu zittern anfangen, aus ihrem Körper entweicht jede Energie. Einen Moment lang hat sie das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden. Da holt sie ein Geräusch aus ihrem Kopfhörer ins Leben zurück. Sie schreckt aus dem Zustand der Lähmung, in dem sie fast...

Erscheint lt. Verlag 15.5.2024
Reihe/Serie Die Guilty-Reihe
Die Guilty-Reihe
Übersetzer Bernadette Ott
Sprache deutsch
Original-Titel Guilty #3 - L’affaire Helena Varance
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte 2024 • ab 14 • Action und Abenteuer für Jugendliche • Black Mirror • Cybermobbing • Die Tribute von Panem • Die Verratenen • eBooks • Elanus • Eleria • Frankreich • Grundrechte • Hatespeech • Hunger Games • Jay Asher • Jugendbuch • Jugendbücher • Lynchjustiz • Nerve • Neuerscheinung • Pädophilie • Selbstjustiz • Sexueller Missbrauch • Shitstorm • social media gefahren • Squid Game • The Purge • Thriller Internet • Thriller neuerscheinung 2024 • Todesstrafe • Ursula Poznanski • Young Adult
ISBN-10 3-641-30987-5 / 3641309875
ISBN-13 978-3-641-30987-9 / 9783641309879
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