Die Scanner (eBook)
192 Seiten
Fischer Sauerländer Verlag
978-3-7336-0758-6 (ISBN)
Robert M. Sonntag heißt eigentlich Martin Schäuble. 1978 geboren, studierte er in Berlin, Israel und Palästina Politik und promovierte nach dreijähriger Recherche über zwei Dschihadisten. Als Autor ist er für seine kritischen Jugendbücher bekannt, die vielfach als Schullektüre eingesetzt werden. Bei Hanser veröffentlichte er den vielbeachteten Titel »Endland«, bei Fischer KJB ist sind von ihm bereits »Die Scanner « sowie »Sein Reich« erschienen.
Robert M. Sonntag heißt eigentlich Martin Schäuble. Er studierte in Berlin, Israel und Palästina Politik und promovierte nach dreijähriger Recherche über zwei Dschihadisten. Als Autor ist er für seine kritischen Jugendbücher bekannt, die vielfach als Schullektüre eingesetzt werden. Bei Hanser veröffentlichte er den vielbeachteten Titel »Endland«, bei Fischer KJB ist sind von ihm bereits die »Die Gesannten« sowie »Sein Reich« erschienen. Schäuble kam 1978 auf die Welt – seine Romanfigur Rob Sonntag 2010. Es ist die Generation seiner Söhne. Wie die Zukunft dieser Kinder aussehen könnte, wollte Martin Schäuble in seinem Jugendroman »Die Scanner« ergründen.
Der Alte
Mzzzp. Die Tür zu unserem Abteil im Metro-Gleiter glitt auf. »Guten Tag, ich bin Lukas. ’tschuldigen Sie bitte die Störung. Ich lebe seit fünf Monaten in der C-Zone. Und ich bin leider auf Ihre Hilfe angewiesen. Wenn Sie vielleicht ein wenig Geld für mich haben …«
Er zeigte auf den mobilen Zahlungsempfänger, der an seinem Gürtel hing.
»… oder auch ein paar Aroma-Tabletten, ein paar Stunden Account für meine Mobril …«
Er tippte auf die Mobril-Fassung auf seinem Kopf. Sie hatte nur noch auf einer Seite ein Glas und reagierte auf sein Pochen mit einem Mzzzp. Das andere Auge schaute uns unverglast, direkt an.
»Freue mich über alles. Und ’tschuldigen Sie nochmals die Störung.«
Ich hasste diese C-Zonler. Sie erinnerten mich an den allseits drohenden Abstieg von der A- in die Chaos-Zone, wie wir A-Zonler die C-Zone nannten. Und sie erinnerten mich an Nomos. Meinen Chef. »Quote erfüllen oder ab mit euch in die C-Zone!«, sagte er immer. Ich hasste Nomos wie diesen C-Zonler. Und ich hasste diesen Metro-Gleiter.
Mit einer riesigen Geschwindigkeit schoss er auf einem Magnetgleis durch die Stadt. Der Gleiter beschleunigte und bremste im Minutentakt. Von Station zu Station. Die vielen Kurven machten mir schwer zu schaffen.
Wir saßen zu dritt im 20er-Abteil. Ich presste die Hände auf die Armlehnen. Gegenüber von mir saß Jojo, mein bester Freund. Neben mir ein alter Mann, mit dem die ganze Sache begann.
Es war eine meiner letzten Fahrten mit dem Metro-Gleiter. Ich meine nicht in dieser Woche oder so. Sondern überhaupt in meinem Leben. In wenigen Tagen sollte das alles für mich Altwissen sein. Aber davon ahnte ich nichts in dieser Minute, in der ich mit Jojo und dem Alten im Abteil saß.
Der Alte neben mir nickte dem C-Zonler zu. Der lächelte und deaktivierte seinen mobilen Zahlungsempfänger. Mzzzp. Wir waren wieder alleine in unserem Abteil. Ohne den C-Zonler. Der Alte blieb. Er hatte graue, lange Haare. Aus dem schwarzen Kapuzenpullover schaute ein gelber Hemdkragen.
Ich war perplex. Ich hatte real noch nie einen Menschen mit so vielen Haaren gesehen. Ich hatte eine Glatze, Jojo auch. Alle in diesem Gleiter vermutlich. Egal wie alt. Egal ob Frau oder Mann. Es war eine reine und rasierte Welt. Sie war glatzig. Glatzig und gut.
Ich starrte den alten Mann an. Er blickte kurz auf und lächelte. Ich fühlte mich ertappt und schaute aus dem Fenster. Schwarze Betonstreifen zogen vorbei. Jeder Streifen ein Wohnblock. Jeder Wohnblock 200 Familien. Jede Familie ein Kind. Vorausgesetzt, die Zonenregierung stimmte dem Antrag der Eltern zu.
Es durfte ja nicht jeder ein Kind haben. Wie meine Nachbarn zum Beispiel. Sie hatten zwar den Finanzcheck bestanden (beide A plus). Doch beim Gen-Eignungstest waren sie durchgefallen (über 1,3 Prozent Abweichung vom Normwert!).
Regentropfen klatschten ans Fenster unseres Abteils und zogen dünne Spuren.
»Müssen morgen mal in der Parkhalle suchen«, sagte Jojo.
»Das wird ewig dauern. Was macht unsere Quote?«, fragte ich.
»Wir liegen zurück. Nur zwei die Woche.«
Ich presste die Lippen zusammen und schüttelte langsam den Kopf. Zwei war richtig schlecht. Das reichte längst nicht, um alle Rechnungen zu bezahlen. Von Woche zu Woche spürten Jojo und ich weniger auf.
»Weißt du noch am Anfang?«, fragte ich.
»Vor lauter Scannen kaum Zeit zum Atmen«, sagte er.
Jojo und ich arbeiteten für die Scan AG – ein Tochterunternehmen des Weltkonzerns Ultranetz. Unser Arbeitgeber wollte die glatzige Welt papierfrei machen. Alles Wissen für alle! Jederzeit! Kostenlos! lautete das Motto. Wir halfen der Scan AG bei der Verwirklichung dieses Traumes. Jojo hatte mich reingeholt. Und ich träumte mit.
»Die Zeit der Buchagenten ist vorbei«, sagte Jojo.
Ich zählte nicht mehr die grauen Häuserblocks, hatte bei 132 aufgehört. »Vielleicht machen wir was falsch?«
»Wir haben einfach schon alle Leser gefunden«, sagte Jojo. »Alle Bücher schon gekauft. Allen Quatsch schon gescannt.«
Jojo war der Pessimist des Tages.
»Und wenn wir die Abteilung mal wechseln?«, schlug ich vor.
»Will keine verstaubten Landkarten suchen.«
»Notizblöcke?«
»Nein!«
»Printbriefe?«
»Vergiss es einfach. Und bevor du fragst: auch keine verschimmelten Ordner voller Papier.«
»Vielleicht sind die anderen Teamchefs etwas …«
»… netter als Nomos? Träum weiter!«
Nomos jagte uns in der Zentrale von Seminar zu Seminar, von Meeting zu Meeting. Er händigte uns das Bargeld aus, mit dem wir die Leser überredeten. Und er gab uns unseren Anteil. Der Verdienst war nicht besonders. Aber besser als nichts.
Bevor ich bei der Scan AG angefangen habe, hatte ich verzweifelt einen Job gesucht. Mein Altwissen-Studium musste ich nach ein paar Monaten abbrechen. Die Studiengebühren waren zu hoch. Ich konnte mir keine Mobril-Vorlesung mehr leisten. Ganz zu schweigen von den Real-Veranstaltungen an der Uni. Selbst in der letzten Reihe waren die Preise noch unverschämt teuer.
Erst wollte ich es nicht wahrhaben. Ich suchte nach Nebenjobs. Aber auch die alte Lehrmeisterin konnte mir nicht helfen. So nannte ich meine Lieblingsprofessorin. Sie schickte mir Anzeigen über die Mobril zu. Täglich.
Schnellkurs: In vier Wochen zum Allfach-Lehrer (B-Zonen-Lizenz).
Seniorenlager in C-Zone sucht engagierte Pflegekräfte – auch ohne Vorkenntnisse.
Nach meinem Studienabbruch fand ich dank Jojo immerhin dieses Buchagenten-Ding. Als ich längst für Ultranetz arbeitete, erhielt ich immer noch ihre Anzeigen. Irgendwann löschte die Zonenverwaltung das Studienfach. Altwissen hatte von einer privaten Prüfagentur (Master & Partner) ein mieses Rating bekommen.
Zu wenig Sponsorengelder, hieß es in einer Erklärung der Zonenverwaltung, erfordern diesen wichtigen Schritt. Und: Es ist ein Schritt in die Zukunft! Sogar ich hatte dafür bald Verständnis. Alles Altwissen war längst digitalisiert. Jeder konnte es auf Lexi-Ultranetz abrufen. Jederzeit! Kostenlos!
Mein Chef Nomos hatte mich im Vorstellungsgespräch ausgelacht, als er von meiner Unizeit hörte.
»Altwissen? Was wolltest du damit anfangen?«
»Ich interessiere mich für Politik. Also, bin neugierig … Und dachte, vielleicht …«
Er unterbrach mich und schrie mich an. »Studiere die Zukunft! Sei wirklich neugierig, nicht altgierig. Verstanden?«
Ich verstand und bekam den Job.
Die Zonenverwaltung verkündete an der Uni das Ende von Altwissen, und meine alte Lehrmeisterin war verschwunden. Spurlos. Ohne eine Mobril-Nachricht. Ich erhielt von ihr keine Anzeigen mehr. Keine Ratschläge. Nichts.
Ich machte mir Sorgen. Eine Weile suchte ich in ihrem Ultranetz-Profil nach Familienmitgliedern. Sie hatte nur 500 eingetragene Freunde (ich: 8500) und keine besten Freunde mit Premium-Status (ich: 650).
Ich schickte eine Nachricht an all ihre Freunde. B-Zonen-Joni antwortete als Einziger. Sie kam nach der Abschiedsrede an der Uni nicht mehr nach Hause. Keine Ahnung, woher das B-Zonen-Joni wusste. In der B-Zone lebte sie sicher nicht.
Die Arbeit mit Jojo bei Ultranetz lenkte mich ab. Ich kannte ihn seit der Schulzeit. Und bei den Abschlusstests waren wir ein gutes Team. Ich machte seine Prüfung in Altwissen (Schwerpunkt: 2015 – vom Finanzkollaps zum Krieg), Jojo meine in Mathe (keine Ahnung, welches Thema).
Wir tauschten dazu einfach unsere Mobrils aus. Schummeln interessierte sowieso keinen. 400 Schüler saßen in der Halle dicht an dicht nebeneinander. Lehrer hab ich in den letzten Schuljahren nur noch in der Mobril gesehen. Wenn überhaupt. Jojo studierte nach der Schule an einer Privatuni von Ultranetz. Dort muss er wohl zu viel herumgespielt haben und landete schließlich bei den Buchagenten.
Jojo und ich schwiegen uns nun schon eine Weile im Metro-Gleiter an. Ich zählte wieder Wohnblöcke. Ich würde Jojo später ausrechnen lassen, wie viele Leute in diesem Quartier wohnten. So weit kam es nicht. Der alte Mann neben mir packte ein Buch aus. Bestimmt hatte er unser Gespräch mitbekommen und wollte das Geld.
»Was wollen Sie für das Bündel Papier haben?«, fragte Jojo keine zwei Sekunden später. Wir sagten nie Bücher. Wir sprachen in Altsprech von Wälzern, Schmökern, Schwarten oder Schinken.
Das lernten wir bei Nomos in der Zentrale. Dort wiederholte er Seminar für Seminar den Satz: »Denkt an unseren Traum! Alles Wissen für alle! Jederzeit! Kostenlos!«
Der Alte antwortete nicht auf Jojos Frage. Er schlug sein Buch auf. Lehnte sich zurück. Und las darin. Jojo gab nicht so schnell auf. »Würde sagen, ich gebe Ihnen einen Zehner.«
Das war lächerlich wenig, doch so hatten Jojo und ich am meisten Erfolg. Immer nannten wir zuerst einen winzigen Betrag. Daraufhin verteidigten die Leser ihr Papierbündel.
»Das Buch ist unverkäuflich.«
»Das gedruckte Wort ist unbezahlbar.«
»Dieses Werk wird seinen Besitzer nie wechseln.«
Zeit für die zweite Stufe. Jojo griff in seine Jackentasche und zog ein Päckchen Hunderter heraus. Zwanzig Stück. Das überforderte jeden. So viel Bargeld war nirgends mehr zu sehen. Schließlich gab es den mobilen Zahlungsempfänger und den Fingerabdruck.
2000 in bar gab es nur bei uns. Und wir legten noch einen drauf. »Das ist für das bisschen Papier. Für jedes weitere gedruckte Bündel erhalten Sie von uns 2500. Für jeden Namen eines Lesers, den Sie kennen und uns nennen, 1000.«
Als ob...
Erscheint lt. Verlag | 2.3.2024 |
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Reihe/Serie | Scanner | Scanner |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | 2035 • Abenteuer • Artificial Intelligence • Bradbury • Buch ab 12 • Buchagent • Bücher • Computer • Datenbrille • Deutsche Science Fiction • Die Gescannten • Digitalisierung • Dystopie • Facebook • Fahrenheit 451 • Freundschaft und Liebe • für 12 jährige • Future-Fiction • Google • Hypermacht • Internet • Konzern • Künstliche Intelligenz • Matrix • Mobril • Monopolisierung • Nomos • Protest • Scan • Scan AG • Schullektüre 6. Klasse • Schullektüre 7. Klasse • Smart Glasses • spannendes Jugendbuch • spannendes Kinderbuch • Ultranetz • Untergrund • Widerstand • Zensur • Zukunft |
ISBN-10 | 3-7336-0758-9 / 3733607589 |
ISBN-13 | 978-3-7336-0758-6 / 9783733607586 |
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