Törtel, die Schildkröte aus dem McGrün (eBook)
192 Seiten
Beltz (Verlag)
978-3-407-81335-0 (ISBN)
Wieland Freund, geboren 1969, lebt mit seiner Familie in Berlin. Bei Beltz & Gelberg erschienen von ihm 'Krakonos', 'Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts', 'Wecke niemals einen Schrat!', 'Träum niemals von der Wilden Jagd!', die drei Bände um 'Törtel, die Schildkröte aus dem McGrün', 'Ich,Toft und der Geisterhund von Sandkas' sowie das Pappbilderbuch 'Zuhause gesucht' (illustriert von Tine Schulz).
3
Mitternacht über dem Müggelsee – Eine Füchsin namens Wendy – Törtel kommt auf die Beine – Er geht essen
Es war Mitternacht in Müggeldorf. Ein leiser Sommerwind strich durch die blauen Straßen. Er stupste gegen die Gartentore und streichelte die glatten Blätter der Rhododendren in den Vorgärten. Er kletterte in die Obstbäume hinter den Lauben und schlich sich in die alten Schuppen. Dann machte er sich zum Müggelseeufer auf, raschelte dort in den Binsen oder fuhr wie eine flache Hand über den gelben Sand im stillen Strandbad. Draußen auf dem See wiegte sich Hokuspokus, der Schwan, auf den Wellen. Gedankenverloren sah er Wendy, der Füchsin, zu, die im Mondlicht über den Strand lief und dann Richtung Mole verschwand.
Wendy machte die große Runde. Von der Mole führte ihr Weg sie am Mühlenbach entlang über die Holzbrücke und dann durch die Gärten der Häuser am Brückenweg. Schließlich bog sie links in die Müggelseestraße ab, an deren Ende Törtel immer noch auf dem Rücken lag.
Törtel bewunderte gerade eine Kastanie. Gewissermaßen war er den Baum mit seinen Blicken hinaufgeklettert. Den mächtigen Stamm hoch, bis der sich teilte, und dann weiter in die luftigen Höhen des Blätterdachs, in das die Laterne leuchtete. Es war ein erhabenes Gefühl, in Gedanken dort oben zu sein. Törtel genoss sein kleines Glück, als Wendy ihn erreichte.
Die Füchsin machte halt. Füchse sind vorsichtig, sagte sich Wendy, aber neugierig sind sie auch. Langsam streckte sie ihre spitze Nase vor, geduckt und jederzeit bereit, sich mit einem Satz in Sicherheit zu bringen.
Törtel bemerkte sie nicht einmal. Er war mit seinem Baum beschäftigt. Umso größer war der Schrecken, als Wendys feuchte Nase ihn berührte.
»Eins! Zwei! Drei!«, rief Törtel verzweifelt und zog sich so heftig in seinen Panzer zurück, dass er unversehens wie ein Kreisel wippte.
Wendy sprang weg wie ein Flummi.
Jetzt mussten sich beide erst von ihrem Schrecken erholen. Wendy stemmte alle vier Pfoten gegen den Asphalt. Das Törtel-Karussell kam langsam zum Halten. Es war sehr still in der Müggelseestraße.
Nach einer Weile pirschte sich Wendy wieder an.
Schritt für Schritt, mit langer Nase.
Törtel konnte sie riechen. Es war ein gefährlich strenger Geruch. Er spürte sie näher kommen, und seine Angst war so groß, dass nicht einmal das angestrengteste Zählen half. Törtel schlotterte in seinem Panzer. Dann spürte er, wie Wendy ihn anstupste.
Er hielt den Atem an.
Schließlich schob Wendy ihre spitze Schnauze unter seinen Panzer und drückte ihn gegen den Bordstein.
Damit hatte Törtel nicht gerechnet: Wie ein Pfannkuchen wurde er gewendet. Seine Unterseite schrammte über die Bordsteinkante und dann landete er flach auf seinem harten Bauch. Törtel ächzte und kämpfte mit dem Schwindel. Stundenlang hatte er auf dem Rücken gelegen. Jetzt fühlte sich sogar das Richtigherum falsch herum an.
Nichts hat mehr seine Ordnung, dachte Törtel.
Die Neugier hat gesiegt, dachte Wendy. Sie beschnüffelte Törtel und nahm sogar die Pfote zu Hilfe.
»He!«, beschwerte sich Törtel, als er die Pfote auf seinen Panzer patschen spürte.
Wendy wich zurück. Aber nicht weit.
Ob sie mich fressen wird?, überlegte Törtel. Aus seinem Panzer heraus begutachtete er dieses eigenartige Tier. Der McGrün führte keine Füchse. Für Törtel waren die großen, steil aufgestellten Ohren, die runden, leuchtend gelben Augen, die spitze, schwarz glänzende Nase und die langen, schnellen Beine neu. Außerdem hatte er noch nie ein rotes Tier gesehen.
»Ja, wo kommst du denn her?«, fragte Wendy, als Törtel, von seiner Neugier übermannt, die Nase aus dem Panzer streckte.
Törtel zog sich eilig wieder zurück. Er war ärgerlich, weil er alle Vorsicht hatte fahren lassen. »Aus King Kurts Auto«, murmelte er in die Höhle seines Panzers hinein. »Aus seiner Badewanne, genauer gesagt. Und eigentlich aus dem McGrün.« Er war mit seiner Antwort unzufrieden. Sie war so fahrig wie er selbst. »Geschlüpft bin ich im McGrün«, betonte er deshalb. Es tat ihm gut,»McGrün« zu sagen.
»Geschlüpft?« Wendys Nase schien noch spitzer zu werden. »Dann bist du aber ein komischer Vogel. Kannst du fliegen?«
»Nein«, sagte Törtel mürrisch. »Ich bin eine Griechische Landschildkröte.«
»Ach so«, sagte Wendy. Sie starrte ihn an. »Was auch immer.«
Für eine Weile schwiegen sie beide, jeder mit dem jeweils anderen beschäftigt.
»Und du?«, fragte Törtel, nachdem er eine ganze Weile herumgerätselt hatte, was für ein Tier Wendy wohl sei.
»Fuchs«, sagte Wendy. »Ich heiße Wendy.«
»Törtel«, sagte seinerseits Törtel. Aus seinem Panzer heraus klang es ein wenig dumpf.
»Und du kommst aus einem Auto?« Autos, fand Wendy, waren, wenn sie fuhren, ein Problem.
»Aus einem Autofenster«, sagte Törtel, um Genauigkeit bemüht. »Ich bin über die Straße geflogen.«
»Also doch ein Vogel«, sagte Wendy.
Törtel fand das gar nicht witzig. »Ich wurde geworfen«, sagte er und auf einmal wurde ihm die ganze Ungeheuerlichkeit von King Kurts Verhalten bewusst. Törtel war empört. Und je empörter er über King Kurt war, desto vertrauenswürdiger erschien ihm Wendy. Er schob seinen Kopf ein gutes Stück weit aus dem Panzer.
»Kein Vogel. Wirklich nicht«, sagte Wendy, als sie ihn sah.
Törtel war peinlich berührt. Er wurde nicht gerne angestarrt. Er stellte sich auf seine plumpen Füße und machte sich so groß, wie er konnte.
»Du«, sagte er schließlich zu Wendy, »weißt nicht zufällig den Weg zum McGrün?«
Wie sich herausstellte, hatte Wendy noch nie vom McGrün gehört.
Sie war in Müggeldorf geboren, auf einem Friedhof jenseits des Friedrichshagener Damms, der breiten Straße, die den Ort durchschnitt. Allerdings war sie seit Langem an der Seeseite zu Hause. Ihr Streifgebiet reichte von der Müggelseestraße im Norden bis zur Mole im Süden. Es reichte vom Strandbad im Westen bis zu den vermodernden Lauben im Osten – da, wo die Straßen keine Namen, sondern nur noch Nummern hatten: Straße 33, Straße 34, Fußweg 56. Auf einem verwilderten Grundstück in Straße 33a war Wendy zu Hause. Dort stand eine alte Laube, die langsam verfiel.
»Wenn du willst, kannst du mitkommen«, sagte Wendy.
»Fürs Erste«, sagte Törtel. »Meinetwegen.« Er hatte durchaus seinen Stolz.
»Kannst du wirklich nicht schneller?«
Wendy lief auf der Straße und verschwand von Zeit zu Zeit in die Gärten ringsum. Doch wann immer sie zu Törtel zurückkehrte, schien der bloß ein paar Bürgersteigplatten weitergekommen zu sein.
»Ich mache, so schnell ich kann«, keuchte Törtel und schwang das Bein, das gerade an der Reihe war. Schildkröten benutzen ihre Beine wie Hebel. Wendy konnte sich gar nicht genug darüber wundern.
»So kommen wir ja nie an«, klagte sie und zwängte sich dann unter einem Lattenzaun hindurch, um einen Komposthaufen zu untersuchen. Törtel noch länger zuzusehen, dazu fehlte ihr die Geduld.
Törtel lief stur geradeaus. In seinem ganzen Leben hatte er noch nie eine so weite Strecke zurückgelegt. Er war arg außer Puste. Zugleich fühlte er sich sehr abenteuerlich. Die Lichter der Laternen malten gelbe Kreise auf den Asphalt. Törtel gefiel die Vorstellung, dass es immer so weiterginge: Platte für Platte, Meter für Meter, Licht für Licht. So weit ihn seine Beine trugen.
Leider, dachte Törtel, war das nicht besonders weit.
Endlich bogen sie in die Wiesenzeile ein. Sie folgten ihr ein ganzes Stück, bis Wendy Törtel unter einem Tor durchlotste. Den Panzer einziehen und sich dünn machen konnte Törtel leider nicht. Aber der Spalt zwischen Tor und Pflaster war groß genug.
Die beiden stromerten an einer Hauswand entlang.
Das heißt: Wendy stromerte. Törtel kroch.
»Pass auf«, sagte Wendy. »Die hier haben immer viel Müll.«
Törtel begriff nicht. Müll?
Aber da stand Wendy schon aufrecht an einer Mülltonne, die so voll war, dass ihr Deckel nicht mehr...
Erscheint lt. Verlag | 13.12.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch |
ISBN-10 | 3-407-81335-X / 340781335X |
ISBN-13 | 978-3-407-81335-0 / 9783407813350 |
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