Golden Horses (Band 2) - Gemeinsam dem Horizont entgegen (eBook)
224 Seiten
Loewe Verlag
978-3-7320-1984-7 (ISBN)
»Da sind sie!« Belle Beaumont zeigte aus dem Fenster des Trucks und ließ den Blick über die Pferde am anderen Ende der Weide schweifen. Sie hatten schon eine Weile nach der Herde gesucht und all deren gewohnte Lieblingsplätze auf der rund vierhundert Hektar großen Ranch abgefahren.
Belles zehn Jahre alte Schwester Elodie lehnte sich an ihr vorbei, um besser sehen zu können. »Sie wirken ziemlich unruhig«, bemerkte sie. »Liegt bestimmt am Sturm.«
Kaum hatte ihr Dad den Wagen zum Stehen gebracht, sprang Belle hinaus und eilte zum Zaun. Das raue, felsige Terrain reichte bis zu einer niedrigen Hügelkette und die Pferde liefen nervös am Fuß des steilsten Hangs auf und ab. In der Herde waren Stuten und Wallache aller Altersgruppen, Größen und Farben, doch Belle kannte jedes Pferd beim Namen, war mit ihrem Temperament und ihrer Vergangenheit vertraut. Sie war auf der Golden Horse Ranch aufgewachsen und diese Tiere gehörten für sie genauso sehr zur Familie wie ihre Eltern und ihre beiden jüngeren Schwestern.
Belles blondes Haar flatterte im Wind, als ihr erste Regentropfen ins Gesicht peitschten. Ein Sommergewitter zog auf – Überreste eines Tropensturms, wie es in den Lokalnachrichten aus San Luis Obispo hieß. An diesem Abschnitt der kalifornischen Küste regnete es von April bis September so gut wie nie, aber den finsteren Wolken nach zu urteilen, die über dem Pazifik heraufzogen, würden sie diesmal ordentlich etwas abbekommen.
Die Pferde konnten den Wetterumschwung spüren. Sie warfen wiehernd die Köpfe zurück, schüttelten ihre Mähnen und liefen rastlos auf und ab. Die Tiere drängten sich dicht zusammen und stießen dabei immer wieder aneinander. Ab und zu ging ein Ruck durch die Herde, und die Pferde verfielen für einige Meter in hektischen Trab oder Galopp, bevor die Anspannung wieder etwas nachließ.
Belle hielt sich am Holzzaun fest, während ihre blaugrünen Augen die Weide nach einer bestimmten Fuchsstute absuchten. Ihre andere Schwester Grace, die zwölf Jahre alt war, stellte sich neben sie. »Fiesta ist irgendwo dort draußen«, sagte Belle. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als eine große Dunkelfuchsstute namens Java strauchelte und beinahe zu Fall kam. »Wenn sie sich verletzt, kann ich das Future Champions Camp vergessen …«
Das Reitercamp zog die besten Nachwuchs-Turnierreiter der gesamten Westküste an. Dies war das erste Jahr, in dem sich Belle um eine Teilnahme bewerben konnte, und ihr Sieg bei den Regionalmeisterschaften bedeutete, dass sie gute Chancen auf einen der heiß begehrten Plätze hatte.
Ihre Eltern hatten ihre Bemerkung gehört. »Da draußen sind Fiesta und der Rest der Herde sicherer als irgendwo sonst«, rief Ben Beaumont seiner ältesten Tochter ins Gedächtnis. »Pferde sind dafür gemacht, draußen zu sein. Das ist von der Natur so vorgesehen.«
»Dein Vater hat recht, Liebes.« Kate Beaumonts britischer Akzent bildete einen scharfen Kontrast zu dem amerikanischen Englisch ihres Mannes. »Fiesta kommt schon klar.« Sie legte einen Arm um Grace, während eine Windbö den nächsten kurzen Schauer in ihre Richtung wehte.
»Hast du dein Handy dabei?« Elodie pikste Belle in den Arm. »Ich möchte die Wolken fotografieren. Die sehen so cool aus!«
Belle fand die dicken eisengrauen Wolken eher beängstigend als cool, doch sie fischte ihr Handy aus der Tasche, entsperrte es und reichte es ihrer Schwester. Elodie schoss mehrere Fotos von der Gewitterfront, die noch schneller vorwärtsdrängte als die aufgebrachte Herde. Im Nu waren auch die letzten Reste des kobaltblauen Abendhimmels hinter einem grauen Schleier verschwunden und die Luft wurde merklich kühler. Der zunehmende Regen ließ das Fell der Pferde dunkler und glänzend erscheinen und drückte ihre sonst so buschigen Mähnen platt.
Wieder ging eine Woge durch die Herde und diesmal entdeckte Belle endlich ihre Stute. Fiesta war ein ausgezeichnetes Turnierpferd – erst vor Kurzem hatten Belle und sie die blaue Schleife bei den Regionalmeisterschaften gewonnen. Doch sie fügte sich nahtlos in die Reihen der zwei Dutzend wetterfesten Pferde und Ponys ein, die auf der Golden Horse Ranch zu Hause waren. Die Tiere erfüllten die unterschiedlichsten Zwecke, ob als wendige Helfer beim Zusammentreiben der Rinderherden, als geländegängiger Ersatz für die Fahrzeuge, um auch die entlegeneren Ecken der Ranch zu erreichen, oder als Therapiepferde. Während Belle ihnen zusah, schnappte eine Stute namens Diva nach Fiesta, woraufhin diese herumwirbelte und nach hinten austrat, bevor sie ans andere Ende der Herde galoppierte.
»Seid ihr sicher, dass wir sie nicht lieber reinholen sollten?«, fragte Belle, obwohl sie die Antwort längst kannte.
»Absolut sicher.« Ihr Vater drückte ihr beruhigend die Schulter. »Hier gibt es keine hohen Bäume, die auf sie stürzen könnten, und zur Not können sie sich drüben im Canyon unterstellen.« Er zeigte auf die tiefe Spalte, die die Hügelkette durchzog. Die Felswände würden den Wind und den Großteil des Regens abhalten und es gab genügend Gras und Blätter, damit die Pferde die Nacht über Nahrung fanden. Es war nicht kalt, und Belle wusste, dass das Fell der Tiere schnell trocknen würde, sobald der Regen aufhörte. Trotzdem war es kein schönes Gefühl, sie hier zurückzulassen, während sie und ihre Familie in ihr gemütliches Haus zurückkehrten.
Plötzlich zuckte ein Blitz über den Himmel, gefolgt von einem unheilvollen Donnerschlag. Elodie schrie erschrocken auf, warf Belle das Handy zu und verkroch sich im Inneren des Pick-up-Trucks.
Die Kamera-App war noch offen und Belle beschloss, schnell ein paar Fotos von den Pferden zu machen. Ein weiterer Blitz durchschnitt das drückende Grau des Himmels und Fiesta bäumte sich am Rand der Herde auf. Belle gelang es gerade noch, ein Foto zu schießen, bevor die Herde kehrtmachte und den Hügel hinaufgaloppierte, um im Canyon Zuflucht zu suchen.
»Wir sollten gehen.« Kate Beaumont hielt ihr dichtes rotes Haar mit beiden Händen zurück, damit der Wind es ihr nicht ins Gesicht wehte. »Die Pferde sind hier draußen vielleicht am sichersten, aber wir definitiv nicht!«
Wenig später saßen alle wieder im Truck. Ben legte den Gang ein und schaltete die Scheibenwischer an, während der Himmel sämtliche Schleusen öffnete. Zum Glück hatte die Familie bereits nach den Rindern gesehen, die auf einer der anderen Weiden standen, sodass sie sich nun auf direktem Weg nach Hause begeben konnten. Sie folgten den Feldwegen, die das Gelände kreuz und quer durchzogen. Als sie die flachere Gegend nahe der Küste erreichten, regnete es so stark, dass Belle nur mit Mühe die Umrisse der Gebäude vor ihnen ausmachen konnte. Ihr Vater parkte so dicht wie möglich an der Veranda des weitläufigen einstöckigen Wohnhauses, konnte damit jedoch nicht verhindern, dass alle auf dem kurzen Stück bis zur Tür völlig durchnässt wurden.
»Ach herrje, ihr seht ja aus wie ein ganzes Rudel begossener Pudel!«, begrüßte sie Della Marcus, die lebhafte deutsche Haushälterin der Beaumonts. Sie stand hinter dem Küchentresen und stellte gerade ein paar frisch gebackene Muffins auf einen Teller. »Nur gut, dass ich eben eine frische Kanne Tee gekocht habe.«
»Danke, Della.« Kate lief durch das große offene Wohnzimmer zur Garderobe an der Hintertür und streifte ihren Regenmantel ab.
Elodie folgte ihr und hinterließ dabei eine Spur aus kleinen Pfützen auf dem Fliesenboden. »Kann ich auch einen heißen Kakao haben?«
»Na klar, Schätzchen«, sagte Della. Sie bückte sich und holte einen Topf aus dem Schrank. »Du auch, Grace?«
Grace nickte. Die mittlere der drei Schwestern hatte mit einer sozialen Angststörung und anderen Ängsten zu kämpfen, durch die es ihr schwerfiel, mit anderen zu reden, selbst mit Menschen, die ihr nahestanden. Ihre Familie und Freunde waren darauf eingestellt und versuchten, Grace die Möglichkeit zu geben, so zu kommunizieren, wie sie sich wohlfühlte.
Della hob gerade rechtzeitig den Kopf, um Grace nicken zu sehen, und schenkte ihr ein warmes Lächeln. »Kommt sofort«, verkündete sie, während sie zum Kühlschrank ging, um Milch zu holen. »Ich mach auch einen für dich, Belle«, fügte sie hinzu.
»Super, danke. Bin gleich wieder da«, antwortete Belle. Die klitschnasse Jeans klebte an ihren Beinen und sie wollte sich dringend etwas Trockenes anziehen.
Sie eilte in den Flur hinaus und von dort weiter in ihr Zimmer. Als sie sich aus der Jeans schälte, fiel ihr das Handy aus der Tasche. Belle hob es auf und vergewisserte sich, dass es weder durch den Sturz noch durch den Regenguss etwas abbekommen hatte. Sie konnte nicht widerstehen, einen kurzen Blick auf die Fotos zu werfen, die sie geschossen hatte. Am besten gefiel ihr das, auf dem Fiesta sich gerade aufbäumte. Vor dem dramatischen Hintergrund sah die Stute stark und wunderschön aus und der über den Himmel zuckende Blitz ließ ihr Fell rötlich golden leuchten.
Sie postete es schnell auf Instagram und schrieb dazu: Fiesta im Sturm. Während sie in Shorts und ein T-Shirt schlüpfte, gab ihr Handy ein leises Ping von sich. Bestimmt hatte ihre beste Freundin Nicole Marshall ihr Foto kommentiert.
Zu ihrer Überraschung stammte der Kommentar jedoch nicht von Nicole, sondern von Patrick Lewers, den sie von ihren zahlreichen Turnierteilnahmen kannte. Bei den Regionalmeisterschaften hatten Patrick und seine talentierte Stute Darcy hinter Belle und Fiesta den zweiten Platz belegt. Belle kannte ihn nicht besonders gut, respektierte ihn aber für seine reiterischen Fähigkeiten. Er hatte das Foto gelikt und geschrieben: Wow! Ein richtiges Wildpferd!
Belle lächelte. Obwohl sich Fiestas Abstammungslinie...
Erscheint lt. Verlag | 14.6.2023 |
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Reihe/Serie | Golden Horses | Golden Horses |
Übersetzer | Ulrike Köbele |
Verlagsort | Bindlach |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre |
Schlagworte | Bücher wie Elena • Bücher wie Schutzhof Schwalbennest • Bücher wie Wolkenherz • Bücher wie Zwei Herzen • Golden Horses Reihe • Kinderbücher ab 11 Jahren • Kinderbuch pferdegestützte Therapie • Kinderbuch Reittunier • Pferdebücher ab 11 Jahren • Pferdegeschichten ab 11 Jahren • Pferdesport Kinderbücher • Spannende Pferdegeschichten für Mädchen und Jungen |
ISBN-10 | 3-7320-1984-5 / 3732019845 |
ISBN-13 | 978-3-7320-1984-7 / 9783732019847 |
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