Das geheime Leben der Tiere (Ozean) - Ein Seehund findet nach Hause (eBook)
208 Seiten
Loewe Verlag
978-3-7320-2017-1 (ISBN)
Antonia Michaelis lebt seit vielen Jahren mit ihrer Familie an der Ostseeküste. Ihre Romane für Jugendliche und Erwachsene sind hochpoetische soziale Dramen, die den Leser an die Grenzen der Wahrnehmung und der Gesellschaft führen. Die Autorin war mit ihrem Jugendroman 'Der Märchenerzähler', der zahlreiche Ehrungen erhalten hat, für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. In Madagaskar, wo sie mit ihrer Familie für zwei Jahre lebte, hat sie 2019 ein Schulprojekt für ärmste Kinder auf die Beine gestellt (les-pigeons.mg).
Antonia Michaelis lebt seit vielen Jahren mit ihrer Familie an der Ostseeküste. Ihre Romane für Jugendliche und Erwachsene sind hochpoetische soziale Dramen, die den Leser an die Grenzen der Wahrnehmung und der Gesellschaft führen. Die Autorin war mit ihrem Jugendroman "Der Märchenerzähler", der zahlreiche Ehrungen erhalten hat, für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. In Madagaskar, wo sie mit ihrer Familie für zwei Jahre lebte, hat sie 2019 ein Schulprojekt für ärmste Kinder auf die Beine gestellt (les-pigeons.mg).
1
Das Meer war unendlich und blau, der Himmel wölbte sich unendlich und blau darüber und mitten in dieser Unendlichkeit trieb ein Feld aus Seegras. Darin wuselten ein paar kleine Schildkröten umher. Ab und zu fraßen sie etwas Seegras. Für den Rest ließen sie sich von dem warmen Strom tragen.
Er hatte sie von der Küste Mittelamerikas mitgenommen. Der Strom durchströmte den ganzen Atlantischen Ozean, er würde die Schildkröten bis vor die afrikanische Küste bringen und weiterfließen, weiter nach Norden, nach Europa …
Moment. Da war jetzt ein runder grauer Kopf mit schwarzen Knopfaugen, mitten im Strom. Er sah sich an der Oberfläche um, neugierig, mit zitternden Tasthaaren, und tauchte wieder unter. Das war doch keine Schildkröte gewesen?
„Ich sage dir, dieses Ding gehört nicht in den Golfstrom“, erklärte eine der winzigen Schildkröten einer anderen. Ohne Worte, nur in Gedanken. „Der Golfstrom gehört uns! Die Alten haben das gesagt. Es darf Fische darin geben, aber das große Graue ist verkehrt!“
„Es ist ein Seehund“, antwortete die andere kleine Schildkröte. „Und er ist auf der Reise, genau wie wir. Er will nach Hause.“
„Er wird uns auffressen!“, sagte die erste Schildkröte.
„Nö!“, sagte die andere. „Ich kenne ihn. Wir haben eine Menge zusammen erlebt.“
Und dann rief sie den Seehund. Denn er hatte einen Namen. Er war ein Weitgereister, ein Abenteurer, ein Ausnahme-Seehund. „Minik!“
Der Seehund kehrte um, schwamm zurück zu der kleinen Schildkröte. „Nö?“
„Die hier glaubt, du frisst Schildkröten und bist gefährlich.“
„Ich bin gefährlich“, sagte Minik. „Ein Raubtier.“ Er öffnete das Maul und zeigte seine Zähne. „Aber ich fresse keine Schildkröten. Viel zu hart. Und außerdem … fresse ich keine Freunde. Nö ist meine Freundin“, erklärte er der anderen Schildkröte. „Ich habe ihr den Namen gegeben.“
„Namen? Unnützer Kram. Wer braucht denn so was!“, meinte die meckrige Schildkröte. „Und was ist überhaupt dieses glänzende Ding um deinen Hals?“
„Es gehört einem Menschen“, antwortete Minik. „Einem Menschenkind. Es ist … ein Freund. Und dieses Kind braucht das glänzende Ding. Darin wohnt ein Zauberklang. Ich habe das Kind gerettet und es hat mich gerettet.“
„Menschen retten nicht“, behauptete die Schildkröte. „Bestimmt ist das Glanzding gefährlich. Eine Falle für Schildkröten.“
Sie paddelte mit ihren großen, breiten Vorderflossen davon.
„Ach, die!“, meinte Nö. „Die ist langweilig, wie alle Schildkröten! Gut, dass ich einen Seehund zum Freund habe.“
„Aber du musst lernen, mit den anderen Schildkröten zu leben“, sagte Minik.
„Nö“, sagte Nö. „Du bist auch nicht bei den anderen Seehunden geblieben. Du bist weggeschwommen, um die Welt zu sehen. Du hattest einen Buckelwal zum Freund, oder?“
„Ja. Und einen Papageitaucher und nun eine Schildkröte. Trotzdem. Irgendwann möchte ich die anderen Seehunde wiederfinden. Wer weiß? Vielleicht schon bald.“
Damit tauchte er tiefer, um zu jagen, denn sein Magen knurrte.
Es war ein Tag wie alle Tage im Strom. Aber Minik ahnte noch nicht, dass es ein einzigartiger Tag werden würde. Ein Tag, der alles änderte. Der Beginn eines neuen, verrückten Abenteuers.
Zunächst fand er nur einen Schwarm von braun gefleckten, irgendwie eckigen Fischen. Sie waren ein bisschen hässlich, aber vielleicht schmeckten sie gut?
Minik schoss in den Schwarm hinein, um einen der Fische zu schnappen … Da verwandelte sich der Fisch ganz plötzlich. Er wurde auf einen Schlag kugelrund. Und von seinem Körper standen Stacheln in alle Richtungen ab. Pieksig.
Minik fuhr zurück.
Um ihn herum schwebten nur noch Kugeln! Lauter stachelige Kugeln im Wasser.
„Oje“, sagte die vorderste mit ihren Glubschaugen. „Wir haben uns aufgeblasen. Schon wieder.“
„Ups!“, sagten alle anderen Stachelwesen im Chor.
„Was seid ihr?“, fragte Minik.
„Igelfische“, erklärten die Stachelwesen. „Wenn wir älter sind, müssen wir zur Küste. Aber solange wir jung sind, dürfen wir hier draußen im offenen Meer schwimmen. So viel Blau! So viel Platz! Abenteuer!“
Langsam wurden sie wieder kleiner und flacher.
„Pumpt ihr Luft in euch?“, fragte Minik, der an die Bälle am Strand dachte, mit denen die Menschen spielten. Damals, an der Ostsee. Wie schön es gewesen war, mit den Bällen zu spielen …
„Luft? Nein!“, antworteten die Igelfische, alle durcheinander. „Wir pumpen Wasser in unsere Mägen! Und keiner kann uns erbeuten. Haha! Keiner! Wir pieksen alle, bis sie uns loslassen!“
„Nur leider finden uns die Menschen zu schön“, sagte ein anderer. „Sie finden uns so schön, dass sie uns mit Netzen fangen. Und dann dekorieren sie ihre Wohnhöhlen mit uns. Tja, niemand ist eben sooo rund und igelig wie wir …“
Minik seufzte und schwamm durch den Schwarm hindurch. Sofort blähten sich die Igelfische vor Schreck wieder auf. Plöpp! Er seufzte erneut und fand eine Schule von jungen Thunfischen, die ebenfalls mit dem Strom schwammen. Jetzt, jetzt würde er satt werden, endlich! Doch da passierte schon wieder etwas. Ein anderer Jäger des Meeres schoss an ihm vorbei und schnappte Minik einen Thunfisch vor der Schnauze weg: ein Barrakuda, blausilbern glänzend, mit ein paar dunklen Flecken und einem bläulich durchsichtigen Schwanz. Minik knurrte innerlich. Na toll! Die übrigen Thunfische waren geflohen.
Da drehte der Barrakuda um. Er hatte den Thunfisch verschluckt – und nun kam er direkt auf Minik zugeschossen. Minik wich im allerletzten Moment aus. Der Barrakuda wendete, schoss erneut auf ihn zu – und öffnete das Maul, um nach Miniks Hals zu schnappen. Er wollte kämpfen.
Wieso? Nur weil sie beide gern Thunfische fraßen?
Wieder wich Minik aus, wieder wendete der Barrakuda und raste ein drittes Mal auf Minik zu. Ein Sonnenstrahl drang schräg durchs Wasser und ließ den Gegenstand leuchten, den Minik an einer Schnur um den Hals trug. Auf einmal begriff er: Es war das Glänzen, das den Barrakuda anzog. Der Barrakuda hielt die Zauberkiste für einen glänzenden Fisch, den er fressen wollte.
„Hör auf! Das ist ein Klangding! Kein Fisch!“, sagte Minik, doch der Barrakuda konzentrierte sich nicht auf das, was er sagte. Er fühlte die Worte nicht. Mit einem Schnappen schlossen seine scharfen Zähne sich … um die Zauberkiste.
Minik spürte die Überraschung des Barrakudas, als der merkte, wie hart sie war. Doch er ließ nicht los. Und dann riss die Schnur.
Miniks Herz setzte beinahe aus vor Schreck: Der Barrakuda hatte die Kiste nun doch losgelassen und sie sahen beide zu, wie sie in die Tiefe trudelte. Die Sonnenstrahlen ließen sie noch einmal erstrahlen, dann tauchte sie ins Dunkel.
Der Meeresgrund war weit, weit entfernt, das wusste Minik. Er hatte versucht hinabzuschwimmen, doch das Meer war an dieser Stelle tiefer, als er tauchen konnte.
Manchmal hatte er in den letzten Tagen von dort unten Lichter heraufleuchten sehen, lebende Lichter, schwach und tanzend: Fische, die ihre eigenen kleinen Sonnen trugen. Sie lebten in einer Welt jenseits der seinen, einer lichtlosen Welt voller Geheimnisse.
Und nun war die Zauberkiste dort.
Er musste sie finden. Das Kind brauchte sie. Es wartete auf ihn, irgendwo jenseits dieses Ozeans. Das Kind selbst war übers Meer gebracht worden, weil es verletzt war. Und vielleicht konnte es nur gesund werden, wenn es die Kiste wieder in den Händen hielt.
Minik sammelte all seinen Mut und schoss hinab in die Tiefe. Sah weniger und weniger. Der Barrakuda war oben zurückgeblieben. Minik schoss weiter … und weiter … merkte, wie ihm keine Luft mehr blieb, wie sein Körper zurück nach oben wollte. Der Druck hier unten war zu stark, zu viel Wasser lastete auf ihm. Doch er zwang sich, weiter abwärts zu schwimmen. Da! Da unten glänzte etwas!
Und dann war da ein komisches, unförmiges Ding, eine Art Pflanze oder schwimmender Stein, gefleckt, mit seltsamen Warzen. Es war ganz plötzlich da, erschien wie aus dem Nichts.
Einen Moment lang bestand es nur aus einer schwarzen Mundöffnung – dann verschluckte es die Zauberkiste und ließ sich nach oben treiben. Minik starrte ihm nach. Das Ding hatte eine Art bewegliches Horn voller schlabberiger Stacheln über dem Mund, komische Auswüchse und keine Schuppen. Stattdessen sah seine Haut irgendwie schleimig aus. Hätte Minik Farben besser gesehen, hätte er „gelborange“ gedacht. Der ganze Fisch – wenn es einer war – sah aus wie eine verfaulte Frucht, auf der sich Algen angesiedelt hatten.
Oder wie Müll.
„Was … Was bist du?“, fragte Minik. Doch da war der Fisch schon vorüber.
Minik folgte ihm zurück nach oben zu den Tangfeldern, die der warme Strom mit sich übers Meer schob. Und dort, unterhalb des größten Tangfeldes, krallte sich der Fisch mit seinen komischen plumpen Flossen fest und begann, in den Tang hineinzuklettern. Wie eine Ratte auf einem Schiff.
Minik fand ihn beinahe nicht wieder.
Aber dann sah er ein metallisches Blitzen: Es blitzte hinter den Zähnen des Fisches hervor.
Er hatte die Zauberkiste also doch nicht verschluckt.
„Gib das her!“, bat Minik. „Das ist meins.“
Der komische Fisch öffnete das Maul wieder – wieder unglaublich rasch, zack!, es war wie ein Trick. Die Zauberkiste fiel heraus. Minik schnappte sie sich und nahm sie behutsam zwischen seine Zähne.
„Das war sowieso...
Erscheint lt. Verlag | 16.8.2023 |
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Reihe/Serie | Das geheime Leben der Tiere - Ozean | Das geheime Leben der Tiere - Ozean |
Illustrationen | Verena Körting |
Verlagsort | Bindlach |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre |
Schlagworte | Bücher für Kinder ab 8 Jahren • Bücher zum ersten Selberlesen • Das geheime Leben der Tiere Reihe • Illustrierte Kinderbücher ab 8 Jahren • Kinderbücher ab 8 Jahren • Kinderbücher über Meerstiere ab 8 Jahren • Kinderbücher über Ozean • Kinderbücher über Seehunde • Kinderbuch mit Sachwissen • Kinderbuchreihe Das geheime Leben der Tiere • Meerestiere Kinderbücher • Oktopus Kinderbücher • Schildkröten Kinderbücher • Schullektüre eBook • Seehunde Kinderbücher • spannende Kinderbücher ab 8 Jahren • Tierabenteuer ab 8 Jahren • Tiergeschichten für Kinder ab 8 Jahren |
ISBN-10 | 3-7320-2017-7 / 3732020177 |
ISBN-13 | 978-3-7320-2017-1 / 9783732020171 |
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