Die Sonnenfeuer-Ballade 1: A Song to Raise a Storm (eBook)
512 Seiten
Planet! in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
978-3-522-65544-6 (ISBN)
Julia Dippel wurde 1984 in München geboren und arbeitet als freischaffende Regisseurin für Theater und Musiktheater. Um den Zauber des Geschichtenerzählens auch den nächsten Generationen näherzubringen, gibt sie außerdem seit über zehn Jahren Kindern und Jugendlichen Unterricht in dramatischem Gestalten. Ihre Textfassungen, Überarbeitungen und eigenen Stücke kamen bereits mehrfach zur Aufführung. Die Autorin steht für Lesungen zur Verfügung.
Drei Verehrer
Onnas Geld ging fast restlos für die Medizin meines Vaters drauf – und meine Geduld für den raffgierigen Apotheker. Als ich die Tür des Kräuterladens hinter mir zuschlug und mürrisch die Straße hinunterstapfte, begann es zu allem Überfluss auch noch zu schneien. Mist!
»Hey, pass auf, wo du hinrennst, Mädchen!«
Erschrocken machte ich einen Satz zurück und musste mich dicht an eine Hauswand pressen, um nicht von einem schweren Ochsenkarren überrollt zu werden, der nur eine Handbreit vor meinem Gesicht vorbeirumpelte. Finster blickte ich dem Karren nach. Von den Achsen ging ein schwaches Silberglühen aus. Odem in einem Fuhrwerk?! Das war sogar noch dümmer als selbstöffnende Türen. Dachte in der Stadt überhaupt jemand mal etwas zu Ende? Was half es dem Fuhrmann, seinen Karren doppelt so schwer beladen zu können, wenn weder seine Tiere noch die Straßen dafür ausgelegt waren? Mal ganz abgesehen davon, dass ihm der Odem nicht zustand, den er so leichtsinnig vergeudete. Das erinnerte mich einmal mehr daran, warum ich Städte mied, wo immer ich konnte. Ich hatte nichts gegen Fortschritt, aber die ignorante Dummheit der Menschen reizte mich bis auf Blut. Und dieser Gemütszustand war … gefährlich. Ich musste ganz dringend raus aus Valbeth!
Unglücklicherweise führte mich der schnellste Weg mitten durch das Rote Viertel und damit auch über den berühmten Platz des Friedens. Wer auf hübsche Fassaden, die Kundgebung sinnloser Gesetze und blutige Hinrichtungen stand, war hier bestens bedient. Ich hasste diesen Ort.
Für das miese Wetter war der Platz erstaunlich belebt. Mit gesenktem Kopf überquerte ich ihn und hoffte inständig, niemandes Aufmerksamkeit zu erregen. Zum einen, weil hier haufenweise Stadtwachen um das Eiserne Palais des Prinzipals patrouillierten – zum anderen, weil der Regierungssitz von Valbeth seinen Namen nicht umsonst trug: Die besten Schmiede ihrer Gilde hatten jeden Backstein, jeden Fensterbogen und jede Tür mit eisernen Verzierungen und Beschlägen versehen. Durch die schiere Menge spürte ich sogar auf die Entfernung die Wirkung des Metalls. Es versetzte mein Blut in Schwingung und machte es schwer, die Reaktionen meines Körpers zu kontrollieren. Umso erleichterter atmete ich auf, als das Eiserne Palais und der Platz des Friedens hinter mir lagen. Jetzt blieb nur noch eine Hürde, die es zu meistern galt: das Südtor. Definitiv nicht mein Favorit unter den sieben Stadttoren Valbeths. Ich bevorzugte das kleinere, mäßig bewachte Küstentor. Aber der Sturm ließ mir ja keine andere Wahl …
Plötzlich packte mich jemand von hinten und zog mich in einen Hauseingang. Ich hatte meinen Dolch schon in der Hand, als ich die kastanienbraunen Locken und den unverkennbaren Geruch von Seife, Leder und Salzwasser erkannte.
»Bei allen Göttern, Wyn! Wenn du mich noch einmal so erschrickst, kann ich für nichts garant…«
Warme Lippen verschlossen meinen Mund, während mich sein angenehm kräftiger Körper gegen den Türstock drängte. Oh Mann, ich hatte vergessen, wie gut sich das anfühlte. Ich ließ den Dolch zurück in meinen Stiefel gleiten und schlang die Arme um Wyns Hals. Wenigstens für einen kurzen Moment gönnte ich mir die Ablenkung, denn der junge Dockarbeiter küsste wirklich gut. Leider hatte er noch nie ein Gespür für Details gehabt – wie den richtigen Augenblick oder den passenden Ort oder die Tatsache, dass es ziemlich riskant war, mich von hinten zu überfallen … Tja, man konnte nicht alles haben.
Als er begann, sich an den Knöpfen meines Mantels zu schaffen zu machen, schaltete sich mein Verstand wieder ein. Seufzend stemmte ich mich gegen seine Brust.
»Ich hab keine Zeit, Wyn. Ich muss –«
Große Pranken, schwielig von der harten Arbeit im Hafen, umschlossen zärtlich mein Gesicht.
»Bleib heute hier. Bei mir.«
Gütige Götter, dieser tiefe, raue Unterton in seiner Stimme besaß jedes Mal das Potenzial, mir die Knie weich werden zu lassen. Wyn war ein bildhübscher Kerl mit sanften braunen Augen und besseren Manieren, als man seiner Zunft nachsagte. Ich mochte ihn und ich mochte diese unverbindliche Sache zwischen uns, wann immer sich unsere Wege mehr oder weniger zufällig kreuzten. Doch ausgerechnet heute hatte ich um diesen speziellen Zufall eigentlich einen großen Bogen machen wollen. Mein Blick flog zu dem schmalen Streifen Himmel zwischen den Hausdächern. Tiefgraue Wolkenberge rangen dort miteinander, verschlangen sich gegenseitig und erwuchsen umso dunkler von Neuem.
»Ich kann nicht«, murmelte ich und verfluchte mich selbst für meine Vernunft. Sein Angebot war verführerisch. Mein letzter Besuch bei Wyn lag schon fast sechs Monde zurück und die Aussicht auf einen warmen Männerkörper in einem weichen Bett klang viel einladender als ein Marsch durch den Sturm. Aber die Zeit lief mir davon. »Ich muss weiter, bevor der Schnee die Straßen unpassierbar macht.«
Wyn nickte und ließ von mir ab. Sosehr er sich bemühte, seine Enttäuschung zu verbergen, sein Gesicht war schon immer ein offenes Buch für mich gewesen. Er strich sich unbeholfen durch die Locken und setzte ein schiefes Lächeln auf.
»Dann«, murmelte er, »vielleicht das nächste Mal?«
Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Auch das war eine Eigenschaft, die ich an Wyn schätzte. Er hielt sich an die Bedingungen unserer kleinen Übereinkunft, fragte mich nicht aus und forderte nie mehr, als ich zu geben bereit war – obwohl ich wusste, dass er nichts dagegen gehabt hätte, unsere Gelegenheitsliebschaft zu etwas Handfesterem auszubauen.
»Das nächste Mal!«, versicherte ich ihm aufrichtig.
Ich gab Wyn einen schnellen Abschiedskuss und ließ ihn stehen, ehe ich es mir anders überlegen konnte. Ab diesem Moment begann meine Laune ins Bodenlose zu sinken. Ich war es ja gewohnt, meine Bedürfnisse zurückzustellen, aber das hieß nicht, dass ich es mögen musste. Außerdem verwandelten sich die vereinzelt herumschwebenden Flocken nach und nach in ein dichtes Schneegestöber, das die Straßen binnen kürzester Zeit unter einer weißen Decke begrub. Noch dazu hatte der Wind gedreht und das düstere Zentrum des Sturms an der Stadt vorbei gen Süden getrieben. Gut für Valbeth, schlecht für mich, denn jetzt führte mich mein Weg direkt in das Unwetter hinein.
Als die zwei spitzen Giebeltürme des Südtors endlich in Sichtweite kamen, erreichte meine Laune dann ihren vorläufigen Tiefpunkt. Dort gab es eine Ansammlung aus dick eingemummelten Menschen, ihren Pferden, Maultieren und überladenen Karren. Ich schien offensichtlich nicht die Einzige zu sein, die aus der Stadt hi-nauswollte.
Heute war wirklich nicht mein Tag.
Missmutig unterdrückte ich den Impuls, mich vorzudrängeln. Damit würde ich nur Aufmerksamkeit auf mich lenken, die ich nicht gebrauchen konnte. Also stellte ich mich dort an, wo ich das Ende der unübersichtlichen Schlange vermutete. Ausgerechnet hinter dem Fuhrwerk eines Lichtsammlers, auf dessen Ladefläche baumstammdicke Glaszylinder thronten – leer und bereit, mit Odem gefüllt zu werden. Odem, den sie den Qidhe für ein Paar Silberlinge abkauften, um ihn dann teuer weiterzuverscherbeln. Ganz toll! Als wäre die Kälte nicht ausreichend, um mir die Wartezeit unerträglich zu machen.
Während ich grimmig auf die Glaszylinder starrte, vergaß ich völlig, dass ich eigentlich den Kopf hätte einziehen sollen. Prompt grinste mich ein riesiger Bursche mit Pelzmütze und Ledermantel an. Es war einer der beiden Lichtsammlergesellen, die sich darum kümmerten, die komplizierte Apparatur ihres Meisters frei von Schnee und Eis zu halten. Mit der Rückhand schlug der junge Geselle seinen Freund in die Rippen und deutete in meine Richtung. Oh, bitte nicht!
Ein glücklicher Zufall rettete mich: Irgendwo jenseits der Menge ertönten die Rufe einer Postillenbotin.
»Extrablatt! Extrablatt! Extrablatt! Die Monarchin hat sich entschieden, ihr Thronjubiläum in Valbeth zu feiern! Extrablatt! Extrablatt! Außerdem: Ein neuer Anschlag in der Hauptstadt. Cahess bangt um seine Lichtwerke. Wann schlagen die Rebellen vom Aschekreis wieder zu? Alle Einzelheiten in der Valbeth Gazette für nur zwei Kupferblatt.«
Ein Mädchen mit Wollmütze und Pausbacken klapperte die Wartenden ab. Auch bei mir machte sie halt und streckte mir eine ihrer druckfrischen Postillen entgegen. Ich lehnte mit einem Kopfschütteln ab. Zwei Kupferblatt für ein Stück Papier auszugeben, das nach dem Lesen seinen Wert verlor, war ein Luxus, den ich mir nicht leisten konnte.
Das Mädchen zuckte mit den Schultern und lief unbeirrt weiter. »Extrablatt! Extrablatt! Kommenden Vollmond kehrt die Monarchin nach Valbeth zurück, den Ort ihrer Krönung! Alle Einzelheiten in der Valbeth Gazette! Extrablatt! Extrablatt …«
Die Nachrichten verkauften sich wie warmes Brot...
Erscheint lt. Verlag | 9.10.2023 |
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Reihe/Serie | Die Sonnenfeuer-Ballade | Die Sonnenfeuer-Ballade |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | All Age • Badboy Buch • Bestseller-Autorin • Bookstagram • Booktok • Cassardim • Fantasy • Fantasy 2023 • Fantasy Bücher Jugendliche • Fantasy für Erwachsene • Fantasy Romance • farbiger Buchschnitt • Forbidden Love • Gestaltwandler • Große Liebe • High Fantasy • Izara • Liebesgeschichte • Love Story • Magie • New Adult Fantasy • romance books • Romantasy • spicy fantasy • spicy romance • spiegel bestseller • tiktok made me buy it • Verbotene Liebe |
ISBN-10 | 3-522-65544-3 / 3522655443 |
ISBN-13 | 978-3-522-65544-6 / 9783522655446 |
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