Ein Mädchen namens Willow 4: Nebeltanz (eBook)
288 Seiten
Planet! in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
978-3-522-65550-7 (ISBN)
Sabine Bohlmann ist Schauspielerin, Synchronsprecherin und Autorin. Und das Erste, was sie tut, wenn ein neues Buch in der Post liegt: Sie steckt ihre Nase ganz tief hinein und genießt diesen wunderbaren Buchduft. Simona Ceccarelli hat nach einem halben Leben als Medizinalchemikerin den Laborkittel gegen den Bleistift eingetauscht, um ihrem Kindheitstraum nachzugehen. Sie lebt mit ihrem Mann, zwei Kindern, drei Nationalitäten und vier Sprachen in Basel.
Samstagmorgennebel hüllte den Wald ein. Nur die Spitzen der Bäume stachen durch die weiße Wattewolke. Wie Nadeln aus einem Nadelkissen. Der Nebel hing wie eine weiße Suppe auf dem Waldboden und kroch über die Wiese bis hin zu Willows Haus. Als wäre eine Wolkendecke vom Himmel gefallen.
Die Sonne suchte sich einen Weg durch das Grau und fand ihn auch. Zumindest schaffte sie es, einen Strahl durch das Fenster der Junghexe zu schicken und das Mädchen an der Nase zu kitzeln. Willow schlug die Augen auf. Sie sah den kleinen Staubpartikeln zu, die in diesem Lichtstrahl tanzten. Einige schimmerten sogar in Regenbogenfarben. Willow atmete einmal ein und aus. Und sogleich wirbelten die Teilchen in ihrem ausgepusteten Atem durcheinander. Sie wartete, bis sich der wilde Tanz wieder beruhigt hatte. Ob der Staub immer da war? Überall? Ständig um sie herum?
Oder suchte er sich nur die Sonnenstrahlen zum Tanzen. Wie ein Tänzer das Scheinwerferlicht auf der Bühne. Und wenn er immer da war, bedeutete das, dass man all diese klitzekleinen Teilchen auch immerfort einatmete? Und dann auch wieder aus? Egal wie es war. Es war magisch. Ohne einen Hexenspruch, ohne einen Trank oder einen Wink mit dem Zauberstab, der Staub tanzte – wie verzaubert. Regenbogenglitzerstaubtänze.
»Willow, bist du schon wach?«, fragte ihr Vater, Adam Flynn, und klopfte an ihre Tür.
»Nein, ich schlafe noch!«, antwortete Willow und zog sich die Decke über den Kopf. Sie hörte, wie ihr Vater trotzdem die Tür öffnete und auf der Bettkante Platz nahm. Es roch nach Kakao, Ei und Toast.
»Schade, dann muss ich mir jemand anderen suchen, der sich über dieses phänomenale Frühstück freut!«, sagte Adam Flynn und Willow konnte sein Grinsen förmlich hören.
Sofort schlug sie die Decke zurück. »Bin wach!«, rief sie und griff nach einem Marmeladentoast. »Frühstück ans Bett? Hab ich Geburtstag? Womit hab das verdient?«, fragte sie mit vollem Mund.
»Ich dachte, satt kann man besser Mäuse fangen!« Adam Flynn zog sich verlegen am Ohr.
»Wieso willst du Mäuse fangen?«
»Weil wir wohl welche im Haus haben, genauer gesagt auf dem Dachboden.«
»Wir haben einen Dachboden? Wieso weiß ich nichts davon?«
»Weil wir, seit wir hier wohnen, noch nicht dort waren. Und das liegt daran, dass wir die Tür noch nicht gefunden haben.«
Willow lachte. »Was wahrscheinlich wiederum daran liegt, dass wir sie noch nicht gesucht haben, denn warum sollte ich nach einer Tür für einen Dachboden suchen, ohne zu wissen, dass wir einen Dachboden haben?« Jetzt lachte auch Adam Flynn. Willow sprang aus dem Bett. »Du hast Glück, dass du eine Hexe im Haus hast, die findet alles, was man verloren hat, auch eine Tür zum Dachboden und den Dachboden dazu.«
Adam nickte lächelnd. »Das hatte ich gehofft.«
Seit Willow im Frühjahr die Hexenkraft ihrer Tante Alwina vererbt bekommen hatte, hatte das Mädchen viel gelernt. Einige kleine Hexereien schüttelte sie schon wie nichts aus dem Ärmel. Andere Dinge gingen allerdings immer noch schief und deshalb war sie oft noch sehr vorsichtig, wann und wie sie ihre Hexenkräfte einsetzen wollte. Der Zeig-dich-Zauber war jedoch einer ihrer ersten Hexereien gewesen.
Willow stellte sich im Schlafanzug in den Flur, schloss die Augen und streckte ihre Hände aus.
»Darf ich zusehen?«, flüsterte Adam Flynn ehrfürchtig, er hatte immer noch Respekt vor seiner kleinen Hexentochter und deren Fähigkeiten.
Willow nickte fast unmerklich, sie war schon in voller Konzentration. Dann begann sie zu wispern:
»Du bist ganz nah, doch unsichtbar,
für Augen nicht zu sehen.
Drum zeig uns, wo du dich versteckst,
im Augenblick hervorgehext.
Erscheine!«
Willows Hände begannen zu vibrieren. Dann wurden sie von einer unsichtbaren Kraft nach oben gezogen, sodass Willow automatisch die Arme heben musste. Jetzt öffnete sie die Augen. Auch Adam Flynn blickte zur Decke. Ein Quadrat leuchtete dort auf.
»Das war ja leicht!« Willow senkte die Arme. »Das hätten wir auch ohne Hexerei finden können!« Sie gab der Luke ein Zeichen, sich zu öffnen. Diese klappte auch brav auf.
»Ich versteh immer noch nicht, wie das mit der Magie funktioniert, Pieps. Einmal sprichst du einen Spruch, einmal wischst du nur mit den Händen oder schnipst, und ein anderes Mal brauchst du Fläschchen mit Tränken und Ritualen und Hexenbüchern und …«
»Magie ist eben nicht so einfach. Mit bloßem Schnipsen kommt man bei den größeren Dingen nicht weit. Je größer ein Zauber, desto mehr braucht man dazu. Es ist wie … wenn du ein Haus baust. Dann kann man ein paar Steine vielleicht noch mit den Händen übereinanderschichten. Aber je größer das Haus wird und je schwerer die Bauteile, desto mehr Werkzeuge oder sogar Maschinen brauchst du. Eigentlich also ganz logisch, oder, Papa?«
Adam Flynn nickte und sah nach oben zur Luke.
»Der nächste Zauber heißt aber, glaub ich, Leiter holen, weil das mit dem Schweben und auch das mit dem Fliegen noch nicht so ganz funktioniert.«
»Ach ja, natürlich!« Adam Flynn verschwand im Putzschrank und kam kurz darauf mit einer Leiter zurück. Außerdem hatte er einen kleinen Karton unter dem Arm. »Mausefallen!«, erklärte er, als er den fragenden Blick seiner Tochter bemerkte.
»Nicht dein Ernst! Wir werden die armen Mäuse sicher nicht mit Käse und Speck in Mausefallen locken, in denen sie dann brutal zerquetscht werden.«
»Das sind natürlich Lebendfallen, Pieps!«
»Auch das nicht. Wozu bin ich eine Hexe? Die Tiere im Wald hören ja auch auf mich. Ich bin sicher, dass ich die Mäuschen zu einem Umzug überreden kann. Bei den alten Eichen sind noch einige schöne Mäuse-Apartments frei. Und Mäusenahrung gibt es dort in Hülle und Fülle!« Willow grinste.
Dann kletterte sie die Leiter nach oben und Adam Flynn folgte ihr. Staubige, abgestandene Luft schlug ihnen entgegen. Willow ging zu einem winzigen runden Fenster, um es zu öffnen.
Adam Flynn leuchtete mit einer Taschenlampe in die dunklen Ecken. »Mäuse! Wo seid ihr? Hier kommen die Mäusewohnungs-Immobilienmakler! Zimmer mit Aussicht gefällig? Wir hätten da eine freundliche Drei-Zimmer-Wohnung am Stadtrand anzubieten, mit Blick auf Pilzplantagen, in netter Nachbarschaft mit den Eichhörnchen.«
Willow schnipste mit den Fingern und eine Glühbirne, die traurig von der Decke hing, leuchtete auf. »Papa, ich glaube nicht, dass sich die Mäuschen heraustrauen, wenn so ein großer Mensch so laut spricht.«
»Zumindest trauen sie sich, in den Wänden nach unten zu laufen und in der Speisekammer die Nudel- und Haferflockentüten aufzuknabbern. Aber ich lass dich gern mit ihnen allein.«
Willow wartete, bis ihr Vater die Leiter hinuntergestiegen war. Dann hockte sie sich auf den Boden. Ganz still saß sie da. Mit aller Geduld, die sie aufbringen konnte. Und Willow konnte viel Geduld aufbringen. Irgendwann war es dann so weit.
Ein Mäuschen rannte von rechts nach links. Ein weiteres hinterher. Willow drehte langsam ihren Kopf. »Ich bin Willow. Habt keine Angst. Ich will euch nichts tun. Aber vielleicht habt ihr es drüben in meinem Wald viel schöner als hier. Da gibt es viele Mäuse wie euch. Ihr könntet neue Freunde finden. Die Luft ist auch viel besser. Nicht so staubig und stickig. Und es gibt immer frische Beeren und Moose, auf denen ihr rumhüpfen könnt. Der Wald ist der schönste Ort, den ich kenne!« Willow machte eine Pause und wartete. Neugierig kam das erste Mäuschen wieder aus seinem Versteck. Willow schaute ihm direkt in die Augen. Es legte den Kopf schief und betrachtete das Mädchen. Dann verschwand es noch einmal kurz und kam gleich darauf mit einer ganzen Mäusefamilie zurück. Es waren sieben Stück. »Packt eure sieben Sachen, dann kann der Umzug losgehen!« Willow lächelte und sah sich suchend um. »Wir brauchen einen Korb, in dem ihr umziehen könnt.« Ihr Blick fiel auf eine Truhe in der Ecke. Willow ging darauf zu und öffnete sie mit einer einzigen Handbewegung. Darin lagen ordentlich zusammengelegt einige Kleidungsstücke. Jedes fein säuberlich in Seidenpapier eingeschlagen. Willow zog das erste heraus. Es war ein grünes Kleid aus festem Baumwollstoff. Es gab weitere Kleider, Röcke und auch einen wunderschönen Mantel mit Stickereien. Willow wusste sofort, wem die Kleider einmal gehört haben mussten. Sie schluckte. Dann schlüpfte sie aus ihrem Schlafanzug und streifte sich das grüne Kleid über. Auch den Mantel legte sie sich um. Er war ihr noch ein bisschen zu groß, aber sie fühlte sich darin sofort wohl. Zwischen einigen alten Stühlen, einer Kommode und einem Garderobenständer entdeckte Willow einen matten Spiegel. Sie trat an ihn heran und erschrak. Denn ein Foto ihrer Mutter schoss ihr in den Kopf, auf dem sie genauso aussah wie sie jetzt.
In diesem Augenblick steckte Adam Flynn seinen Kopf zur Luke herein. »Und, hast du sie überzeu…« Er brach mitten im Satz ab. Dann schluckte er....
Erscheint lt. Verlag | 1.9.2023 |
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Reihe/Serie | Ein Mädchen namens Willow | Ein Mädchen namens Willow |
Illustrationen | Simona Ceccarelli |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre |
Schlagworte | Abenteuer • Achtsamkeit • Baumhaus • Beste Freundin • beste Freundinnen • Bestseller • Familie • Freunde • Freundschaft • Fuchs • Glück • Hexe • Hütte • Kindheit • magisch • Natur • Rauhnächte • Ritual • rote haare • Schön • Tiere • Vorlesen • Wald • Waldgeister • Weihnachten |
ISBN-10 | 3-522-65550-8 / 3522655508 |
ISBN-13 | 978-3-522-65550-7 / 9783522655507 |
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