Almuth und der Hühnersommer -  Mareike Krügel

Almuth und der Hühnersommer (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
192 Seiten
Beltz (Verlag)
978-3-407-75716-6 (ISBN)
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Almuth will später einmal zur Feuerwehr und »Retterin« werden. Jetzt muss sie erstmal das Huhn Ingeborg vor dem Hahn retten. Bald hat sie auch die freche Joy und Said, den Jungen vom Feuerwehrteich, in ihr Herz geschlossen, mit denen sie durch die Gegend tigert. Als sie mit ihnen unter Himbeersträuchern und Hagebutten auf der Lauer liegt, um den Marder zu überführen, hofft sie, dass alles gut geht. Sie ahnt noch nicht, dass in diesem Sommer noch ganz andere Herausforderungen auf sie lauern und dass man von Hühnern eine Menge Dinge über das Leben lernen kann. Ein inniger Roman für Kinder, aufregend wie das Leben, feinsinnig, klug und witzig erzählt.

Mareike Krügel, geboren 1977 in Kiel, lebt mit ihrer Familie bei Schleswig. Sie studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig und veröffentlichte bisher vier Romane. »Zelten mit Meerschwein« ist ihr erstes Kinderbuch. www.mareikekruegel.de

4: Hühnerfreundschaft


Ich ging in der nächsten Zeit ganz oft nach nebenan. Der Öhi ließ mich Eier einsammeln und die Hühner füttern. Manchmal lag ich einfach nur da und schaute ihnen zu. Es war wirklich leicht, sie voneinander zu unterscheiden. Jedes war anders, nicht nur äußerlich. Ich machte Jonathan eine schöne Liste. Sie sah so aus:

1. Helga – braun, braune Eier, gesprenkelt

2. Laxi – beige, gelbrosa Eier

3. Ingeborg – braun, braune Eier

4. Bibiana – weiß, weiße Eier

5. Albertina – schwarz, grüne Eier

6. Annette – schwarzbraun, dunkelbraune Eier

7. Friedemann – Hahn

Wenn ich nicht drüben war, sondern in der Schule oder zu Hause, dachte ich ständig über Hühner nach. Über Hähne, die Hennen belästigten und verfolgten, über ausgerupfte Federn und das Spiel, sich gegenseitig von der Stange zu schubsen, das ich mir für Jonathan ausgedacht hatte. Wie musste es sein, wenn man zusammenwohnte, obwohl man keine Familie war? Vielleicht genau wie in der Schule, wo auch alle Leute einfach zusammen in ein Haus gesetzt wurden und miteinander klarkommen mussten.

Gott sei Dank fand ich die meisten Kinder in der Schule nett. Jonathan fragte mich regelmäßig: »Hast du schon Freunde gefunden?« Und dann antwortete ich meistens: »Ich bin eigentlich mit allen irgendwie befreundet.« Das beeindruckte ihn sehr, denn er fand, dass viele Freunde zu haben eine gute Sache war.

Und das war es ja auch. Nur waren Freundschaften leider oft etwas kompliziert. Am Ende wollte immer jemand zu einem nach Hause kommen oder womöglich sogar dort übernachten. Das ging nicht so gut bei uns, und ich wusste nicht, wie ich anderen die Sache mit Jonathan erklären sollte. Dabei stellte es sich später mit Said und Joy als gar nicht so schwer heraus.

Jedenfalls vermied ich es, die Freundin von jemandem zu werden. Und ich dachte, mich wollte auch niemand ernsthaft zur Freundin haben. Aber ich kannte Ingeborg schlecht.

Als der Schulbus eines Mittags an der Haltestelle im Dorf hielt, stand sie etwas abseits des Weges unter einem Baum und wartete.

»Ingeborg«, sagte ich. »Was machst du hier, so weit weg von zu Hause?«

Sie sah mich mit schiefgelegtem Kopf an und gackerte langgezogen. Kurzentschlossen nahm ich sie auf den Arm. Es war viel zu gefährlich für sie, hier draußen rumzulaufen. Während ich sie nach Hause trug, erzählte ich ihr von meinem Schultag. Bei mir war niemand, dem ich etwas hätte erzählen können.

Ingeborg saß ganz ruhig auf meinem Arm und hatte die Augen geschlossen. Vielleicht döste sie. Aber vielleicht hörte sie auch einfach konzentriert zu und sah, während ich erzählte, in ihrem eigenen Kopf einen kleinen Kinofilm mit dem Titel: Almuth rettet ein Kind. Das sah dann ungefähr so aus:

Ort der Handlung: Die Schule. Personen: Almuth, 4. Klasse, verschiedene andere Kinder. Zeit: Direkt nach der großen Pause.

Vorspann. Film ab.

Direkt nach der großen Pause ist Almuth noch auf dem Klo gewesen und daher etwas spät dran, als sie durch den Flur zu ihrem Klassenraum geht.

Kameraschwenk: Sie kommt an einer offenstehenden Tür vorbei, von drinnen hört man Geschrei und Gegröle. Es ist die Art Gegröle, die Kinder machen, wenn Unsinn im Gang ist. Almuth macht einen Schlenker und schaut in den Klassenraum.

Kamera auf Klassenraum, Innenansicht: Dort steht ein Kind, ein Junge, stocksteif und mit einem Gesicht, als wäre ihm völlig egal, was gerade passiert. Einige andere Kinder bemalen ihn mit Tusche. Viel zu viele andere Kinder stehen einfach nur herum und glotzen oder – noch schlimmer – unterhalten sich und beachten die Sache gar nicht.

Kameraschwenk, Nahaufnahme Almuths Gesicht: In ihr steigt eine irre Wut auf. Sie springt wie ein Krieger aus einem Zeichentrickfilm mitten zwischen die Pinsel-Kinder und schlägt sie alle nacheinander mit gezielten Tritten und Haken k. o. Dann stapelt sie sie fein säuberlich aufeinander, schiebt sie in eine Ecke und kauft dem armen bemalten Jungen ein Eis.

Ende, Nachspann mit Musik.

Ingeborg öffnete die Augen und schaute mich an.

»Schon gut«, sagte ich. »Du hast ja recht, ganz so war es nicht. Aber weißt du, die Kinder haben den Jungen angemalt. Das stimmt. Soll ich dir erzählen, was ich in Wirklichkeit gemacht habe? Ich habe einfach ganz laut und aufgeregt in die Klasse gerufen: ›Achtung, Frau Bonsen kommt!‹ Da sind alle Kinder wie die Wiesel auf ihre Plätze gerannt. Ich bin zwar noch nicht lange an dieser Schule, aber dass alle sich vor Frau Bonsen fürchten, das weiß ich schon.«

Ingeborg schüttelte sich und schloss dann wieder die Augen.

»Dann ist auch schon die Lehrerin aufgetaucht, und ich musste mich beeilen, zu meiner eigenen Klasse zu kommen. Keine Ahnung, was mit dem bemalten Jungen war. Aber weißt du, Ingeborg, er hat nicht geheult oder sowas. Er hat ausgesehen, als wäre er eigentlich gerade ganz woanders. Ich glaube, das ist eine ganz schön praktische Eigenschaft: Ganz woanders sein, wenn man nicht mitbekommen möchte, was gerade passiert. Ich wünschte, das könnte ich auch.«

Je näher wir dem Grundstück vom Öhi kamen, desto unruhiger wurde Ingeborg auf meinem Arm. Sie reckte den Kopf und ruderte mit den Füßen.

»Willst du etwa nicht nach Hause?«, fragte ich und grinste. »Ist da der böse Hahn? Oder hast du Streit mit den anderen? Will der Öhi dich baden und shampoonieren?«

Ingeborg machte einen klagenden Laut und strampelte.

»Ich kann dich mit zu mir nehmen«, sagte ich. Aber dann fiel mir ein, dass das nicht ging. Jonathan war zwar nicht da, aber wenn Ingeborg ihre Federn fallen ließ oder ihren Hühnerdreck, dann konnte es für Jonathan trotzdem ungesund sein.

»Ich kann dir das jetzt nicht erklären, Ingeborg«, sagte ich. »Aber du musst nach Hause. Ich pass auf dich auf, versprochen.« Und als hätte sie mich verstanden, hörte Ingeborg auf zu zappeln und wurde auf meinem Arm ganz ruhig.

Als wir beim Öhi um die Hausecke bogen, sah ich, was Ingeborgs Problem war. Oder vielmehr: Ich hörte es. Es war kein unverschämter Hahn, es war kein verhasstes Schaumbad und kein Hennen-Mobbing. Es war ein Rasenmähertrecker! Der Öhi trug Ohrenschützer gegen den Lärm und fuhr mit dem Ding im Garten herum. Am Zaun, innerhalb des Geheges, standen die übrigen Hühner, die Hälse weit vorgereckt, und schimpften, als gäbe es kein Morgen. Sie gackerten aufgebracht und böse den Rasenmäher an.

Der Öhi würdigte sie keines Blickes. An seinem Mund konnte ich erkennen, dass er pfiff, aber der Motor war zu laut, sodass ich keinen Ton hören konnte. Er selbst vermutlich auch nicht, denn er trug ja Ohrenschützer. Ich musste bei diesem Anblick fürchterlich lachen. Ingeborg sah mich ganz empört an. Bei der nächsten Runde bemerkte der Öhi mich. Er schob eines seiner Ohren frei und rief mir zu: »Bring das Ausreißerhuhn zu den anderen und streu ihnen was zu essen hin. Dann sind sie friedlich.«

Ich trug Ingeborg ins Gehege und sah mich nach irgendetwas um, mit dem ich die Hühner füttern konnte. Aber da war natürlich nichts, der Öhi bewahrte hier kein Hühnerfutter auf. Ich setzte die Schultasche ab, kramte meine Brotdose hervor und begann, die Maiswaffeln, die Papa mir heute Morgen eingepackt hatte, zu zerkrümeln. Weil sie gesünder waren, kaufte er immer die ohne Salz. Sie schmeckten nach gar nichts und ich brachte sie oft wieder mit. Die Hühner hörten wie auf Kommando auf, den Rasenmäher auszuschimpfen, als sie mitbekamen, dass ich irgendetwas zerkleinerte. Ich war ein paar Tage nicht da gewesen, aber sie hatten mich nicht vergessen. Das war schön.

Der Hahn war nicht zu sehen. Vielleicht saß er im Schwedenhaus und war zu männlich, um sich über einen Rasenmäher aufzuregen. Oder zu ängstlich. Ich warf die Waffelkrümel mit Schwung auf die Erde, so aus dem Handgelenk.

Die Hühner kamen und pickten. Und als sie die Waffeln aufgepickt hatten, starrten sie mich erwartungsvoll an.

»Ich hab nichts mehr, tut mir leid«, sagte ich und zeigte ihnen die leere Brotdose.

Albertina, das schwarze Huhn, das grüne Eier legen konnte, wagte sich vor und pickte in der Dose herum, die anderen schauten nur misstrauisch. Sie fanden mich blöd, weil ich nicht noch mehr Waffeln für sie streute. Ich wollte nicht, dass die Hühner mich blöd fanden.

Als ich mich umschaute, entdeckte ich den Hagebuttenbusch am Rand des...

Erscheint lt. Verlag 8.3.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch
ISBN-10 3-407-75716-6 / 3407757166
ISBN-13 978-3-407-75716-6 / 9783407757166
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