Die Chroniken von Lunis - Wächterin des Lichts (Die Chroniken von Lunis 1) (eBook)
352 Seiten
arsEdition GmbH (Verlag)
978-3-8458-5255-3 (ISBN)
Janelle McCurdy ist Autorin und Gamerin. Nach ihrem Abschluss in Kriminologie und Soziologie an der Royal Holloway University zog sie nach London und begann mit dem Schreiben von Fantasybüchern. In ihrer Freizeit spielt sie am liebsten Onlinespiele, schaut Anime oder besucht Comic-Cons und Gaming-Events.
1
Heute …
Bo-Stab: Ja.
Kapuzenpulli: Ja.
Haare zu einem festen Zopf am Hinterkopf zusammengebunden: Ja.
Mut: Schluck.
Ich stehe im Flur und starre auf die Haustür. Sobald ich hinausgehe, gibt es kein Zurück mehr. Ich wische mir die schwitzigen Hände an meinen Leggings ab, atme tief ein und schaue nach vorn. Heute ist der erste Tag der Ausbildung. Der erste Schritt auf dem langen Weg, um eine echte Umbra-Zähmerin zu werden, eine Beschützerin unserer Stadt und erste Ansprechpartnerin für alle, die jenseits der Mauer Hilfe brauchen. Bald werde ich dazugehören. Das heißt, wenn ich die Ausbildung überstehe …
Ich höre ein leises Lachen hinter mir und drehe mich um, gerade als sich eine Hand sanft auf meine Schulter legt. Dad lächelt mir zu und lässt die Hand meinen Arm hinabgleiten, bis sie in meiner eigenen liegt. Dann drückt er leicht zu.
»Du schaffst das, Mia-Kind. Das verspreche ich dir.« Ich schaue prüfend in seine braunen Augen, die genauso aussehen wie die von Lucas und mir. Dort finde ich nichts als Aufrichtigkeit, und trotzdem zittern meine Arme. Klar schaffe ich das. Ich muss mich ja nur einem Wesen stellen, das mich in der Luft zerreißen könnte, aber egal … Nicht weiter schlimm, oder?
Als ich jünger war, war es mein größter Wunsch, Umbra-Zähmerin zu werden. Doch nach dem Erlebnis auf der Albtraumebene will ich nie wieder einen Fuß dorthin setzen und mich auch nicht zu so einer blöden Zähmerin ausbilden lassen oder nur in die Nähe eines wilden Umbra kommen.
Ich bin das einzige Kind in Nubis, das gezwungen wird, Zähmerin zu werden, und das ist einfach nur ätzend. Am liebsten würde ich auf eine normale Schule gehen, einfach normal sein. Aber das steht wohl nicht zur Wahl, wenn deine Eltern die berühmtesten Zähmer der Stadt sind. Jippie … Das einzig Gute an der Zähmer-Ausbildung ist das Kampftraining, das dazugehört, aber das gibt es an der normalen Schule auch. Also wozu das Ganze?
Außerdem gilt: Hätten die anderen Kinder gesehen, was ich vor drei Jahren gesehen habe, würden auch sie nicht mehr von einem Leben als Zähmer träumen. Ich habe immer noch Albträume deswegen.
Mein Blick wandert zu der Wand hinter Dad, um mich mit den bewegten Fotos abzulenken, die dort hängen. Auf einem der Bilder neben der Treppe ist eine jüngere Ausgabe meiner selbst zu sehen, die zum ersten Mal den gerade geborenen Lucas im Arm hält und in Dauerschleife ganz erstaunt erst auf ihn und dann in die Kamera schaut.
Ein anderes Foto zeigt mich und Miles, wie wir Arm in Arm und mit einem breiten Grinsen im Gesicht von links nach rechts schwanken. Ich kann nicht anders, als zurückzulächeln. Miles hat mich an dem Tag so fest umarmt, als wüsste er, dass wir uns zum letzten Mal sehen. Mir vergeht das Lächeln und ich vernehme ein Seufzen hinter mir.
»Ich vermisse ihn auch. Er war ein guter Junge«, sagt Dad.
»War?«, frage ich und schaue ihn an.
»Menschen verändern sich, Mia-Kind.« In seinem Ton liegt eine gewisse Härte, so als wüsste er etwas.
»Miles nicht«, sage ich und schüttle den Kopf. »Er wird immer mein Freund bleiben.«
Dad lächelt nur, wie immer, wenn er anderer Meinung ist als ich, aber nichts sagen will. Doch es stimmt. Miles wird immer mein Freund bleiben … auch wenn ich jetzt gerade nicht einmal weiß, wo er ist.
»Warum mussten sie die Stadt so eilig verlassen?«, frage ich, was Dad ein weiteres Seufzen entlockt.
»Das haben wir dir doch erklärt, Mia. Miles’ Eltern und ein paar andere hatten etwas Böses geplant, also mussten sie uns verlassen.«
Ja, aber was? Immer wenn ich danach frage, weicht Dad aus.
Ein leises Knurren lässt mich aufschrecken, und als ich mich hastig umdrehe, sehe ich eine seltsame Gestalt aus Schatten und Sternenlicht aus dem Wohnzimmer kommen. Bolts Fell schimmert, und ich hebe zögerlich die Hand, um seinen flauschigen Kopf zu tätscheln. Bolt mag es genauso wenig wie Dad, wenn die Rede auf Miles’ Eltern oder die anderen Leute kommt, die Nubis verlassen mussten. Die Schatten umspielen meine Finger und er schaut mit seinen goldenen Augen zu mir auf. Seine gewaltigen Reißzähne und die scharfen Klauen glänzen im Licht und erinnern mich daran, dass ich kein Haustier vor mir habe.
»Bist du bereit?«, fragt Dad, und ich zucke mit den Schultern, ziehe mir aber gleichzeitig die hellvioletten Handschuhe an und befestige sie mit einem Knoten um das Handgelenk.
Nicht wirklich, denke ich und zupfe am Saum meiner Ärmel, doch dann drehe ich mich zu Dad um und seufze. »Ich … ich möchte Mum und dich nicht enttäuschen und das eine Kind sein, das es nicht schafft, in die Fußstapfen seiner Eltern zu treten, aber … ich will keine Umbra-Zähmerin werden, Dad. Warum muss gerade ich es tun?«
In Nubis ist es Tradition, dass die Kinder den gleichen Beruf ergreifen wie ihre Eltern, aber keine Pflicht. Außerdem bin ich erst zwölf. Ich verstehe nicht, warum Mum und Dad so sehr darauf drängen.
Dad lächelt, gibt mir einen Kuss auf den Kopf und zieht mich an sich. Seine Bartstoppeln kratzen mich an der Wange, aber ich drücke ihn noch fester und genieße die Wärme.
»Du könntest uns niemals enttäuschen, Mia«, sagt er. Ich schließe die Augen und richte meine ganze Aufmerksamkeit auf seine ruhige Stimme statt auf den Knoten in meinem Magen. »Du bist stärker, als du glaubst. Die Ausbildung wird dir dabei helfen, die Kräfte zu entwickeln, von denen wir wissen, dass sie in dir schlummern. Vertrau uns. Ich werde dich immer lieb haben, Mia-Kind. Du schaffst das.«
Er lässt mich los, und ich spüre, wie sich meine Mundwinkel ein kleines bisschen heben. Ich weiß, dass es ihnen nicht nur um ihr Vermächtnis als allererste Zähmer in der ewig dunklen Stadt Nubis geht. Ich weiß, dass mehr dahintersteckt, aber … Ich verstehe einfach nicht, wofür ich die Ausbildung machen muss und warum meine Eltern offenbar mehr Vertrauen in mich setzen, als sie sollten. Ich bin nichts Besonderes.
Nur wenige Auserwählte schaffen es, Zähmer zu werden, und ich will nicht mehr Schattenmonster zu sehen bekommen als unbedingt nötig, vor allem keine ungezähmten. Schon beim Gedanken daran beginnt mein Herz, laut zu pochen. Mum und Dad sagen, dass eigentlich alle Umbra gut seien und dass es sich bei dem, den ich damals gesehen habe, um eine unnormale Erscheinung, eine Ausnahme gehandelt habe. Aber woher wollen sie das so genau wissen? Umbra haben eine gefährliche, angsteinflößende Seite, und das rotäugige Wesen auf der Albtraumebene war sicher nicht das einzige seiner Art. Unmöglich. Selbst wenn in Nubis niemand sonst so etwas gesehen hat, gibt es anderswo garantiert noch mehr davon.
»Denk dran, unterwegs im Forschungslabor vorbeizuschauen«, sagt Dad. »Deine Mutter will dich vor der ersten Unterrichtsstunde noch einmal sehen.«
Ich nicke und lasse Bolt dabei nicht aus den Augen. Er senkt nur kurz den Kopf und bleibt dabei zum Glück auf Distanz. Aber ich hätte schwören können, dass ich in seinen Augen etwas aufblitzen sehe. Doch als Dad mich noch einmal fest umarmt, schüttle ich den Gedanken ab.
»Hast du deinen Bo-Stab?«
»Immer«, sage ich und klopfe auf meinen Oberschenkel, wo der lilafarbene Stock sicher verstaut ist. Mum hat ihn mir vor Jahren angefertigt, in meiner Lieblingsfarbe.
»Gut. Scheue dich nicht, ihn gegen die nichtsnutzigen Jungs in deiner Klasse einzusetzen. Konzentriere dich auf das, was du lernen sollst.«
Ich verziehe das Gesicht. »Schon klar, Dad. Hab dich lieb«, sage ich und gehe zur Tür.
»Ich dich auch, Mia-Kind. Hab einen schönen Tag!«
Er tritt einen Schritt zurück, und ich hole tief Luft, als sich die Tür öffnet und den Blick auf unsere Stadt freigibt, die sich funkelnd vor mir erstreckt. Es ist Zeit.
Ich trete über die Schwelle, drehe mich dann aber noch einmal um. »Ich habe Lucas schon einen Kuss gegeben, aber sag ihm noch einmal Tschüs von mir, ja? Und wünsch mir Glück.« Ich kann es gebrauchen. Ich zwinge mich zu einem Lächeln und winke Dad übertrieben zu. Er winkt mit einem Strahlen im Gesicht zurück.
Dann renne ich los und meine Schritte hallen über den Asphalt. Wird schon schiefgehen … Sobald ich Dad nicht mehr sehen kann, vergeht mir das Lächeln und die Furcht kehrt zurück.
Der ewige Mond scheint hell über meinem Kopf und bringt meine braune Haut zum Schimmern, während die Sterne über den Himmel wandern wie funkelnde Leuchtkäfer. Bei uns in Nubis ersetzt der Mond die Sonne und die Sterne zeigen die Zeit an. Nur in Stella, der Stadt des Lichts, richten sich die Tage nach dem Stand der Sonne. Dort – auf der anderen Seite der Albtraumebene – lebt die nutzlose Königin Katiya und schützt die Sonne vor der Finsternis.
Die Königin ist der Grund dafür, dass Mum und Dad manchmal zu gefährlichen Einsätzen aufbrechen, um unsere Stadt und andere zu sichern. Stella verfügt über eine Menge Technik – automatisch gesteuerte Reisekapseln, Hochsicherheitstore und vieles mehr –, hilft aber niemandem im Rest des Königreichs. Dort gibt es sogar einen Kristall, der noch unversehrt ist, im Gegensatz zu den Bruchstücken in Mums Labor. Aber als unser Forschungsteam die Königin fragte, ob es ihn untersuchen dürfte, lehnte sie ab. Und das, obwohl Mum viele Jahre lang als Wissenschaftlerin in Stella gearbeitet hatte und sogar eine ausgebildete Wächterin der königlichen Garde war!
Jedes Mal, wenn die Zähmer in Stella um Hilfe oder Unterstützung baten, um andere Städte vor der Finsternis zu bewahren, wurde die Anfrage abgelehnt –...
Erscheint lt. Verlag | 30.1.2023 |
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Übersetzer | Elisabeth Schmalen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch |
ISBN-10 | 3-8458-5255-0 / 3845852550 |
ISBN-13 | 978-3-8458-5255-3 / 9783845852553 |
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