Fred und ich -  Lena Hach

Fred und ich (eBook)

Roman

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
94 Seiten
Beltz (Verlag)
978-3-407-75729-6 (ISBN)
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Das erste Mal sehen sich Anni und Fred in einem Café. Das zweite Mal nur eine halbe Stunde später an einem zugefrorenen See, in dem Anni morgens heimlich badet. Schon am nächsten Morgen taucht Fred mit ihr ins eiskalte Wasser. Die beiden nähern sich an, behutsam, und Anni erfährt, dass Fred trans ist. Auf einmal braucht es neue Wörter, weil die alten falsch oder verletzend sein können. Ein sensibler, lebensbejahender Roman über die erste Liebe, in der sich alles neu und wunderschön anfühlt.

Lena Hach, geboren 1982, lebt als freie Autorin in Berlin. Sie besuchte eine Schule für Clowns, studierte Literatur und Kreatives Schreiben und arbeitete als Journalistin. Bei Beltz & Gelberg erschienen von ihr bislang die Kinderbücher »Kawasaki hält alle in Atem«, »Ich, Tessa und das Erbsengeheimnis« und »Flo und Valentina. Ach, du nachtschwarze Zwölf!« sowie die Jugendromane »Wanted. Ja. Nein. Vielleicht«, »Zoom. Alles entwickelt sich« und »Nichts wünsche ich mir mehr«. Mehr unter: www.lenahach.de

Montag


1.


Ich schließe mein Rad nicht an. Ich lehne es nur gegen die gelbe Hauswand, denn ich bin sowieso nur kurz in der Bäckerei. Mein Handtuch lasse ich eingeklemmt auf dem Gepäckträger, aber der Hammer kommt mit.

Mona hinter dem Tresen weiß, was ich will. Ein Hasenbrötchen und Kaffee.

»Sag bloß, du bist bei den Temperaturen mit dem Rad unterwegs?«, fragt sie. Ich nicke. Ich bin immer mit dem Rad unterwegs. Mona packt das Brötchen in eine Papiertüte, auf der in geschwungenen Buchstaben Feines vom Bäcker steht. Den Kaffee füllt sie in meine silberne Thermosflasche, die ich ihr über den Tresen reiche. Dafür muss man sich, wenn man 13 und eher klein ist, auf die Zehenspitzen stellen. Normalerweise gucke ich mir die Auslage an, solange Mona beschäftigt ist. Die Sachertörtchen und die Erdbeerschnitten. Aber heute nicht.

Denn heute sitzt an einem der schmalen Tische ein Junge. Der Junge lenkt mich ab. Ich schätze, er ist in meinem Alter. Seine Haare sind so hell, dass sie fast durchsichtig wirken, und sie sind so zerfranst, als ob er sie selbst geschnitten hat. Neben ihm auf dem Tisch liegt eine weiße Baseballkappe, die teuer wirkt und, wie seine Jeansjacke, nicht zum Wetter passt.

In meinen Fingern kribbelt es. Vielleicht sollte ich dem Jungen unsere Visitenkarte geben. Ich lege den Hammer auf die Taschenablage und krame in meinem Parka, den schon Mama getragen hat, als sie so alt war wie ich. Meistens habe ich ein paar Kärtchen dabei, weil Werbung das A und O ist. Außerdem können wir ein bisschen mehr Umsatz gut gebrauchen. Das hat Mama zu Katerina gesagt, die nicht nur ihre beste Freundin und einzige Angestellte ist, sondern auch die gute Seele unseres Friseursalons. Und guten Seelen sagt man offenbar Dinge, die man seinen Töchtern verschweigt. Alles, was Onkel Franz betrifft. Oder eben das Geschäft. Weshalb die Töchter dann hinter der Tür hocken und lauschen müssen, bis ihnen die Füße dabei einschlafen. Die Visitenkarten jedenfalls verteile ich an alle, die so aussehen, als könnten sie einen Friseurtermin ganz gut gebrauchen. An unsere Hausmeisterin, zum Beispiel, mit ihrem schiefen Pony oder an den unfreundlichen Mann von der Post, der einen stoppeligen Nacken hat. Die meisten sind erst skeptisch, aber dann freuen sie sich doch. Bestimmt liegt es daran, dass es keine normalen Visitenkarten sind. Sondern Bonuskarten. Es ist nämlich so: Für jeden Besuch in unserem Salon gibt es ein blaues Herz. (Das Motiv habe ich ausgesucht.) Wer zehn Herzen gesammelt hat, kriegt einen Haarschnitt umsonst. Und jetzt kommt’s: Bei meinen Karten prangt auf der Rückseite schon der erste Stempel. Das nennt man einen Anreiz.

Der Junge sieht mich so komisch an, dass ich ihm leider keine Karte geben kann, sondern schnell woandershin gucken muss. Doch in die Auslage zu den Sachertörtchen, die heute anders aussehen als sonst. Nur, was anders ist, weiß ich nicht.

Mona reißt mich aus meinen Gedanken.

»Bitte schön, Anni, dein Kaffee«, sagt sie. Wie immer spricht Mona das Wort »Kaffee« so aus, als hätte es nur ein E. Kaffe. Das macht hier in der Gegend sonst keiner. Ich stecke die Flasche vorne in meinen Rucksack, zum Reisewecker und meinem alten Badethermometer in Entenform. Dabei sehe ich aus Versehen wieder zu dem Jungen. Der beißt gerade in sein halbes Käsebrötchen; als ob er nichts mitkriegt von der Welt oder mir. Als ich an ihm vorbei zur Tür gehe, gucke ich noch mal hin, absichtlich. Ich gucke von oben direkt in seine Tasse und da weiß ich: Der Junge trinkt Milch.

2.


Ich schwinge mich auf den Sattel und düse los. Es ist noch dämmergrau und wirklich schweinekalt. Aber wenn ich kräftig genug trete, wird mir warm. Ich fahre auf dem Bordstein und ernte böse Blicke. Dabei bin ich gut im Ausweichen, außerdem fahre ich vorausschauend. Wenn mir ein Fußgänger entgegenkommt, lenke ich früh zu der Seite, auf der gerade mehr Platz ist. Vor dem Rathaus begegnet mir eine Arschtüte. Arschtüten erkennt man daran, dass sie absichtlich einen Schritt nach links machen, wenn ich links an ihnen vorbeifahren will. Wenn ich dann nach rechts lenke, springen sie schnell nach rechts. Ich kenne das schon. Trotzdem pocht mein Herz jetzt wie wild. Weil es heute glatt ist. Und weil in genau dem Augenblick ein Bus an mir vorbeirauscht. Da kann richtig was passieren.

Nach dem Rathaus kommt die Kirche und nach der Kirche kommt der Supermarkt und dann bin ich auch schon fast raus aus unserer kleinen Stadt. Als ich das gelbe Ortsschild hinter mir lasse, nehme ich die Füße von den Pedalen und eine Hand vom Lenkrad. Das ist fast wie Fliegen. Ich gleite auf dem Weg am vereisten Bach entlang, unter den kahlen Eschen hindurch und ahne nicht einmal, dass ich verfolgt werde.

3.


So früh morgens teile ich mir den See nur mit zwei Schwänen. Die tun meistens so, als würden sie mich nicht kennen. Aber das stört mich nicht, ich nicke ihnen trotzdem freundlich zu. So hole ich mir ihre Erlaubnis. Als ich mein Rad neben der Bank ins glitzernde Gras fallen lasse, sehe ich: Der Hammer ist weg. Das weiße Handtuch ist da, aber der Hammer nicht. Verdammt.

Mein Hirn macht eine Rolle rückwärts. Und da liegt er. Drei Kilometer entfernt. Auf einer weiß lackierten Taschenablage, durch eine Glasscheibe von einem Berg Sachertörtchen getrennt. Ich könnte mir in den Arsch beißen. Denn was soll ich hier, ohne meinen Hammer?

Zurückfahren ist keine Option. Aus mehreren Gründen. Einer davon ist: Bis ich wieder hier bin, sind schon die ersten Spaziergänger unterwegs. Alles Leute mit Hunden, die blöden Stöckchen nachrennen und meine Schwäne ärgern. Für das, was ich vorhabe, muss ich allein sein. Vielleicht kann ich einen Ast nehmen, aber ich will keinen abbrechen. Ich muss dabei an berstende Knochen denken. Wenn ein Ast zu Boden fällt, wird er zum Stock. Und genau so einen suche ich jetzt. Kein Stöckchen, davon gibt es hier viele, sondern einen richtigen Stock, der gut in der Hand liegt und mit dem man was schaffen kann.

Unter meinen Füßen knistert es, als ich durch den Raureif stapfe – an der Bank vorbei, hinter die Büsche. Dort liegt etwas Langes, Braunes im Gras. Als ich mich runterbeuge, erkenne ich, dass es nur eine steif gefrorene Hundeleine ist. Ich richte mich wieder auf und kriege einen Riesenschreck. Da auf der Bank sitzt jetzt jemand. Mit weißer Baseballkappe. Der Junge aus der Bäckerei.

4.


»Bist du mir hinterher?«, fauche ich. Obwohl das ja wohl klar ist.

Der Junge grinst. Ich kann sehen, dass seinem linken Schneidezahn eine Ecke fehlt. Ich wüsste echt gern, was da passiert ist. Was für ein Unfall. Obwohl, wenn ich es mir recht überlege, will ich es vielleicht doch nicht wissen. Auf keinen Fall.

»Schön hier«, sagt der Junge.

»Ja, vor allem, wenn man allein ist.«

»Allein? Und was ist mit den Enten da?«

Der Junge deutet mit seinem Kopf rüber zu den Schwänen.

Wahrscheinlich will er witzig sein. Dabei stimmt, was er sagt. Schwäne gehören zur Gattung der Entenvögel. Aber das verrate ich ihm nicht. Auch nicht, was ich sonst so über Schwäne weiß. Dass die Jungvögel alle grau sind, zum Beispiel. (Selbst, wenn sie weiß geboren wurden.) Dass sie nur einen einzigen Partner in ihrem Leben haben. (Mit dem sie jedes Jahr zum gleichen Nest zurückkehren.) Dass Schwäne in der Mythologie für Verwandlung, Reifung und Vollendung stehen. (Unter anderem.)

Ich beschließe, den Jungen zu ignorieren.

Deshalb fahre ich einfach fort mit meiner Stocksuche. Weil er mich aber unbedingt weiterverfolgen will, zumindest mit den Augen, dreht der Junge sich um. Er platziert seine verschränkten Arme auf der Rückenlehne und legt das Kinn ab. So guckt er mich an. Mit grünen Augen.

Ich bin echt genervt.

»Suchst du was Bestimmtes?«, fragt er.

»Geht dich das was an?«, frage ich zurück.

»Nee«, gibt er zu. »Es sei denn, es ist das hier.«

Auf einmal hält er den Hammer in seinen Händen. Meinen Hammer. Mit zwei Schritten bin ich bei ihm und schnappe ihn mir. Ich begutachte den Hammer von allen Seiten, als müsste ich kontrollieren, dass der Junge nicht wer weiß was damit angestellt hat. Ob man es glaubt oder nicht: Auch das stabilste Werkzeug der Welt kann kaputt gehen. Bei falscher Verwendung zum Beispiel. Oder Zweckentfremdung. Davon mal abgesehen, ist dieser Hammer zufälligerweise nicht nur ein Werkzeug. Er ist ein Erinnerungsstück.

»Als du mit dem...

Erscheint lt. Verlag 8.2.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch
ISBN-10 3-407-75729-8 / 3407757298
ISBN-13 978-3-407-75729-6 / 9783407757296
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