Die letzten Hexen von Blackbird Castle (eBook)

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2023 | 1. Auflage
288 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-61333-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die letzten Hexen von Blackbird Castle -  Stefan Bachmann
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Als eine Vogelscheuche über den Gartenzaun klettert und der zwölfjährigen Zita Bridgeborn einen Brief überreicht, beginnt das Abenteuer ihres Lebens. Sie soll ein Schloss geerbt haben und nicht nur das: Eine Hexe soll sie auch noch sein! Doch Zita kennt weder praktische Zaubersprüche, noch hat sie einen fliegenden Besen. Sie weiß auch noch nicht, dass sie bald auf uralte Familiengeheimnisse, Geister und allerhand magische Kreaturen stoßen wird. Kann sie das Erbe von Blackbird Castle retten?

Stefan Bachmann, geboren 1993 in Boulder/Colorado, verbrachte den Großteil seiner Kindheit in der Schweiz, wo er an der Zürcher Hochschule der Künste ein Studium der Komposition und Musiktheorie absolvierte. Sein von der Liebe zu Steampunk, Charles Dickens und C.S. Lewis' ?Chroniken von Narnia? inspiriertes Debüt, ?Die Seltsamen? war ein Riesenerfolg in den USA und in Deutschland. Stefan Bachmanns Werke wurden in über fünfzehn Ländern veröffentlicht. Seit 2022 unterrichtet er Creative Writing im Jungen Literaturlabor in Zürich.

Es war der erste Herbsttag, als ich in Blackbird Castle eintraf. Die Bäume leuchteten kupferrot und grün, Kürbisse wuchsen entlang des Straßengrabens, und der Mond war bereits wie ein halbgeschlossenes, silbriges Auge am Abendhimmel erschienen – kurzum, es war der ideale Tag für eine Hexe, um an ihren Familiensitz zurückzukehren. Doch natürlich wusste ich zu diesem Zeitpunkt rein gar nichts über Hexen. Meine Gedanken drehten sich um naheliegendere Dinge: die Feder, die sich durch das Samtpolster der Kutschenbank gebohrt hatte und mir in den Rücken stach, die Kälte, durch die ich schon ganz steif gefroren war, und der Ruck, mit dem die Kutsche plötzlich mitten auf der Straße angehalten hatte.

Der Kutscher steckte sein rotwangiges Gesicht zum Fenster herein. »So, Endstation, Miss«, grummelte er. »Hier musst du aussteigen, weiter fahr ich nicht.«

Ich blinzelte ihn an. Dann kletterte ich aus der Kutsche, wobei ich meine Reisetasche hinter mir herzerrte. Wir standen an einem einsamen Berghang. Zu meiner Linken erstreckte sich ein Wald, rechts fiel eine Schlucht steil ab, und irgendwo weit unten in der Tiefe rauschte ein Fluss.

»Ich muss aber nach Blackbird Castle«, sagte ich. »Wo liegt das denn von hier aus?«

»Es nicht mehr weit«, antwortete der Kutscher und deutete den Berg hinauf. »Vorausgesetzt, du kannst fliegen.«

Ich schaute in die Richtung, in die er zeigte, und das Herz rutschte mir in die Hose. Ein Weg, unterbrochen von zahlreichen Brücken, schlängelte sich kreuz und quer durch die Felsen und über die bewaldeten Hänge. Und weit, weit oben sah ich die Türme eines Schlosses, die nur knapp die Kronen der großen alten Bäume überragten. Vereinzelte Lichter funkelten wie wachsame Augen durch die Dämmerung.

»Sie könnten mich nicht vielleicht doch mit der Kutsche dort raufbringen?«, fragte ich, so höf‌lich ich konnte. »Ich habe schließlich für die ganze Strecke bezahlt.«

»Du hast mir nicht annähernd genug bezahlt, um mich dazu zu bringen, dich direkt vor der Tür der Blackbirds abzusetzen«, erwiderte der Kutscher und spuckte auf die Straße. Seine großen tintenschwarzen Pferde schnaubten und scharrten mit den Hufen. Ihr Atem kondensierte in der kalten Luft zu weißen Wölkchen. »Nicht für alles Gold im Westval fahr ich da rauf! Und übrigens, was will eigentlich so ein Gör wie du da oben?« Sein Blick verfinsterte sich. »Du bist doch nicht etwa eine von denen, oder?«

»Nein«, antwortete ich, doch insgeheim dachte ich: Aber ich hoffe, es sehr bald zu sein.

Der Kutscher starrte mich jetzt aufmerksamer an, und seine Augen glänzten wie zwei blanke Münzen unter der breiten Hutkrempe. »Du kennst doch wohl die Geschichten über die? Über ihre alte Hexenkönigin, die die Herzen ihrer Feinde zum Mittagessen verspeist hat, gekocht, auf einem Gemüsebett? Und dass alle silberne Scheren an ihren Gürteln getragen haben, kein Mensch weiß, warum? Und Betsy Gilford hat mir mal erzählt, wie sie durch ein Fenster heimlich beobachtet hat, wie alle im Wohnzimmer um einen Kreidekreis herumgetanzt sind, und die Spinnen im Zimmer haben mitgetanzt!«

Ich blickte den Kutscher skeptisch an: »Das klingt aber ziemlich unglaubwürdig.«

Er schnaubte, wirkte aber leicht verunsichert. Wahrscheinlich hatte er damit gerechnet, dass ich es mit der Angst zu tun bekommen würde.

»Ich sag dir eins«, brummte er, »du solltest besser auf dich aufpassen. Hier in den Bergen gehen seltsame Dinge vor sich. Betsy Gilfords Kuh ist mal diesen Weg hinaufspaziert, und kurz darauf wurde sie oben auf dem Pot’s Peak gefunden, über und über mit seltsamen Zeichen bedeckt.«

»Vielleicht sollten Sie lieber nicht alles glauben, was Betsy Gilford Ihnen erzählt«, entgegnete ich und zog meinen Hut tiefer in die Stirn. »Aber vielen Dank für die Warnung. Ich glaube nicht, dass mir etwas passiert.« Ich lächelte ihn an. »Ich werde im Schloss erwartet.«

Der Kutscher stieß ein verächtliches Lachen aus. »Da kannst du Gift drauf nehmen.« Er warf mir einen letzten stechenden Blick zu, der mir gar nicht gefiel. Dann schnalzte er mit den Zügeln, wendete die Kutsche in einem waghalsigen Manöver und donnerte den Berg hinunter in die heraufziehende Dunkelheit.

Ich war die letzte Reisende in der Postkutsche gewesen. Ich war in Manzemir eingestiegen und hatte mich zwischen die Tür und eine alte Dame mit zahlreichen Doppelkinnen gequetscht, die Pflaumen aß. Sie war sehr freundlich gewesen und hatte ihre Pflaumen mit mir geteilt, ebenso wie alles, was ich möglicherweise über ihre sieben Kinder und zweiunddreißig Enkelkinder hätte wissen wollen. Sie verließ die Kutsche in Gorlitz, und nach und nach waren auch alle anderen Passagiere in Städten, Dörfern und bei Gehöf‌ten ausgestiegen. Ich hatte zugesehen, wie sie alte Bekannte umarmten, Häuser betraten und quietschende Gartentore durchschritten.

Das steigerte noch meine gespannte Erwartung auf das Ziel meiner Reise. Ich war eine Waise und hatte bis vor drei Tagen geglaubt, dass ich es für den Rest meines Lebens bleiben würde. Doch das Schicksal schien andere Pläne mit mir zu haben und hatte sie mir auf dem denkbar seltsamsten Wege mitgeteilt.

 

Ich war gerade draußen in Mrs. Bolivers Garten und balancierte auf einem Turm aus zwei übereinandergestapelten Stühlen, die auf einer überdimensionalen rosa Hutschachtel standen, während ich versuchte, eine verirrte Katze vom Heizkessel zu retten, als die Vogelscheuche mit dem Brief eintraf.

»Augenblick!«, rief ich über das Schrillen der Türklingel hinweg. Die Katze fauchte und schlug mit den Krallen nach mir. Es war eine ziemlich ungewöhnliche Mieze, geradezu gruselig, mit außergewöhnlich langen, spitzen Zähnen. Mit strenger Stimme sagte ich zu ihr: »Also, wenn du dir nicht helfen lassen willst, musst du eben da oben sitzen bleiben!«

Die Katze starrte mich herablassend an.

»Ist das nicht ein bisschen heiß? Verbrennst du dir nicht die Pfoten?«

Jetzt schien mich die Katze regelrecht auszulachen. Es klingelte erneut an der Tür.

»Augenblick, hab ich gesagt!«, rief ich, und jetzt meldete sich auch Mrs. Boliver aus dem Inneren des Hauses. Ihre Altweiberstimme klang fast so schrill wie die Klingel. »Wer macht da so einen Höllenlärm? Los, Mädchen, geh an die Tür, aber dalli!«

Ich arbeitete als Dienstmädchen bei Mrs. Boliver, die Witwe war und in Cricktown wohnte, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagten. Mrs. Boliver war siebenundneunzig und ging am Stock. Ich war zwölf, groß und unterernährt und hatte widerspenstiges schwarzes Haar. Mit etwas gutem Willen konnte man es als lockig bezeichnen, aber wer weniger taktvoll war, wie Mrs. Boliver, nannte es »ein wildes Gestrüpp, derart von den Feen verhext, dass Kämme und Haarnadeln darin auf Nimmerwiedersehen verschwinden«.

»Wie siehst du denn aus? So was ist mir ja noch nie untergekommen«, hatte die alte Dame bemerkt, als ich aus dem Waisenhaus zu ihr geschickt wurde und sie mich zum ersten Mal sah, und ich glaube nicht, dass das als Kompliment gemeint war.

Ich hatte die Klingel wohl zu lange ignoriert, denn die Vogelscheuche kletterte schließlich schnurstracks über die Gartenmauer. Ich war gerade mit einem Plumps auf dem Rasen gelandet, und als ich aufblickte, sah ich mich zwei Beinen in einer zerlumpten Paisley-Hose gegenüber. Ich ließ meinen Blick langsam aufwärtswandern, bis ich Augen begegnete, die aus zwei großen Silberknöpfen bestanden. Oh!, dachte ich und erschrak ein wenig.

Die Vogelscheuche war sehr alt und fiel schon fast auseinander. Auf ihrem Gesicht sprossen Pilze, und ihre Rockzipfel waren modrig und moosbewachsen. Doch der Umschlag, den sie mir hinhielt, war nicht alt. Er bestand aus festem cremefarbenen Papier und war mit einem dicken schwarzen Wachssiegel mit Rabenmotiv verschlossen. Ohne ein Wort zu sagen, übergab mir die Vogelscheuche den Brief und kletterte dann wieder mit knarrenden Holzgliedern über die Mauer. Ich sah, wie sich ihr Ofenrohr-Hut langsam entfernte, als sie die Straße entlang davonschlenderte.

Einen Moment lang blieb ich wie angewurzelt stehen und starrte auf den Brief. An Zita Brydgeborn stand in verschnörkelter Schrift darauf, und wieder erschrak ich, denn ich hatte diesen Namen in den letzten zehn Jahren weder gelesen noch gehört.

»Wer war das?«, fragte Mrs. Boliver und kam zu mir herübergeschlurft.

»Eine Vogelscheuche«, antwortete ich, und Mrs. Boliver nickte grimmig. Sie hörte schlecht, wollte es aber nicht zugeben.

»Und was hast du da?«

»Einen Brief.«

»Für mich?«

»Nein«, sagte ich verwundert. »Ich … Ich glaube, er ist für mich!«

Mrs. Boliver kniff die Augen zusammen und sah den Brief durch ihre kleine Brille an. »Zita wer?«, fragte sie und musterte mich abfällig von Kopf bis Fuß, als nähme sie mich zum ersten Mal als menschliches Wesen anstatt als wandelnden Besen wahr. Und in dem Moment hielt ich es keine Sekunde länger aus. Ich rannte hinauf in meine Dachkammer, während mein Herz in meiner Brust Purzelbäume schlug und ich den Brief mit beiden Händen fest umklammerte. Er war für mich wie ein Leuchtfeuer, oder ein Rettungsring, der in tosende Wellen geworfen wurde. Irgendjemand, irgendwo, wusste, dass es mich gab. Mit zitternden Fingern brach ich das Siegel auf.

 

Sehr geehrte Miss Zita Brydgeborn, lautete die Überschrift, und wieder machte mein Herz einen merkwürdigen kleinen Hüpfer. Dieser Name war ein Geheimnis. Alle kannten mich nur als Ingabeth,...

Erscheint lt. Verlag 26.4.2023
Übersetzer Stefanie Schäfer
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Original-Titel Cinders and Sparrows
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Kinderbücher bis 11 Jahre
Schlagworte Familiengeheimnisse • Fantastik • Fantasy-Abenteuer • Fantasy-Literatur • Fantasy-Roman • Freundschaft • Geheimnis • Hexenschule • Jugendbuch • Kinderroman • Krähe • Magie • Prüfung • Schloss • Spannung • Waisenkinder • Zauberei
ISBN-10 3-257-61333-4 / 3257613334
ISBN-13 978-3-257-61333-9 / 9783257613339
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