Rosen & Violen - Rosenholm-Trilogie (1) (eBook)
368 Seiten
Arctis Verlag
978-3-03880-170-2 (ISBN)
Gry Kappel Jensen hat Geschichte und nordische Sprache und Literatur studiert und arbeitet heute als Autorin, Übersetzerin und Lektorin. Sie hat mehrere Kinder- und Jugendbücher veröffentlicht, darunter die Fantasy-Trilogie Rosenholm, die in nur kurzer Zeit zu einem großen Erfolg in ihrer Heimat wurde. Band Drei Nachtschatten wurde 2021 mit dem 'Dänischen Fantasy-Preis' als das 'Beste Fantasy-Buch des Jahres' ausgezeichnet. Gry Kappel lebt mit ihrer Familie in Aarhus, Dänemark.
Gry Kappel Jensen hat Geschichte und nordische Sprache und Literatur studiert und arbeitet heute als Autorin, Übersetzerin und Lektorin. Sie hat mehrere Kinder- und Jugendbücher veröffentlicht, darunter die Fantasy-Trilogie Rosenholm, die in nur kurzer Zeit zu einem großen Erfolg in ihrer Heimat wurde. Band Drei Nachtschatten wurde 2021 mit dem "Dänischen Fantasy-Preis" als das 'Beste Fantasy-Buch des Jahres' ausgezeichnet. Gry Kappel lebt mit ihrer Familie in Aarhus, Dänemark.
7. Juli 06 Uhr 30
Kamille
Ausnahmsweise war ihre Mutter vor ihr aufgestanden. Sie klapperte in der Küche herum. In mindestens einer Schüssel wurde gerührt, etwas fiel um, ihre Mutter fluchte, und die Pfanne zischte auf dem Gasherd. Hoffentlich setzt sich Mama nicht aus Versehen selbst in Brand.
Kamille schlich aus ihrem Zimmer ins Bad. Der Boden unter ihren nackten Zehen fühlte sich kalt an, selbst im Sommer war das alte Haus fußkalt.
Nach dem Duschen wickelte sie sich in ein Handtuch und ging zurück in ihr Zimmer. Den Geräuschen nach zu urteilen, war ihre Mutter immer noch mit irgendetwas beschäftigt, der Lärm kam jetzt auch aus dem Wohnzimmer.
Kamille öffnete die knarzenden Türen des alten Kleiderschranks und warf einen Blick hinein. Sie wollte auf keinen Fall overdressed sein, aber es war schon ein besonderer Tag. Vielleicht ein Sommerkleid? Immerhin war Sommer, auch wenn er sich in den letzten Monaten nicht von seiner besten Seite präsentiert hatte. Sie schnappte sich zwei Bügel und ging ins Wohnzimmer.
»Mama, was meinst du, welches davon soll ich anziehen?«
Kamilles Mutter war gerade dabei, einen Strauß bunter Rosen aus dem Garten in eine Vase zu stellen. Die roten Haare hatte sie zu einem unordentlichen Dutt hochgesteckt. Sie trug eine Schlafanzughose, einen weiten Wollpulli und darüber eine Schürze. Ein Feuer loderte im Ofen und auf dem kleinen Tisch, den die Mutter für zwei gedeckt hatte, standen Teelichter.
»Oh, wie hübsch, aber meinst du nicht, dass das ein bisschen übertrieben ist?«
»Kein bisschen. Pass mal auf, ich backe Pfannkuchen mit massig Sirup drauf. Und nimm das grüne Kleid, das hat den perfekten Schnitt für dich.«
Kamille zuckte mit den Schultern und schlüpfte in das grüne Kleid.
»Siehst du?«, sagte ihre Mutter und zog ihr den Reißverschluss am Rücken hoch. »Du hast eine tolle Figur. Wie eine Sanduhr. Da kann Marilyn Monroe einpacken!«
Kamille verdrehte die Augen. Was ihre Mutter Sanduhr-Figur nannte, hatten die gemeinsten Mädchen aus ihrer alten Klasse als fett bezeichnet. Aber wenn heute alles gut ging, musste sie sich darum keine Sorgen mehr machen. Sie würde neue Mitschülerinnen und Mitschüler bekommen. Nette hoffentlich!
»Lass dich mal anschauen!«, sagte ihre Mutter und drehte ihre Tochter zu sich herum. »Du bist so hübsch, mein Schatz. Soll ich dir die Haare flechten? Komm, setz dich. Ich hab dir einen ganz besonderen Tee gemacht. Der passt perfekt zum heutigen Tag.« Sie ging in die Küche und kam mit einer dampfenden Tasse von der Größe einer kleinen Waschschüssel zurück.
»Zitronenmelisse ist gut gegen Unruhe und Nervosität und Salbei hilft bei Verdauungsbeschwerden und Blähungen. An so einem Tag kann man das wirklich gar nicht brauchen, pffffff!« Ihre Mutter machte den Furzlaut erstaunlich naturgetreu nach.
»Mama!«, beschwerte sich Kamille, konnte sich ein Grinsen aber doch nicht verkneifen.
»Außerdem ist jede Menge Kamille drin. Und Honig, natürlich auch richtig viel Honig.«
»Danke, dann kann ja nichts mehr schiefgehen.«
Kamille ließ zu, dass ihre Mutter sie auf einen Stuhl schob und ihre roten Haare bürstete, bis die in der Wärme des Ofens beinahe getrocknet waren. Sie genoss die schnellen, aber dennoch sanften Bürstenstriche, so hatte ihre Mutter ihr schon immer die Haare gemacht. Ab und zu knackte ein Holzscheit im Ofen und im kleinen Wohnzimmer duftete es herrlich nach Feuer und den Kräutern, die überall in Bündeln zum Trocknen hingen.
»Machst du mir einen französischen Zopf?«, fragte Kamille.
»Mhm«, murmelte ihre Mutter konzentriert. »Halt still.«
Als der Zopf fertig war, servierte ihre Mutter einen großen Berg unterschiedlich großer Pfannkuchen.
»Bitte schön, nimm dir Löwenzahnsirup dazu.«
»Willst du keine?«
»Doch, später. Aber jetzt möchte ich lieber meiner großen Tochter beim Essen zuschauen. Wo sind bloß all die Jahre hin? Auf einmal bist du erwachsen geworden.«
»Was ist denn mit dir los?«, fragte Kamille, den Mund voller Pfannkuchen. »Ich bin doch nicht erwachsen, bloß weil ich heute von zu Hause ausziehe. Außerdem ist noch nicht mal sicher, dass sie mich überhaupt haben wollen.«
»Natürlich wollen sie dich, Millchen«, sagte ihre Mutter und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Ich habe nie auch nur das kleinste bisschen daran gezweifelt, dass du hast, was es dazu braucht.«
»Äh, danke, aber mach mal langsam. Manchmal ist das alles ein wenig … viel.«
»Viel?«
»Ja, so wie damals, als du die Mädchen aus meiner Klasse zu meinem Menstruationsfest eingeladen hast.«
»Was?« Kamilles Mutter verzog ihr Gesicht in gespielter Überraschung.
»Boah, Mama, komm schon! Natürlich kannst du dich daran erinnern.«
Unter den vielen, vielen peinlichen Ereignissen in Kamilles Leben war das Menstruationsfest das peinlichste überhaupt gewesen. Ihre Mutter hatte acht Mädchen aus ihrer Klasse eingeladen, um mit ihnen zu feiern, dass Kamille ihre Tage bekommen hatte. Sie hatte die Kaffeetafel auf dem dicken Flickenteppich auf dem Wohnzimmerboden gedeckt und Wasser mit rotem Sirup (eine unglückliche Farbwahl), Schokoladenkuchen und Kräutertee gegen Blähungen und Menstruationsschmerzen serviert. Keines der anderen Mädchen hatte damals schon seine Periode gehabt. Sie hockten mucksmäuschenstill auf dem Teppich und starrten Kamilles Mutter mit großen, runden Augen an, während diese, in ein sonnengelbes Kleid mit flatterndem Rock gehüllt, eine feierliche Rede über die Mondphasen und den weiblichen Zyklus hielt. Als sie sich auch noch eine Trommel schnappte und einen Ehrengesang auf die Frau und die Natur anstimmte, glaubte Kamille, jeden Moment vor Peinlichkeit auf dem Teppich sterben zu müssen.
»Hinterher haben die anderen Eltern angerufen und sich beschwert. Sie wollten nicht mehr, dass ihre Töchter zu uns kommen.«
Kamilles Mutter legte den Kopf in den Nacken und lachte so sehr, dass ihr Busen hüpfte. »Es war genau genommen nur eins der Mädchen, das dich nicht mehr besuchen durfte. Die mit den dünnen Haaren. Das war doch nur, weil ich so stolz auf dich war«, sagte sie.
»Gut, lass uns abwarten, wie es läuft«, lenkte Kamille ab. »Ich wünschte, ich hätte mich besser vorbereiten können. Kannst du mir nicht wenigstens ein bisschen darüber verraten, was mich heute erwartet?«
»Tut mir leid, aber das verstößt gegen die Regeln«, sagte ihre Mutter und zog die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. »Außerdem hat sich seit damals bestimmt eine Menge verändert. Iss jetzt auf, wir müssen los.«
Kamille seufzte tief und stand auf, um ihre Tasche zu packen. Sie wusste, dass betteln nicht half, das zog bei ihrer Mutter nicht. Diese Frau war stur wie ein Esel.
»Hier, nimm meine gute Strickjacke, es ist ziemlich frisch draußen. Die mit den Silberknöpfen, die Oma gestrickt hat.« Kamille nahm die Jacke entgegen. Selbst hatte ihre Mutter einen Wollponcho über den Pullover gezogen und war mit den nackten Füßen in ein Paar neongrüne Crocs geschlüpft. »Hast du deine Tasche? Dann lass uns aufbrechen.«
Der schnellste Weg zur Landstraße verlief am Feldrand entlang und dann am alten Friedhof vorbei, aber nach so viel Regen wie in den letzten Tagen war das eher ein Untergrund für Gummistiefel. Deshalb beschlossen sie, heute den Schotterweg zu nehmen.
»Im Brief stand, dass Eltern nicht mitkommen dürfen«, sagte Kamille.
»Das weiß ich doch, mein Schatz, ich bringe dich nur bis zum Bus. Keine Sorge, ich habe nicht vor, peinlich zu sein«, sagte ihre Mutter und zwinkerte Kamille zu, während sie sich eine lose Haarsträhne hinters Ohr schob. Weiße Strähnen zeigten sich in ihren roten Haaren. Es stimmte tatsächlich, dass die Zeit verging.
Sie verließen das Haus durch die Küchentür, und obwohl sie beide nicht besonders groß waren, mussten sie die Köpfe einziehen, um nicht gegen den Türrahmen zu stoßen. Es war eine alte Stalltür, und das Schloss funktionierte nicht richtig. »Das macht nichts«, sagte Kamilles Mutter immer. »Zu uns hier draußen verirrt sich eh niemand, der nicht eingeladen ist.«
Kamille hielt kurz inne und ließ die Augen über das alte Fachwerkhaus schweifen, in dem sie ihr ganzes bisheriges Leben verbracht hatte. Das Reetdach musste dringend erneuert werden, es gab mehrere Stellen, an denen es löchrig war.
»Komm.« Kamilles Mutter hängte sich bei ihr ein. So gingen sie über den Hof, während eine rote Katze beleidigt hinter ihnen her miaute. »Du musst warten, Mismis«, rief die Mutter. »Wir müssen den Bus bekommen.«
Sie gingen den Schotterweg entlang, bogen dann auf einen etwas größeren, asphaltierten Weg ein, der im Einklang mit den sanft schwingenden Hügeln auf und ab durch die Landschaft führte. Die Sonne hatte noch keine Kraft und über der Ebene lag Nebel wie ein magischer Schleier, der Geheimnisse verbarg. Unterwegs konnten sie den großen Grabhügel sehen, auf dem fünf mächtige, uralte Eichen thronten, in Sicherheit vor den hunderten von Bauern, die das Land rund um den Grabhügel gepflügt hatten, seit dort Bäume gepflanzt worden waren.
Als sie die Straße erreichten, blieben sie an deren Rand stehen. Es gab hier keine Haltestelle, aber der Busfahrer hielt trotzdem, wenn er jemanden dort stehen sah. Während sie warteten, stieg die Sonne höher und ihre Strahlen wärmten die Erde, so dass zu dampfen begann.
»Viel Glück«, sagte ihre Mutter, als der Bus endlich kam. Sie nahm Kamilles Hände, drückte sie und sah plötzlich ernst aus. »Und Kamille? Du passt gut auf dich auf, ja?«
»Na klar«, sagte Kamille und nahm ihre Mutter ein letztes Mal in den Arm. »Mach...
Erscheint lt. Verlag | 16.2.2023 |
---|---|
Reihe/Serie | Rosenholm-Trilogie |
Übersetzer | Meike Blatzheim, Sarah Onkels |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | action • Außenseiter • Bestseller • Dänemark • Familie • Fantasy • Feminismus • Freundschaft • Gestaltwandler • Internat • Liebe • Mädchen • Magie • Magische Kräfte • Magischer Realismus • Mordfall • Mut • Nordische Mythologie • Romance • Rune • Seeland • Serie • Spannung • Trilogie • Urban-Fantasy • Verrat |
ISBN-10 | 3-03880-170-4 / 3038801704 |
ISBN-13 | 978-3-03880-170-2 / 9783038801702 |
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